Anfragebeantwortung zum Iran: Einsatz von afghanischen Jugendlichen im Syrien-Krieg als Alternative zur Abschiebung nach Afghanistan [a-9925]

16. Dezember 2016

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In einem Artikel vom Mai 2016 schreibt die Aargauer Zeitung, eine Schweizer Tageszeitung, über die Rekrutierung von im Iran aufhältigen Afghanen für den Kampf in Syrien und berichtet dabei auch über Androhungen von Abschiebung nach Afghanistan als Mittel, um Afghanen dazu zu bringen, in Syrien zu kämpfen:

„Erstmals bestätigt das Parlament in Teheran die Existenz ausländischer Söldner, die im Dienste iranischer Streitkräfte in den Bürgerkrieg in Syrien ziehen. Für ihre Rekrutierung macht sich der Iran die Perspektivlosigkeit der Afghanen zunutze. […]

Der 26 Jahre alte Hamza war der erste Afghane, der bei Aleppo den «Märtyrertod» starb. […]

So wie Hamza erging es Hunderten von Afghanen. Vor ihrem Fronteinsatz in Syrien hatten sie als Flüchtlinge im Iran ein erbärmliches Dasein gefristet, für Hungerlöhne auf Baustellen geschuftet. Politisches Asyl wurde und wird den meisten Heimatvertriebenen, die im Iran vielfach als Menschen zweiter Klasse behandelt werden, in der Regel verwehrt. Diese Perspektivlosigkeit machten sich die iranischen Revolutionsgardisten zunutze. […]

Für die «Verteidigung der Sajjida Zainab» bieten sie wehrtüchtigen Afghanen bis zu 500 Dollar Sold im Monat, ausserdem einen Schul- oder Universitätsbesuch sowie verbesserte Lebensbedingungen für ihre Familien.

Erfüllt wurden die Zusagen offenbar nur selten. Schon bald sprach sich unter den jungen Schiiten herum, was sie in Syrien wirklich erwartet: Wachdienste in exponierten Frontstellungen sowie Himmelfahrtskommandos im Dienste der Assad-Soldaten, die aus ihrer Verachtung für die nicht arabischen Afghanen keinen Hehl machen.

Es war daher nicht weiter erstaunlich, dass die Bereitschaft der Afghanen, freiwillig in Syrien zu kämpfen, bald nachliess. Als «Motivationshilfe» wurde ihnen daraufhin mit der Abschiebung nach Afghanistan gedroht. […]

Mehr als 10 000 Afghanen kämpfen nach Erkenntnissen libanesischer Militärexperten gegenwärtig in Syrien. Um ihre Ausbildung kümmern sich inzwischen Hisbollah-Offiziere, die ein rein afghanisches Regiment aufgestellt haben. Der Umgangston sei dort freundlicher als in der Assad-Armee. Hilfstruppen – und damit Kanonenfutter – bleiben die afghanischen Söldner dennoch.

Im Falle ihres Todes wird nun inskünftig ihren Angehörigen die iranische Staatsbürgerschaft garantiert. So will es ein Gesetz, das gestern im Teheraner Parlament verabschiedet wurde. Die Verfügung ist bemerkenswert, weil darin zum ersten Mal die Existenz von ausländischen Kämpfern oder Söldnern im Dienste der iranischen Streitkräfte bestätigt wird.“ (Aargauer Zeitung, 3. Mai 2016)

Die internationale Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) berichtet im Jänner 2016 unter Berufung auf Interviews mit mehr als einem Dutzend Afghanen, die im Iran gelebt hätten, dass die Iranische Revolutionsgarde spätestens seit November 2013 tausende ohne gültige Papiere im Iran aufhältige Afghanen für den Kampfeinsatz in Syrien rekrutiert habe. Einige Interviewpartner hätten angegeben, dass sie selbst oder Verwandte von ihnen unter Druck gesetzt worden seien, in Syrien zu kämpfen und dann später entweder aus dem Iran geflohen oder aber nach Afghanistan abgeschoben worden seien, da sie sich geweigert hätten, nach Syrien zu gehen. Ein 17-jähriger Interviewpartner habe berichtet, er sei gezwungen worden, in den Kampf zu ziehen, ohne dass ihm die Möglichkeit gegeben worden sei, einen solchen Dienst zu verweigern. Andere wiederum hätten erklärt, sie hätten sich freiwillig zum Kampfeinsatz in Syrien gemeldet, entweder aus religiöser Überzeugung oder um auf diese Weise ihren Aufenthaltsstatus im Iran zu legalisieren:

