Amnesty International Report 2015/16 - The State of the World's Human Rights - China

 

 

Eine Reihe neuer Gesetze, die als Entwurf vorgelegt oder in Kraft gesetzt wurden und vorgeblich die nationale Sicherheit schützen sollten, drohten die Menschenrechte gravierend einzuschränken. Die Regierung ging im ganzen Land massiv gegen Menschenrechtsanwälte vor. Politisch engagierte Bürger und Menschenrechtsverteidiger waren nach wie vor das Ziel systematischer Drangsalierungen und Einschüchterungen. Fünf Frauenrechtsaktivistinnen wurden in Haft genommen, weil sie am Internationalen Frauentag eine Aktion gegen sexuelle Belästigung durchführen wollten. Die Behörden verschärften ihre Kontrolle über das Internet, die Massenmedien sowie akademische Einrichtungen und Hochschulen. Die Zahl der im Fernsehen ausgestrahlten "Geständnisse" von Kritikern in Untersuchungshaft nahm um ein Vielfaches zu. Die Religionsfreiheit wurde weiterhin systematisch unterdrückt. Die Regierung fuhr damit fort, in der Provinz Zhejiang Kirchen abzureißen und christliche Kreuze zu entfernen. In der vornehmlich von Muslimen bewohnten Uigurischen Autonomen Region Xinjiang (Sinkiang) erließ die Regionalregierung neue Vorschriften, mit denen religiöse Angelegenheiten noch stärker kontrolliert und alle nicht genehmigten religiösen Praktiken untersagt werden. Die Regierung übte auch weiterhin eine strenge Kontrolle über tibetische buddhistische Klöster aus. Der UN-Ausschuss gegen Folter bemängelte, dass frühere Empfehlungen nicht umgesetzt wurden.

Menschenrechtsverteidiger

Menschenrechtsverteidiger, Anwälte, Journalisten und politisch engagierte Menschen mussten zunehmend mit Einschüchterungen, Drangsalierungen, willkürlicher Festnahme und tätlichen Angriffen rechnen.

Die Inhaftierung der Rechtsanwältin Wang Yu und ihrer Familie am 9. Juli 2015 war der Beginn eines beispiellosen massiven Vorgehens der Regierung gegen Menschenrechtsanwälte und andere engagierte Bürger. In den darauffolgenden Wochen verhörten Agenten der Staatssicherheit mindestens 248 Rechtsanwälte und Aktivisten oder nahmen sie in Gewahrsam; viele ihrer Büros und Wohnungen wurden durchsucht. Zum Jahresende galten 25 Personen immer noch als vermisst oder waren inhaftiert. Mindestens zwölf von ihnen, darunter die prominenten Menschenrechtsanwälte Zhou Shifeng, Sui Muqing, Li Heping und Wang Quanzhang, befanden sich wegen des Verdachts der Beteiligung an Straftaten gegen die nationale Sicherheit unter "Hausarrest an einem festgelegten Ort". Diese Form der Inhaftierung ermöglicht es der Polizei, Personen, die solcher Straftaten verdächtigt werden, bis zu sechs Monate außerhalb des formellen Systems, das die Inhaftierung von Personen regelt, festzuhalten, ohne dass diese Zugang zu einem Rechtsbeistand oder ihren Familien erhalten. Familienangehörige wurden ebenfalls von der Polizei observiert, schikaniert und in ihrer Freizügigkeit eingeschränkt.

Der Menschenrechtsanwalt Pu Zhiqiang erhielt eine dreijährige Bewährungsstrafe, weil er "Streit angefangen und Ärger provoziert" sowie "Hass zwischen Volksgruppen geschürt" haben soll. Diese Anklagen stützten sich hauptsächlich auf Kommentare von ihm in den sozialen Medien. Wegen des Schuldspruchs wurde ein Berufsverbot gegen ihn verhängt.

