MEINUNGS- UND VERSAMMLUNGSFREIHEIT
Während des gesamten Jahres 2016 kam es zu ungerechtfertigten Einschränkungen der Rechte auf freie Meinungsäußerung, Informations- und Versammlungsfreiheit. Diese erfolgten auf der Grundlage von im Jahr 2015 vorgenommenen Änderungen des Strafgesetzbuchs und des Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit.
Am 5. Februar 2016 wurden Alfonso Lázaro de la Fuente und Raúl García Pérez, zwei professionelle Puppenspieler, fünf Tage lang inhaftiert, weil sie ein Stück aufgeführt hatten, in dem eine Nonne niedergestochen, ein Richter erhängt und Polizisten sowie schwangere Frauen geschlagen wurden. Während der Vorstellung präsentierte eine der Puppen ein Transparent mit der Aufschrift “GORA ALKA-ETA”. Die Puppenspieler wurden wegen Terrorismusverherrlichung und Anstiftung zum Hass angeklagt. Ihre Festnahme erfolgte, nachdem mehrere Personen Anstoß an dem Stück genommen hatten. Im September ließ der Nationale Gerichtshof (Audiencia Nacional) die Klagen wegen Terrorismusverherrlichung fallen. Das Verfahren wegen des Vorwurfs der Anstiftung zum Hass dauerte zum Jahresende jedoch noch an.
Im April 2016 forderte der Innenminister den Generalrat der rechtsprechenden Gewalt (Consejo General del Poder Judicial) auf, gegen José Ricardo de Prada, einen Richter des Nationalen Gerichtshofs, vorzugehen. Er hatte in einer vom Stadtrat von Tolosa in der Provinz Gipuzkoa organisierten Podiumsdiskussion Einvernehmen mit den Bedenken internationaler Menschenrechtsorganisationen angesichts der Hindernisse für eine wirksame Untersuchung von Folterfällen in Spanien geäußert. Außerdem unterstützte die Staatsanwaltschaft einen Antrag der Vereinigung der Opfer des Terrorismus (Asociación de Víctimas del Terrorismo), den Richter wegen seiner angeblichen Voreingenommenheit in zwei Fällen von der Verhandlung auszunehmen. Im Juni lehnte der Nationale Gerichtshof beide Anträge, gegen den Richter vorzugehen, ab.
2016 verurteilte der Nationale Gerichtshof 25 Personen in 22 Fällen wegen Terrorismusverherrlichung. Die meisten Urteile waren eine Folge der “Operation Spinne”, bei der Nachrichten in sozialen Medien abgefangen wurden. Zwischen April 2014 und April 2016 wurden im Zuge der Operation 69 Personen festgenommen.
FOLTER UND ANDERE MISSHANDLUNGEN
Während des ganzen Jahres gingen Berichte über Folter und andere Misshandlungen ein, darunter exzessive Gewaltanwendung durch Sicherheitskräfte. Folter- und Misshandlungsvorwürfe wurden in manchen Fällen nicht wirksam und gründlich untersucht.
Im Januar 2016 kam es zum Urteil im Fall von Juan Antonio Martínez González, der am 4. April 2015 in Cádiz an Verletzungen gestorben war, die er sich während der Anwendung bewegungseinschränkender Maßnahmen durch Sicherheitskräfte zugezogen hatte. Dem Richter zufolge gab es keine Hinweise darauf, dass die Sicherheitskräfte verbotene Methoden angewandt oder ihre Befugnisse überschritten hätten. Ende 2016 war einem Rechtsmittel gegen das Urteil vor dem Provinzgericht (Audiencia Provincial) in Cádiz stattgegeben worden.
In dem Fall Beortegui Martinez gegen Spanien kam der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Mai 2016 einmal mehr zu dem Urteil, dass Spanien gegen das Verbot von Folter und anderer Misshandlung verstoßen habe, weil es keine wirksamen und gründlichen Untersuchungen von Foltervorwürfen durchgeführt habe, die von Personen erhoben worden waren, die sich ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft befanden. Es war bereits das siebte Urteil dieser Art gegen Spanien.