„Iran’s Revolutionary Guards Corps (IRGC) has recruited thousands of undocumented Afghans living there to fight in Syria since at least November 2013, Human Rights Watch said today, and a few have reported that Iranian authorities coerced them. Iran has urged the Afghans to defend Shia sacred sites and offered financial incentives and legal residence in Iran to encourage them to join pro-Syrian government militias.

Human Rights Watch in late 2015 interviewed more than two dozen Afghans who had lived in Iran about recruitment by Iranian officials of Afghans to fight in Syria. Some said they or their relatives had been coerced to fight in Syria and either had later fled and reached Greece, or had been deported to Afghanistan for refusing. One 17-year-old said he had been forced to fight without being given the opportunity to refuse. Others said they had volunteered to fight in Syria in Iranian-organized militias, either out of religious conviction or to regularize their residence status in Iran.” (HRW, 29. Jänner 2016)

Im April 2016 berichtet BBC News, dass die iranische Regierung tausende afghanische Männer, bei denen es sich vor allem um ethnische Hazara handle, die man aus armen Migrantengemeinden im Iran rekrutiert habe, nach Syrien geschickt habe, damit sie dort auf Seiten der syrischen Regierungstruppen kämpften. Viele dieser Afghanen hätten seither das Kampfgebiet verlassen und sich dem Flüchtlingsstrom nach Europa angeschlossen. Ein im Iran geborener afghanischer Asylwerber in Deutschland habe berichtet, dass eines Tages Afghanen, die der iranischen Revolutionsgarde nahe gestanden seien, vor einer Moschee an ihn und seine Freunde herangetreten seien und ihnen vorgeschlagen hätten, nach Syrien zu gehen, um die dortigen schiitischen heiligen Stätten vor dem Islamischen Staat (IS) zu schützen. Er sei dann in die Fatemiyoun-Brigade rekrutiert worden, die sich zur Gänze aus Afghanen zusammensetze und dem Kommando von Offizieren der Revolutionsgarde unterstehe. Die Ausbildung für den Kampfeinsatz sei sehr kurz gewesen und habe im Geheimen stattgefunden. Ein weiterer afghanischer Flüchtling, der sich in Griechenland befinde, habe angegeben, dass er und andere Afghanen de facto gezwungen worden seien, in Syrien zu kämpfen. Er sei im Iran ohne Papiere aufgegriffen worden, und man habe ihm angedroht, ihn nach Afghanistan abzuschieben oder zu inhaftieren. So habe er sich entschieden, sich dem Kampf in Syrien anzuschließen, wo er dann zwölf Monate lang als Panzerfahrer und Scharfschütze tätig gewesen sei. Wie BBC News bemerkt, gebe es keine offiziellen Angaben darüber, wie viele Afghanen von der iranischen Regierung nach Syrien geschickt worden seien, und wie viele von ihnen dort ums Leben gekommen seien:

„As the five-year conflict in Syria grinds on, BBC Persian has found evidence that Iran is sending thousands of Afghan men to fight alongside Syrian government forces.

The men, who are mainly ethnic Hazaras, are recruited from impoverished and vulnerable migrant communities in Iran, and sent to join a multi-national Shia Muslim militia - in effect a ‘Foreign Legion’ - that Iran has mobilised to support Syrian President Bashar al-Assad.

