Dokument #1397922
ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (Autor)
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Die in dieser Anfragebeantwortung enthaltenen Informationen beziehen sich allgemein auf Gebiete, die seit 2015 aus der Kontrolle der Gruppe Islamischer Staat (IS) befreit wurden.
Eine im März 2017 veröffentlichte Karte der aus 68 Staaten bestehenden globalen Koalition gegen den IS (Global Coalition against Daesh) zeigt aktuelle und ehemalige Gebiete unter dem Einfluss des IS mit Stand Jänner 2017:
· Global Coalition: Daesh Areas of Influence, January 2017 Update, 7. März 2017
http://theglobalcoalition.org/en/maps_and_stats/daesh-areas-of-influence-january-2017-update/
Folgende Karte des Institute for the Study of War (ISW) zeigt jene Gebiete in gelb, in denen hauptsächlich schiitische Milizen die Sicherheitskräfte stellen bzw. wo die irakischen Sicherheitskräfte von schiitischen Milizen beeinflusst werden (Control Zone):
· ISW – Institue for the Study of War: Iraq Control of Terrain Map, 9. März 2017
http://www.understandingwar.org/sites/default/files/Iraq%20Control%20of%20Terrain%2009%20MAR%202017.pdf
Informationen zur Rolle der schiitischen Milizen bzw. zur Dachorganisation Popular Mobilization Forces (PMF, auch al-Haschd al-Schaabi) finden sich in folgenden Quellen:
· Al-Monitor: Shiite militias open offices in Iraq's liberated Sunni areas, 31. Jänner 2017
http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2017/01/shiite-militias-iraq-sunni-pmu-fallujah.html#ixzz4bVGAYLRB
· IRIN – Integrated Regional Information Network: Who are Iraq's militias?, 13. Juli 2016
https://www.irinnews.org/analysis/2016/07/13/who-are-iraqs-militias
· Jamestown Foundation: Iraq’s Shia Militias: Helping or Hindering the Fight Against Islamic State? In: Terrorism Monitor Volume 14, Issue 9, 29. April 2016
https://jamestown.org/program/iraqs-shia-militias-helping-or-hindering-the-fight-against-islamic-state/
· Oxford Analytica: Daily Brief: Iraq will keep Shia militias out of Mosul, 17. Oktober 2016
https://dailybrief.oxan.com/Analysis/DB214321/Iraq-will-keep-Shia-militias-out-of-Mosul
· The Atlantic: The Shia Militias of Iraq, 22. Dezember 2016
https://www.theatlantic.com/international/archive/2016/12/shia-militias-iraq-isis/510938/
Das UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (UN OCHA) schreibt in seinem Humanitarian Bulletin zum Jänner 2017, dass die Rückkehrbewegungen im Irak zügig weitergingen. Eineinhalb Millionen Menschen seien seit Juni 2014 nach Hause zurückgekehrt. In den letzten Monaten seien landesweit fast 100.000 Menschen zurückgekehrt. Die Provinz Anbar habe die meisten Rückkehrer, gefolgt von der Provinz Salah al-Din. Ein großes Rückkehrhindernis sei die weit verbreitete Kontaminierung mit nicht explodierten Sprengkörpern und das Ausmaß der Zerstörung von Infrastruktur. Auch nach der Rückkehr seien Menschen weiterhin Härte und Risiken ausgesetzt:
„Across Iraq, returns continue apace, with almost 1.5 million people having returned to their homes since June 2014. In the last month, almost 100,000 people have returned home countrywide. Anbar continues to have the highest number of returns at 670,000 people, followed by Salah al-Din at 375,000. One major obstacle to return is widespread contamination by unexploded ordnance and improvised explosive devices. Another is the extent of infrastructural damage in areas of return. After returning home to retaken areas, Iraqis continue to face hardship and risks.” (UN OCHA, 20. Februar 2017, S. 3)
UN OCHA schreibt weiter, dass in Baidschi in der Provinz Salah al-Din neben der Besorgnis bezüglich des Schutzes viele Familien nach Jahren der Binnenvertreibung mit schweren wirtschaftlichen Situationen konfrontiert würden. Es gebe nur beschränkt Arbeitsmöglichkeiten. Vulnerable Gruppen wie ältere oder behinderte Menschen oder von Frauen geleitete Haushalte seien besonders gefährdet und würden weiterhin humanitäre Unterstützung benötigen. Dies zeige sich auch in anderen Gebieten des Irak, in die eine große Zahl von Binnenvertriebenen zurückkehrt sei: in Tikrit (Provinz Salah al-Din), in Ramadi, Falludscha und Hit (Provinz Anbar) sowie in den kürzlich zurückeroberten Gebieten in der Provinz Ninewa:
„In addition to protection concerns, many families will be facing economic hardships following two and a half years in displacement. People have depleted their savings, and household items are worn out. Job opportunities are limited, leaving people with few resources to rebuild their homes. Vulnerable groups like the elderly, disabled and female-headed households are particularly at risk, and are in need of continuing humanitarian assistance. A similar story is seen in other areas of Iraq, where large numbers of displaced people are returning home: in Tikrit in Salah al-Din, Ramadi, Fallujah and Heet in Anbar and in recently-retaken parts of Ninewa. Across the country people returning to their homes continue to be vulnerable to shocks, and need ongoing, comprehensive humanitarian assistance, in close coordination with recovery initiatives, to ensure no-one in Iraq is left behind.” (UN OCHA, 20. Februar 2017, S. 4)
Amnesty International fasst in seinem im Februar 2017 veröffentlichten Jahresbericht die Lage folgendermaßen zusammen:
„Der bewaffnete Konflikt ging 2016 unvermindert weiter. Dabei standen sich IS-Kämpfer auf der einen Seite und eine Koalition aus irakischer Armee, paramilitärischen Milizen und kurdischen Peschmerga-Kämpfern auf der anderen Seite gegenüber, die von einer US-geführten internationalen Koalition mit Luftschlägen unterstützt wurden. Der IS kontrollierte vor allem Gebiete im Nordwesten und Westen des Landes, verlor im Laufe des Jahres jedoch erheblich an Boden. Im Juni 2016 eroberten die irakischen Truppen und ihre Verbündeten Falludscha vom IS zurück, im August al-Qayyara und im September Shirqat. Ende 2016 war die Offensive zur Rückeroberung Mossuls, der größten verbliebenen Hochburg des IS, noch im Gange. […]
Im Februar 2016 erließ Ministerpräsident Haider al-Abadi die Anweisung Nr. 91, und im November verabschiedete das irakische Parlament ein Gesetz, wonach die im Juni 2014 gegründeten Volksmobilisierungseinheiten, die vor allem schiitische paramilitärische Milizen umfassen, eine ‚militärische Einheit und einen Teil der irakischen Streitkräfte‘ bilden.
