Amnesty International Report 2011 - Zur weltweiten Lage der Menschenrechte

Amtliche Bezeichnung: Republik Côte d'Ivoire
Staatsoberhaupt: Laurent Gbagbo (bis November 2010)
Regierungschef: Guillaume Kigbafori Soro (bis November 2010)
Todesstrafe: für alle Straftaten abgeschafft
Einwohner: 21,6 Mio.
Lebenserwartung: 58,4 Jahre
Kindersterblichkeit (m/w): 129/117 pro 1000 Lebendgeburten
Alphabetisierungsrate: 54,6%

Nach den Präsidentschaftswahlen im November 2010, die zu einer politischen Pattsituation führten, verschärfte sich die Situation im Land dramatisch. Es kam zu schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen, die zumeist von Sicherheitskräften verübt wurden, die aufseiten des bisherigen Präsidenten Laurent Gbagbo standen. Zahlreiche Personen wurden getötet, inhaftiert, entführt oder fielen dem "Verschwindenlassen" zum Opfer. Tausende Menschen flohen in benachbarte Länder oder wurden zu Binnenflüchtlingen im eigenen Land. Angehörige der Neuen Kräfte (Forces Nouvelles - FN), einem politischen Bündnis bewaffneter Oppositionsgruppen, das seit September 2002 den Norden des Landes kontrolliert, begingen auch 2010 immer wieder Menschenrechtsverstöße. Vor allem an Straßensperren kam es weiterhin häufig zu Drangsalierungen und tätlichen Übergriffen.

Hintergrund

Die seit 2005 immer wieder verschobenen Präsidentschaftswahlen fanden im November 2010 endlich statt, führten jedoch zu einer politischen Pattsituation. Sowohl der bisherige Präsident Laurent Gbagbo als auch sein Herausforderer Alassane Ouattara beanspruchten den Wahlsieg für sich und ernannten jeweils eigene Kabinette.

Die internationale Gemeinschaft, darunter auch die Afrikanische Union (AU) und die Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten (ECOWAS), erkannten übereinstimmend Alassane Ouattara als Wahlsieger an. Die EU und die USA verhängten Sanktionen gegen Laurent Gbagbo sowie einige seiner engsten Gefolgsleute.

Im Dezember forderte Gbagbo den Abzug der in Côte d'Ivoire stationierten UN-Friedenstruppen (UNOCI) und der französischen Militärmission Licorne. Der UN-Sicherheitsrat lehnte die Forderung Gbagbos jedoch ab und verlängerte das Mandat der UNOCI um weitere sechs Monate. Die französische Regierung erklärte ebenfalls, dass ihre Licorne-Soldaten im Land bleiben würden.

Trotz verschiedener Vermittlungsversuche unter Führung der AU und der ECOWAS war es bis Ende 2010 nicht gelungen, eine politische Lösung zu finden. Unterdessen wurden in dem Land die Grundnahrungsmittel knapp und immer teurer.

Obwohl Tausende von Kämpfern der FN in die Armee integriert wurden, war die 2007 in einem Friedensabkommen in Ouagadougou vereinbarte vollständige Entwaffnung der FN sowie regierungstreuer Milizen Ende 2010 noch nicht abgeschlossen. Dadurch wurde die politische Krise jedoch weiter angefacht, denn beide Seiten bedienten sich ihrer bewaffneten Mitglieder, um politische Gegner einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen.

Polizei und Sicherheitskräfte

Die Sicherheitskräfte gingen das ganze Jahr über mit unverhältnismäßiger Gewalt gegen Protestkundgebungen vor und töteten dabei viele Menschen widerrechtlich. Sie waren auch für häufige Übergriffe verantwortlich, mit denen sie an Straßensperren und bei der Überprüfung von Ausweispapieren Geld erpressten.

  • Im Februar 2010 unterdrückten die Sicherheitskräfte mehrere Demonstrationen mit Gewalt. Dies betraf insbesondere die Stadt Gagnoa, wo mindestens fünf Menschen erschossen wurden. Die Demonstrierenden hatten gegen die von Präsident Gbagbo verfügte Auflösung der Regierung und die Absetzung der Wahlkommission protestiert.
    Nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen verübten Sicherheitskräfte, die gegenüber Laurent Gbagbo loyal waren, außergerichtliche Hinrichtungen. Sie waren außerdem für willkürliche Festnahmen und Fälle von "Verschwindenlassen" verantwortlich.
  • Am 1. Dezember 2010 waren Sicherheitskräfte führend an einem Überfall auf die Büroräume von Alassane Ouattaras Partei Vereinigung der Republikaner (Rassemblement des Républicains - RDR) in Abidjan beteiligt. Bei dem Angriff kamen mindestens vier Menschen ums Leben, einige weitere wurden verletzt.
  • Am 16. Dezember 2010 töteten Sicherheitskräfte und Milizionäre, die aufseiten Laurent Gbagbos standen, bei Massenprotesten gegen die politische Krise in Abidjan mindestens zehn unbewaffnete Demonstrierende. Der Autowäscher Salami Ismaël, der sich in der Nähe befand, aber gar nicht an der Demonstration teilnahm, wurde von zwei vermummten Männern in Militäruniformen erschossen.
  • Am 18. Dezember 2010 wurden Brahima Ouattara und Abdoulaye Coulibaly, zwei Mitglieder der Organisation Bündnis für den Wandel (Alliance pour le changement) in einem Stadtteil von Abidjan von Sicherheitskräften, die zu den Republikanischen Garden gehörten, festgenommen. Ihr Schicksal und ihr Aufenthaltsort waren Ende des Jahres weiterhin unbekannt.

