Amnesty International Report 2011 - Zur weltweiten Lage der Menschenrechte

Amtliche Bezeichnung: Russische Föderation
Staatsoberhaupt: Dmitri Medwedew
Regierungschef: Wladimir Putin
Todesstrafe: in der Praxis abgeschafft
Einwohner: 140,4 Mio.
Lebenserwartung: 67,2 Jahre
Kindersterblichkeit (m/w): 18/14 pro 1000 Lebendgeburten
Alphabetisierungsrate: 99,5%

Menschenrechtsverteidiger und unabhängige Journalisten wurden weiterhin bedroht, schikaniert und tätlich angegriffen. Untersuchungen dieser Fälle lieferten kaum konkrete Ergebnisse. Die Rechte auf Versammlungsfreiheit und freie Meinungsäußerung wurden nach wie vor beeinträchtigt. So wurden Demonstrationen verboten oder gewaltsam aufgelöst und zahlreiche Personen auf der Grundlage des Gesetzes zur Bekämpfung von Extremismus strafrechtlich verfolgt. Die Sicherheitslage im Nordkaukasus war noch immer instabil. Es gab in dieser Region weiterhin Angriffe bewaffneter Gruppen und eine hohe Zahl von Menschenrechtsverletzungen wie Tötungen, Folterungen und Fälle von "Verschwindenlassen". Aus ganz Russland wurden 2010 zahlreiche Fälle von Folter und anderen Misshandlungen durch Angehörige der Strafverfolgungsbehörden gemeldet.

Hintergrund

Ende 2010 schien es, als habe Russland die Wirtschaftskrise ohne größere soziale, wirtschaftliche und politische Unruhen überstanden. In den Beziehungen zu einer Reihe von Nachbarstaaten sowie zu westlichen Ländern waren Verbesserungen zu verzeichnen.
Die russische Regierung versicherte, sie werde sich weiterhin um die Modernisierung des Landes bemühen, u.a. um mehr Rechtsstaatlichkeit und um eine Justizreform. Es gab jedoch Befürchtungen, dass diese Vorhaben durch die weit verbreitete Korruption und die mangelhafte Gewaltenteilung behindert werden könnten.
Im Berichtsjahr gab es im ganzen Land zahlreiche Aktionen verschiedener gesellschaftlicher Bewegungen, die - häufig auf lokaler Ebene - gegen Verletzungen der bürgerlichen und politischen Rechte protestierten, sich für Umweltanliegen einsetzten oder auf drängende soziale Probleme aufmerksam machten. Die Proteste in Moskau, St. Petersburg und anderen Orten verliefen meist friedlich. Einige nicht genehmigte Demonstrationen wurden allerdings von der Polizei mit exzessiver Gewaltanwendung aufgelöst.
Es herrschte Besorgnis über die politisch sehr einseitige Berichterstattung der Rundfunk- und Fernsehstationen sowie der Printmedien. In den elektronischen Medien herrschte dagegen mehr Pluralismus. Digitale Videos und soziale Netzwerke im Internet wurden kreativ eingesetzt, um Informationen über Menschenrechtsverletzungen zu verbreiten und zum gesellschaftlichen Engagement aufzurufen. Die staatlichen Medien, vor allem das Fernsehen, wurden häufig dafür missbraucht, Oppositionspolitiker, führende Vertreter benachbarter Staaten und zivilgesellschaftliche Aktivisten zu diskreditieren.
Die Menschenrechtsverletzungen, die Angehörige der russischen Streitkräfte während des bewaffneten Konflikts mit Georgien im August 2008 begangen hatten, wurden von den russischen Behörden nicht näher untersucht. Russland und die De-facto-Behörden Südossetiens kooperierten weder bei den Untersuchungen des Europarats zum Schicksal vermisster Personen, noch gewährten sie der Überwachungsmission der Europäischen Union (EU Monitoring Mission) Zugang zu den Konfliktgebieten in Südossetien.

