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Amnesty International (Autor)
Die Behörden gingen 2015 mit aller Härte gegen zivilgesell-schaftliche Organisationen vor, die der Regierungspolitik kri-tisch gegenüberstanden. Außerdem wurden die Möglichkeiten der Organisationen, finanzielle Unterstützung aus dem Ausland zu erhalten, weiter eingeschränkt. Religiös motivierte Spannungen nahmen zu. Gewalttaten und Diskriminierung aufgrund von Geschlechts- oder Kastenzugehörigkeit waren nach wie vor weit verbreitet. Es häuften sich Fälle von Zensur und Angriffe auf die Meinungsfreiheit durch radikale hinduistische Gruppen. Zahlreiche Künstler, Schriftsteller und Wissenschaftler gaben nationale Auszeichnungen zurück, um gegen die ihrer Ansicht nach zunehmende Intoleranz im Land zu protestieren. Eine umstrittene Reform des Gesetzes über Landerwerb wurde nach öffentlichen Protesten zurückgezogen. Menschenrechtsverstöße bewaffneter Gruppen stellten weiterhin eine Bedrohung für die Zivilbevölkerung dar. Im Bundesstaat Nagaland wurde jedoch ein historisches Friedensabkommen geschlossen. Das Strafrechtssystem wies unverändert zahlreiche Mängel auf: So wurden die Standards für faire Gerichtsverfahren nicht eingehalten, und Verstöße blieben ungeahndet. Es gab weiterhin Berichte über außergerichtliche Hinrichtungen sowie über Folter und andere Misshandlungen.
Im März 2015 wurden in Lohardaga im Bundesstaat Jharkhand drei Männer gefoltert und getötet. Bei den Tätern soll es sich um bewaffnete Maoisten gehandelt haben. Im Mai 2015 wurden in Sukma im Bundesstaat Chhattisgarh ungefähr 250 Dorfbewohner entführt und einen Tag lang als Geiseln gehalten. Dem Vernehmen nach waren die Entführer bewaffnete Maoisten, die die Regierung des Bundesstaats zwingen wollten, den Bau einer Brücke einzustellen. Bewaffnete maoistische Gruppen wurden außerdem beschuldigt, Adivasi (Indigene) zu bedrohen und einzuschüchtern sowie Schulen zu besetzen.
Im Bundesstaat Jammu und Kaschmir bedrohten bewaffnete Gruppen im Mai, Juni sowie Juli 2015 Mobilfunkbetreiber und griffen Mobilfunkmasten und Niederlassungen von Telekommunikationsunternehmen an. Dabei wurden zwei Personen getötet. In Sopore töteten Bewaffnete im September 2015 einen Mann und seinen dreijährigen Sohn. Im selben Monat fand man im Bundesstaat Jammu und Kaschmir die Leichen von vier Mitgliedern einer bewaffneten Gruppe. Es bestand der Verdacht, dass sie von Mitgliedern rivalisierender Gruppen umgebracht worden waren.
Im Juli 2015 griffen Mitglieder einer bewaffneten Gruppe eine Polizeiwache und einen Busbahnhof in Gurdaspur im Bundesstaat Punjab an und töteten drei Zivilpersonen.
Im August 2015 gab die Regierung den Abschluss eines Friedensabkommens mit der Rebellengruppe Nationaler Sozialistischer Rat von Nagaland (National Socialist Council of Nagaland - Isak-Muivah faction) bekannt. Nach Ansicht zivilgesellschaftlicher Gruppen könnte das Abkommen die Menschenrechtslage im Bundesstaat Nagaland und in Teilen Nordostindiens verbessern.
Willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen von Menschenrechtsverteidigern, Journalisten und Protestierenden waren weiterhin an der Tagesordnung. Im Januar 2015 befanden sich mehr als 3200 Personen ohne Anklage oder Verfahren auf der Grundlage von Verfügungen in Verwaltungshaft. Die Behörden wendeten weiterhin Antiterrorgesetze an, wie z. B. das Gesetz zur Verhütung von Straftaten (Unlawful Activities [Prevention] Act) und Gesetze auf bundesstaatlicher Ebene, die nicht den internationalen Menschenrechtsstandards entsprachen.
