Dokument #1301845
Amnesty International (Autor)
Amtliche Bezeichnung:
Demokratische Republik Kongo
Staatsoberhaupt: Joseph Kabila
Regierungschef: Matata Ponyo Mapon
(löste im April Adolphe Muzito im Amt ab)
Die bereits prekäre Sicherheitslage im Osten der Demokratischen Republik Kongo (DR Kongo) verschlechterte sich in bedenklichem Ausmaß. Gründe dafür waren die zunehmende Ausbreitung bewaffneter Gruppen wie der neu gegründeten Gruppe 23. März (Mouvement du 23-Mars - M23), der einfache Zugang zu Waffen und Munition sowie die von den kongolesischen Streitkräften verübten Menschenrechtsverletzungen. Sowohl die bewaffneten Gruppen als auch die Sicherheitskräfte der Regierung bedrohten und schikanierten Menschenrechtsverteidiger, Journalisten sowie Angehörige der politischen Opposition und nahmen sie willkürlich fest.
Am 28. April 2012 ernannte der neugewählte Präsident Joseph Kabila nach monatelangem Streit über die Wahlergebnisse eine neue Regierung.
Die Armee (Forces Armées de la République Démocratique du Congo - FARDC) führte ihren Prozess der Neuausrichtung fort, der auch die teilweise Integration bewaffneter Gruppen in die Armee vorsah. Die Restrukturierung verlief unkoordiniert und führte schließlich dazu, dass bewaffnete Gruppen die Kontrolle über Gebiete übernahmen, die von der FARDC geräumt worden waren.
Im April 2012 gründeten Deserteure der FARDC in Nord- und Südkivu die bewaffnete Gruppe M23. Zuvor hatte General Bosco Ntaganda, der vor dem Internationalen Strafgerichtshof wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen unter Anklage steht, zur Meuterei aufgerufen. Die M23 behauptete, sie kämpfe dafür, dass die Regierung der DR Kongo das Friedensabkommen vom 23. März 2009 vollständig respektiere.
Zusammenstöße zwischen der FARDC und bewaffneten Gruppen führten zu einer Verschlechterung der Sicherheitslage und trieben Tausende von Menschen zur Flucht aus ihren Wohnorten. Gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Soldaten der FARDC und Kämpfern der M23 fanden zwischen April und September und nochmals im November statt, als Goma, die Hauptstadt von Nordkivu, elf Tage lang unter die Kontrolle der M23 fiel. Auch andere bewaffnete Gruppen sollen an den Auseinandersetzungen beteiligt gewesen sein. Dabei verübten alle Konfliktparteien zahlreiche Menschenrechtsverstöße.
Übergriffe der bewaffneten Gruppen auf die Zivilbevölkerung nahmen zu.
Die von den Vereinten Nationen zur Friedenssicherung entsandte Mission (United Nations Organization Stabilization Mission in the DR Congo - MONUSCO) ergriff mehrere Maßnahmen, um die Sicherheit wiederherzustellen, und verstärkte ihre Präsenz in den von der FARDC geräumten Gebieten. Aufgrund ihrer bereits überstrapazierten Ressourcen waren ihre Möglichkeiten, die Sicherheit der Zivilbevölkerung in ausreichendem Maße zu gewährleisten, jedoch stark limitiert.
Im Jahr 2012 dokumentierten die UN-Expertengruppe für die DR Kongo, Amnesty International und mehrere internationale NGOs die Hilfestellung, die Ruanda der M23 gewährte. So ermöglichte und unterstützte Ruanda auf seinem Territorium die Rekrutierung von Kämpfern für die M23 und belieferte die Gruppe mit Waffen und Munition.
Nachdem es im November erneut Kämpfe zwischen der M23 und der FARDC gegeben hatte und Goma zeitweilig durch die M23 erobert worden war, begannen am 9. Dezember Verhandlungen zwischen den Ländern der Region unter der Schirmherrschaft der Internationalen Konferenz der Region der Großen Seen.