Folter und andere Misshandlungen

Es gab eine anhaltend hohe Zahl von Berichten über Folter und andere Misshandlungen durch Angehörige der Strafverfolgungsbehörden, die offenbar häufig dazu dienten, "Geständnisse" oder Geld zu erpressen. Korruption sowie Absprachen zwischen Polizei, Ermittlungsbeamten und der Staatsanwaltschaft führten nach allgemeiner Einschätzung dazu, dass Ermittlungen nicht zum Ziel führten und Strafverfolgungsmaßnahmen behindert wurden. Häftlinge berichteten häufig von Disziplinarstrafen, die ohne rechtliche Grundlage verhängt würden, und dass ihnen dringend benötigte medizinische Versorgung verweigert werde.

  • Am Abend des 31. August 2010 hielten Polizeibeamte in dem Dorf Kstovo (Region Nischni Nowgorod) den 17-jährigen Nikita Kaftasyev und einen Freund auf der Straße an. Nach Angaben von Kaftasyev wurden er und sein Freund von den Polizisten geschlagen. Die Beamten hielten die beiden über Nacht in der Polizeistation fest und schlugen sie dort weiter. Nikita Kaftasyev erlitt schwere Verletzungen an den Genitalien. Den Angaben zufolge brachten Beamte ihn am nächsten Morgen nach Hause und drängten seine Mutter zur Unterzeichnung einer Erklärung, mit der sie versicherte, dass sie keine Beschwerden gegen die Polizei erheben werde.

Justizsystem

Die russische Regierung betrachtete eine Reform des Justizwesens weiterhin als vorrangig. Die eingeleiteten Reformen blieben jedoch bisher Stückwerk und konnten nur sehr begrenzt zur Beseitigung der grundlegenden strukturellen Mängel beitragen, die vor allem auf die verbreitete Korruption und die politische Einflussnahme auf die Justiz zurückzuführen waren.
Nachdem es von allen Seiten, selbst vonseiten der Strafverfolgungsbehörden, Kritik an Polizeiübergriffen gegeben hatte, legte die Regierung einen Entwurf für ein neues Polizeigesetz vor. Menschenrechtsorganisationen bemängelten, der Vorschlag enthalte keine wirksamen Mechanismen, um Polizeibeamte für Übergriffe und Menschenrechtsverletzungen zur Verantwortung zu ziehen.
Um die Unabhängigkeit der Strafermittlungen zu verbessern, kündigte die russische Regierung im September 2010 an, das Ermittlungskomitee bei der Staatsanwaltschaft werde ab 2011 als unabhängiges Ermittlungsorgan agieren und der Kontrolle der Generalstaatsanwaltschaft entzogen. Es sei künftig direkt dem Präsidenten verantwortlich. Das Komitee war 2007 geschaffen worden, um eine Trennung zwischen Ermittlungs- und Anklagefunktion sicherzustellen.
Nachdem es mehrere Todesfälle im Gewahrsam der Sicherheitskräfte gegeben hatte, die auf unzureichende ärztliche Versorgung zurückzuführen gewesen waren und große Besorgnis ausgelöst hatten, wurde das Gesetz zum Vollzug der Untersuchungshaft geändert. Bei Wirtschaftsstraftaten wurde die Anordnung von Untersuchungshaft eingeschränkt und Hausarrest als Strafe eingeführt. Im Fall des Anwalts Sergej Magnitsky, der im November 2009 im Gewahrsam der Sicherheitskräfte zu Tode gekommen war, gelangte die Generalstaatsanwaltschaft zu dem Schluss, dass sein Tod auf mangelnde ärztliche Behandlung zurückzuführen sei. Eine Anklage wurde jedoch nicht erhoben.
Während des zweiten Verfahrens gegen den früheren Mehrheitsaktionär des Erdölkonzerns YUKOS, Michail Chodorkowski, und seinen ehemaligen Geschäftspartner Platon Lebedew, in dem ihnen u.a. die Unterschlagung von Erdöl im YUKOS-Konzern zur Last gelegt wurde, verstärkten sich die Bedenken hinsichtlich der Unabhängigkeit der Richter und Staatsanwälte. Die Anklage erschien politisch motiviert. Am 30. Dezember 2010 wurden die beiden Männer zu jeweils insgesamt 14 Jahren Haft verurteilt. Das Urteil erging nach einem unfairen Prozess, der von zahlreichen Verfahrensfehlern gekennzeichnet war. So wurden u.a. Zeugen schikaniert und wichtige Zeugen der Verteidigung vom Gericht nicht zugelassen. Unter Berücksichtigung der bereits in Haft verbrachten Zeit müssten die beiden Männer 2017 wieder freikommen.