Menschenrechtsverstöße bewaffneter Gruppen

Kämpfer und Unterstützer der FN waren für Menschenrechtsverstöße verantwortlich, darunter Folter und andere Misshandlungen, willkürliche Festnahmen und Erpressungen großen Ausmaßes. Im Norden des Landes herrschte ein Klima der Straflosigkeit, da es dort keine funktionierende Justiz gab.

  • Im April 2010 wurde der Student Amani Wenceslas in Bouaké bei einem Schusswechsel zwischen rivalisierenden FN-Flügeln von einer verirrten Kugel tödlich getroffen. Bei dem Gefecht kamen auch zwei bewaffnete FN-Kämpfer zu Tode.
    Nach den Präsidentschaftswahlen im November bedrohten und schikanierten Angehörige der FN Berichten zufolge im Westen des Landes, im Grenzgebiet zu Liberia, Menschen, die als Anhänger von Laurent Gbagbo galten. Tausende flohen daraufhin nach Liberia.

Gewalt und Straflosigkeit im Westen des Landes

Die Bevölkerung im Westen des Landes wurde das gesamte Jahr über Opfer tätlicher Angriffe und sexuellen Missbrauchs durch kriminelle Banden und Milizionäre, die der Partei von Präsident Gbagbo nahestanden. Weder die regulären Sicherheitskräfte noch die FN, die beide jeweils einen Teil der Region kontrollierten, boten Schutz gegen diese Angriffe. Beide Seiten griffen Menschen an Straßensperren tätlich an und erpressten Geld, ohne dafür auch nur ansatzweise zur Verantwortung gezogen zu werden.

Nach den Wahlen im November gingen mehrere Berichte ein, wonach es zu Zusammenstößen zwischen Anhängern der beiden Präsidentschaftskandidaten kam.

  • Ein pensionierter Gendarm schoss im November 2010 in der Stadt Sinfra auf eine Gruppe mutmaßlicher Anhänger von Alassane Ouattara. Diese gingen daraufhin zum Haus des Mannes und ermordeten seine Frau.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Mehrere Journalisten sowie Tageszeitungen und andere Medien waren 2010 Schikanen und Drohungen durch die Behörden ausgesetzt.

  • Im Mai wurden der Chefredakteur der Tageszeitung L'Expression, Dembél Al Seni, und ein Journalist der Zeitung in die Zentrale des Sicherheitsdienstes (Direction de la surveillance du territoire) einbestellt. Sie wurden dort stundenlang wegen ihrer Berichterstattung über Demonstrationen von Oppositionsanhängern verhört, die im Februar in Gagnoa stattgefunden hatten. Die Zeitung hatte dem französischen Fernsehsender France 24 Videoaufnahmen zur Verfügung gestellt, auf denen das gewaltsame Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen die Demonstrierenden zu sehen war. Der Sender war nach der Ausstrahlung mit einem mehrtätigen Sendeverbot belegt worden.

Nach den Präsidentschaftswahlen durften einige Zeitungen, die Alassane Ouattara nahestanden, im Dezember mehrere Tage lang nicht erscheinen. Ausländischen Medien, darunter Radio France Internationale und France 24, wurde ebenfalls bis Ende 2010 die Ausstrahlung ihrer Programme verboten.

Verantwortung für Giftmüllskandal

Mehr als ein Jahr nach der außergerichtlichen Einigung zwischen dem Erdölkonzern Trafigura und den Opfern des Giftmüllskandals in Côte d'Ivoire warteten Tausende noch immer auf Schadenersatzzahlungen.

Im Januar ordnete ein ivorisches Berufungsgericht an, die Schadenersatzzahlungen sollten an eine Gruppe namens Nationale Koordination für die Opfer des Giftmüllskandals in Côte d'Ivoire (Coordination nationale des victimes de déchets toxiques de Côte d'Ivoire - CNVDT-CI) überwiesen werden. Diese Gruppe erhob fälschlicherweise den Anspruch, sie würde die 30000 Opfer vertreten, die an der außergerichtlichen Einigung mit der Firma Trafigura in Großbritannien beteiligt waren.

Nach der Gerichtsentscheidung bezüglich der Überweisung des Geldes an die CNVDT-CI sahen die Rechtsanwälte der Kläger keine andere Möglichkeit, als sich mit dieser Gruppe über die Verteilung der Mittel zu verständigen. Der anschließende gemeinsame Verteilungsprozess war von zahlreichen Verzögerungen und anhaltender Kritik an der Rolle der CNVDT-CI geprägt. Bis Juli hatten ca. 23000 Betroffene Schadenersatzzahlungen erhalten. Kurze Zeit später wurde der gemeinsame Verteilungsprozess jedoch abgebrochen. Im September nahm die CNVDT-CI die Verteilung der Mittel wieder auf, stellte sie später jedoch erneut ein.

Ende des Jahres warteten Tausende von Anspruchsberechtigten noch immer auf die Auszahlung des Schadenersatzes. Angesichts der mangelnden Transparenz im Verfahren und Vorwürfen bezüglich Veruntreuung gab es schwerwiegende Befürchtungen, was den Verbleib der noch nicht ausgezahlten Beträge anging.

Amnesty International: Berichte

Côte d'Ivoire: Thousands still waiting to receive compensation over toxic waste dumping (AFR 31/002/2010)

Côte d'Ivoire security forces urged to protect civilians as tensions rise, 6 December 2010

Côte d'Ivoire: Security forces kill at least nine unarmed demonstrators, 16 December 2010

Cote d'Ivoire: Injured protesters denied medical care, 17 December 2010

Côte d'Ivoire: Defenceless people need urgent protection from escalating violence, 21 December 2010

Côte d'Ivoire: Human Rights Council special session misses opportunity to protect Ivorian population, 24 December 2010

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