Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Poland

Berichtszeitraum: 1. Januar 2016 bis 31. Dezember 2016

Amtliche Bezeichnung: Republik Polen
Staatsoberhaupt: Andrzej Duda
Regierungschefin: Beata Szydło

Die Regierung trieb 2016 Justizreformen mit großer Tragweite voran, die insbesondere das Verfassungsgericht betrafen. Seit dem Wahlsieg der die Partei Recht und Gerechtigkeit im Oktober 2015 traten 214 Gesetzesänderungen und neue Gesetze in Kraft. Von vielen Seiten wurde kritisiert, dass die gesetzlichen Neuregelungen im Eiltempo und ohne angemessene Beteiligung der Zivilgesellschaft erfolgten.

GESETZLICHE, VERFASSUNGSRECHTLICHE UND INSTITUTIONELLE ENTWICKLUNGEN

Die Verfassungskrise, die im Jahr 2015 begonnen hatte, verschärfte sich 2016 durch mehrere Änderungen des Gesetzes zur Reform des Verfassungsgerichts. Das Verfassungsgericht selbst urteilte im März und im August, die Gesetzesänderungen seien in Teilen oder in Gänze verfassungswidrig.

Die EU-Kommission startete im Januar 2016 einen strukturierten Dialog mit der polnischen Regierung. Es war das erste Mal, dass die Kommission ein Verfahren zur Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit in einem Mitgliedstaat einleitete. Grundlage hierfür war der Rahmen zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips. Der polnischen Regierung wurde eine Frist bis zum 27. Oktober 2016 gesetzt, um darzulegen, welche Maßnahmen sie zur Überwindung der Krise ergreifen wolle. Auf die Empfehlungen der EU-Kommission reagierte die Regierung abweisend, da diese ihrer Ansicht nach "auf falschen Annahmen beruhten".

Die vom vorhergehenden Parlament gewählten Verfassungsrichter wurden nicht vereidigt, und Ministerpräsidentin Beata Szydło lehnte es ab, mehrere Urteile des Verfassungsgerichts amtlich zu veröffentlichen. Eine im Juli 2016 eingebrachte Änderung des Gesetzes zur Reform des Verfassungsgerichts besagt, dass das Gericht alle Fälle in der Reihenfolge ihres Eingangs zu behandeln habe, und entzieht ihm damit seine Befugnis, nach Dringlichkeit zu entscheiden.

Im November 2016 veröffentlichte der UN-Menschenrechtsausschuss seinen Abschlussbericht über Polen. Das Gremium empfahl dem Land u. a., die Integrität und Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts und seiner Richter zu achten und zu schützen sowie sicherzustellen, dass alle Urteile des Gerichts amtlich veröffentlicht und umgesetzt werden.

Nach der Verabschiedung von drei neuen Gesetzen, die das Verfassungsgericht betrafen, und der Ernennung eines neuen Präsidenten des Verfassungsgerichts äußerte die EU-Kommission im Dezember 2016 weitere Bedenken und sprach eine ergänzende Empfehlung aus. Sie forderte Polen auf, die systemische Gefährdung der Rechtsstaatlichkeit innerhalb von zwei Monaten zu beheben.

JUSTIZSYSTEM

Ein im Januar 2016 verabschiedetes Gesetz legt fest, dass der Justizminister auch die Funktion des Generalstaatsanwalts übernimmt und dessen Befugnisse ausgeweitet werden. Dies hat weitreichende Auswirkungen für das Recht auf ein faires Verfahren und die Unabhängigkeit der Justiz.

Im Juni 2016 lehnte Präsident Andrzej Duda es ab, neun Richter zu ernennen, die auf Vorschlag des Nationalen Justizrats in höhere Gerichte aufsteigen sollten. Ein weiterer Richter, den der Justizrat für ein Amt nominiert hatte, wurde ebenfalls nicht ernannt. Für die Entscheidung des Präsidenten wurden keine Gründe angegeben.

ANTITERRORMASSNAHMEN UND SICHERHEIT

Im Juni 2016 verabschiedete das Parlament in einem beschleunigten Verfahren ein neues Antiterrorgesetz. Es konzentriert weitreichende Befugnisse in der Hand des Inlandsgeheimdienstes, ohne dass ein unabhängiges Kontrollorgan Missbrauch verhindern oder Rechenschaftspflicht einfordern könnte.

Terroristische Straftaten und "Vorfälle" sind in dem Gesetz und in den ergänzenden Regelungen vage definiert. Im Visier stehen insbesondere ausländische Staatsangehörige. Sie dürfen drei Monate lang ohne richterliche Aufsicht geheim überwacht werden, u. a. durch Abhörmaßnahmen und durch Überwachung von elektronischer Kommunikation, Telekommunikationsnetzen und -geräten. Danach kann die Überwachung auf richterliche Anordnung hin verlängert werden. Diese Maßnahmen können bereits ergriffen werden, wenn nur eine "Befürchtung" und noch kein begründeter Verdacht besteht, dass die Person an terroristischen Aktivitäten beteiligt sein könnte. Nach dem neuen Antiterrorgesetz sind künftig auch Beweismittel zugelassen, die auf illegale Weise erlangt wurden. Außerdem wurde die Untersuchungshaft auf 14 Tage ausgeweitet, und bei Antiterroreinsätzen entfallen bestimmte Einschränkungen in Bezug auf die Anwendung tödlicher Gewalt.