[…] Nachdem die Regierung und ihre Verbündeten Gebiete vom IS zurückerobert hatten, darunter die Städte Ramadi und Falludscha, konnten Zehntausende Binnenvertriebene nach langwierigen Sicherheitsüberprüfungen wieder in ihre Heimat zurückkehren. Zehntausenden arabischen Sunniten, die aus zurückeroberten Gebieten in den Provinzen Babil, Diyala und Salah al-Din stammten, wurde die Rückkehr jedoch unmöglich gemacht, einerseits durch aufwändige bürokratische Prozeduren und andererseits durch eine Einschüchterungstaktik von Milizen, die Rückkehrern mit Entführung, willkürlicher Inhaftierung und außergerichtlicher Hinrichtung drohten. Familienangehörige mutmaßlicher IS-Kämpfer durften nicht mehr nach Hause zurück, ihre Häuser wurden gezielt zerstört oder enteignet. Peschmerga-Kämpfer und andere kurdische Sicherheitskräfte verwehrten Zehntausenden arabischen Bewohnern der teilautonomen Region Kurdistan, die im Zuge des Konflikts vertrieben worden waren, ebenfalls eine Rückkehr in ihre Heimat.“ (AI, 22. Februar 2017)
REACH, eine Initiative der humanitären NGOs IMPACT und ACTED sowie des operativen UN-Satellitenanwendungsprogramm UNOSAT veröffentlicht im Dezember 2016 eine humanitäre Übersicht zu fünf schwer erreichbaren Gebieten im Irak. Die Übersicht enthält Informationen zu den Städten Falludscha, Ramadi, Hit, Tikrit und Muqdadiya und den umliegenden Dörfern. Laut REACH sei eine steigende Anzahl von Binnenvertriebenen in Gebiete zurückgekehrt, die kürzlich aus der Kontrolle bewaffneter Gruppen zurückerobert worden seien, vor allem Ramadi, Falludscha und Hit. Bis Dezember 2016 seien geschätzt 1,27 Millionen Binnenvertriebene in ihre Herkunftsregionen zurückgekehrt. Es gebe im Allgemeinen eine Präferenz von Binnenvertriebenen, in ihre Herkunftsregionen zurückzukehren, manche würden jedoch noch nicht zurückkehren, da sie bezüglich des Schutzes ernsthaft besorgt seien und es beim Zugang zu Basisdienstleistungen Herausforderungen gebe. Die größten Bedürfnisse gebe es weiterhin in erst vor kurzem zurückeroberten Gebieten mit hohen Schäden an der Infrastruktur, beispielsweise Falludscha und Ramadi. Hingegen seien in Gebieten wie Tikrit and Muqdadiya, in denen es bereits seit mehr als einem Jahr Rückkehrer gebe, deutliche Verbesserungen beim Zugang zu Basisdiensten und beim Wiederaufbau von grundlegender Infrastruktur zu sehen. Eine in allen analysierten Gebieten bestehende Sorge betreffe den Mangel von ausreichenden Möglichkeiten, den Lebensunterhalt zu bestreiten, was wiederum den Zugang zu Basisdiensten blockiere:
„In parallel, an increasing number of IDPs have returned to areas which were recently retaken from AGs [Armed Groups], in particular Ramadi, Falluja and Heet cities. As of December 2016, 1.27 million IDPs are estimated to have returned to their areas of origin, of which more than 50% came since April 2016 primarily to Anbar (39%), Salah al-Din (29%), Ninewa and Diyala Governorates (each 14%). In the assessed areas, IDPs first began to return to Muqdadiya and Tikrit cities at the end of 2015. Following military operations in Anbar, IDPs from Heet and Ramadi began to return in April 2016 followed by returnees to Falluja in September 2016. Overall there is a general preference amongst IDPs to return to their area of origin, where they often own property and assets. However many choose not to return yet due to significant protection concerns and challenges with regards to access to basic services within these areas of return.
In line with findings from the REACH April 2016 assessment, needs remain highest in recently retaken areas which experienced high infrastructural damage such as Falluja and Ramadi. However areas where IDPs have been returning for over a year now, such as Tikrit and Muqdadiya, have seen significant improvements in terms of access to basic services and the reconstruction of basic infrastructure. As show in table 1 below, a cross-cutting concern across the assessed areas is a lack of sufficient livelihoods which in turn inhibits access to basic services, and adequate food security.” (REACH, Dezember 2016, S. 3)
Der UN-Generalsekretär schreibt in seinem Bericht an den UN-Sicherheitsrat vom Jänner 2017, dass die UN-Unterstützungsmission im Irak (UNAMI) eine kleine Zahl von Berichten von Rechtsverletzungen durch die Regierungstruppen und regierungsnahe Kräfte erhalten und diese Fälle an die Regierung weitergeleitet habe. Nach der Einrichtung eines Komitees zur Untersuchung von Gewalttaten und Verbrechen gegen Zivilpersonen im Rahmen der Militäroperation in Falludscha, vor allem des Verschwindens von 643 Männern und Burschen in der Provinz Anbar, habe UNAMI die Regierung aufgefordert, alle Ergebnisse des Komitees zu veröffentlichen, die Regierung habe aber keine Informationen über Ergebnisse oder den Fortschritt des Komitees zugänglich gemacht:
„43. UNAMI also received a small number of reports of violations committed by government and pro-government forces, and has referred these cases to the Government of Iraq for investigation. UNAMI has reiterated that the Government must do its utmost to prevent such incidents from occurring and to investigate and hold accountable the perpetrators of such acts. [...]
44. Following the establishment on 6 June 2016 of a committee to investigate any violations and crimes committed against civilians in the course of the military operation in Fallujah, particularly the alleged disappearance of 643 men and teenage boys from Saqlawiyah in Anbar governorate, UNAMI continued to urge the Government to make public any findings by the committee, the steps taken to determine the whereabouts and conditions of any missing individuals and the measures implemented to hold the perpetrators to account. Despite requests by UNAMI, the Government has not yet released any information on the status of the committee or its findings.” (UN Security Council, 26. Jänner 2017, S. 11)
Weiter schreibt der UN-Generalsekretär in seinem Bericht vom Jänner 2017, dass Menschen in die befreiten Gebiete zurückkehren würden. In den letzten 18 Monaten seien 1,2 Millionen Menschen nach Hause zurückgekehrt, darunter 500.000 Menschen nach Ramadi, Falludscha und Karmah in der Provinz Anbar. Auch in die Provinzen Salah al-Din, Diyala und Ninawa seien insgesamt hunderttausende Menschen zurückgekehrt:
„57. In a positive development, people continued to return in large numbers to newly liberated areas. More than 1.2 million people have returned to their homes in the last 18 months, including approximately 500,000 people who have returned to Ramadi, Fallujah and Karmah in Anbar governorate. A total of 574,000 have returned to Anbar governorate, 366,000 to Salah al-Din governorate, 193,000 to Diyala governorate and 181,000 to Ninawa governorate.” (UN Security Council, 26. Jänner 2017, S. 13)
Laut Bericht des UN-Generalsekretärs seien Sofortmaßnahmen zur Unterstützung der Stabilisierung von befreiten Städten weiter ausgeweitet worden:
„58. Immediate stabilization support to towns and cities liberated from ISIL continued to expand during the reporting period. The UNDP Funding Facility for Immediate Stabilization is currently operational in 18 liberated towns and districts and has expanded operations in Hadithah, Hit, Rutbah (Anbar governorate), Sharqat (Salah al-Din governorate) and in areas outside Mosul city (Ninawa governorate). More than 320 projects are simultaneously under way in Anbar, Ninawa, Salah al-Din and Diyala governorates aimed at rehabilitating basic grids, putting people to work, helping businesses reopen, boosting government capacity and facilitating community-level reconciliation. The first projects under the expanded stabilization channel of the Funding Facility are expected to start in early 2017. They are aimed at rehabilitating medium-sized public institutions, which generate large numbers of jobs in newly liberated cities, and stabilizing the agricultural, transport and electrical corridors between liberated districts. In preparation for the liberation of Mosul, the Funding Facility is pre-positioning equipment worth $40 million, including electrical supplies, water treatment equipment and health equipment, and is recruiting teams of planners, engineers and technicians to deploy into each of the city’s eight subdistricts as soon as they are liberated. The Food and Agriculture Organization of the United Nations, the United Nations Human Settlements Programme (UN-Habitat) and UNICEF are also working in newly liberated areas, rebuilding agricultural systems, helping destitute families repair damaged homes and supporting education. A number of humanitarian agencies, including the World Food Programme and the Office of the United Nations High Commissioner for Refugees, are assisting returning families. The Mine Action Service has helped to ensure that 10,000 people returning to their homes in Anbar governorate received risk awareness messages in displacement camps and schools.” (UN Security Council, 26. Jänner 2017, S. 13-14)
Im Menschenrechtsbericht des US-Außenministeriums (US Department of State, USDOS) vom März 2017 (Berichtszeitraum: 2016) werden eskalierende Kämpfe in ethnisch gemischten Provinzen nach Befreiungsoperationen erwähnt. Als Beispiel wird ein Bombenanschlag durch den Islamischen Staat (IS bzw. Da’esh) im Jänner 2016 erwähnt, nach dem Mitglieder schiitischer Milizen Berichten zufolge eine Reihe von sunnitischen BewohnerInnen von Muqdadiya in der Provinz Diyala entführt und getötet sowie Häuser, Geschäfte und Moscheen von Sunniten zerstört hätten. Keiner der Verantwortlichen sei bis zum Jahresende zur Verantwortung gezogen worden. Es habe auch Medienberichte über Massenhinrichtungen von sunnitischen Stammesangehörigen durch den IS gegeben, nachdem sich ihre Stämme gegen den IS gerichtet hätten. Der Bericht erwähnt auch eine erhöhte Zahl von Checkpoints und Straßensperren in vielen Landesteilen:
„Ethnic-based fighting escalated in ethnically mixed governorates after liberation operations. For example, according to a January 31 Human Rights Watch (HRW) report, following January 11 bombings claimed by Da’esh, members of Shia militias reportedly abducted and killed scores of Sunni residents in Muqdadiya, in Diyala Governorate, and demolished Sunni homes, stores, and mosques. None of those responsible within the Shia militias were brought to justice by year’s end. Media also widely reported instances when, after Sunni tribes turned against Da’esh and allied with the ISF, Da’esh conducted mass executions of tribesmen.” (USDOS, 3. März 2017, Section 1a)
„Due to military operations aimed at defeating Da’esh, ISF, including the PMF and KRG Peshmerga, increased the number of checkpoints and erected makeshift roadblocks in many parts of the country.” (USDOS, 3. März 2017, Section 2d)
In seiner Position zur Rückkehr in den Irak vom November 2016 erwähnt der UN High Commissioner for Refugees (UNHCR) Massenvergeltungsmaßnahmen gegen sunnitisch-arabische und turkmenische EinwohnerInnen und RückkehrerInnen aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermuteten Kollaboration oder Verbindung mit dem Islamischen Staat (ISIS), sowie mit Vergeltung in Verbindug stehende Gewaltausbrüche, Vertreibungen und Zerstörung von Häusern und Dörfern. Konkrete Vorfälle, auf die sich UNHCR bezieht, finden sich mit Quellenverweisen in den Fußnoten 80 bis 89 der Position zur Rückkehr:
„23. In den Gebieten, die von ISIS zurückerobert wurden, haben sich mit den PMU [Volksmobilisierungskräfte (Popular Mobilization Units)] verbündete Streitkräfte, Stammesgruppen und kurdische Sicherheitskräfte Berichten zufolge an Massenvergeltungsmaßnahmen gegen sunnitisch-arabische und turkmenische Einwohner und Rückkehrer aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermuteten Kollaboration oder Verbindung mit ISIS beteiligt. Zu den gemeldeten Rechtsverletzungen zählen willkürliche Verhaftung, Entführung, Verschwindenlassen von Personen, außergerichtliche Hinrichtung, Zwangsvertreibung, Plünderung, Inbrandsetzung und Zerstörung von Häusern, Geschäften und Moscheen und in einigen Fällen die vorsätzliche Zerstörung ganzer Dörfer. Im Distrikt Sinjar (Ninewa) beteiligten sich jesidische Selbstverteidigungsgruppen Berichten zufolge ebenfalls an Vergeltungsmaßnahmen gegenüber sunnitisch-arabischen Zivilpersonen, einschließlich Frauen und Kindern.