Im April 2015 erließ die Regierung des Bundesstaats Gujarat ein Antiterrorgesetz, das mehrere Bestimmungen enthielt, die internationale Menschenrechtsstandards verletzen. Im Dezember hatte der indische Präsident das Gesetz noch nicht gebilligt. Ähnliche Gesetze existierten auch in den Bundesstaaten Maharashtra und Karnataka.
Aus Uttar Pradesh, Bihar, Karnataka, Tamil Nadu und anderen Bundesstaaten gingen Berichte über Fälle von Gewalt gegen Dalits (Kastenlose) und Adivasi ein. Nach Statistiken, die im August 2015 veröffentlicht wurden, gab es im Jahr 2014 mehr als 47 000 Straftaten gegen Dalits (Scheduled Castes) sowie mehr als 11 000 Straftaten gegen Angehörige marginalisierter indigener Gemeinschaften (Scheduled Tribes). Im Oktober 2015 wurden in der Nähe von Delhi zwei minderjährige Dalits bei einem Brandanschlag getötet, der von Männern einer höheren Kaste verübt worden sein soll.
Im Dezember 2015 verabschiedete das Parlament eine Reform des Gesetzes zur Verhinderung von Gräueltaten an Dalits und Adivasi (The Scheduled Castes and the Scheduled Tribes [Prevention of Atrocities] Act) und nahm mehrere neue Straftatbestände auf. Künftig sollen u. a. spezielle Gerichte für diese Delikte eingerichtet werden und Opfer und Zeugen Schutz erhalten.
Laut im Juli 2015 veröffentlichter Daten einer offiziellen Volkszählung arbeiteten mehr als 180 000 Haushalte im Bereich der manuellen Latrinenreinigung. Diese Tätigkeit wird hauptsächlich von Dalits ausgeübt. Menschenrechtsaktivisten vertraten die Ansicht, die tatsächliche Zahl der in diesem Bereich Beschäftigten liege wesentlich höher.
Angehörige der dominierenden Kasten setzten weiterhin sexuelle Gewalt gegen Frauen und Mädchen der Dalits und Adivasi ein.
Die gesetzlichen Bestimmungen, wonach Privatschulen in den Eintrittsklassen 25% der Plätze für Kinder aus sozial benachteiligten Familien reservieren müssen, wurden weiterhin kaum eingehalten. Kinder der Dalits und Adivasi wurden weiterhin diskriminiert.
Im Dezember 2015 verabschiedete das Parlament Änderungen des Jugendstrafrechts. Danach werden Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren in Fällen schwerer Verbrechen strafrechtlich künftig wie Erwachsene behandelt, was einen Verstoß gegen Indiens völkerrechtliche Verpflichtungen darstellt.
Im Mai 2015 beschloss das Kabinett Änderungen der Gesetzgebung über Kinderarbeit, die die Beschäftigung von Kindern unter 14 Jahren verbot. Die Änderungen erlauben nun Ausnahmen für Kinder, die in Familienbetrieben oder in der Unterhaltungsindustrie arbeiten. Menschenrechtsaktivisten äußerten die Befürchtung, dass Kinderarbeit durch die Ausnah-meregelung noch gefördert werden könne und Kinder aus marginalisierten Bevölkerungsgruppen sowie Mädchen überproportional davon betroffen sein könnten.
Die Behörden unternahmen nichts, um Hunderte von gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen ethnischen und religiösen Gruppen im ganzen Land zu verhindern. Einige Politiker verschärften die religiösen Spannungen durch Äußerungen, in denen sie Diskriminierung und Gewalt rechtfertigten. Mindestens vier muslimische Männer wurden von aufgebrachten Menschenmengen getötet, weil sie angeblich Kühe gestohlen, geschmuggelt oder geschlachtet hatten.
Im September 2015 legte ein Ausschuss, der die ethnisch und religiös motivierte Gewalt in Muzaffarnagar im Bundesstaat Uttar Pradesh im Jahr 2013 untersucht hatte, seinen Bericht vor. Nach Angaben von Journalisten wurden darin Parteimitglieder, Polizisten und hochrangige Verwaltungsbeamte für die Ereignisse verantwortlich gemacht.
Im Februar 2015 setzte die Regierung eine Arbeitsgruppe ein, um abgeschlossene Fälle im Zusammenhang mit dem Massaker an Tausenden von Sikh im Jahr 1984 erneut zu untersuchen und gegebenenfalls Strafanzeige zu erstatten. Im August 2015 erhielt die Arbeitsgruppe ein Jahr mehr Zeit für ihre Aufgabe.