Mit dem novellierten Polizeigesetz wurden die Befugnisse zur Überwachung ausgeweitet. Gerichte können demnach eine geheime Überwachung für drei Monate anordnen. Sie kann unter Verweis auf eine weitgefasste Liste von Straftaten auf 18 Monate verlängert werden, ohne dass die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme nachgewiesen werden muss. Die Änderungen ermöglichen auch den direkten Zugriff der Polizei auf Telefon- und Internetverbindungsdaten ohne richterliche Anordnung. Das neue Gesetz bedroht zudem die Vertraulichkeit von Informationen, die bislang durch das Berufsgeheimnis z. B. für Strafverteidiger geschützt waren, da eine Überwachung der Kommunikation von Anwälten nicht verboten ist.

Der UN-Menschenrechtsausschuss wies darauf hin, dass terroristische Straftaten im Strafgesetzbuch sehr weitgefasst seien, und empfahl Polen u. a., diese Straftaten nicht nur nach ihrer Zielsetzung zu definieren, sondern die Merkmale des Tatbestands enger zu fassen. Außerdem sollten "terroristische Vorfälle" präziser definiert werden.

Die strafrechtliche Untersuchung zur Zusammenarbeit Polens mit der CIA und zur Existenz eines geheimen CIA-Gefängnisses auf polnischem Territorium war immer noch nicht abgeschlossen. Die Urteile, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im Jahr 2015 in den Verfahren al-Nashiri und Abu Zubaydah gefällt hatte, waren noch nicht vollständig umgesetzt.

MEINUNGSFREIHEIT - JOURNALISTEN

Im Juli 2016 trat das Gesetz über einen Nationalen Medienrat in Kraft. Das Gremium entscheidet über die Ernennung und Abberufung des Führungspersonals und der Aufsichtsgremien der öffentlich-rechtlichen Medien. Die Zusammensetzung und die Abstimmungsmodalitäten des Rates ermöglichen es der Regierungspartei, die Entscheidungen des Gremiums zu kontrollieren.

Die faktische Kontrolle der Regierung über die öffentlichen Medien führte zu Einschränkungen der Pressefreiheit. Auf der weltweiten Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen wurde Polen 2016 von Rang 18 auf Rang 47 von 180 Staaten herabgestuft. Nach Angaben der polnischen Journalistengewerkschaft Towarzystwo Dziennikarskie waren bis zum Jahresende 216 Journalisten und Verwaltungsmitarbeiter öffentlich-rechtlicher Medien entlassen, zur Kündigung gezwungen oder auf unbedeutende Posten versetzt worden.

Im Dezember 2016 sorgten geplante Einschränkungen der Parlamentsberichterstattung und der Zugangsrechte für Journalisten zum Unterhaus (Sejm) für Massenproteste und führten zu einer "Besetzung" des Plenarsaals durch Abgeordnete der Opposition.

RECHT AUF VERSAMMLUNGSFREIHEIT

Im Dezember 2016 verabschiedete das Parlament ein Gesetz, das die Versammlungsfreiheit einschränkt, obwohl der polnische Beauftragte für Bürgerrechte und der Oberste Gerichtshof Einwände dagegen vorbrachten und fast 200 NGOs scharfe Kritik übten. Der Präsident unterzeichnete die Reform nicht, sondern verwies sie an das Verfassungsgericht.

DISKRIMINIERUNG

Die gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz vor Diskriminierung und Hassverbrechen aufgrund von Alter, Behinderung, Geschlecht, Geschlechtsidentität und Ausdruck der Geschlechtlichkeit, sexueller Orientierung und sozialem oder wirtschaftlichem Status waren weiterhin unzureichend. Im April 2016 wurde der Rat zum Schutz vor Rassendiskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und damit zusammenhängender Intoleranz abgeschafft.

RECHTE VON FLÜCHTLINGEN UND MIGRANTEN

Polen lehnte es weiterhin strikt ab, Flüchtlinge aus anderen EU-Mitgliedstaaten aufzunehmen, obwohl die EU verpflichtende Quoten zur Umverteilung vereinbart hatte. Die Behörden ließen Migranten und Asylsuchende 2016 weiterhin in unverhältnismäßig hohem Maße inhaftieren.

Zivilgesellschaftliche Organisationen berichteten über Hindernisse beim Zugang zu Asylverfahren. So konnten zahlreiche Menschen am Grenzübergang Brest/Terespol zwischen Belarus und Polen keinen internationalen Schutz beantragen. Im Juni 2016 übermittelte der EGMR der polnischen Regierung die Beschwerden A. B. gegen Polen sowie T. K. und S. B. gegen Polen zur Stellungnahme. Die Beschwerden betrafen eine Familie von drei russischen Staatsangehörigen, die viermal vergeblich versucht hatte, nach Polen einzureisen und am Grenzübergang Brest/Terespol Asylanträge zu stellen.

SEXUELLE UND REPRODUKTIVE RECHTE

Frauen, die sichere und legale Schwangerschaftsabbrüche vornehmen lassen wollten, wurden nach wie vor systematisch behindert. Zum Jahresende beriet das Parlament über eine Petition, mit der weitere Einschränkungen für Schwangerschaftsabbrüche gefordert wurden.

Nachdem am 3. Oktober 2016 Massenproteste und ein landesweiter Frauenstreik stattgefunden hatten, stimmte das Parlament gegen einen Gesetzentwurf, der ein nahezu vollständiges Abtreibungsverbot vorsah und Frauen und Mädchen, die einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen, sowie allen Personen, die ihnen dabei halfen oder sie dazu ermutigten, Haftstrafen androhte.

BERICHTE VON AMNESTY INTERNATIONAL

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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