24. In den Gebieten, die von ISIS zurückerobert wurden, ist es Meldungen zufolge zu Gewaltausbrüchen zwischen verschiedenen Stämmen bzw. innerhalb der Stämme gekommen, da einige sunnitisch-arabische Stämme bzw. Teile von ihnen möglicherweise mit ISIS kollaboriert haben, während andere neutral geblieben sind oder gegen ISIS gekämpft haben. Mitglieder sunnitisch-arabischer Familien oder Stämme, die tatsächlich oder vermeintlich mit ISIS kooperiert haben, sind Berichten zufolge von Stämmen oder Familien, die in Opposition zu ISIS stehen, in außergerichtlichen Verfahren zur Verantwortung gezogen worden.
25. Es wurde berichtet, dass örtliche Behörden, Sicherheitskräfte und Stämme in mehreren Gebieten die Räumung und Vertreibung ganzer Familien aus ihren Heimatorten angeordnet haben, da die Betroffenen oder ihre Angehörigen tatsächlich oder vermeintlich mit ISIS in Verbindung standen. Darüber hinaus wurden einzelne Personen, Familien und Stämme, die im Verdacht einer Verbindung zu ISIS standen, an einer Rückkehr in ihre Herkunftsgebiete gehindert. In einigen Fällen wurden die kurdischen Sicherheitskräfte und die mit den PMU verbündeten Streitkräfte auch beschuldigt, sunnitisch-arabische und sunnitisch-turkmenische Dörfer vorsätzlich im Rahmen von Vergeltungsmaßnahmen und/oder zur Verhinderung einer Rückkehr zerstört zu haben, um ihre Kontrolle über das Gebiet zu konsolidieren. Berichten zufolge wurde z. B. die gesamte Bevölkerung der sunnitisch-arabischen Stadt Jurf al-Sakhar (Provinz Babel, geschätzte Einwohnerzahl: 70.000 bis 80.000) von den ISF und den mit den PMU verbündeten Streitkräften an einer Rückkehr gehindert. Ferner wurde berichtet, dass Milizsoldaten in Jurf al-Sakhar Häuser in Brand gesetzt haben, nachdem die Stadt Ende Oktober 2014 von ISIS zurückerobert worden war. Außerdem haben örtliche Behörden und Stämme den Berichten zufolge die Rückkehr von Familien und Stämmen verboten, bei denen eine Verbindung zu ISIS festgestellt worden ist.“ (UNHCR, 14. November 2016, S. 12-14)
Zum Thema Rückkehr schreibt UNHCR in seiner Position vom November 2016:
„36. Trotz neuer und anhaltender Vertreibungswellen finden spontane Rückkehrbewegungen in Gebiete statt, die ehemals von ISIS kontrolliert und nun zurückerobert wurden, obwohl die Umstände für eine Rückkehr in Sicherheit und Würde nicht geeignet sind. Den Aufzeichnungen zufolge waren am 27. Oktober 2016 mehr als eine Million Menschen in den Unterdistrikt ihrer Herkunft zurückgekehrt, was hauptsächlich die Provinzen Salah Al-Din, Anbar, Ninewa und Diyala betraf.
37. Es wurde gemeldet, dass ISIS Häuser, öffentliche Plätze und Straßen in den von ihm aufgegebenen Gebieten regelmäßig mit Minen und Sprengfallen versieht und Rückkehrer dem zum Opfer fallen. Bei ihrer Rückkehr finden die Betroffenen ihre Häuser oft zerstört, beschädigt oder von Dritten besetzt vor, die grundlegende Infrastruktur ist häufig beschädigt oder nicht vorhanden, die Grundversorgung wird nur langsam wieder aufgebaut und es gibt kaum Möglichkeiten, die Existenzgrundlage zu sichern. Aus der Beobachtung des Schutzes in Lagern für Binnenvertriebene geht hervor, dass eine erhebliche Anzahl von binnenvertriebenen Familien nicht in ihre Herkunftsgebiete zurückkehren möchte, bis die Grundversorgung mit Wasser, Strom, Schulen und medizinischen Einrichtungen wiederhergestellt ist. Darüber hinaus haben sich Binnenvertriebene besorgt über die Sicherheitsrisiken geäußert, die ihnen bei einer Rückkehr drohen, einschließlich Gefahren durch ISIS oder die ISF und verbündete Gruppen.
