Amnesty International Report 2015/16 - The State of the World's Human Rights - Uzbekistan

 

Die Behörden setzten 2015 Folter und andere Misshandlungen ein, um kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen, tatsächliche oder vermeintliche Sicherheitsbedrohungen zu bekämpfen und politische Gegner zu unterdrücken. Außerdem wurden auf diese Weise "Geständnisse" und belastende Informationen erzwungen und Häftlinge sowie deren Familien eingeschüchtert oder bestraft. Gerichtsurteile stützten sich in starkem Maße auf "Geständnisse", die unter Folter, Zwang oder Irreführung erpresst wurden. Personen, die wegen staatsfeindlicher oder terroristischer Anklagen verurteilt worden waren, mussten befürchten, dass ihre Haftstrafen willkürlich verlängert wurden.

Hintergrund

Im März 2015 wurde bei Präsidentschaftswahlen, denen es an echtem politischem Wettbewerb fehlte, Islom Karimov zum vierten Mal in Folge ins Amt gewählt.

Das Wirtschaftswachstum verlangsamte sich 2015 aufgrund sinkender Rohstoffpreise auf dem Weltmarkt. Die Beträge, die usbekische Arbeitsmigranten aus dem Ausland überwiesen, sanken um mehr als 45%. Schätzungen zufolge arbeiteten allein in Russland mehr als 2 Mio. usbekische Migranten.

Nach Angaben der Behörden bestand eine erhöhte Terrorgefahr infolge des Wiedererstarkens bewaffneter Gruppen wie der Islamischen Bewegung Usbekistans (IMU). Außerdem gab es Berichte, die IMU sei in Afghanistan ein taktisches Bündnis mit der bewaffneten Gruppe Islamischer Staat (IS) eingegangen. Die Behörden verstärkten ihre repressiven Maßnahmen gegen mutmaßliche Extremisten. Betroffen waren insbesondere zurückgekehrte Arbeitsmigranten, von denen viele von den Behörden verdächtigt wurden, nach Syrien gereist zu sein, um für den IS zu kämpfen.

Folter und andere Misshandlungen

Angehörige der Polizei und des Nationalen Sicherheitsdienstes (SNB) setzten nach wie vor regelmäßig Folter und andere Misshandlungen ein, um Tatverdächtige und Gefangene dazu zu zwingen, eine Straftat zu "gestehen" oder andere zu belasten. Betroffen waren auch Personen, denen Straftaten wie Diebstahl, Betrug oder Mord zur Last gelegt wurden. Die größte Gefahr, gefoltert zu werden, bestand für Inhaftierte, denen staatsfeindliche oder terroristische Verbrechen zur Last gelegt wurden. Häufig wurden die Häftlinge von Maskierten gefoltert.

Polizei und SNB zogen regelmäßig Strafgefangene dazu heran, Untersuchungshäftlinge zu foltern oder in anderer Weise zu misshandeln, da Strafgefangene im Gegensatz zu Angehörigen der Sicherheitskräfte laut Strafrecht nicht für Folter verantwortlich gemacht werden können, sondern lediglich für geringere Vergehen. Ein ehemaliger Häftling gab an, er habe mitangesehen, wie Sicherheitsbeamte und Strafgefangene Männer und Frauen in einem Untersuchungsgefängnis des SNB folterten. Dies sei in Verhörräumen geschehen, aber auch in Waschräumen, Duschen, Isolationszellen und speziell zu diesem Zweck eingerichteten schalldichten Folterkammern mit gepolsterten Gummiwänden. Er berichtete, Angehörige des SNB hätten Häftlinge an Heizkörper gefesselt und ihnen mit Baseballschlägern die Knochen gebrochen.