Im April 2015 verhängte ein Gericht in der Hauptstadt Peking gegen die Journalistin Gao Yu eine siebenjährige Freiheitsstrafe wegen der "Offenlegung von Staatsgeheimnissen", weil sie ein internes Dokument der Kommunistischen Partei an andere weitergeleitet hatte. Darin wurden die Pressefreiheit und "universelle Werte" wie Freiheit, Demokratie und die Menschenrechten auf das Schärfste angegriffen. Das Strafmaß wurde im November auf fünf Jahre herabgesetzt, und Gao Yu durfte das Gefängnis aus medizinischen Gründen verlassen, nachdem ihre Familie und Freunde geltend gemacht hatten, dass sie in der Haft keinen Zugang zur notwendigen medizinischen Versorgung hatte.

Von den über 100 Personen, die auf dem chinesischen Festland wegen der Unterstützung der Proteste von 2014 in Hongkong inhaftiert worden waren, wurden acht formell verhaftet. Sie waren im Dezember 2015 nach wie vor in Haft. Mindestens zwei von ihnen wurden dem Vernehmen nach in der Haft gefoltert.

Im März 2015 wurden fünf Frauen, die sich für die Frauenrechte einsetzen - Wei Tingting, Wang Man, Wu Rongrong, Li Tingting und Zheng Churan - festgenommen und inhaftiert, weil sie "Streit angefangen und Ärger provoziert" haben sollen, als sie beabsichtigten, am Internationalen Frauentag eine Aktion gegen sexuelle Belästigung durchzuführen. Sie kamen am 13. April bis zum Prozessbeginn gegen Kaution frei, nachdem von internationaler Seite in bislang nicht gekanntem Maße Druck ausgeübt worden war. Sie wurden jedoch danach weiter verhört, erhielten Räumungsbescheide, und persönliche Gegenstände von ihnen wurden beschlagnahmt.

Zahlreiche ehemalige Beschäftigte und ehrenamtliche Mitarbeiter von Yirenping, einer bekannten Organisation, die sich gegen Diskriminierung einsetzt, kamen in Haft und wurden Opfer von Drangsalierungen und Einschüchterungen. Zwei ehemalige Angestellte, Guo Bin und Yang Zhangqing, wurden am 12. Juni 2015 wegen des Verdachts auf "rechtswidrige Geschäfte" in Haft genommen und am 11. Juli gegen Kaution wieder auf freien Fuß gesetzt.

Im Dezember 2015 gerieten mindestens 33 Arbeiter und Arbeitnehmervertreter ins Visier der Polizei. Sieben von ihnen wurden in der Provinz Guangdong (Kanton) inhaftiert, wo Proteste von Belegschaften und Streiks zunahmen. Die Untersuchungsgefängnisse gewährten Anwälten keinen Zugang zu den Festgenommenen und begründeten dies damit, bei den Fällen gehe es um "Gefährdung der nationalen Sicherheit".

Gesetzliche, verfassungsrechtliche und institutionelle Entwicklungen

Die Regierung verabschiedete eine Reihe weitreichender Gesetze und Verordnungen bzw. legte Gesetzentwürfe vor, die vorgeblich die nationale Sicherheit erhöhen sollten. Es wurden Befürchtungen laut, diese könnten dazu dienen, kritische Stimmen und Menschenrechtsverteidiger mittels breit gefasster Anklagen wie "Anstiftung zur Subversion", "Separatismus" oder "Weitergabe von Staatsgeheimnissen" zum Schweigen zu bringen. Das am 1. Juli 2015 in Kraft gesetzte Nationale Sicherheitsgesetz gab Anlass zur Sorge, da es eine weite und vage Definition der "nationalen Sicherheit" enthält, die Bereiche wie Politik, Kultur, Finanzen und das Internet umfasst.

Sollte ein Gesetzentwurf über NGOs in der Form, wie er im Mai 2015 zwecks Konsultierung der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, verabschiedet werden, würden damit die Rechte auf Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit sowie freie Meinungsäußerung in gravierender Weise beschnitten. Das Gesetz wurde zwar vorgeblich mit dem Ziel formuliert, die Rechte ausländischer NGOs zu regulieren und sogar zu schützen, doch würde es das Ministerium für öffentliche Sicherheit ermächtigen, die Registrierung und Tätigkeit von NGOs zu beaufsichtigen, die dann für Aktivitäten jeweils vorab eine Genehmigung einholen müssten. Der vom Gesetz zugestandene große Ermessensspielraum der Staatsorgane bei der Überwachung und Verwaltung von NGOs würde das Risiko von Menschenrechtsverteidigern und NGO-Mitarbeitern erhöhen, eingeschüchtert und strafrechtlich verfolgt zu werden.