38. Rückkehrer müssen sich Sicherheitsüberprüfungen unterziehen und von verschiedenen lokalen Akteuren in den Rückkehrgebieten − einschließlich der Streitkräfte, die das betreffende Gebiet kontrollieren, örtlicher Behörden und Stämme − eine Rückkehrerlaubnis einholen. In einigen Gebieten wurde die Rückkehr von lokalen Akteuren mit der Begründung verschoben, dass die Gebiete erst umfassend gesichert, von Minen geräumt und mit einer Grundversorgung ausgestattet werden müssten. Berichten zufolge wurde die Rückkehr jedoch auch auf der Grundlage diskriminierender Kriterien verhindert, die sich auf die ethnische/religiöse Zugehörigkeit der Binnenvertriebenen und/oder deren mutmaßliche politische Überzeugung stützten.“ (UNHCR, 14. November 2016, S. 21-23)
Die folgenden Abschnitte enthalten Informationen zu einzelnen Gebieten, chronologisch geordnet nach dem Zeitpunkt der Rückeroberung der Gebiete durch die irakischen Streitkräfte:
Provinz Salah al-Din: Tikrit (offizielle Rückeroberung April 2015) und Baidschi (offizielle Rückeroberung Oktober 2015)
Die internationale Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) berichtet im April 2016, dass trotz einer Anweisung des Premierministers Abadi, Plünderer zu verhaften, mehrere schiitische Milizen der Volksmobilisierungseinheiten (Popular Mobilisation Forces, PMF) im März und April 2015 die Ortschaften al-Dur und al-Bu Ajil, sowie Teile der Stadt Tikrit nach dem Rückzug des Islamischen Staates (IS) zerstört hätten. Sunnitische Mitglieder der PMF hätten auch Zerstörungen im Ort al-Alam zu verantworten. Nach der Einnahme Tikrits durch schiitische Milizen habe HRW verlässliche Informationen erhalten, dass mindestens 160 Personen entführt worden seien, die nach wie vor vermisst würden. Zwei Personen hätten HRW berichtet, dass im März 2016 schiitische Milizen tausende geflüchtete sunnitische Familien im Süden von Tikrit in Lebensmittellagerhallen festgehalten hätten. Eine weitere Quelle habe gegenüber HRW angegeben, dass ein Mitglied einer schiitischen Miliz erzählt habe, dass er und weitere Milizsoldaten Dutzende junge, sunnitische Männer aus dem Westen von Tikrit und Samarra hingerichtet hätten:
„Despite an order by Prime Minister Abadi to arrest looters, Badr Brigades, Ali Akbar Brigades, Hizbullah Battalions, League of the Righteous forces, Khorasan Companies, and Soldier of the Imam militias, all within the Popular Mobilization Forces, in March and April 2015, leveled much of al-Dur, al-Bu ‘Ajil, and parts of Tikrit, after ISIS had withdrawn. Sunni PMF forces also carried out destruction in al-‘Alam. […]
After Shia militias participated in recapturing Tikrit, Human Rights Watch received credible information that they abducted at least 160 people, all of whom remain unaccounted for. After government forces retook Ramadi from ISIS in December 2015, two people told Human Rights Watch that, in March 2016, Hizbullah Brigades, League of the Righteous forces, and Soldier of the Imam militias were rounding up thousands of Sunni families fleeing the Jazira desert area west of Baiji, Tikrit, and Samarra and detaining them in food warehouses south of Tikrit. One source Human Rights Watch interviewed in March said he had just spoken to one militia member who said that he and fellow militiamen executed dozens of Sunni young men from the area west of Tikrit and Samarra.” (HRW, 24. April 2016)
BBC News berichtet in einem Artikel vom Februar 2016, dass 80 Prozent der zumeist sunnitischen Bevölkerung nach Tikrit zurückgekehrt sei. Sie würde jetzt aber unter der Kontrolle von schiitischen Milizen leben, von denen manche beschuldigt würden, Autos zu stehlen und Entführungen zur Erpressung von Lösegeld durchzuführen. Obwohl es den Versuch gebe, eine sunnitische Volksmobilisierungseinheit in Tikrit zu bilden, würden verärgerte Sunniten behaupten, dass diese von Schiiten kontrolliert würde, weshalb die Rekrutierung sehr gering sei. Laut einem führenden sunnitischen Politiker gebe es überall schiitische Milizen, aber keine einzige sunnitische bewaffnete Gruppe in Bagdad, Diyala oder Salah al-Din. Daher bliebe der IS als einzige sunnitische Miliz übrig:
„In its capital Tikrit, Saddam Hussein's old hometown, some 80% of the largely Sunni population is believed to have returned. But they now live under the flags and banners of the Shia militias who are still there, some of them accused of stealing cars and kidnapping for ransom - a growing phenomenon in the Shia areas of Baghdad and elsewhere where they also proliferate. Although there is some attempt to set up a Sunni Hashd in Tikrit, disgruntled Sunnis say it is controlled by the Shia, so recruitment is low. ‘Shia militias are everywhere, but there is not a single group of armed Sunnis in Baghdad, Diyala or Salahuddin,’ grumbled one senior Sunni politician. ‘That leaves IS as the only Sunni militia.’" (BBC News, 5. Februar 2016)
Das Wall Street Journal berichtet im April 2016, dass Tikrit ein Jahr nach der Rückeroberung von der Regierung trotz der Beschwerden der Bewohner über Arbeitslosigkeit, Unsicherheit und Übergriffe von Milizen als Erfolgsgeschichte im Kampf gegen den IS gesehen werde. Tikrit sei im Gegensatz zu Ramadi bei den Kämpfen nur leicht zerstört worden. Obwohl viele der öffentlichen Gebäude zerstört worden seien, seien die Wohngebiete weitgehend verschont geblieben. Daher sei es vielen Menschen möglich gewesen, nach Hause zurückzukehren. Laut Provinzbeamten seien fast 95 Prozent der Bewohner in den vergangenen Monaten zurückgekehrt:
„Liberated a year ago after 10 months under Islamic State's bloody rule, Tikrit is now—despite residents' complaints about joblessness, insecurity, and militia abuses—held up by the Iraqi government and its international backers as a success story in the fight against the militant group. After all, what is happening here likely represents the best-case scenario of what awaits Mosul, the only one of these three provincial capitals still in Islamic State's hands, and other areas under the group's sway.
[...] Unlike Ramadi, the third provincial capital, Tikrit was only moderately damaged in the months of fighting that followed its occupation. Though many of Tikrit's public buildings, then serving as Islamic State command centers and military positions, have been destroyed by U.S. airstrikes, its residential areas have survived largely unscathed. This means that most of its displaced citizens still had homes to return to—and return they did. According to provincial officials, nearly 95% of Tikrit's families have resettled in the city in recent months.” (Wall Street Journal, 7. April 2016)
Das Wall Street Journal zitiert einen Geschäftsmann aus Tikrit, der angegeben habe, dass das Geschäft nur langsam laufe, Immobilienpreise seien im Vergleich mit vor 2014 auf die Hälfte gefallen. Es gebe kein Geld und keine Jobs. Die schiitischen Milizen würden die Eingänge zur Stadt bewachen und Rückkehrgenehmigungen überprüfen. Mittlerweile seien die Milizen nicht mehr so prominent vertreten wie ein Jahr zu vor, doch sie würden immer noch die Gesetze machen, obwohl die von der Provinzregierung geführte örtliche Polizei die Arbeit wieder aufgenommen habe. Es habe in den vergangenen Monaten zahlreiche Entführungen und Morde gegeben, einige seien laut Angaben von Amtsträgern aus Tikrit in Verbindung mit den Milizen gestanden. Laut einem Kommandanten der Badr-Miliz würden die Anschuldigungen von jenen vorgebracht, die den IS in Tikrit bevorzugt hätten. Direkte Verwandte von IS-Kämpfern dürften nicht nach Tikrit, die Häuser einiger der berüchtigsten IS-Mitglieder seien gesprengt worden, 400 mutmaßliche Kämpfer seien laut dem Chef der Provinzpolizei verhaftet worden. Als Folge der Wachsamkeit habe es seit Monaten keinen einzigen Angriff des IS in Tikrit gegeben:
„Ammar Abu Taher, who recently reopened his small currency-exchange and realty business in central Tikrit, said that business was slow, with property prices roughly half of their pre-2014 levels. ’The wealthy people are afraid and have not come back yet,’ he said. ’There is no money and no jobs.’ His return permit, like that of Mr. Hadeed's, had to be vetted by the Shiite militias, officially known as Popular Mobilization Forces, that helped oust Islamic State and now control entrances to the city. Based in Saddam's former riverside palace, the militias aren't as prominent as last year. But they still lay down the law, even though the Sunni-led provincial government in Tikrit has re-established its own police forces. In recent months, there have been numerous kidnappings and murders, some of them, according to Tikrit officials, linked to members of these militias.
[...] Moeen al-Kadhimi, a senior commander with the Badr Shiite militia, said that accusations against Popular Mobilization Forces ’are made by those who would have preferred for [Islamic State] to stay in Tikrit.’