Many have since fled the battlefield and joined the refugee trail to Europe. […]

In a small town in Germany, we meet ‘Amir’, an Afghan man in his early twenties. He was born to refugee parents in Isfahan, Iran, and is now himself an asylum seeker in Europe. Like most of the almost three million Afghans in Iran, he lived as a second-class citizen. Without legal residency or identity documents, he found it hard to get an education or a job. Fear of arrest and deportation was a daily reality. […] It was difficult to move around freely, get a driving license or even buy a Sim card for his mobile phone. But one day, Amir received an offer that changed everything. ‘Some Afghans, who were close to Iran's Revolutionary Guards, approached me and my mates at the mosque,’ he said. ‘They suggested we go to Syria to help defend the Shia holy shrines from Daesh,’ he added, using an acronym for the previous name of the jihadist group Islamic State (IS). […] Amir was drafted into the Fatemioun Brigade, an all-Afghan unit commanded by Revolutionary Guards officers. The training, he says, was very short - a fortnight of tactical movement and basic weapons handling - and conducted in strict secrecy. […]

As we travelled across Europe, we met many Afghan ex-fighters like Amir, and all told similar stories. […]

At the port of Mytilene we found another group of young Afghan men. They all said they were ex-Fatemioun fighters. One, who showed us his dog tags and de-mobilisation paperwork, explained how he had been effectively coerced into fighting in Syria. ‘They took us to war by force,’ he says. ‘I wasn't happy with that but they said that because I was an Afghan who'd been arrested without identity papers, they'd either deport me to Afghanistan or send me to prison. I ended up being held in Asgar Abad detention camp before joining up.’ He says he spent 12 months in Syria, as a tank driver and later a sniper, deployed across the country from Damascus to Palmyra. But when he finally got back to Iran, the Revolutionary Guards broke their promises. ‘They gave me this small green identity document. It was just this 30-day temporary residency. I couldn't get a driving license with it - I couldn't even buy myself a Sim card! ‘I complained and they said: 'You have to go back to do another tour of duty' - but I didn't want to. I ran away and here I am.’ […]

There are no official figures for how many Afghans Iran has sent to Syria - or how many have been killed there.” (BBC News, 15. April 2016)

Weitere Informationen zur Rekrutierung von im Iran lebenden Afghanen für den Krieg in Syrien entnehmen Sie bitte folgenden beiden Anfragebeantwortungen von ACCORD:

·      ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zum Iran: Zwangsrekrutierung von illegal aufhältigen Afghanen für den Krieg in Syrien [a-9475], 28. Jänner 2016 (verfügbar auf ecoi.net)
https://www.ecoi.net/local_link/318477/457485_de.html

·      Afghanistan: Aktivitäten der Fatemiyoun-Brigade bzw. anderer iranischer Milizen in Afghanistan; Gefahr einer Rekrutierung von Afghanen, denen bereits im Iran eine Rekrutierung für Einsätze in Syrien drohte; Gefährdung durch sunnitische Mehrheitsbevölkerung, der ein solches Vorgehen des Iran in Afghanistan bekannt ist; Existenz schiitischer Milizen, die sowohl in Syrien als auch im Iran und in Afghanistan rekrutieren und miteinander kooperieren bzw. in Verbindung stehen [a-9747], 18. Juli 2016 (siehe Kopie im Anhang)

 

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Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 16. Dezember 2016)

·      Aargauer Zeitung: Über Iran in den Syrien-Krieg – Mehr als 10000 afghanische Söldner kämpfen an der Front, 3. Mai 2016
http://www.aargauerzeitung.ch/ausland/ueber-iran-in-den-syrien-krieg-mehr-als-10000-afghanische-soeldner-kaempfen-an-der-front-130243418

·      BBC News: Syria war: The Afghans sent by Iran to fight for Assad, 15. April 2016
http://www.bbc.com/news/world-middle-east-36035095

·      HRW - Human Rights Watch: Iran Sending Thousands of Afghans to Fight in Syria, 29. Jänner 2016
https://www.hrw.org/news/2016/01/29/iran-sending-thousands-afghans-fight-syria