Recht auf Versammlungsfreiheit

Auch im Jahr 2010 gingen die Sicherheitskräfte hart gegen Gruppen gesellschaftlich engagierter Bürger vor, insbesondere wenn sie kontroverse Themen ansprachen, die Öffentlichkeit für ihr Anliegen gewinnen konnten oder finanzielle Unterstützung aus dem Ausland erhielten. Die Organisatoren von Aktionen wurden oft von der Polizei und von Mitgliedern regierungsfreundlicher Gruppen eingeschüchtert und schikaniert. In Moskau und St. Petersburg wurden mehrere friedliche Demonstrationen gewaltsam aufgelöst. Dutzende von Demonstrierenden wurden von der Polizei für mehrere Stunden in Gewahrsam genommen und einige zu mehreren Tagen Haft verurteilt, nur weil sie ihr Recht auf Versammlungsfreiheit ausgeübt hatten.
Im Oktober 2010 wurde den Aktivisten der Bewegung "Strategie 31" endlich ermöglicht, auf dem Triumphalnaja-Platz in der Hauptstadt Moskau eine friedliche Demonstration für das Recht auf Versammlungsfreiheit in Russland zu veranstalten. Die Bewegung hatte seit Mai 2009 schon mindestens zehn Mal eine Versammlung auf diesem Platz angemeldet, die jedes Mal abgelehnt worden war.
Nach breiten öffentlichen Protesten wurden zwar die Arbeiten für den geplanten Bau einer Schnellstraße durch den Chimki-Wald bei Moskau vorübergehend eingestellt, nicht aber die Einschüchterungsmaßnahmen und Schikanen gegen die Organisatoren der Proteste. Im November schlugen Unbekannte Konstantin Fetisow, der friedlich gegen das Autobahn-Projekt protestiert hatte, brutal zusammen und verletzten ihn lebensgefährlich.
Im Oktober 2010 erklärte ein Gericht in St. Petersburg in einem aufsehenerregenden Urteil das Verbot einer Parade von Homosexuellen durch den Stadtrat für rechtswidrig. Noch im selben Monat entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), die Moskauer Stadtverwaltung habe mit dem Verbot der Paraden in den Jahren 2006, 2007 und 2008 gegen das Recht auf friedliche Versammlung verstoßen und die Organisatoren wegen ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Journalisten, Umweltaktivisten, Oppositionelle und Menschenrechtsverteidiger waren Schikanen, Einschüchterungsversuchen und körperlichen Übergriffen ausgesetzt. Die Äußerungen der Behörden zum Thema Meinungsfreiheit waren nach wie vor widersprüchlich. Zwar versprachen sie, die Tätigkeit von Journalisten und zivilgesellschaftlichen Gruppen stärker zu respektieren und für ihren Schutz zu sorgen, starteten zugleich aber Verleumdungskampagnen gegen prominente Regierungskritiker oder taten zumindest nichts, um solche Kampagnen zu unterbinden.

  • Im November 2010 wurde der Journalist Oleg Kaschin in Moskau Opfer eines brutalen Überfalls. Der Vorfall löste breite Entrüstung aus und veranlasste Präsident Medwedew zu dem Versprechen, man werde ihn gründlich untersuchen.
    Die Untersuchungen von Überfällen sowie von Morden an bekannten Menschenrechtsverteidigern und Journalisten führten bislang kaum zu Ergebnissen. Im Zusammenhang mit der Ermordung der Journalistin und Menschenrechtsverteidigerin Anna Politkowskaja im Oktober 2006 verdächtigte das Ermittlungskomitee bei der Staatsanwaltschaft nach wie vor die Männer, die bereits wegen Mangels an Beweisen freigesprochen worden waren.
    Unpräzise Formulierungen im Gesetz zur Bekämpfung von Extremismus führten immer wieder zur Einschränkung der Meinungsfreiheit.
  • Im Januar 2010 bestätigte der Oberste Gerichtshof von Tatarstan das Urteil gegen Irek Murtazin, den ehemaligen Pressesprecher des Präsidenten von Tatarstan. Er war 2009 wegen Verleumdung der Regierung zu 18 Monaten Haft in einer offenen Strafkolonie verurteilt worden, weil er in einem Buch die Behörden von Tatarstan kritisiert hatte.
  • Im Juli 2010 wurden Andrej Yerofeev und Yuri Samudurov wegen "Anstiftung zum Hass gegen die orthodoxe Kirche" schuldig gesprochen und zu Geldstrafen verurteilt. Sie hatten 2007 eine Ausstellung mit dem Titel "Verbotene Kunst 2006" organisiert, bei der zeitgenössische Kunstwerke gezeigt wurden, die wegen ihres umstrittenen Inhalts aus anderen Ausstellungen und Museen entfernt worden waren.
  • Gegen Ende des Jahres 2010 wurde in der Republik Altai ein Zeuge Jehovas wegen "Anstiftung zu religiösem Hass" vor Gericht gestellt, weil er Flugblätter seiner Religionsgemeinschaft verteilt hatte.