Bei Zusammenstößen zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen wurden im Bundesstaat Manipur mindestens acht Personen getötet. Auslöser der Auseinandersetzungen waren Forderungen, den Zuzug von Personen zu begrenzen, die nicht aus der Region stammen, und neue Gesetze, die die Rechte der indigenen Gemeinschaften betreffen.
Im Februar 2015 brachte die Regierung einen Entwurf zur Änderung des Gesetzes über Landerwerb (Land Acquisition Bill) ein. Er sah vor, bei einer Reihe von industriellen Projekten auf die bislang notwendigen Voraussetzungen, wie die Zustimmung der Betroffenen und die Durchführung von Folgenabschätzungen, zu verzichten. Nachdem Organisationen von Kleinbauern, Vertreter der Zivilgesellschaft und politische Parteien landesweit gegen die Reform protestiert hatten, gab die Regierung im August bekannt, dass sie die geplanten Änderungen nicht weiter verfolgen werde. Viele Industrievorhaben, darunter auch staatliche Kohlebergwerke, Eisenbahnen und Fernverkehrsstraßen, wurden dennoch von der Bestimmung ausgenommen, vorab die Zustimmung der indigenen Gemeinschaften einzuholen und Studien zu den sozialen Folgen des Projekts zu erstellen.
Schutzbedürftige Gemeinschaften, die in rohstoffreichen Gebieten lebten, mussten weiterhin rechtswidrige Zwangsräumungen befürchten. Das Umweltministerium war bestrebt, die bislang notwendige Zustimmung von Dorfversammlungen zu einem Vorhaben für gewisse Infra-strukturprojekte aufzuheben.
Das UN-Umweltprogramm (UNEP) bot der indischen Regierung an, die Verbreitung von toxischen Abfällen in dem Gebiet zu untersuchen, in dem sich 1984 die Giftgaskatastrophe von Bhopal ereignet hatte. Im April 2015 wies das Umweltministerium das Angebot zurück. Im August verbrannte die Regierung des Bundesstaats Madhya Pradesh zehn Tonnen des Abfalls in Pithampur, 250 km von Bhopal entfernt. Umweltschützer wiesen darauf hin, dass dieses Vorgehen Anordnungen des Obersten Gerichtshofs verletzt und die Gesundheit der örtlichen Bevölkerung gefährdet habe.
Im August 2015 brachten zwei Abgeordnete des indischen Parlaments Gesetzesvorschläge zur Abschaffung der Todesstrafe ein. Im Bundestaat Tripura fasste das Parlament einen einstimmigen Beschluss, der die indische Regierung auffordert, die Todesstrafe für Mord abzuschaffen.
Ebenfalls im August legte die indische Rechtskommission der Regierung einen Bericht vor, in dem sie für eine rasche Abschaffung der Todesstrafe plädierte. Zur Begründung hieß es, die Todesstrafe in Indien sei "eine unumkehrbare Bestrafung in einem unzulänglichen, schwachen und fehlbaren System". Gleichzeitig empfahl sie jedoch, die Todesstrafe für terroristische Straftaten und "Kriegsführung gegen den Staat" beizubehalten.
Im März 2015 sprach ein Gericht in Delhi 16 Polizisten frei, die beschuldigt worden waren, im Jahr 1987 42 muslimische Männer in Hashimpura im Bundesstaat Uttar Pradesh getötet zu haben. Das Gericht erklärte, wegen der "unzureichenden, unzuverlässigen und fehlerhaften Ermittlungen" habe es keinen der Angeklagten verurteilen können.
Im April 2015 erschossen Polizisten und Forstbeamte im Bundesstaat Andhra Pradesh 20 mutmaßliche Schmuggler. Es bestand der Verdacht, dass es sich dabei um eine außergerichtliche Hinrichtung handelte. Im selben Monat töteten Polizisten in Telangana fünf Untersuchungshäftlinge auf dem Weg zum Gericht. Die Polizisten gaben an, die Untersuchungshäftlinge hätten versucht, sie zu überwältigen. Ende 2015 waren die poli-zeilichen Ermittlungen zu beiden Fällen noch nicht abgeschlossen.