Die Gerichte stützten sich bei der Urteilsfindung weiterhin stark auf "Geständnisse", die unter Folter erpresst wurden. Beschwerden von Angeklagten über Folter und andere Misshandlungen wurden von Richtern routinemäßig ignoriert oder als unbegründet zurückgewiesen, selbst in Fällen, in denen glaubhafte Beweise dafür vorlagen.
Zwei Männer, die 2014 wegen mutmaßlicher Mitgliedschaft in einer verbotenen islamistischen Partei zu je zehn Jahren Haft verurteilt worden waren, gaben vor Gericht an, Angehörige der Sicherheitskräfte hätten sie gefoltert. Diese hätten ihnen Hände und Füße an einem Ofen verbrannt, um "Geständnisse" zu erzwingen. Einer der Angeklagten sagte dem Richter, ihm seien die Finger- und Zehennägel ausgerissen worden. Der Richter ging den Foltervorwürfen jedoch nicht nach und ließ die "Geständnisse" als Beweismittel zu.

Im Juli 2015 überprüfte der UN-Menschenrechtsausschuss den vierten regelmäßigen Bericht Usbekistans. Die Regierung bestritt den weitverbreiteten Einsatz von Folter und anderen Misshandlungen durch Angehörige der Sicherheitskräfte und das Gefängnispersonal. Sie bestand darauf, dass das Land seine Verpflichtungen gemäß dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte erfüllt habe, da das Folterverbot in der Verfassung verankert und in der Strafprozessordnung an einer Stelle erwähnt sei. In seinen abschließenden Bemerkungen forderte der Ausschuss die Behörden nachdrücklich auf, "dafür zu sorgen, dass das Verbot erzwungener Geständnisse und die Unzulässigkeit von durch Folter erlangten Beweismitteln von Beamten mit Polizeibefugnissen und Richtern in der Praxis effektiv umgesetzt wird".

Haftbedingungen

Es wurde weiterhin Gebrauch von Paragraph 221 des Strafgesetzbuchs gemacht, der bei mutmaßlichen Verstößen gegen Gefängnisregeln eine willkürliche Verlängerung der Haftstrafe erlaubt, selbst wenn es sich nur um geringfügige Verstöße handelt. Dies führte dazu, dass viele Gefangene de facto lebenslängliche Haftstrafen verbüßten, vor allem diejenigen, die wegen staatsfeindlicher Straftaten verurteilt worden waren. Der Menschenrechtsverteidiger und gewaltlose politische Gefangene Azam Farmonov, dessen Verurteilung im Jahr 2006 größtenteils auf erzwungenen Zeugenaussagen beruhte, sollte nach Verbüßen einer neunjährigen Haftstrafe im Gefängnis Jaslyk Ende April 2015 entlassen werden. Nach einem grob unfairen und nichtöffentlichen Verfahren ohne Rechtsbeistand verlängerte das Gericht seine Strafe um weitere fünf Jahre. Ihm wurde vorgeworfen, er habe gegen Gefängnisregeln verstoßen, indem er sich über Mitgefangene lustig gemacht und nicht die korrekte Häftlingskennzeichnung getragen habe. Im Juli 2015 erzählte Azam Farmonov seiner Frau bei einem Besuch in der Haftanstalt, man habe ihn im März zehn Tage lang in eine Isolationszelle gesperrt, ihn mit Handschellen gefesselt und ihm mehrfach eine Plastiktüte über den Kopf gestülpt und diese festgebunden, um ihm die Luftzufuhr abzuschneiden. Außerdem musste er die Schreie von Gefangenen mitanhören, die in den benachbarten Zellen gefoltert wurden.

Der frühere Parlamentsabgeordnete Murad Dzhuraev, der 1994 festgenommen und aufgrund einer politisch motivierten Anklage zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden war, kam am 12. November 2015 schließlich frei, nachdem sein Strafmaß viermal willkürlich verlängert worden war.

Antiterrormaßnahmen und Sicherheit

Die Behörden begegneten Arbeitsmigranten, die aus dem Ausland zurückkehrten, wo sie möglicherweise Zugang zu in Usbekistan zensierten oder verbotenen Informationen über den Islam hatten, mit wachsendem Misstrauen. Dies führte 2015 zu einer erhöhten Zahl von Festnahmen und strafrechtlichen Verfahren wegen "Extremismus". Nach Ansicht der Behörden wurden usbekische Arbeitsmigranten in Russland von der IMU, dem IS und anderen als extremistisch eingestuften Gruppen gezielt angeworben.