Menschenrechtsverteidiger

Für Menschenrechtsverteidiger und unabhängige NGOs war die Situation weiterhin schwierig. Auch 2010 waren sie Drohungen, körperlichen Übergriffen und bürokratischen Schikanen ausgesetzt. Außerdem wurden engagierte Bürger nach wie vor durch öffentliche Äußerungen angegriffen, in denen ihr Charakter und ihre Integrität in Frage gestellt wurden. Ziel der Angriffe war es, ihre Arbeit zu behindern und ihre Glaubwürdigkeit in der Öffentlichkeit zu diskreditieren.

  • Im April erklärte das Ermittlungskomitee bei der Staatsanwaltschaft, die Mörder der tschetschenischen Menschenrechtsverteidigerin Natalja Estemirowa, die am 15. Juli 2009 erschossen worden war, seien nunmehr identifiziert worden. An der Erklärung, es seien Mitglieder einer bewaffneten Gruppe gewesen, wurden erhebliche Zweifel angemeldet.
  • Im Mai wurde der Menschenrechtsverteidiger Aleksei Sokolov wegen Diebstahls und der Beteiligung an einem Raubüberfall zu fünf Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Berichten zufolge war das Verfahren gegen ihn unfair. Im August wurde das Strafmaß auf drei Jahre verkürzt. Zur Verbüßung der Strafe verlegte man Aleksei Sokolov aus seiner Heimatregion Swerdlowsk nach Sibirien in die Region Krasnojarsk. Auf der Fahrt dorthin soll er geschlagen und misshandelt worden sein. Seine Freunde und Kollegen vermuteten, dass die Anklage gegen ihn konstruiert wurde, um ihn davon abzuhalten, sich für den Schutz von Häftlingen einzusetzen.
  • Im September begann das Strafverfahren gegen den Leiter des Menschenrechtszentrums Memorial, Oleg Orlow. Gegen ihn war aufgrund von Bemerkungen zur Verantwortung des tschetschenischen Präsidenten für die Ermordung von Natalja Estemirowa im Juli 2009 Anklage wegen Verleumdung erhoben worden.

Rassismus

Rassistisch motivierte Gewalt war auch 2010 ein ernstes Problem. Nach vorläufigen Daten der NGO Sowa-Zentrum für Information und Analyse forderte sie im Berichtsjahr 37 Todesopfer. Im April wurde der Moskauer Richter Eduard Tschuwaschow, der mehrere rassistisch motivierte Gewalttäter zu langen Gefängnisstrafen verurteilt hatte, vor seiner Haustür erschossen. Berichten zufolge waren die Täter Mitglieder einer extremistischen Gruppe. Im Oktober wurde der 22-jährige Vasilii Krivets wegen der Ermordung von 15 Personen nicht-slawischen Aussehens zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe verurteilt. Die Untersuchungshaft der beiden Personen, die nach der Ermordung des Rechtsanwalts Stanislaw Markelow und der Journalistin Anastasia Baburowa im Januar 2009 noch im gleichen Jahr als Tatverdächtige festgenommen worden waren, wurde bis Ende 2010 verlängert. Sie sollen einer rechtsextremen Gruppe angehören und Stanislaw Markelow ermordet haben, weil er die Familie eines antifaschistischen Aktivisten vertreten hatte.