Ein Gericht der zentralen Ermittlungsbehörde sprach mehrere Polizisten frei, die im Verdacht standen, an einer außergerichtlichen Hinrichtung im Jahr 2005 im Bundesstaat Gujarat beteiligt gewesen zu sein. Im Mai 2015 stellte der UN-Sonderberichterstatter über außergerichtliche, summarische oder willkürliche Hinrichtungen in seinem Folgebericht zu Indien fest, dass die von Gerichten und der Nationalen Menschen-rechtskommission herausgegebenen Richtlinien häufig "nur auf dem Papier existieren und in der Praxis nur selten oder überhaupt nicht umgesetzt wurden".
Im Juli 2015 wies der Oberste Gerichtshof die indische Regierung, die Regierung des Bundesstaats Manipur und die Nationale Menschenrechtskommission an, einen Bericht über mehr als 1500 Fälle in Manipur anzufertigen, bei denen es sich um außergerichtliche Hinrichtungen handeln könnte.
Staatliche Stellen ergriffen 2015 verschiedene Maßnahmen, um zivilgesellschaftliche Organisationen zu unterdrücken. Dazu nutzten sie u. a. das Gesetz über Finanzierung aus dem Ausland (Foreign Contribution [Regulation] Act - FCRA), das finanzielle Zuwendungen an NGOs aus dem Ausland einschränkt, um Organisationen und engagierte Bürger zu schikanieren.
Die Regierung ergriff eine Reihe von Maßnahmen, die sich gegen Greenpeace India richtete. So durfte z. B. im Januar 2015 eine Mitarbeiterin nicht nach Großbritannien reisen. Im April wurden die Bankkonten der Organisation eingefroren, und im September wurde ihre FCRA-Registrierung annulliert. Hohe Gerichte urteilten, dass einige dieser Maßnahmen widerrechtlich waren.
Das Innenministerium annullierte die FCRA-Registrierung Tausender NGOs unter dem Vorwurf von Verstößen gegen das Gesetz. Im April 2015 ordnete das Ministerium an, dass finanzielle Zuwendungen bestimmter ausländischer Hilfsorganisationen künftig durch das Ministerium genehmigt werden müssten.
Im Juli 2015 eröffnete die zentrale Ermittlungsbehörde ein Verfahren gegen die Menschenrechtsaktivistin Teesta Setalvad und den Menschenrechtsaktivisten Javed Anand wegen Verstoßes gegen das FCRA. Im September setzten die Behörden die FCRA-Registrierung einer von Teesta Setalvad und Javed Anand für den Bezug ausländischer Spenden gegründeten NGO aus.
Gesetze, die nicht den völkerrechtlichen Standards über Meinungsfreiheit entsprachen, wurden dazu benutzt, um Menschenrechtsverteidiger und andere Personen strafrechtlich zu verfolgen. Im Januar 2015 wurden zwei Aktivisten im Bundesstaat Kerala wegen des Besitzes von "pro-maoistischer" Literatur festgenommen. Im Oktober 2015 wurde ein Folksänger der Dalits im Bundesstaat Tamil Nadu inhaftiert, weil er in seinen Liedern die Regierung des Bundesstaats kritisiert hatte.
Im März 2015 entschied der Oberste Gerichtshof, Artikel 66A des Gesetzes über Informationstechnologie (Information Technology Act) sei zu vage formuliert und übermäßig weit gefasst. Das Gesetz war dazu benutzt worden, Personen strafrechtlich zu verfolgen, die von ihrem legitimen Recht auf freie Meinungsäußerung im Internet Gebrauch gemacht hatten.
Im August 2015 erklärte die Regierung des Bundesstaats Maharashtra in einem Runderlass, wie die gesetzlichen Bestimmungen gegen staatsgefährdende Aktivitäten anzuwenden seien. Der Erlass empfahl, Kritik an einem Regierungsvertreter als staatsgefährdende Aktivität zu werten. Im Oktober wurde der Runderlass zurückgezogen. Im Dezember brachte ein Parlamentsmitglied einen Gesetzentwurf ein, der Änderungen an den Bestimmungen gegen staatsgefährdende Aktivitäten vorsieht.
Es gab einige Vorfälle, bei denen Journalisten, Autoren, Künstler und Menschenrechtsverteidiger von Gruppen, die auf Religions- oder Kastenzugehörigkeit beruhten, eingeschüchtert und angegriffen wurden. Zwei religionskritische Autoren wurden getötet, allem Anschein nach, weil sie religiöse Intoleranz und Götzendienst kritisiert hatten.