[...] Not everyone has been allowed to come back to Tikrit. Direct relatives of any known Islamic State fighters are banned from crossing the checkpoints. Homes of some of the most notorious Islamic State members have been blown up, with Daesh—an Arabic acronym for the group—spray-painted on the crumbled facades. About 400 suspected Islamic State militants have been detained over the past year, many of them as they tried to return in the mistaken belief that their affiliation wasn't known to security personnel, said Maj. Gen. Dhamen al-Jubouri, the chief of provincial police. As a result of such vigilance, there hasn't been a single roadside bomb or other Islamic State attack in Tikrit in months, he said.” (Wall Street Journal, 7. April 2016)
UN OCHA berichtet im Februar 2017, dass die Stadt Baidschi nach ihrer Rückeroberung im Oktober 2015 zu fünfzig Prozent zerstört gewesen sei. Mittlerweile seien 28.000 Personen in die Stadt zurückgekehrt, 11.000 lebten noch als Vertriebene. Humanitäre Organisationen hätten Bedenken wegen der Lage in Baidschi geäußert, unter anderem wegen der hohen Kontaminierung mit Sprengmitteln und wegen der zerstörten Infrastruktur. Sicherheitsrelevante Zwischenfälle würden sich regelmäßig in dem Gebiet ereignen:
„The town of Baiji, 250 kilometres north of Baghdad in Salah al-Din Governorate, was retaken by Iraqi Security Forces in October 2015. After an extended battle, the damage to civilian infrastructure, basic services and housing is estimated to be around 50 per cent. The majority of people displaced from Baiji fled between June and August 2014, shortly after the city was seized by ISIL. On 31 January, the Iraqi Government announced the scheduled return of the people of Baiji to their homes. To date, around 28,000 people have already returned to Baiji, and a further 11,000 are still living in displacement, according to Displacement Tracking Matrix (DTM) data. Humanitarian partners have raised concerns over the conditions in Baiji, including high contamination by explosive hazards and significant infrastructural damage, both of which are hindering safe return. Security incidents are reported to be a regular occurrence in the Baiji area, including the recent death of two children when an improvised explosive device detonated where they were playing.” (UN OCHA, 20. Februar 2017, S. 3)
Provinz Anbar: Ramadi (offizielle Rückeroberung Dezember 2015) und Falludscha (offizielle Rückeroberung Juni 2016)
Reuters berichtet Anfang April 2016, dass laut dem Stadtgouverneur von Ramadi über 3.000 Familien in Stadtteile von Ramadi zurückgekehrt seien, die von Minen und Sprengstoff geräumt worden seien. Die Stadt sei im Dezember 2015 vom IS zurückerobert worden:
„The displaced population of Ramadi has started to return to the western Iraqi city that was recaptured from Islamic State militants in December, a provincial official said on Sunday. About 3,000 families have returned since Saturday to districts of Ramadi that have been cleared of mines and explosives, city governor Hameed Dulaymi told Reuters.” (Reuters, 3. April 2016)
Auch Al-Arabiya berichtet im April 2016 von Tausenden RückkehrerInnen nach Ramadi. Die Familien würden Sicherheitskontrollen unterzogen und würden nur in bereits von Minen geräumte Gebiete gelassen. Große Teile der Stadt seien zerstört, die Behörden hätten aber die Trinkwasserversorgung für fast achtzig Prozent der Stadt wiederhergestellt, zehn Schulen renoviert und 600 Container als Ersatz für unbenutzbare Häuser zur Verfügung gestellt:
„Thousands of Iraqis have returned to the western city of Ramadi three months after Iraqi troops backed by US-led airstrikes drove ISIS out of the provincial capital, the city's mayor said Sunday. The returning families must go through security checks and are only allowed to return to areas cleared of mines and booby traps left behind by the ISIS, Mayor Ibrahim al-Osaj said. ISIS militants seized Ramadi last May and held the town until they were driven out in December. As in other cities and towns in Syria and Iraq, the fight to retake Ramadi demolished large parts of the city. Al-Osaj said seven neighborhoods are still off-limits to residents, not only because of the presence of explosives, but because the areas are ’totally ruined.’ He said authorities have restored drinking water for almost 80 percent of the city, refurbished ten schools and provided up to 600 caravans for those who can't use their houses. He said around 12,000 families have returned since late last month.” (Al-Arabiya, 10. April 2016)
UNHCR berichtet Ende April 2016, dass in den Wochen zuvor mehrere Dutzend Menschen in Ramadi durch Explosionen von Sprengmitteln getötet worden seien. Die Behörden hätten vorübergehend angeordnet, dass Zivilisten nicht zurückkehren sollten, sondern warten sollten, bis die Stadt von Sprengfallen und Sprengmitteln geräumt sei:
„The Iraqi government announced at the start of the year that it had re-taken the city from extremist forces, although it has not yet declared the city, Iraq’s third largest, ’clear‘ for return. UN assessment teams found ‘staggering‘ destruction in the city. Thousands of buildings in Ramadi and its outskirts had been damaged, and the city was also littered with improvised explosive devices. According to estimates, several dozen people have been killed in recent weeks since they returned to the city, which sprawls along the banks of the Euphrates River west of Baghdad. Having lost relatives to blasts, Farhad is looking for greater assurance before going home. [...] The upsurge in casualties has prompted the Iraqi authorities to issue a temporary directive, telling civilians not to return for the time being - and to wait until the deadly booby traps and explosives in the city can be cleared.“ (UNHCR, 29. April 2016)
Im Dezember 2016 berichtet REACH, dass in den letzten sechs Monaten fast 38.000 Familien nach Ramadi zurückgekehrt seien. Es sei nur Menschen, die ursprünglich aus Ramadi stammen, erlaubt worden, nach einer Sicherheitsüberprüfung in die Stadt zurückzukehren. RückkehrerInnen mit geringem Einkommen hätten nur begrenzt Möglichkeiten, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen, insbesondere das Betreiben von Landwirtschaft sei wegen der vorhandenen Minen nicht möglich. Die Situation habe sich im Vergleich mit März/April verbessert, damals habe es noch Fälle von RückkehrerInnen gegeben, die die Stadt erneut verlassen hätten:
„IDPs began to return to Ramadi City in March/April of 2016, when the city was opened to civilians and partially cleared of mines. Over the past 6 months roughly 37,961 families have returned of which roughly 25,440 families have relocated from elsewhere in the Anbar governorate - primarily from IDP camps – roughly 4,909 from Baghdad Governorate and 3,472, 1,865, 1,715, 85 and 86 families respectively have returned from Erbil, Kirkuk, Sulaymaniyah or other Governorates. In addition Ramadi city was the only assessed city which reportedly receive families from Babylon Governorate; 474 families. Following previously documented trends in hard to reach areas such as Tikrit and Muqdadiya, the first phase of returns comprised of Government of Iraq employees, such as teachers and doctors, followed by low income families who could no longer afford to live in their previous location of displacement. Similar to Falluja City, only IDPs originally from the city are allowed to return, on condition that their names had been cleared by the government. As a result, there are reportedly no IDPs present who originate from areas outside of Ramadi City. The most vulnerable people are low income returnees, especially if their houses have been destroyed, due to low standards of available shelter and high rent prices. These returnees have limited access to livelihood opportunities especially as one of the primary sources of income, farming, is currently not possible due to the presence of mines. KIs [key informants] reported that limited secondary displacement occurred during the first phases of displacement in March and April 2016 as returnees felt Ramadi to be too unsafe to remain. However, currently very limited to no families displace a second time as the situation within the city has improved and as returning to the KRI is reportedly very difficult (see Falluja City factsheet for more information).” (REACH, Dezember 2016, S. 8)
Zum Thema Rückkehr nach Falludscha berichtet REACH im Dezember 2016, dass seit September 2016 rund 22.000 Familien in die Stadt zurückgekehrt seien, vor allem im November. Die ersten RückkehrerInnen seien Binnenvertriebene mit geringem Einkommen gewesen, gefolgt von Regierungsangestellten, die von der Regierung zur Rückkehr aufgefordert worden seien. Trotz täglicher Herausforderungen habe es wenige gegeben, die die Stadt erneut verlassen hätten. Dies könne teilweise auch damit zusammenhängen, dass es schwierig sei, erneut in andere Gebiete, besonders in die Region Kurdistan, zu gelangen, nachdem sich der Status einer Person von Binnenvertriebener auf Rückkehrer geändert habe. Mit der Stabilisierung der Situation in Falludscha und vermehrter Verfügbarkeit von Arbeitsmöglichkeiten sei eine größere Anzahl von Rückkehrern wahrscheinlicher. RückkehrerInnen mit geringem Einkommen seien besonders vulnerabel, da es einen beschränkten Zugang zu Verdienstmöglichkeiten und hohe Kosten für private Gesundheitsversorgung und Behausung gebe:
„Falluja City is entirely composed of returnees as only people originally from Falluja City are reportedly permitted to live within the city. Since September 2016, roughly 22,253 families have returned to Falluja City, primarily in November 2016. Overall the majority, roughly 16,000 families, have returned from elsewhere in Anbar Governorate - primarily IDP camps – with remaining IDPs from Baghdad, Erbil, Kirkuk and Sulaymaniyah Governorates. Amongst the first to return were low income IDPs, especially from surrounding IDP camps such as Ameriyat al Falluja, followed by Government of Iraq (GoI) employees, who were requested by the government to do so. Despite daily challenges faced by returnees in Falluja City, limited secondary displacement was reported. This could partially be related to the difficulty in returning to prior locations of displacement: KIs [key informants] reported that once an IDP’s legal status switches to that of a returnee, secondary displacement - especially back to the KRI - is very difficult. As a result, the majority of returnees reportedly call relatives or visit Falluja in person prior to returning in order to verify conditions within the city and any damage incurred to their property. As the situation within Falluja stabilises further and more job opportunities become available, large numbers are likely to return to the city. The most vulnerable people in Falluja are low income returnees, many of whom exhausted any remaining savings in their area of displacement or on their journey back to Falluja. Due to limited access to livelihood opportunities and high financial demands such as private healthcare and shelter, these families are particularly vulnerable. The vast majority reported shelter to be a primary challenge: due to widespread looting and burning, a lot of people will need to invest significant sums of money to refurnish their houses, and fix minor breakages. Otherwise returnees whose house are either inaccessible or heavily damaged have to rent housing or live with family and friends while saving to reconstruct their houses. Without assistance these families are likely to become increasingly in debt or reliant on family and friends.” (REACH, Dezember 2016, S. 6)
Die New York Times (NYT) schreibt in einem Artikel vom Februar 2017, dass die schiitisch dominierte Zentralregierung fast acht Monate nach der Rückeroberung von Falludscha noch nicht gezeigt habe, dass sie die zerstörte sunnitische Stadt Falludscha wieder aufbauen, für Sicherheit sorgen, die konfessionellen Zerrüttungen beruhigen oder für die 250.000 Rückkehrer sorgen könne. Irakische und amerikanische Sicherheitsbeamte würden befürchten, dass die Sunniten von Falludscha sich erneut dem Islamischen Staat (IS) zuwenden könnten, wenn sie keinen Grund bekämen, der Regierung zu vertrauen. Laut örtlichen Beamten seien Schläferzellen des IS weiterhin aktiv und viele Bewohner würden die Aufständischen unterstützen. Es sei erneut zu Angriffen gekommen, so habe ein Selbstmordattentäter mittels Autobombe am 28. Jänner zwei Polizisten getötet. Berichte über konfessionelle Übergriffe auf die sunnitische Bevölkerung durch schiitische Milizen hätten fast unmittelbar nach der Rückeroberung begonnen In einem Fall habe der Gouverneur von Anbar gesagt, dass Milizkämpfer und einige ihrer Verbündeten bei den Sicherheitskräften 49 Sunniten aus Falludscha hingerichtet hätten und andere gefoltert hätten. Die Regierung habe versucht, die Milizen aus Falludscha draußen zu halten, um die sunnitischen BewohnerInnen nicht gegen sich aufzubringen, doch viele hätten die Stadt in Polizeiuniformen betreten, so sunnitische Abgeordnete. Laut örtlichen Beamten seien schiitische Milizionäre nun auf die Checkpoints am Rande von Falludscha beschränkt:
„Nearly eight months after the recapture of Falluja showed that Iraq’s government could wrest one of the Islamic State’s major support bases away from it, the victory now seems at risk. The Shiite-dominated national government has not yet demonstrated that it can secure and rebuild this shattered Sunni city, soothe sectarian grievances or provide for 250,000 returning residents. Iraqi and American security officials now fear that if the Sunnis of Falluja are given no reason to trust the government, they may once again embrace the Islamic State, also known as ISIS and ISIL.