Ebenfalls im Mai fand das Strafverfahren gegen zwei Angehörige der Sicherheitskräfte im Fall von Ester Quintana vor dem Provinzgericht in Barcelona statt. Ester Quintana hatte ein Auge verloren, nachdem sie bei einer Demonstration in Barcelona im November 2012 von einem Gummigeschoss der Polizei getroffen worden war. Das Verfahren endete mit einem Freispruch für beide Angeklagten, da das Gericht nicht feststellen konnte, wer von ihnen das Geschoss abgefeuert hatte.
Im Juli 2016 hob der Oberste Gerichtshof die Verurteilung von Saioa Sánchez durch den Nationalen Gerichtshof in Teilen auf. Der Nationale Gerichtshof hatte Saioa Sánchez und zwei weitere Personen wegen im Dezember 2015 begangener terrorismusbezogener Straftaten verurteilt. In der Begründung ihres Rechtsmittels vor dem Obersten Gerichtshof machten sie geltend, dass der Nationale Gerichtshof es abgelehnt habe, der Frage nachzugehen, ob die sie belastende Aussage ihres Mitangeklagten Iñigo Zapirain unter Zwang zustande gekommen war. Der Oberste Gerichtshof ordnete eine neue Anhörung an und forderte die Anwendung des Handbuchs für die wirksame Untersuchung und Dokumentation von Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (Istanbul-Protokoll), um die Richtigkeit der Aussage von Iñigo Zapirain zu prüfen. Das Urteil berücksichtigte Bedenken, die von internationalen Menschenrechtsgremien hinsichtlich der Straflosigkeit und des Fehlens gründlicher und wirksamer Ermittlungen sowie in Bezug auf Mängel bei der Güte und Genauigkeit forensischer Untersuchungen geäußert wurden.
RECHTE VON FLÜCHTLINGEN UND MIGRANTEN
Die Zahl der Flüchtlinge und Migranten, die ohne offizielle Erlaubnis von Marokko aus über die Grenzzäune in die spanischen Exklaven Ceuta und Melilla einzureisen versuchten, nahm 2016 ab. Insgesamt trafen jedoch mehr Flüchtlinge und Migranten ein, auch über die regulären Grenzübergänge. Nach wie vor kam es zu Kollektivabschiebungen nach Marokko durch spanische Ordnungskräfte in Ceuta und Melilla.
Das spanische Aufnahmesystem für Asylsuchende war nach wie vor unzureichend. Es gab zu wenige Plätze in den offiziellen Aufnahmezentren und nur unzureichende Unterstützung für jene, die außerhalb offizieller Zentren untergebracht waren. Spanien setzte die Europäischen Richtlinien zu Staatenlosen, Asylverfahren und Aufnahmebedingungen nicht um. Auch sechs Jahre nach Inkrafttreten wurde das Asylgesetz noch immer nicht angewandt. Dies hatte zur Folge, dass Asylsuchende nicht überall im Land den gleichen Zugang zu den ihnen zustehenden Unterstützungsleistungen hatten. Zwischen Januar und Oktober 2016 gingen nach Angaben von Eurostat in Spanien 12525 Asylanträge ein. 2013 lag die Anzahl der Asylanträge bei 4513. Im August 2016 war die Anzahl unbearbeiteter Asylanträge auf 29845 gestiegen.
Am 9. September 2016 wurden mindestens 60 Personen aus Ländern südlich der Sahara, die nach Spanien gelangt waren, indem sie über die Zäune zwischen Ceuta und Marokko geklettert waren, kollektiv nach Marokko abgeschoben. Zuvor wurden einige von ihnen von marokkanischen Sicherheitskräften geschlagen, die auf das zu Spanien gehörende Gebiet zwischen den Zäunen vorgedrungen waren. Einige der nach Marokko zurückgeführten Personen erlitten beim Erklettern der Zäune und infolge der Schläge Verletzungen.
Obwohl sich Spanien im Rahmen von Resettlement-Programmen bereiterklärt hatte, 1449 Personen aus dem Nahen Osten und Nordafrika aufzunehmen, waren bis Dezember 2016 nur 289 Personen, allesamt syrische Staatsangehörige, in Spanien eingetroffen. Auch die Zahl der im Rahmen des internen Umverteilungsprogramms der EU nach Spanien umgesiedelten Personen lag bis Dezember bei nur 609 Personen, entgegen der eigentlichen Verpflichtung Spaniens, 15888 Personen aus Italien und Griechenland aufzunehmen, die internationalen Schutz benötigten.