Der Gesetzentwurf über Internetsicherheit, mit dem vorgeblich die personenbezogenen Daten von Internetnutzern vor Hackerangriffen und Diebstahl geschützt werden sollten, sah vor, dass in China tätige Unternehmen Inhalte zensieren, Nutzerdaten in China speichern und ein System der Registrierung mit dem Klarnamen einrichten müssen. Diese Vorgaben würden nationalen und internationalen Verpflichtungen zur Wahrung der Rechte auf freie Meinungsäußerung und auf Privatsphäre zuwiderlaufen. Das Gesetz würde es Einzelpersonen und Gruppen untersagen, das Internet zu nutzen, um "die nationale Sicherheit zu beeinträchtigen", "die Gesellschaftsordnung zu stören" oder "nationalen Interessen zu schaden" - vage und unpräzise Formulierungen, mit denen die freie Meinungsäußerung weiter beschnitten werden könnte.

Der Nationale Volkskongress verabschiedete im Dezember 2015 das Antiterrorgesetz. Es enthielt praktisch keine Schutzmaßnahmen, um zu verhindern, dass Personen, die in friedlicher Weise ihre Religion ausüben oder die lediglich Kritik an der Politik der Regierung üben, wegen weit gefasster Anklagen im Zusammenhang mit "Terrorismus" oder "Extremismus" strafrechtlich verfolgt werden.

Recht auf freie Meinungsäußerung - Internet und Journalisten

Die Regierung erklärte im Januar, das Internet würde 2015 das wichtigste "Schlachtfeld" im Rahmen ihrer Kampagne zur "Bekämpfung der Pornographie und gesetzwidriger Informationen" sein. Im selben Monat gab die Regierung bekannt, 50 Webseiten und WeChat-Konten geschlossen zu haben, von denen viele mit der Erörterung aktueller Ereignisse, militärischer Fragen oder Antikorruptionsplattformen in Zusammenhang standen. Ebenfalls geschlossen wurden 133 Konten, über die Informationen verbreitet wurden, die "die Geschichte der Kommunistischen Partei und der Geschichte des Landes verzerrt darstellten". Im Januar 2015 kündigte der Bildungsminister außerdem ein Verbot ausländischer Lehrbücher an, damit der Verbreitung "falscher westlicher Werte" Einhalt geboten werde, und er warnte die Hochschulen davor, sich durch "feindliche Kräfte" infiltrieren zu lassen.

Im August 2015 wurden nach Angaben staatlicher Medien 197 Personen im Zuge einer Kampagne unter Leitung des Ministeriums für öffentliche Sicherheit "bestraft", weil sie angeblich Gerüchte über die Aktienbörse, das Chemieunglück in der Küstenstadt Tianjin Anfang desselben Monats oder andere Sachverhalte gestreut hatten.

Ende August 2015 wurde Wang Xiaolu, ein Reporter der Finanzzeitschrift Caixin, in Haft genommen, nachdem die Regierung ihn bezichtigt hatte, ein von ihm verfasster Artikel über den Aktienmarkt sei "frei erfunden". Man zwang ihn, ein "Geständnis" abzulegen, das vom nationalen Fernsehsender landesweit ausgestrahlt wurde. Der Journalist wurde anschließend unter "Hausarrest an einem festgelegten Ort" gestellt. Beobachter der chinesischen Medienlandschaft gingen davon aus, dass er als Sündenbock herhalten und als abschreckendes Beispiel für die Presse dienen sollte, damit sie keine negativen Nachrichten über den Kurssturz an der Börse verbreitete.