Mit der Truppenverlegung der FARDC zur Bekämpfung der M23 in der östlichen DR Kongo entstand ein Sicherheitsvakuum in anderen Gebieten. Dies ermöglichte es mehreren bewaffneten Gruppen, während der Ausdehnung ihrer militärischen Operationen auf diese Gebiete schwere Menschenrechtsverstöße zu begehen. Zu diesen Gruppen gehörten u.a. Raia Mutomboki, Nyatura, Forces Démocratiques de Libération du Rwanda (FDLR), Forces Nationales de Libération (Burundi), Mayi Mayi Sheka und Alliance des Patriotes pour un Congo Libre et Souverain.
Zu den von diesen Gruppen begangenen Menschenrechtsverstößen zählten rechtswidrige Tötungen, Massenhinrichtungen, Zwangsrekrutierungen von Kindern, Vergewaltigungen und anderweitige sexuelle Gewalt, umfangreiche Plünderungen und Zerstörung von Eigentum. Dabei wurde extreme Gewalt angewandt. In einigen Fällen waren die Verstöße ethnisch motiviert. Die Situation wurde durch die leichte Verfügbarkeit von Waffen und Munition noch zusätzlich angeheizt.
Andere bewaffnete Gruppen waren weiterhin im Nordosten des Landes aktiv, darunter die Lord's Resistance Army (LRA), die Mayi Mayi Lumumba und die Allied Democratic Forces/ National Army for the Liberation of Uganda (ADF/NALU).
Frauen und Kinder waren die Leidtragenden der verschärften Kampfhandlungen und wurden in vielen Fällen Opfer von Vergewaltigung und anderen Formen sexueller Gewalt. Täter waren sowohl Angehörige der FARDC als auch der bewaffneten Gruppen. Frauen und Mädchen in Dörfern, in denen die bewaffneten Gruppen und die Armee Plünderungen und Operationen zur Einschüchterung durchführten, waren besonders gefährdet. Das Gleiche galt für diejenigen, die in Lagern für Vertriebene lebten und häufig lange Wege zurücklegen mussten, um zu ihren Feldern zu gelangen.
Sexuelle Gewalt war insbesondere dort, wo die Armee in der Nähe der Bevölkerung stationiert war, stark verbreitet.
Auch in anderen Teilen des Landes begingen Angehörige der Polizei und anderer Sicherheitskräfte weiterhin Vergewaltigungen und andere sexuelle Gewalttaten.
Vergewaltigungsopfer wurden gesellschaftlich stigmatisiert und erhielten keine ausreichende Unterstützung oder Hilfe.
Sowohl bewaffnete Gruppen als auch die FARDC rekrutierten Kinder. Viele von ihnen waren sexueller Gewalt und grausamer und unmenschlicher Behandlung ausgesetzt, während sie als Kämpfer, Träger, Köche, Späher, Spione oder Boten eingesetzt wurden.
Am 4. Oktober 2012 unterzeichnete die Regierung der DR Kongo einen im Rahmen der Resolutionen 1612 (2005) und 1882 (2009) des UN-Sicherheitsrats angenommenen Aktionsplan zur Beendigung der Rekrutierung von Kindern. Der Plan sah konkrete Schritte für die Freilassung und Reintegration der von den staatlichen Sicherheitskräften eingesetzten Kinder und die Verhinderung erneuter Rekrutierungen vor.
MONUSCO führte weiterhin Maßnahmen zur Demobilisierung, Entwaffnung, Repatriierung, Wiederansiedlung und Reintegration von Soldaten der FDLR, einschließlich Kindersoldaten, durch.
Teilweise als Folge der Ausweitung der Kampfhandlungen im Osten der DR Kongo seit April 2012 stieg die Zahl der Binnenvertriebenen im Berichtsjahr auf mehr als 2,4 Mio. an. Das war seit 2009 die höchste Zahl von innerhalb des Landes vertriebenen Menschen. Am 1. November 2012 gab es allein in den Provinzen Nord- und Südkivu etwa 1,6 Mio. Binnenvertriebene. Viele der Personen, die ihre Heimatorte verlassen hatten, waren Zivilpersonen, die vor der Zwangsrekrutierung durch bewaffnete Gruppen geflohen waren.