STRAFLOSIGKEIT
Auch weiterhin weigerten sich die spanischen Behörden, bei der Untersuchung von völkerrechtlichen Verbrechen, die während des spanischen Bürgerkriegs und unter dem Franco-Regime begangen wurden, mit der argentinischen Justiz zusammenzuarbeiten. Die spanischen Behörden hinderten die argentinischen Strafverfolgungsbehörden in einer Sammelklage, der sogenannten Querella Argentina, an der Vernehmung einiger Opfer und der 19 Angeklagten. In einem Rundschreiben vom 30. September 2016 wies die spanische Staatsanwaltschaft die regionalen Staatsanwaltschaften an, die Durchführung der von den argentinischen Behörden beantragten Ermittlungsverfahren abzulehnen. Die Begründung lautete, eine Untersuchung der angezeigten Verbrechen wie Verschwindenlassen und Folter sei unter dem Amnestiegesetz und anderen Gesetzen sowie aufgrund der Verjährungsfrist nicht möglich.
DISKRIMINIERUNG – GESUNDHEIT VON MIGRANTEN
Die staatlichen Sparmaßnahmen wirkten sich auch weiterhin negativ auf die Menschenrechte aus, insbesondere hinsichtlich des Zugangs zu Gesundheits- und Sozialleistungen für einige besonders schutzbedürftige Gruppen. Das Verfassungsgericht erklärte die 2012 verabschiedete Gesetzgebung, durch die der Zugang zu kostenloser medizinischer Versorgung – auch zur Grundversorgung – für Migranten ohne gültige Papiere eingeschränkt wurde, für verfassungskonform. Durch die Reform wurde 748835 Migranten die Gesundheitskarte und damit der Zugang zum Gesundheitssystem genommen, oder er war stark eingeschränkt, in einigen Fällen mit lebensgefährlichen Folgen. Besondere Konsequenzen hatte die neue Gesetzgebung für Frauen, da die Gesetze neue Hindernisse beim Zugang zu Informationen und Leistungen im Hinblick auf die sexuelle und reproduktive Gesundheit mit sich brachten.
RECHT AUF WOHNEN
Die öffentlichen Ausgaben für den Wohnungsbau wurden zwischen 2008 und 2015 um mehr als 50 % gekürzt, während Zwangsvollstreckungen unvermindert anhielten. Nach Informationen des Generalrats der rechtsprechenden Gewalt kam es bis September 2016 zu 19714 Zwangsräumungen wegen ausstehender Hypothekenzahlungen und zu 25688 Zwangsräumungen wegen unterlassener Mietzahlungen. Es gab jedoch keine offiziellen Zahlen hinsichtlich der Anzahl der von Zwangsvollstreckungen betroffenen Personen in Spanien und auch keine nach Geschlecht oder Alter aufgeschlüsselten Angaben, wodurch es unmöglich war, Maßnahmen zum Schutz besonders gefährdeter Gruppen zu ergreifen. Hauseigentümern, denen der Verlust ihres Zuhauses drohte, fehlte es nach wie vor an einem wirksamen Rechtsbehelf, um den Schutz ihres Rechts auf Wohnen vor Gericht durchzusetzen.
GEWALT GEGEN FRAUEN
Nach Angaben des Ministeriums für Gesundheit, Soziales und Gleichberechtigung wurden bis Dezember 2016 insgesamt 44 Frauen von ihrem Partner oder einem früheren Partner getötet.
Bereits 2004 war in Spanien das Gesetz gegen geschlechtsspezifische Gewalt und zur Einrichtung von Gerichten für Fälle von Gewalt gegen Frauen in Kraft getreten. Seither hat es jedoch trotz Bedenken hinsichtlich der Wirksamkeit von Strafverfolgungen und der Angemessenheit von Maßnahmen für den Opferschutz keine partizipative und transparente Überprüfung der Wirksamkeit des Gesetzes gegeben.