Unsichere Lage im Nordkaukasus

Die Sicherheitslage im Nordkaukasus war weiter instabil. Die Gewalt beschränkte sich auch 2010 nicht auf Tschetschenien, sondern betraf auf die angrenzenden Regionen Dagestan, Inguschetien, Kabardino-Balkarien und Nordossetien. Die Behörden räumten öffentlich ein, dass ihre Maßnahmen zur Bekämpfung der bewaffneten Gewalt keine Wirkung zeigten. Zahlreiche Angehörige der Strafverfolgungsorgane wurden Opfer von Überfällen bewaffneter Gruppen, die außerdem Selbstmordattentate ausführten, die sich wahllos gegen die Zivilbevölkerung richteten. Im September kamen Berichten zufolge in Wladikawkas in der Republik Nordossetien-Alanien durch eine Autobombe mindestens 17 Menschen zu Tode, mehr als 100 wurden verletzt.
Im gesamten Nordkaukasus sollen Beamte mit Polizeibefugnissen an Menschenrechtsverletzungen beteiligt gewesen sein. Es wurden ihnen widerrechtliche Inhaftierungen und Folter vorgeworfen sowie in einigen Fällen auch die außergerichtliche Hinrichtung mutmaßlicher Mitglieder bewaffneter Gruppen. Da es keine wirksamen Untersuchungen dieser Menschenrechtsverletzungen gab, wurden die Täter auch nicht zur Rechenschaft gezogen. Journalisten und Menschenrechtsverteidiger, die darüber berichteten, wurden häufig eingeschüchtert und schikaniert.
Im Juni befasste sich die parlamentarische Versammlung des Europarats mit der Wirksamkeit von rechtlichen Schritten gegen Menschenrechtsverletzungen im Nordkaukasus. Die Versammlung forderte die russischen Behörden auf, die Entscheidungen des EGMR umzusetzen und den Kampf gegen Terrorismus und bewaffnete Gruppen nicht mit rechtswidrigen Mitteln zu führen.

Tschetschenien

Die Angehörigen mutmaßlicher bewaffneter Kämpfer erklärten, sie seien noch immer Repressalien seitens der Staatsorgane ausgesetzt. Journalisten und zivilgesellschaftliche Organisationen wurden von den Behörden streng überwacht und eingeschüchtert. Regierungsvertreter verweigerten die Zusammenarbeit mit den Ermittlungsorganen und behinderten so die Untersuchung von Foltervorwürfen, widerrechtlichen Inhaftierungen und Fällen von "Verschwindenlassen".

  • Im Februar 2010 ermordeten Berichten zufolge Angehörige der Strafverfolgungsorgane mindestens vier tschetschenische Zivilpersonen, die an der Grenze zwischen Tschetschenien und Inguschetien wilden Knoblauch pflückten. Die Behörden behaupteten, im Zuge einer Operation in einem abgeriegelten Gebiet seien bewaffnete Kämpfer getötet worden. Doch die Überlebenden aus der Gruppe der Knoblauchsammler stellten die Ereignisse anders dar. Mindestens ein Opfer wurde mit einem Messer getötet, andere wurden aus kürzester Entfernung erschossen.
  • Im April 2010 kam Islam Umarpashaev aus Grosny wieder frei, nachdem er vier Monate zuvor vermutlich von Angehörigen der Sicherheitskräfte entführt worden war. Er war seit Dezember 2009 an einem unbekannten Ort, an einen Heizkörper angekettet, festgehalten worden. Eine Straftat wurde ihm nicht zur Last gelegt. Seine Angehörigen reichten wegen seiner rechtswidrigen Inhaftierung Beschwerden bei der Staatsanwaltschaft und vor dem EGMR ein. Auf Islam Umarpashaev, der nach seiner Freilassung untertauchte, und auf seine Familie wurde starker Druck ausgeübt, damit sie ihre Beschwerden zurückzog.
    Es war eine zunehmende Einschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung für tschetschenische Frauen festzustellen. Mehreren Berichten zufolge wurden Frauen, offenbar weil sie kein Kopftuch trugen, mit Paintball-Waffen beschossen.

Dagestan

Nach offiziellen Angaben stieg die Zahl der Überfälle auf Polizisten und Regierungsvertreter im Jahr 2010 um 20%. Russische Menschenrechtsorganisationen berichteten, die Zahl der willkürlichen Inhaftierungen und der Fälle von "Verschwindenlassen" habe zugenommen. Rechtsanwälte, Journalisten und Menschenrechtsverteidiger wurden vermehrt Opfer von Schikanen und körperlichen Attacken.