Folter und andere Misshandlungen waren im ganzen Land verbreitet und wurden von den Sicherheitskräften häufig während rechtswidriger Festnahmen und Inhaftierungen angewandt.
Militärgerichte sprachen weiterhin Todesurteile aus - auch gegen Zivilpersonen. Es gab keine Meldungen über Hinrichtungen.
Die Straflosigkeit leistete weiteren Menschenrechtsverstößen Vorschub. Die Bemühungen der Justizbehörden, die Kapazitäten der Gerichte zu erhöhen, um Verfahren - auch solche, in denen es um Menschenrechtsverstöße geht - effizienter und zügiger durchzuführen, waren wenig erfolgreich; in vielen älteren Fällen wurden keine Fortschritte erzielt. Die im Jahr 2011 vom Justizministerium ergriffene Initiative zum Kampf gegen die Straflosigkeit für zurückliegende und aktuelle Völkerrechtsverbrechen kam zum Stillstand, und den Opfern wurde weiterhin der Zugang zu Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung verwehrt.
Gerichtsbeschlüsse wurden nicht umgesetzt, und in wichtigen Fällen wie den in den Jahren 2010 und 2011 in Walikale, Bushani und Kalambahiro verübten Massenvergewaltigungen wurden keine weiteren Fortschritte erzielt.
Obwohl das Ministerium für Justiz und Menschenrechte die zivilen und militärischen Justizbehörden im Februar 2012 aufgefordert hatte, Ermittlungen über Vorwürfe der Gewaltanwendung im Zusammenhang mit den Wahlen aufzunehmen, gab es während des Berichtsjahrs kaum Anzeichen dafür, dass es bei den Ermittlungen Fortschritte gegeben hatte.
Mangelnde Unabhängigkeit der Gerichte, Verletzungen der Rechte von Angeklagten, fehlende Verfügbarkeit von Rechtsbeiständen und Korruption waren einige der Faktoren, die die Durchführung fairer Gerichtsverfahren behinderten.
Das äußerst mangelhafte kongolesische Militärjustizsystem hatte weiterhin die alleinige Zuständigkeit für Fälle von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen inne, auch wenn es sich bei den Angeklagten um Zivilpersonen handelte.
Das Strafvollzugssystem war weiterhin stark unterfinanziert, sodass es nicht möglich war, die maroden Gebäude instand zu setzen, gegen die Überbelegung vorzugehen und die extrem schlechten Hygienebedingungen zu verbessern.
Zahlreiche Insassen starben in Gefängnissen oder Krankenhäusern infolge von Mangelernährung und unzureichender medizinischer Versorgung. Die unsichere Lage für Häftlinge wurde noch dadurch verstärkt, dass Frauen nicht von Männern, Untersuchungshäftlinge nicht von verurteilten Insassen und Militärangehörige nicht von Zivilpersonen getrennt untergebracht waren.
Die Sicherheitslage für Menschenrechtsverteidiger im Osten des Landes verschlechterte sich 2012 immer weiter. Menschenrechtsverteidiger waren in zunehmendem Maße Einschüchterungen ausgesetzt. Oft wurden sie willkürlich festgenommen oder erhielten Morddrohungen von Angehörigen der Sicherheitskräfte, der bewaffneten Gruppe M23 oder von unbekannten bewaffneten Männern, wodurch ihre Arbeit stark beeinträchtigt wurde.
Ab Juli, als die M23 die Kontrolle über die Stadt Rutshuru in Nordkivu übernahm, mussten Menschenrechtsverteidiger ihre Büros schließen. Viele flohen, nachdem sie wiederholt in Textmitteilungen und anonymen Telefonanrufen oder bei nächtlichen Besuchen von bewaffneten Männern Morddrohungen erhalten hatten. Ende November, als die M23 die zeitweilige Kontrolle über Goma übernahm, flohen ebenfalls viele in der Stadt ansässige Menschenrechtsverteidiger, um sich in Sicherheit zu bringen.