Local officials say Islamic State sleeper cells remain active, and many residents continue to aid the insurgents. Guerrilla attacks have resumed; in one of the most recent episodes, a suicide car bomb on Jan. 28 killed two police officers. The seeds of an incomplete victory were there from the start. Falluja had long been disaffected from the government, and it was the first Iraqi city to fall under Islamic State control. Even with the group mostly driven out, the government faced a widespread lack of trust.
Further, the battle relied heavily on Shiite militia forces, many of which are backed by Iran, and reports of sectarian abuses of the Sunni population started almost immediately. In one case, the governor of surrounding Anbar Province said that militia fighters and some of their allies in the security forces had summarily executed 49 Sunnis from Falluja and tortured others. The government tried to keep the militias out of Falluja to avoid antagonizing Sunni residents. But many entered the city dressed as policemen, Sunni lawmakers said. Local officials said Shiite militiamen were now confined to checkpoints on Falluja’s outskirts, about 40 miles west of Baghdad. ‘Of course, violations occurred in some places,‘ by Shiite militiamen, said Salam Ajmi, a Falluja municipal councilman. But now, he said, some Sunni residents were cooperating with security forces to help root out Islamic State sleeper cells.” (NYT, 10. Februar 2017)
Der Besuch durch die Journalisten der NYT in Falludscha habe gezeigt, dass einige Stadtteile von der Schlacht im Sommer 2016 relativ unbeschädigt geblieben seien, während andere in Trümmern liegen würden. Der Vorsitzende des Lokalrats von Falludscha habe gemeint, die Menschen müssten mit Verzögerungen rechnen und geduldig sein. Das United Nations Development Programme (UNDP) habe provisorische Reparaturen am wichtigsten Lehrspital der Stadt und an fünf Schulen und Gesundheitszentren durchgeführt und rudimentäre Strom- und Wasserversorgung in vielen Gebieten hergestellt. Laut einem Ratsmitglied habe der Stadtrat wenige Mittel, ein Rückkehrer habe darauf hingewiesen, dass eingestürzte Gebäude immer noch so aussehen würden wie nach der Befreiung im Juni 2016, und dass er für tausende Menschen spreche, wenn er sage, die Regierung habe sie vergessen:
„A visit to Falluja by Times journalists showed that last summer’s battle had left some sections of the city relatively unscathed, but had reduced others to rubble. Many streets were littered with crumpled buildings, collapsed roofs and burned-out cars, all coated with gray dust. [...] ‘People have to expect delays,‘ he [Talib al-Efan, the head of Falluja’s local council] said. ‘They need to be patient.‘ The United Nations Development Program said it had made stopgap repairs to the city’s main teaching hospital and to five schools and health centers. The agency has restored rudimentary electricity and water in many areas, cleared debris and hired 300 locals to clean streets. Lise Grande, the United Nations deputy special representative in Iraq, said the agency’s stabilization work was to help patch up Falluja until more permanent repairs could be made. The agency has spent $8.6 million of $18.5 million allocated — a small fraction of the amount needed to rebuild the city.
Mr. Ajmi, the councilman, said the council had little funding. Depressed oil prices have kept Iraq’s economy floundering. Life is precarious everywhere, he said, not just in Falluja. Hussein Ahmed, 53, who lived in a displaced-persons camp for three years, said he had lost patience with the council. [...] Mr. Ahmed pointed to an expanse of toppled buildings: ‘This area was liberated in June, and it still looks the same now.’ Other returning residents nodded as Mr. Ahmed added, ‘I speak for thousands of people when I say the government has forgotten us.’” (NYT, 10. Februar 2017)
Im Jänner 2017 schreibt das UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (UN OCHA) in seinem Humanitarian Bulletin zur Provinz Anbar, dass über eine halbe Million Menschen in ihr Zuhause in der Provinz Anbar zurückgekehrt seien, 268.000 Menschen würden noch als Vertriebene in der Provinz leben:
„While displacement is ongoing in parts of the country causing continuing hardship, almost 1.4 million displaced people in Iraq have returned to their homes. In recent weeks and months, return movements have been most pronounced in Anbar Governorate, where the number of returnees now exceeds the number of people living in displacement, according to IOM. Over half a million people have returned to their homes in Anbar, 43 per cent of reported returns countrywide. Ramadi district alone now hosts 19 per cent of the returnee population across Iraq. About 268,000 people continue to live in displacement in the governorate, just over a quarter of whom are in camps, and the remainder in host communities, informal settlements, rented houses and public buildings.” (UN OCHA, 15. Jänner 2017, S. 3-4)
Trotz des Wunsches vertriebener Familien, möglichst bald nach Hause zurückzukehren, gebe es laut UN OCHA weiterhin einen großen humanitären Bedarf unter Gemeinschaften von Rückkehrern, vor allem in Gebieten mit hohem Ausmaß an zerstörter Infrastruktur wie Falludscha und Ramadi. Das Säubern von Schutt und Minen und anderen Sprengkörpern erweise sich als langsamer Prozess, ebenso der Aufbau von öffentlichen Diensten. Jene Menschen, die sich dafür entscheiden, weiterhin als Binnenvertriebene zu leben, würden als Gründe die Zerstörung von Eigentum und das Risiko durch Blindgänger angeben. Auch der Mangel an Möglichkeiten, sich den Lebensunterhalt zu verdienen, sei ein Grund dafür:
„Despite a strong preference amongst displaced families to return home at their earliest opportunity, returnee communities continue to have high humanitarian needs, especially in areas that have sustained a high level of infrastructural damage, like Fallujah and Ramadi. Clearing rubble and mines and other unexploded ordnance is proving a slow process, as is the restoration of public services. Amongst people opting to remain in displacement, damage to property and risks from unexploded ordnance are high on the list of reasons for remaining where they are. A lack of livelihood opportunities is also high on the list of reasons to remain in displacement. Common means of employment like agriculture and local enterprise have both been severely affected by conflict, not least by displacement and the ongoing presence of unexploded ordnance in farming areas, hampering the re-cultivation of the land. According to recent reports, government employees are returning to work and most families in Fallujah, Ramadi and Heet have at least one family member in employment. Vulnerable families like female-headed households are particularly hard-hit by the shortage of employment opportunities. Trade routes have been re-established and the price of staple foodstuffs has stabilized, but the lack of sufficient income has led to some families borrowing money. The first groups of returnees include people who have exhausted their savings while in displacement, who are particularly vulnerable to the shortage of livelihood options. Their financial predicament is further compounded by the cost of repairing property and accessing private healthcare where state services have not yet caught up, causing them to go increasingly into debt, or become reliant on friends and family.” (UN OCHA, 15. Jänner 2017, S. 4)
In den Rückkehr-Gebieten würden humanitäre Akteure mit den Behörden und den Akteuren zur Stabilisierung zusammenarbeiten, um das Spektrum an Bedürfnissen zu erfüllen. Anstrengungen würden unternommen, um vulnerable Familien mit der in den frühen Phasen der Rückkehr benötigten humanitären Hilfe zu versorgen:
„In return areas humanitarian partners are collaborating with authorities and stabilization actors to meet needs across the spectrum. Efforts are being made to provide vulnerable families with the humanitarian assistance they require while in the early stages of reestablishing their lives.” (UN OCHA, 15. Jänner 2017, S. 4)