Im Oktober 2015 wurde der investigative Journalist Liu Wei inhaftiert, nachdem er einen Korruptionsskandal aufgedeckt hatte, in den Regierungsbeamte verwickelt waren. Der renommierte Historiker Yang Jisheng musste seinen Posten als Herausgeber der liberalen Zeitschrift Yanhuang Chunqiu räumen, nachdem die staatliche Behörde für Presse, Publikationen, Rundfunk, Film und Fernsehen das Magazin dafür kritisiert hatte, zahlreiche "regelwidrige" Artikel veröffentlicht zu haben.

Religions- und Glaubensfreiheit

Die 2013 gestartete Kampagne zum Abriss von Kirchen und der Entfernung von Kreuzen in der Provinz Zhejiang wurde im Laufe des Jahres 2015 intensiviert. Laut internationalen Medienberichten wurden dabei über 1200 Kreuze zerstört, was zu einer Reihe von Protesten führte. Im Juli erließ die Provinzregierung von Zhejiang eine Verordnung, wonach ein an der Spitze eines Gebäudes angebrachtes Objekt nicht größer sein darf als ein Zehntel der gesamten Größe des Gebäudes. So sollte nach Meinung vieler eine Rechtsgrundlage für die Entfernung von Kreuzen geschaffen werden.

Zhang Kai, ein Rechtsbeistand der betroffenen Kirchen, wurde am 25. August 2015 wegen mutmaßlicher Straftaten gegen die nationale Sicherheit und wegen der "Störung der öffentlichen Ordnung" in Haft genommen und später unter "Hausarrest an einem festgelegten Ort" gestellt. Gegen zahlreiche Pastoren und führende Mitglieder von "Hauskirchen" wurde anschließend ebenfalls dieselbe Form des Gewahrsams ohne Kontakt zur Außenwelt verhängt.

Falun-Gong-Anhänger waren weiterhin der Verfolgung, willkürlichen Inhaftierung, unfairen Gerichtsverfahren sowie Folter und Misshandlung ausgesetzt.

Todesstrafe

Durch im November 2015 in Kraft getretene Änderungen des Strafrechts wurde die Zahl der Straftaten, die mit dem Tode bestraft werden können, von 55 auf 46 reduziert. Nach Angaben staatlicher Medien war es wegen der betroffenen neun Straftatbestände nur selten zu Verurteilungen gekommen, weshalb nach ihrem Wegfall nur ein unwesentlicher Rückgang der Hinrichtungen zu erwarten sei. Die Streichung der Straftatbestände entsprach aber der Regierungsmaxime, "seltener zu töten und dabei mehr Vorsicht walten zu lassen". Trotz dieser Gesetzesänderungen erfüllte das Strafrecht immer noch nicht die völkerrechtlichen Vorgaben und internationalen Normen in Bezug auf die Anwendung der Todesstrafe. Statistiken über die Todesstrafe galten immer noch als Staatsgeheimnisse.

Am 24. April 2015 wurde Li Yan, die ein Opfer häuslicher Gewalt geworden war und ihren Ehemann 2010 getötet hatte, zum Tode verurteilt, wobei die Vollstreckung für zwei Jahre ausgesetzt wurde. In der Regel werden derartige Urteile in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt. Das Oberste Volksgericht hatte 2014 in einem bahnbrechenden Urteil das ursprünglich gegen Li Yan verhängte Todesurteil aufgehoben und eine Neuverhandlung angeordnet. Im ursprünglichen Gerichtsverfahren hatten die Richter Belege für die anhaltende häusliche Gewalt sowie die Bitte von Li Yan um Polizeischutz nicht berücksichtigt. Das Oberste Volksgericht und die Regierung hatten im März 2015 neue Richtlinien für Fälle von häuslicher Gewalt erlassen, darunter auch Empfehlungen zu Urteilen gegen Opfer häuslicher Gewalt, die Straftaten gegen ihre Peiniger begehen. Im Dezember 2015 verabschiedete der Nationale Volkskongress das Gesetz über häusliche Gewalt, demgemäß die Polizei zum ersten Mal verpflichtet wurde, allen Berichten über häusliche Gewalt nachzugehen und ein System gerichtlicher Kontaktverbote zum Schutz der Opfer einzurichten.