Am 6. Dezember billigte die Nationalversammlung das Gesetz zur Einrichtung einer Nationalen Menschenrechtskommission. Nach ihrer Gründung soll die Kommission die Behörden dabei unterstützen, ihren Menschenrechtsverpflichtungen nachzukommen.
Im ganzen Land kam es weiterhin zu willkürlichen Festnahmen und Inhaftierungen. Sicherheitskräfte, vor allem die Polizei, die Geheimdienste, die Armee und die Migrationspolizei führten willkürliche Festnahmen durch und nötigten Zivilpersonen während der Strafvollzugsmaßnahmen oder an Kontrollposten zur Herausgabe von Geld oder anderen Wertgegenständen. Vor allem in den westlichen Provinzen führten Sicherheitskräfte willkürliche Festnahmen zum eigenen Nutzen und zur rechtswidrigen Erpressung von Geldzahlungen durch.
Mitglieder der politischen Opposition wurden nach den Wahlen willkürlich festgenommen. Im Februar 2012 nahmen Sicherheitskräfte einen führenden Oppositionspolitiker in Gewahrsam. Bevor sie ihn nach einigen Tagen wieder freiließen, sollen sie ihn gefoltert und anderweitig misshandelt haben.
Das Recht auf freie Meinungsäußerung war erheblich eingeschränkt, vor allem in der Zeit nach den Wahlen und nach der zunehmenden Kontrolle des Ostens durch die M23. Bevorzugte Angriffsziele waren politische Gegner und Journalisten, die bedroht oder willkürlich festgenommen wurden. Die Behörden legten den Betrieb von TV-Kanälen, Radiostationen und Zeitungsverlagen willkürlich still. Zudem verübten unbekannte Täter Brandanschläge auf die Gebäude der Sendeanstalten und Verlage oder beschädigten sie auf andere Weise.
Am 10. Juli 2012 verurteilte der Internationale Strafgerichtshof (International Criminal Court - ICC) Thomas Lubanga Dyilo zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren. Thomas Lubanga Dyilo war mutmaßlicher Gründer und Präsident der Union Kongolesischer Patrioten (Union des Patriotes Congolais - UPC) sowie Kommandeur der Patriotischen Kräfte zur Befreiung des Kongo (Forces Patriotiques pour la Libération du Congo - FPLC), dem bewaffneten Flügel der UPC. Er war am 14. März wegen des Kriegsverbrechens für schuldig befunden worden, Kinder unter 15 Jahren rekrutiert und eingezogen und sie bei Kampfhandlungen im Bezirk Ituri aktiv eingesetzt zu haben.
Am 13. Juli 2012 erließ der ICC einen Haftbefehl gegen den mutmaßlichen Kommandeur des bewaffneten Flügels der Demokratischen Kräfte für die Befreiung Ruandas (Forces Démocratiques de Libération du Rwanda - FDLR), Sylvestre Mudacumura. Ihm wurden neun Fälle von Kriegsverbrechen vorgeworfen, die zwischen Januar 2009 und September 2010 im Osten der DR Kongo verübt worden sein sollen.
Ein zweiter Haftbefehl erging im Juli gegen Bosco Ntaganda. Ihm werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit in drei Fällen sowie Kriegsverbrechen in vier Fällen zur Last gelegt. Die kongolesischen Behörden hatten es abgelehnt, Bosco Ntaganda vor seiner Desertion aus der kongolesischen Armee im April festzunehmen und auszuliefern.
Am 18. Dezember 2012 sprach der ICC Mathieu Ngudjolo Chui, den mutmaßlichen ehemaligen Führer der Front für Nationale Integration (Front des Nationalistes et Intégrationnistes - FNI), von den Vorwürfen frei, im Februar 2003 im Dorf Bogoro verübte Verbrechen begangen zu haben.
Delegierte von Amnesty International besuchten die DR Kongo in den Monaten Februar, Mai und September.
© Amnesty International
Amnesty International Report 2013 - The State of the World's Human Rights - Democratic Republic Of The Congo (Periodischer Bericht, Englisch)