Anfragebeantwortung zum Senegal: Casamance: Zwangsrekrutierungen zur Teilnahme an Einsätzen der Rebellengruppe Mouvement des forces démocratiques de la Casamance (MFDC) zwischen 1995 und 2001 (Möglichkeiten, sich der Teilnahme zu Entziehen; Ausmaß des Zwangs; Einsatz von Drogen) [a-9678]

30. Mai 2016

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Chatham House, eine britische Denkfabrik, die sich mit internationalen politischen Themen befasst, geht in einem Bericht aus dem Jahr 2004 (Autor: Martin Evans) auf den militärischen Flügel (den sogenannten maquis) der Rebellengruppe Mouvement des forces démocratiques de la Casamance (MFDC) ein. Dem Bericht zufolge sei bekannt, dass in den 1980er und frühen 1990er Jahren eine beträchtliche Anzahl junger Männer freiwillig wie auch unter Zwang in den maquis rekrutiert worden sei. Jene, die sich dem maquis freiwillig angeschlossen hätten, hätten dies aus unterschiedlichen Gründen getan. Zu den häufigsten Motiven, die von ehemaligen maqusards in Interviews aufzählt worden seien, hätten ideologische Überzeugung sowie Verfolgung von Familienmitgliedern bzw. Angriffe auf ihre Häuser durch die senegalesische Armee gehört. Weitere Gründe seien unter anderem als solche wahrgenommene Diskriminierung durch Anhänger des Nordens (nordistes), Überredung durch Freunde, die bereits im maquis aktiv gewesen seien, oder auch Entfremdung der Rekruten von ihren Gemeinden aus Gründen gewesen, die nicht mit dem Konflikt in Zusammenhang gestanden hätten.

Indes gebe es keine Hinweise auf Zwangsrekrutierung von Kindersoldaten so wie man sie aus Sierra Leone oder Uganda kenne. Der MFDC habe durch einen Sprecher des MDFC in Gambia im April 2004 Vorwürfe der Zwangsrekrutierung vermutlich zurecht zurückgewiesen, . Es gebe allerdings Berichte von minderjährigen maquisards, die aber nicht an vorderster Front im Kampf eingesetzt würden. So habe ein glaubwürdiger Augenzeuge in der Stadt Bissau (Guinea-Bissau) während des Bürgerkriegs der Jahre 1998-1999 angegeben, dass sich unter den Mitgliedern des Kontingents Front Sud, das die Truppen von Ansumane Mané unterstützt habe, einige Jugendliche im Alter von 13 bis 15 Jahren befunden hätten, die für Hilfsdienste eingesetzt worden seien, etwa für den Transport von Munition. In Berichten der zuständigen internationalen Organisationen würden diese minderjährigen Kämpfer allerdings nicht erwähnt:

„The demography of the maquis reflects the length of the conflict. Most current and former maquisards interviewed during fieldwork or in the press are in their 30s and 40s, occasionally older, which is consistent with the known recruitment, voluntary or coercive, of considerable numbers of young men during the 1980s and early 1990s. Some leaders are older, now in their 50s and 60s; Sidy Badji was 88 when he died. Those joining voluntarily did so for a variety of reasons, among which ideological conviction coupled with Senegalese army persecution of family members or attacks on home villages are most commonly cited: […] Perceived discrimination against them by nordistes, persuasion by friends already in the maquis, or even alienation from their communities for reasons unrelated to the conflict also figure in the reasons for enlistment given by maquisards . This first generation originated in various urban and rural milieux, and seems generally literate (in French). […]

There is no evidence of impressment of child fighters of the kind witnessed in Sierra Leone and Uganda, and the MFDC was probably sincere in its denial, through a spokesman in The Gambia in April 2004, that this occurs. However, there are accounts of child maquisards, albeit not as frontline combatants: a reliable eyewitness in Bissau during the 1998–9 civil war said that among the Front Sud contingent bolstering Mané’s forces were a number of young teenagers, 13–15 years old, who carried out support operations such as transporting munitions. Worryingly, such under-age combatants do not figure in the reports of relevant international agencies.” (Chatham House, Dezember 2004, S. 7)