Im November 2015 nahmen Angehörige der Sicherheitskräfte bei Razzien in der Hauptstadt Taschkent und in anderen Regionen des Landes Dutzende Arbeitsmigranten fest, die aus Russland und der Türkei zurückgekehrt waren. Grundlage waren Mutmaßungen, es handele sich um Mitglieder der verbotenen islamistischen Partei Hizb ut-Tahrir mit Verbindungen zu IS-Mitgliedern in Syrien. Menschenrechtsverteidiger berichteten, dass die Sicherheitskräfte Folter anwendeten, um "Geständnisse" zu erpressen.

Verfolgung von Familienmitgliedern

Die Behörden gingen regelmäßig und gezielt gegen Angehörige von Personen vor, die wegen staatsfeindlicher Straftaten angeklagt oder verurteilt waren. In vielen Fällen wurden Familienmitglieder willkürlich inhaftiert, gefoltert und in anderer Weise misshandelt. Sie sollten fingierte Vorwürfe "gestehen" und wurden nach unfairen Verhandlungen zu langen Haftstrafen verurteilt.

Eine Frau berichtete, dass die meisten ihrer männlichen Familienmitglieder lange Haftstrafen verbüßten, weil sie wegen Mitgliedschaft in einer verbotenen islamistischen Organisation schuldig gesprochen worden waren oder das Land verlassen hatten, weil sie um ihr Leben fürchteten. Alle seien von Angehörigen der Sicherheitskräfte zu "Geständnissen" gezwungen worden. Sie selbst musste regelmäßig auf der örtlichen Polizeiwache erscheinen, wurde in Gewahrsam genommen und verprügelt - als Strafe dafür, Mitglied einer "extremistischen Familie" zu sein, und um sie zu zwingen, den Aufenthaltsort männlicher Verwandter preiszugeben oder diese zu belasten.

Ehemalige Inhaftierte und Angehörige von Gefangenen berichteten, Nachbarschaftskomitees (mahalla) würden für die Sicherheitskräfte geheime Listen mit Namen potenzieller "Verdächtiger" zusammenstellen. Diese Listen würden, teilweise unterstützt von untergeschobenen Beweisen, zu Repressalien, Festnahmen und erpressten "Geständnissen" führen.

Die Polizei stellte außerdem Dossiers über Mitglieder nicht zugelassener religiöser Gemeinschaften zusammen, die auch Informationen über deren Familienangehörige enthielten.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Die Rechte auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit waren 2015 weiterhin stark eingeschränkt. Der UN-Menschenrechtsausschuss zeigte sich in seinen abschließenden Bemerkungen besorgt über "anhaltende Berichte über Schikanen, Überwachung, willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen, Folter und Misshandlungen durch Sicherheitskräfte sowie die strafrechtliche Verfolgung von Journalisten, Regierungskritikern, Menschenrechtsverteidigern und anderen Aktivisten auf der Grundlage konstruierter Anschuldigungen als Vergeltungsmaßnahme für ihr Engagement".

Am 31. Mai 2015 nahmen Polizisten in Chinaz, im Nordosten des Landes, Elena Urlaeva fest, die Leiterin der unabhängigen NGO Human Rights Defenders' Alliance of Uzbekistan, und folterten sie, u. a. durch sexuelle Gewalt. Sie sollte auf diese Weise gezwungen werden, die Speicherkarte ihrer Kamera herauszugeben, auf der sich Aufnahmen befanden, die Zwangsarbeit auf Baumwollfeldern dokumentierten. Polizeibeamte verprügelten Elena Urlaeva, nannten sie eine Verräterin und zogen sie nackt aus. Männliche Polizeibeamte und ein männlicher Sanitäter hielten sie an Armen und Beinen fest, während eine Ärztin zudringliche Untersuchungen ihres Körpers vornahm, um die Speicherkarte zu finden. Anschließend wurde sie für Röntgenaufnahmen in ein nahegelegenes Krankenhaus gebracht. Als sie darum bat, die Toilette benutzen zu dürfen, zwangen die Polizisten sie, auf die Wiese vor dem Krankenhaus zu urinieren. Sie filmten und fotografierten sie und drohten, die Bilder ins Internet zu stellen, falls sie sich über ihre Behandlung beschweren sollte. Später wurde sie ohne Anklage freigelassen.

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