Folter und andere Misshandlungen

Folter und andere Misshandlungen waren in der Haft und während Verhören nach wie vor eine weitverbreitete Praxis, was größtenteils auf mangelhafte nationale Rechtsvorschriften, Probleme innerhalb des Strafjustizsystems und Schwierigkeiten bei der Umsetzung von Regeln und Verfahren angesichts tief verwurzelter Praktiken zurückzuführen war. Der Rechtsanwalt Yu Wensheng wurde während seiner von Oktober 2014 bis Januar 2015 dauernden Haft im Untersuchungsgefängnis Daxing in Peking gefoltert. Während der täglich 15- bis 16-stündigen Vernehmungen war er auf einem starren Stuhl fixiert. Außerdem musste er über viele Stunden Handschellen tragen und wurde am Schlafen gehindert.

Häftlingen, deren Gesundheitszustand sich verschlechterte, blieb eine angemessene medizinische Versorgung verwehrt, oder sie waren nicht in der Lage, sich Zugang dazu zu verschaffen. Dies war auch bei Gao Yu und Su Changlan der Fall. Letztere, eine prominente Frauenrechtsaktivistin, blieb das ganze Jahr über inhaftiert, nachdem sie im Oktober 2014 festgenommen worden war, weil sie die prodemokratischen Proteste in Hongkong unterstützt hatte.

Zhou Jinjuan, ein 84-jährige Frau, die ihre Wohnung räumen musste und sich deswegen an Behörden in der Hauptstadt wandte, wurde im August 2015 inhaftiert. In der inoffiziellen Hafteinrichtung, in der sie über eine Woche festgehalten wurde, erhielt sie nicht die erforderliche medizinische Versorgung, was dazu führte, dass sie auf einem Auge das Sehvermögen verlor.

Als Wang Quanzhang, der Verteidiger mehrerer Falun-Gong-Anhänger, am 18. Juni 2015 im Bezirksgericht von Dongchangfu der Stadt Liaocheng (Provinz Shandong) das Wort ergriff, wurde er vom Richter unterbrochen und wegen "Störung der Gerichtsordnung" des Saales verwiesen. Wang Quanzhang gab an, von den im Gericht tätigen Polizisten in einen anderen Raum gezerrt und dort verprügelt worden zu sein.

Im Dezember 2015 empfahl der UN-Ausschuss gegen Folter erneut rechtliche Maßnahmen zur Verhinderung von Folter in China. Er kritisierte die Drangsalierung von Anwälten, Menschenrechtsverteidigern und Bürgern, die sich mit ihren Anliegen an staatliche Stellen gewendet hatten, sowie das Fehlen von Statistiken zur Folter. Zudem forderte er die Staatsführung nachdrücklich auf, Rechtsanwälte nicht mehr dafür zu bestrafen, dass sie gemäß den anerkannten Pflichten ihres Berufsstands tätig werden, sowie die Rechtsvorschriften aufzuheben, die de facto eine Inhaftierung ohne Kontakt zur Außenwelt mittels "Hausarrests an einem festgelegten Ort" ermöglichen.

Sexuelle und reproduktive Rechte

Im Oktober 2015 gab die Regierung eine Änderung der Familienplanungspolitik bekannt. Nachdem diese viele Jahre lang nur geringfügig abgeändert worden waren, verkündete die Staatsführung nun ein Ende der "Ein-Kind-Politik", sodass Ehepaare künftig zwei Kinder haben dürfen. Die bisher für die Landbevölkerung und ethnische Minderheiten geltenden Regelungen, nach denen unter bestimmten Umständen mehr als ein Kind erlaubt war, blieben bestehen. Die Regierung erklärte ferner, sie werde Maßnahmen ergreifen, um den Status von 13 Mio. Kindern zu normalisieren, deren Geburt nicht amtlich registriert worden war, weil sie einen Verstoß gegen die bisherige Politik darstellte.