Das Profil des Global Protection Cluster zu Rückkehrern in die Provinz Anbar vom Jänner 2017 nennt als Herausforderung der zurückeroberten Gebiete die volatile Sicherheitslage, das instabile politische Umfeld und den Mangel an Basisdiensten, verschärft durch Stammeskonflikte. Binnenvertriebene würden weiterhin in Gebiete der Provinz Anbar zurückkehren, obwohl am 5. Dezember 2016 Militäroperationen im Westen der Provinz begonnen hätten. Im selben Monat seien in verschiedenen Rückkehr-Gebieten Anbars Ausgangssperren verhängt und Suchoperationen und Festnahmen durchgeführt worden. Die Ausnahmesituation in der Provinz Anbar mit anhaltenden Angriffen durch den IS und politischen und tribalen Konflikten hätten einige Mitglieder des Provinzrats veranlasst, die Ernennung eines Militärgouverneurs zu verlangen. Massenzerstörungen, Verminung, Mangel an Diensten und die Vertreibung und Bestrafung von Familien, die im Verdacht stehen würden, Verbindungen zum IS zu haben, würden weiterhin aus Anbar berichtet:
„According to MoMD - Anbar branch, 120,000 families returned to the various retaken areas within the Anbar governorate as of the end of December 2016. Challenges include the volatile security situation, unstable political environment and lack of basic services, compounded by tribal conflicts which continued to be reported by returnees. IDP returns continued to the various areas in Anbar despite the launch of military operations in west Anbar on 5 December. In the same month, curfews, search operations and arrests were conducted in various areas of return within Anbar. The Police together with Emergency Battalion, AntiTerrorism, Anti-Crime and the Intelligence Department participated in the operation that led to the arrest of 55 persons. 22 persons were transferred for further interrogation while the rest were released. The exceptional situation of the Anbar governorate with continuous attacks by ISIL in addition to the political and tribal conflicts have urged some members of the Provincial Council to request the appointment of a military governor. Mass destruction, explosive hazard contamination, lack of services, in addition to expulsion and punishment of families suspected of having links with ISIL continued to be reported from Anbar. Reportedly, a number of unidentified corpses (including of ISIL fighters) remain in the streets of Fallujah with concerns of spreading diseases. Families accused of having links with ISIL members are frequently expelled from various districts of Anbar. In this regard the Anbar Tribal Council issued another statement reinforcing their position rejecting the return of any families who have allegedly supported ISIL. The Sheikh of the Albu Dilma tribe stated having lists of 630 tribe members who had reportedly joined ISIL in 2014 and stated that a group of tribe members has been assigned to trace and arrest them.” (Global Protection Cluster, 31. Jänner 2017)
Weitere Informationen zu den einzelnen Distrikten der Provinz Anbar finden sie im Profil des Global Protection Cluster zu Rückkehrern in die Provinz Anbar vom Jänner 2017:
· Global Protection Cluster: Iraq Protection Cluster: Anbar Returnee Profile - December 2016, 31. Jänner 2017
http://www.globalprotectioncluster.org/_assets/files/field_protection_clusters/Iraq/files/returnees-profile_anbar_dec2016_31012017.pdf
Provinz Niniveh: Ost-Mossul (offizielle Rückeroberung Jänner 2017)
Das UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (UN OCHA) schreibt in seinem im Februar 2017 veröffentlichten Humanitarian Bulletin zum Thema Mossul, dass der Osten der Stadt unter der Kontrolle der irakischen Sicherheitskräfte sei. Manche Nachbarschaften und das Ostufer des Tigris würden weiterhin von Geschoßen getroffen und würden zivile Opfer fordern. Im Allgemeinen habe sich die Sicherheitslage im Osten jedoch deutlich verbessert und ein Anschein von normalem Leben würde beginnen sich zu etablieren. Tausende Menschen würden zurückkehren, der Zugang zu humanitärer Hilfe habe sich im Jänner verbessert. Geschäfte und Märkte in manchen Nachbarschaften seien geöffnet, Basisgüter für den Haushalt seien zu mit anderen Städten vergleichbaren Preisen verfügbar. Die Kaufkraft der Bürger bleibe niedrig. Eines der größten humanitären Probleme stelle die nicht ausreichend funktionierende Wasserversorgung dar, hunderttausende Menschen seien ohne Wasserversorgung. Es würden täglich über 2,3 Millionen Liter Wasser mit Lastwagen in die Stadt gebracht, doch die Menge würde nicht ausreichen, um die zunehmende Bevölkerung zu versorgen:
„As the battle to retake Mosul from the Islamic State of Iraq and the Levant (ISIL) approaches its fourth month, eastern Mosul city is now under the control of the Iraqi Security Forces. Some neighbourhoods on the east bank of the River Tigris continue to be hit by ordnance delivered by unmanned aerial vehicles and indirect fire from ISIL positions in the west, causing civilian casualties. In general, however, the security situation in the east has significantly improved, and a semblance of normal life is starting to emerge, with people returning from displacement sites and camps in their thousands. Humanitarian access has improved markedly throughout January following Iraq Security Forces’ territorial gains, and distributions made by Government and humanitarian partners are reaching almost 700,000 people in the city and other newly-accessible areas. In recent weeks, humanitarian partners reached a number of new areas for the first time, including villages 80 kilometres south-west of Mosul, where 16,000 people benefited from a distribution of water, household and hygiene items.
[...] As security improves, significant numbers of people are leaving camps to the east of the city to move back to their homes in east Mosul. Of the almost 220,000 people who have cumulatively been displaced by the military operations in Mosul and surrounds, over 57,000 have returned home. Shops and markets in some of the eastern neighbourhoods are open and being supplied through commercial routes, and basic household staples are available at prices comparable to nearby cities. Purchasing power remains low amongst citizens, and returning communities and authority figures have called for an increased focus on livelihood assistance to help boost household income and restart the economy of the city.
[...] One of the greatest humanitarian concerns in east Mosul is the inadequate functioning of the municipal water network, leaving hundreds of thousands of people without water for drinking, washing and general household needs. Humanitarian partners are currently trucking 2.3 million litres of water into the city each day, but the quantity is still insufficient for the expanding population. Bottled water is for sale in shops and markets, but as income levels are low, this option is unavailable to the poorest and most vulnerable households. Labour-intensive and expensive, water trucking can only be a stopgap measure until the network is fixed.“ (UN OCHA, 20. Februar 2017, S. 1-2)
Die humanitäre NGO Center for Civilians in Conflict (CIVIC), die es sich zur Aufgabe gemacht hat, den Schutz von Zivilisten in Konflikten zu verbessern, schreibt im Februar 2017, dass vertrauensbildende Maßnahmen in Ost-Mossul dazu geführt hätten, Unterstützung für die irakischen Streitkräfte unter der sunnitisch dominierten Zivilbevölkerung zu generieren. Am 18. Jänner sei Ost-Mossul durch die irakischen Streitkräfte zurückerobert worden, der IS habe kurz darauf begonnen, Zivilisten mit Drohnen und Granatwerfern aus dem Osten der Stadt anzugreifen:
„Many residents of eastern Mosul, who are predominantly Sunni, praised the Shia-dominated Iraqi forces. A 50-year-old man told CIVIC, ’We were expecting the worst. Daesh told us we will be slaughtered, but our Iraqi brothers saved us.’ ISF provided emergency medical aid to civilians harmed in the crossfire and even shared their food rations. These goodwill measures generated support for Iraqi forces. Some civilians provided information to the ISF on Islamic State deployments and locations despite immense risk such as public executions for being ’spies.’ Something as simple as being in possession of a SIM card can be punishable by whipping and death.