  • Im Juni wurde die Anwältin Sapiyat Magomedova Berichten zufolge auf der Polizeiwache von Chassawjurt von Polizeibeamten geschlagen, als sie dort einen Mandanten besuchen wollte. Später wurde ein Strafverfahren wegen Beamtenbeleidigung gegen sie eingeleitet.
  • Im Juli wurde eine weitere Anwältin, Dzhamilya Tagirova, Berichten zufolge in der Polizeistation der Hauptstadt Machatschkala von einem Beamten körperlich attackiert, als sie die fehlerhafte Darstellung der Angaben ihres Mandanten im Protokoll monierte.
    Zwei weitere Anwältinnen aus Dagestan sollen ebenfalls bei der Wahrnehmung ihrer beruflichen Aufgaben von Beamten mit Polizeibefugnissen angegriffen worden sein.
  • Am 3. Juni wurde Rasil Mamedrizaev vom Obersten Gerichtshof von Dagestan wegen des Mordes an Farid Babajew, dem regionalen Vorsitzenden der liberalen Jabloko-Partei, zu einer 15-jährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Farid Babajew hatte auf zahlreiche Menschenrechtsverletzungen in Dagestan hingewiesen und für die Wahlen zum russischen Parlament kandidiert. Er war im November 2007 vor seiner Wohnung in Machatschkala niedergeschossen worden.
  • Im Juli verhafteten Polizisten den 14-jährigen Makhmud Akhmedov. Seinen Angaben zufolge wurde er über Nacht im Polizeigewahrsam festgehalten und dort gefoltert und misshandelt. Er sollte gestehen, dass er einen elektrischen Bohrer gestohlen habe. In diesem Fall wurde ein Strafverfahren eröffnet, und im Dezember wurden vier Polizeibeamte unter Anklage gestellt.

Inguschetien

Obwohl sich der Präsident von Inguschetien um einen Dialog mit unabhängigen Menschenrechtsorganisationen bemühte, kam es immer wieder zu schweren Menschenrechtsverletzungen. Journalisten und Menschenrechtsverteidiger mussten auch 2010 weiter mit Drohungen und körperlichen Angriffen rechnen.

  • Im Juni wurden die beiden Brüder Beslan und Adam Tsechoev im Haus ihrer Familie von einer Gruppe maskierter Polizeibeamter festgenommen und zur Bezirkspolizeiwache der Stadt Malgobek gebracht. Dort hielt man sie sechs Tage lang ohne Kontakt zur Außenwelt fest und misshandelte sie. Beslan Tsechoev befand sich Ende 2010 noch immer in Haft. Obwohl das Ausmaß seiner Verletzungen, u.a. durch den Menschenrechtsbeauftragten der Republik Inguschetien, gut dokumentiert wurde, weigerte sich die Staatsanwaltschaft, Ermittlungen einzuleiten.
  • Im Juli sollen Mustafa Mutsolgov und Vakha Sapraliev bei einer Autofahrt Opfer einer außergerichtlichen Hinrichtung durch Beamte mit Polizeibefugnissen geworden sein. Die Beamten sollen sie aus dem Wagen geholt und ihnen Handschellen angelegt haben, ehe sie die beiden Männer aus kürzester Entfernung erschossen. Im August sollen maskierte Beamte den Vater von Mustafa Mutsolgov, Alikhan Mutsolgov, mit Schlägen misshandelt und Mustafas 15-jährigen Bruder Magomed entführt haben. Durch Folter und Misshandlung sollte der Junge zu der Erklärung gezwungen werden, dass sein älterer Bruder in illegale Aktivitäten verwickelt gewesen sei. Die Familie hatte Ende des Jahres von der Staatsanwaltschaft noch keine Bestätigung erhalten, dass Ermittlungen zu ihren Beschwerden eingeleitet wurden.

Amnesty International: Mission und Bericht

Eine Delegation von Amnesty International besuchte im November Inguschetien.

Russian Federation: Briefing to the UN Committee on the Elimination of Discrimination against Women (EUR 46/022/2010)

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