Laut einem im Dezember 2010 veröffentlichten Bericht des Kofi Annan International Peacekeeping Training Centre (KAIPTC), einer in Ghana ansässigen Einrichtung zur Schulung von Streitkräften für internationale Friedenseinsätze, habe der MFDC seine bewaffneten Aktivitäten intensiviert, als sich die Beziehungen zwischen Senegal und Gambia Ende der 1980er Jahre verschlechtert hätten. Der MFDC habe unter anderem Regierungsziele im Süden des Landes an der Grenze zu Guinea-Bissau angegriffen und sei zudem in Ziguinchor in der Casamance direkt gegen die Zivilbevölkerung vorgegangen. Der MFDC habe die Bevölkerung gezwungen, sich auf seine Seite zu stellen und Personen, die der Zusammenarbeit mit dem senegalesischen Staat verdächtigt geworden seien, angegriffen. Zugleich habe der MFDC Netzwerke geschaffen, um unter anderem das Rekrutierungswesen zu organisieren:

„At a moment when Senegal’s relationships with neighbouring Mauritania and The Gambia were becoming strained, the MFDC stepped up its military campaign using automatic rifles, and hand grenades for the first time, attacking government positions on the Gambian border in the north and by the border with Guinea Bissau in the south. The MFDC also brought insecurity into Ziguinchor, taking direct action against civilians, forcing the population to take side with the MFDC, and attacking people suspected of collusion with the Senegalese state. Meanwhile, they established networks to manage recruitment and to collect ‘subscriptions’ for the movement.” (KAIPTC, Dezember 2010, S. 21-22)

Die kanadische Einwanderungsbehörde (Immigration and Refugee Board of Canada,IRB) schreibt in einer Anfragebeantwortung vom August 2005, Medienquellen hätten berichtet, dass es Vorwürfe gegen den MFDC gegeben habe, Kindersoldaten rekrutiert zu haben. Diese Vorwürfe seien vom MFDC zurückgewiesen worden:

„Some sources noted that the MFDC has been accused of recruiting child soldiers, but MFDC leaders have denied the accusation (The Independent 29 Mar. 2004; WMRC Daily Analysis 5 Apr. 2004).” (IRB, 30. August 2005)

Martin Evans, Dozent für internationale Entwicklung an der Universität Chester (Vereinigtes Königreich), schreibt in einer E-Mail-Antwort vom Mai 2016, dass Interviews, die er selbst durchgeführt habe, sowie andere Quellen stark darauf hindeuten würden, dass in den 1990er Jahren Zwangsrekrutierungen bzw. Rekrutierungen, bei denen Zwang zumindest eine gewisse Rolle gespielt habe, relativ häufig gewesen seien und entweder in Dörfern, in denen der MFDC die Kontrolle erhalten habe, oder in individuelleren Fällen durch Freunde und Familienmitglieder stattgefunden hätten. Ihm seien mehrere Berichte bekannt, denen zufolge junge männliche Kämpfer, die den MFDC verlassen hätten, dem Risiko ausgesetzt gewesen seien, getötet zu werden, es sei denn, sie hätten triftige Gründe für ihren Austritt (wie etwa eine chronische Krankheit) gehabt. Dies seien jedoch nicht die einzigen Formen der Rekrutierung gewesen. Zumindest in den 1980er und 1990er Jahren habe es daneben auch eine starke freiwillige Komponente gegeben. In einigen, insbesondere mehrheitlich von Diola besiedelten Gebieten, wo es in der Bevölkerung starken Rückhalt für den Separatismus (bzw. eine starke Ablehnung gegenüber Repressionen und Misshandlungen durch „senegalesische“ Behörden und Truppen) gegeben habe, hätten sich viele junge Männer freiwillig dem MFDC angeschlossen. Ein weiterer Prozess, durch den neue „Rekruten“ zum MFDC gelangt seien, sei demografischer Art gewesen: Jungen, die in „Flüchtlings“-Dörfern in Guinea-Bissau und Gambia aufgewachsen seien, hätten sich automatisch der Bewegung angeschlossen, sobald sie ein entsprechendes Alter erreicht hätten, da sie in einem Milieu aufgewachsen seien, in dem dies das „normale“ Vorgangsmuster gewesen sei. Daher sei es etwas schwierig, den genauen Charakter von Zwang bzw. Freiwilligkeit festzumachen bzw. diese beiden Elemente voneinander zu unterscheiden. Evans schreibt, er halte es für glaubwürdig, dass die betreffende Person im Jahr 1995 gezwungen worden sei, sich dem MFDC anzuschließen, und zwar als Teil einer breiteren Dynamik, in deren Zuge sich auch viele andere junge Männer der Bewegung angeschlossen hätten bzw. dies von ihnen erwartet worden sei. Auch sein Austritt im Jahr 2001 sei bezeichnend, da sich damals Teile des MFDC militärisch auf dem Rückzug befunden hätten und zahlreiche Männer begonnen hätten, die Bewegung zu verlassen. Gründe für diese Austritte seien unter anderem die zahlreichen Entbehrungen des Guerilla-Lebens sowie der Umstand gewesen, dass um diese Zeit vom Westen finanzierte Demobilisierungsprogramme angelaufen seien:

„The interviews that I have conducted and other materials strongly indicate that, during the 1990s, forced recruitment or recruitment involving at least some coercion was fairly common, either in villages that came under MFDC control or in more individual cases via friends and family members. I have also heard various accounts to the effect that if young male fighters left the MFDC, they risked being killed by their former comrades unless they had good reason for quitting (such as chronic illness). [H]owever, this was not the only form of recruitment: there was also a strong element of voluntarism, at least in the 1980s and early 1990s. Many young men joined freely from some areas, particularly with majority Diola populations where popular support for the separatist cause (or resentment against repression and other mistreatment by the 'Senegalese' authorities and forces) was strong. The other process via which new 'recruits' came into the Mouvement was […] more demographic in character: boys growing up in 'refugee' villages in Guinea-Bissau and The Gambia would naturally join when they were of a suitable age. They did so because they grew up in a milieu where it was a 'normal' thing to do (however sociologically dysfunctional such environments appear to us). [T]herefore, the exact nature of and distinctions between coercion and voluntarism are somewhat problematic. […]

In terms of the particular case that you recount, therefore, I find it credible that the man in question was, in 1995, coerced into joining the MFDC as part of a wider dynamic whereby many of his peers were also doing so/expected to do so. The fact that he left in 2001 is also telling as, by then, parts of the MFDC were in serious retreat militarily and many men were starting to leave, in part because of the hardships of guerrilla life and also, in some cases, because around that time donor-funded demobilisation schemes were starting to come in.” (Evans, 25. Mai 2016)

Weiters schreibt Martin Evans, dass verschiedene Berichte über Angriffe des MFDC, die er gehört oder gelesen habe, darauf hindeuten würden, dass die Täter betrunken oder unter dem Einfluss von Drogen (zumindest Cannabis) gestanden hätten. Ob sie zur Einnahme von Drogen gezwungen worden seien, sei indes eine andere Frage. Auch hier habe man den Eindruck, dass derartige Dinge der normalen Praxis entsprochen hätten, zumindest in dem Sinne, dass junge Männer, denen solche Substanzen zur Verfügung gestellt worden seien, es nicht besser gewusst hätten und daher einfach getan hätten, wozu man sie angewiesen habe. Nach Evans‘ persönlicher Erfahrung mit Maquisards seien diese häufig betrunken und hätten auch keine Hemmungen, sich exzessiv zu betrinken. Ob es sich dabei um deren freie Entscheidung oder um eine erzwungene Gewohnheit handle, sei schwerer einzuschätzen:

„Various accounts that I have heard or read of MFDC attacks and robberies point towards the perpetrators being drunk and/or high (on cannabis, at least). Whether they were forced to take narcotics is another matter; again, the impression that I have is that this is just the way things are done but some element of coercion, at least in the sense that the young men being given such substances don't know any better and so do what they are told, may be possible. My own field experience of maquisards, either individually or in the milieu I mention above, is that they are often drunk or do not hesitate to drink to excess; but whether that is choice or enforced habit is harder to determine.” (Evans, 25. Mai 2016)

In den ACCORD derzeit zur Verfügung stehenden Quellen konnten im Rahmen der zeitlich begrenzten Recherche keine weiteren Informationen zur oben genannten Fragestellung gefunden werden.

 

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Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 30. Mai 2016)

·      Chatham House: Senegal: Mouvement des Forces Démocratiques de la Casamance (MFDC) [Autor: Martin Evans], Dezember 2004
https://www.chathamhouse.org/sites/files/chathamhouse/public/Research/Africa/bpmedec04.pdf

·      Evans, Martin: E-Mail-Auskunft, 25. Mai 2016

·      IRB - Immigration and Refugee Board of Canada: Forced recruitment of adult Dioula living in Ziguinchor by the Movement of Democratic Forces of Casamance (Mouvement des forces démocratiques de Casamance, MFDC); the consequences of refusing recruitment and the protection offered by police forces; the MFDC's geographical area of operation and influence (2003 - Aug. 2005) [SEN100525.FE], 30. August 2005 (verfügbar auf ecoi.net) https://www.ecoi.net/local_link/103638/232399_de.html

·      KAIPTC - Kofi Annan International Peacekeeping Training Centre: Understanding The Casamance Conflict: A Background (Autor: Aïssatou Fall), Dezember 2010
http://www.kaiptc.org/publications/monographs/monographs/monograph-7-aissatou.aspx