Autonome Region Tibet und andere tibetische Siedlungsgebiete

Anlässlich des 50. Jahrestags des Bestehens der Autonomen Region Tibet veröffentlichte die chinesische Regierung im September 2015 ein Weißbuch, in dem der vom Dalai Lama propagierte Ansatz eines "Mittelwegs" kategorisch abgelehnt und die "separatistischen Aktivitäten der Dalai-Lama-Gruppe" angeprangert wurden. In einer Feierstunde anlässlich des Jahrestags gelobte Yu Zhengsheng, der zur Führungsriege des Landes gehört, den Separatismus zu bekämpfen, und forderte Armee, Polizei und Justiz in Tibet nachdrücklich auf, sich für einen langwierigen Kampf gegen die "Clique des 14. Dalai Lama" zu rüsten.

Angehörige der Volksgruppe der Tibeter wurden nach wie vor diskriminiert und in ihren Rechten auf Religionsfreiheit, freie Meinungsäußerung sowie Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit eingeschränkt. Eine Reihe von tibetischen Mönchen, Schriftstellern, Protestteilnehmern und politisch engagierten Bürgern, darunter der tibetische Mönch Choephel Dawa und der tibetische Schriftsteller und Blogger Druklo, kamen in Haft. Zum Jahresende waren die gegen sie erhobenen Anklagen und ihr Haftort nicht bekannt.

Tenzin Deleg Rinpoche, ein führender Vertreter der Religionsgemeinschaft und der Volksgruppe der Tibeter, der 2002 wegen der "Anstiftung zum Separatismus" inhaftiert worden war und eine lebenslange Freiheitstrafe verbüßte, starb im Juli 2015. Die Polizei schikanierte seine Familienangehörigen und andere Personen, die sich versammelt hatten, um die Herausgabe seines Leichnams zu fordern, damit die traditionellen buddhistischen Riten vollzogen werden konnten. Entgegen dem Wunsch seiner Familie wurde der Leichnam von Tenzin Deleg Rinpoche auf Anweisung der Staatsorgane eingeäschert. Laut Berichten soll die Polizei auf die Proteste mit übermäßiger und willkürlicher Gewaltanwendung, darunter Einsatz von Tränengas sowie Schusswaffengebrauch, reagiert haben.

Im Laufe des Jahres steckten sich in den von Tibetern besiedelten Gebieten mindestens sieben Personen aus Protest gegen die repressive staatliche Politik in Brand, mindestens fünf von ihnen kamen dabei ums Leben. Die Zahl der bekannt gewordenen Selbstverbrennungen seit 2009 stieg auf 143.

Uigurische Autonome Region Xinjiang

Eine Kampagne namens "Hartes Durchgreifen", die sich gegen "terroristische Gewalt und religiösen Extremismus" richtete und bei ihrem Beginn im Mai 2014 zunächst auf ein Jahr beschränkt war, wurde 2015 verlängert. Im Mai 2015 zog die Staatsführung nach einem Jahr eine Zwischenbilanz und gab an, 181 "Terrorgruppen" zerschlagen zu haben. Es wurde eine steigende Zahl von gewaltsamen Zusammenstößen und Antiterroreinsätzen gemeldet, bei denen zahlreiche Menschen ums Leben kamen oder verwundet wurden.

Am 1. Januar 2015 traten die neuen "Durchführungsbestimmungen für religiöse Angelegenheiten" in der Uigurischen Autonomen Region Xinjiang (Sinkiang) mit dem erklärten Ziel in Kraft, die Internetkommunikation stärker zu kontrollieren und die Rolle der Religion bei "Hochzeiten, Bestattungen, der Kultur und dem Sport" zurückzudrängen. In der Praxis bedeutete dies für die Uiguren noch einschneidendere Restriktionen als die weitreichenden Diskriminierungen, denen die dort lebende vornehmlich muslimische Volksgruppe bereits seit vielen Jahren ausgesetzt war. Ebenfalls im Januar wurde in Ürümqi (Urumtschi), der Hauptstadt der Autonomen Uigurischen Region, ein Burkaverbot verhängt.

Wie bereits in den vergangenen Jahren wurde auf den Webseiten zahlreicher Landkreise der Hinweis veröffentlicht, dass es Grund- und Mittelschülern sowie Mitgliedern der Kommunistischen Partei nicht gestattet sei, die Regeln des Fastenmonats Ramadan einzuhalten.