Im Juli 2015 vertrat die Regierung vor dem Obersten Gerichtshof die Ansicht, der Schutz der Privatsphäre gehöre nicht zu den fundamentalen Rechten, die von der Verfassung geschützt seien. Im September schlugen die Behörden Regelungen zur Datenverschlüsselung vor, die Einschränkungen der Rechte auf freie Meinungsäußerung und auf Privatsphäre nach sich gezogen hätten. Nach heftiger Kritik wurde der Vorschlag zurückgezogen.
In Gujarat, Jammu und Kaschmir und anderen Bundesstaaten beschränkten die Behörden mehrfach den Zugang zu Internetdiensten und verwiesen zur Begründung auf die öffentliche Ordnung.
Sicherheitskräfte, die Menschenrechtsverletzungen verübt hatten, wurden weiterhin häufig nicht zur Rechenschaft gezogen. Im Bundesstaat Jammu und Kaschmir und in Teilen Nordostindiens blieben weiterhin Gesetze wie das Sonderermächtigungsgesetz für die Streitkräfte (Armed Forces Special Powers Act - AFSPA) in Kraft, die faktisch Immunität vor Strafverfolgung verliehen.
Im Februar 2015 wies das Innenministerium den Bericht eines Untersuchungsausschusses zurück, der im Jahr 2004 eingesetzt worden war, um das Sonderermächtigungsgesetz für die Streitkräfte zu überprüfen. Der Bericht hatte die Aufhebung des Gesetzes empfohlen. Der Bundesstaat Tripura annullierte das Gesetz im Juni 2015, 18 Jahre nach seinem Inkrafttreten, und begründete dies mit einem "Rückgang von militanten Vor-kommnissen". Im Juli 2015 empfahl ein Ausschuss, der eingesetzt worden war, um den Status von Frauen zu untersuchen, ebenfalls die Aufhebung des AFSPA. Im November 2015 forderte das Hohe Gericht des Bundesstaats Meghalaya die indische Regierung auf, die Durchsetzung des AFSPA in einer Region zu prüfen, um Recht und Ordnung aufrechtzuerhalten.
Die indische Armee bestätigte im September 2015 die lebenslangen Haftstrafen gegen sechs Armeeangehörige. Ein Militärgericht hatte sie für schuldig befunden, im Jahr 2010 in Machil im Bundesstaat Jammu und Kaschmir drei Männer außergerichtlich hingerichtet zu haben.
Unangemessen lange Untersuchungshaftzeiten und eine starke Überbelegung der Gefängnisse waren nach wie vor weit verbreitet. Im Januar 2015 waren mehr als 282 000 Gefangene - 68% aller in Indien inhaftierten Menschen - Untersuchungshäftlinge. Dalits, Adivasi und Muslime waren unter den Untersuchungshäftlingen weiterhin überproportional vertreten.
Eine Anweisung des Obersten Gerichtshofs, der 2014 die Bezirksrichter aufgefordert hatte, Untersuchungshäftlinge freizulassen, die bereits mehr als die Hälfte des Strafmaßes verbüßt hatten, das ihnen im Falle einer Verurteilung drohen würde, wurde kaum befolgt.
Die zentrale Informationsbehörde erklärte im September 2015 auf Anfrage von Amnesty International Indien, die Regierungen der Bundesstaaten seien verpflichtet, die Behörden und die Häftlinge regelmäßig darüber zu informieren, wer Anspruch auf Entlassung habe.
Im April 2015 verabschiedete das Oberhaus des Parlaments ein Gesetz zum Schutz der Rechte transgeschlechtlicher Personen, einschließlich ihrer Rechte auf Bildung und Gesundheitsversorgung. Es kam weiterhin zu Angriffen auf transgeschlechtliche Personen.
Artikel 377 des indischen Strafgesetzbuchs wurde nach wie vor dazu benutzt, einvernehmliche gleichgeschlechtliche Beziehungen zwischen Erwachsenen unter Strafe zu stellen. Hochrangige Regierungsbeamte machten widersprüchliche Angaben darüber, ob diese strafrechtliche Bestimmung beibehalten werden sollte. Im Dezember 2015 lehnte das Unterhaus des Parlaments einen Gesetzentwurf ab, der gleichgeschlechtliche Beziehungen straffrei stellen sollte.