ISF retook eastern Mosul on January 18, and ISIS soon began attacks on civilians. The Islamic State has flown armed drones from the west to the east of Mosul, killing and injuring civilians, including NGO workers distributing food. They have also launched mortar attacks and shelled civilian areas with Katyusha rockets. Initially, ISIS mortar fire was limited to neighborhoods near the Tigris River, which separates the two halves of the city, but since February, rockets are reaching further into eastern Mosul, causing civilian casualties and affecting delivery of humanitarian aid. On February 15, the UN paused humanitarian aid in eastern Mosul due to security concerns.
On February 19, ISF launched operations to recapture western Mosul. In the initial phase, units from the Federal Police and the Emergency Response Division began artillery strikes against ISIS positions at the Mosul International Airport.“ (CIVIC, 27. Februar 2017, S. 6‑7)
Laut CIVIC seien 217.000 Zivilisten aus Mossul vertrieben worden, einige seien in die von der Regierung kontrollierten Gebiete zurückgekehrt, aber 160.000 Menschen seien nach wie vor in Lagern. Ihre Rückkehr werde durch die Gefahr von IS-Schläferzellen, Raketenangriffen und Mangel an Sicherheit gefährdet. Ein Großteil der Infrastruktur wie Brücken, Wasser und Kraftwerke sei zerstört. Der Anstieg der Gewalt in Ost-Mossul seit der Rückeroberung lege nahe, dass die Gebiete nicht ausreichend gesäubert worden seien oder dass der IS die Stadt erneut infiltriert habe. Ost-Mossul werde von einem Mix von Armeeeinheiten, Milizen sowie föderalen und lokalen Polizeieinheiten patroulliert, was Besorgnis in Bezug auf unterschiedliche Ziele und Ausbildungsniveaus und die Auswirkungen auf den Schutz der Zivilbevölkerung mit sich bringe:
„As of February 2017, more than 217,000 civilians have been displaced from Mosul. Some have now returned to government-held areas, but 160,000 remain in internally displaced persons (IDP) camps. Their return to Mosul is fraught with danger due to ISIS sleeper cells, rockets attacks, and a lack of adequate security. Much of the infrastructure, including bridges, water, and power plants are destroyed. The increase in violence in eastern Mosul since areas were retaken, also suggests that areas were insufficiently cleared or that ISIS has already re-infiltrated the city.
Civilians expressed support for increased patrols in Mosul as they are concerned about ISIS sleeper cells, but are also wary of the mosaic of forces in Mosul. A resident of eastern Mosul Abdul said, ’Since ISIS took over Mosul, we don’t know who is who. We can’t trust our neighbors. We also don’t know which local force will protect us.’ With elite forces involved in offensive operations, eastern Mosul is now patrolled by a mix of army units, militia groups, and federal and local police, which raises concerns about different mandates and training, and their impact on civilian protection.” (CIVIC, 27. Februar 2017, S. 7-8)
Eine weitere Herausforderung sei laut CIVIC ein Mangel an militärischer Ausrüstung und Personal zur sicheren Minenräumung. Es brauche mehr Ressourcen, um Häuser von Sprengkörpern zu säubern, damit die BewohnerInnen zurückkehren könnten:
„Another ongoing challenge for civilian protection is a shortage of military equipment and trained personnel to safely defuse bombs and IEDs. Iraqi units have Explosive Ordnance Disposal (EOD) personnel, but officials say more resources are needed to clear homes in areas as they are retaken so residents can return. Security forces have dug deep ditches around some villages outside eastern Mosul because EOD units have not yet cleared these areas. They are off limits to civilians.“ (CIVIC, 27. Februar 2017, S. 14)
BBC berichtet im Jänner 2017, dass 16.000 Kinder im zurückeroberten Osten der Stadt Mossul wieder in die Schule gehen könnten, nachdem 30 Schulen wiedereröffnet worden seien. Der Osten der Stadt sei laut Premierminister Abadi vom IS gesäubert. Es habe jedoch Berichte über tödliche Kämpfe in östlichen Bezirken der Stadt gegeben:
„Thousands of Iraqi children are heading back to school in eastern areas of Mosul that have been cleared of Islamic State militants by government forces. The UN Children's Fund said 30 schools had reopened on Sunday, allowing 16,000 children to resume their education after two years of jihadist rule. Iraq's Prime Minister, Haider al-Abadi, has announced that the east of the city is now fully clear of IS. However, deadly fighting was reported in eastern districts on Tuesday. [...] Government-led forces began their offensive against IS in Mosul in October. It is the group's last major urban stronghold in Iraq but the jihadist group still controls several large towns and large parts of Syria. [...] Unicef said it was supporting the Iraqi authorities in their efforts to rehabilitate, equip and open schools as the security situation improved in previously contested areas. Many buildings were used for military purposes or were badly damaged by the fighting. School supplies for 120,000 students in eastern Mosul have been put in place and Unicef is retraining teachers, introducing accelerated learning programmes for children and launching awareness campaigns against violence.“ (BBC News, 24. Jänner 2017)
Bitte beachten Sie auch die wöchtentlich erscheinenden Protection Updates von UNHCR zu Mossul, die auch Informationen zu RückkehrerInnen enthalten:
· UNHCR - UN High Commissioner for Refugees: Mosul Weekly Protection Update 11‑17 March, 2017, 17. März 2017 (verfügbar auf Reliefweb)
http://reliefweb.int/report/iraq/mosul-weekly-protection-update-11-17-march-2017
Allgemeine Überblicksinformationen zu RückkehrerInnen und zurückeroberten Gebieten
Die Irak-Mission der International Organisation for Migration (IOM) betreibt die Displacement Tracking Matrix (DTM), ein Informationsmanagementsystem zur Sammlung von Daten zu Vertreibung und Rückkehr im Irak. Es werden monatliche Berichte zu Rückkehrern auf Basis einer Returnee Master List erstellt. Der letzte verfügbare Bericht stammt vom März 2017 und ist unter folgendem Link abrufbar:
· IOM – International Organisation for Migration, Iraq Mission: Displacement Tracking Matrix DTM Round 66, März 2017
http://iraqdtm.iom.int/DtmReports.aspx
Ein umfangreicher Überblick über die Aktivitäten zur Stabilisierung von zurückeroberten Gebieten findet sich in einem Jahresbericht 2016 des United Nations Development Programme UNDP vom März 2017:
· UNDP - United Nations Development Programme in Iraq: Funding Facility for Stabilization, Annual Report 2016, 5. März 2017
http://www.iq.undp.org/content/dam/iraq/docs/Stabilization/UNDP%20IQ-%20Stabilization%20Annual%20Report%202106-%2020170304.pdf?download
Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 27. März 2017)
· AI - Amnesty International: Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Iraq, 22. Februar 2017 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/local_link/336503/479164_de.html
· Al-Arabiya: ISIS driven out, thousands return to Iraq’s Ramadi, 10. April 2016
http://english.alarabiya.net/en/News/middle-east/2016/04/10/ISIS-driven-out-thousands-return-to-Iraq-s-Ramadi.html
· Al-Monitor: Shiite militias open offices in Iraq's liberated Sunni areas, 31. Jänner 2017
http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2017/01/shiite-militias-iraq-sunni-pmu-fallujah.html#ixzz4bVGAYLRB
· BBC News: Mosul battle: Children return to schools in recaptured east, 24. Jänner 2017
http://www.bbc.co.uk/news/world-middle-east-38730568
· BBC News: Iraq divisions undermine battle against IS, 5. Februar 2016
http://www.bbc.co.uk/news/world-middle-east-35492067#sa-ns_mchannel=rss&ns_source=PublicRSS20-sa
· CIVIC - Center for Civilians in Conflict: Policy Brief on Civilian Protection in the Current Mosul Campaign, 27. Februar 2017
http://civiliansinconflict.org/uploads/files/publications/Mosul_Policy_Brief_FINAL_web.pdf
· Global Coalition: Daesh Areas of Influence, January 2017 Update, 7. März 2017
http://theglobalcoalition.org/en/maps_and_stats/daesh-areas-of-influence-january-2017-update/
· Global Protection ClusterGlobal Protection Cluster: Iraq Protection Cluster: Anbar Returnee Profile - December 2016, 31. Jänner 2017
http://www.globalprotectioncluster.org/_assets/files/field_protection_clusters/Iraq/files/returnees-profile_anbar_dec2016_31012017.pdf
· HRW - Human Rights Watch: Iraq: Protecting Civilians Key to Mosul Battle, 24. April 2016
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