Abschiebungen aus Nachbarländern

Infolge diplomatischen Drucks vonseiten Chinas wurden im Juli 109 Uiguren aus Thailand nach China abgeschoben, wo ihnen Folter, Verschwindenlassen und die Hinrichtung drohten. Im November 2015 wurden zudem zwei Demokratie-Aktivisten nach China zurückgeführt, denen das Amt des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) den Flüchtlingsstatus zuerkannt hatte und die bereits von anderen Ländern aufgenommen werden sollten. China missachtete nach wie vor die völkerrechtlichen Verpflichtungen gemäß dem Grundsatz der Nichtzurückweisung, indem es Nordkoreaner in ihr Heimatland zurückschickte, wo ihnen Inhaftierung, Gefängnisstrafen, Folter und andere Misshandlungen sowie Zwangsarbeit drohten.

Sonderverwaltungsregion Hongkong

In Hongkong nahm die Polizei im Laufe des Jahres 955 Personen fest, die dort im Zeitraum von September bis Dezember 2014 an Demonstrationen der "Regenschirm-Bewegung" für Demokratie teilgenommen hatten. Weitere 48 der Protestteilnehmenden wurden vorgeladen. Zu den Festgenommenen gehörten Abgeordnete der Opposition, die drei Mitbegründer der Bewegung für zivilen Ungehorsam namens Occupy Central und die führenden Vertreter von zwei Studentenvereinigungen - Alex Chow von der Federation of Students und Joshua Wong von Scholarism, einer prodemokratischen Jugendorganisation. Da die Entscheidung darüber, ob Anklage erhoben wurde, in der Regel mit großem zeitlichen Abstand zur Festnahme erfolgte, war bis Ende 2015 nur gegen eine geringe Anzahl der inhaftierten Protestteilnehmenden ein Urteil ergangen.

Im Oktober 2015 wurde Anklage gegen Ken Tsang Kin-chiu erhoben, einen Demokratie-Aktivisten, der während der Proteste 2014 von der Polizei verprügelt worden war, was ein lokaler Fernsehsender gefilmt hatte. Ihm wurde zur Last gelegt, in einem Fall "Polizeibeamte bei der Ausübung ihrer Dienstpflichten tätlich angegriffen" sowie in vier Fällen "Widerstand gegen Polizeibeamte bei der Ausübung ihrer Dienstpflichten geleistet" zu haben. Die sieben Polizisten, die ihn mutmaßlich verprügelt hatten, wurden am selben Tag wegen "schwerer vorsätzlicher Körperverletzung" angeklagt. Die Polizeibeamten sowie Ken Tsang plädierten im Dezember 2015 jeweils auf nicht schuldig.

Die Leitung der Universität Hongkong wurde wegen Entscheidungen kritisiert, die Anlass zur Sorge um die Wissenschaftsfreiheit in Hongkong gaben. Dazu gehörten die im August 2015 von der Universität gegen den Juraprofessor Benny Tai verhängten Sanktionen wegen seines Umgangs mit anonymen, in Zusammenhang mit den Protesten stehenden Spenden. Die Universitätsleitung warf ihm vor, gegen Hochschulregeln verstoßen zu haben. Im September 2015 lehnte es der Leitungsrat der Universität zudem ab, der Wahl des Nominierungsausschusses zu folgen und den Juraprofessor und ehemaligen Dekan der Rechtsfakultät Johannes Chan Man-mun zum stellvertretenden Vizekanzler zu ernennen. Nach Meinung von Medienvertretern, Wissenschaftlern und Studierenden sollten in beiden Fällen die Wissenschaftler dafür bestraft werden, dass sie 2014 die "Regenschirm-Proteste" unterstützt hatten.

In einem bahnbrechenden Urteil wurde im Februar 2015 Law Wan-tung schuldig gesprochen, ihre Angestellten, die beiden indonesischen Hausbediensteten Erwiana Sulistyaningsih und Tutik Lestari Ningsih, eingeschüchtert, tätlich angegriffen und dadurch eine Körperverletzung verübt zu haben. Die Frau erhielt eine sechsjährige Haftstrafe.

Amnesty International: Berichte

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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