Im August 2015 brachte die Regierung des Unionsterritoriums Delhi einen Gesetzentwurf über Frauenrechte ein, in dem es heißt, die Gleichheit der Frau vor dem Gesetz gelte "unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung". Es war das erste Mal, dass die Regierung eines Bundesstaats bzw. Unionsterritoriums in einem Gesetz Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung anerkannte.
Es gab nach wie vor Berichte über Folter und andere Misshandlungen in den Hafteinrichtungen von Polizei und Justiz. Im Juli 2015 wies der Oberste Gerichtshof die Regierungen der Bundesstaaten an, innerhalb von zwei Jahren in allen Haftanstalten Überwachungskameras zu installieren, um Folter und andere Verstöße gegen die Rechte von Gefangenen zu unter-binden. Außerdem sollten die Bundesstaaten in Erwägung ziehen, auch in allen Polizeiwachen eine Videoüberwachung einzuführen. Das Innenministerium gab im Juli bekannt, in der Regierung gebe es Überlegungen, Folter als spezifischen Straftatbestand in das Strafgesetzbuch aufzunehmen. Im November 2015 leitete die Polizei im Bundesstaat Chhattisgarh Ermittlungen bezüglich des Vorwurfs ein, Angehörige der Sicherheitskräfte hätten einen Monat zuvor zwei Frauen und ein Mädchen vergewaltigt.
NGOs berichteten weiterhin über Todesfälle aufgrund von Folter in Polizeigewahrsam. Eine im August 2015 veröffentlichte Statistik für das Jahr 2014 verzeichnete 93 Todesfälle und 197 Fälle von Vergewaltigung in Polizeigewahrsam. Die Nationale Menschenrechtskommission gab im August bekannt, von April 2014 bis Januar 2015 seien 1327 Todesfälle im Gewahrsam der Justiz erfasst worden.
Im Jahr 2014 wurden fast 322 000 Verbrechen gegen Frauen dokumentiert, darunter 37 000 Fälle von Vergewaltigung. Dennoch schreckten Frauen weiterhin davor zurück, sexuelle Gewalttaten anzuzeigen, da sie Stigmatisierung und Diskriminierung durch Polizei und Behörden befürchteten. In der Mehrheit der Bundesstaaten gab es immer noch keine standardisierten Verfahren, um einen angemessenen Umgang der Polizei mit Fällen von Gewalt gegen Frauen sicherzustellen.
In mehr als 86% der angezeigten Fälle von Vergewaltigung kannten die Opfer die mutmaßlichen Täter. Einer im August 2015 veröffentlichten Statistik zufolge kamen 2014 fast 123 000 Fälle von grausamer Behandlung durch Ehepartner oder Verwandte zur Anzeige. Im März 2015 gab die indische Regierung bekannt, sie erwäge, die Rücknahme einer Anzeige wegen Grausamkeit zu erlauben, wenn zwischen den Parteien ein Kompromiss erzielt werde.
Ein Ausschuss, der eingesetzt worden war, um den Status von Frauen zu untersuchen, gab im Juli 2015 wichtige Empfehlungen ab, um Gewalt zu verhindern, von Gewalt bedrohte Frauen und Mädchen zu schützen und ihnen zu ihrem Recht zu verhelfen. Die Empfehlungen umfassten u. a. einen nachdrücklichen Appell an die Regierung, Vergewaltigung in der Ehe zum Straftatbestand zu erklären, ein spezielles Gesetz über Verbrechen im Namen der "Familienehre" einzuführen und die gesetzlichen Bestimmungen über grausame Behandlung durch Ehemänner nicht abzuschwächen.
Im Dezember 2015 kündigte die Regierung im Parlament an, sie plane, Vergewaltigung in der Ehe als Straftatbestand in das Strafgesetzbuch aufzunehmen.
Selbsternannte Dorfräte, die sich aus älteren Männern der dominanten Kasten zusammensetzten, verhängten unbefugt weiterhin sexuell gewalttätige Strafen gegen Frauen, weil sie angeblich soziale Normen überschritten hatten. Frauen aus marginalisierten Gruppen waren in starkem Maße Gewalt und Diskriminierung ausgesetzt. Es kam jedoch nur in seltenen Fällen zu einer Anzeige oder einer Verurteilung der Täter.
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Amnesty International Report 2015/16 - The State of the World's Human Rights - India (Periodischer Bericht, Englisch)