Dokument #1271052
AI – Amnesty International (Autor)
Amtliche Bezeichnung: Republik Irak
Staatsoberhaupt: Jalal Talabani
Regierungschef: Nuri al-Maliki
Todesstrafe: nicht abgeschafft
Einwohner: 30,7 Mio.
Lebenserwartung: 67,8 Jahre
Kindersterblichkeit (m/w): 43/38 pro 1000 Lebendgeburten
Alphabetisierungsrate: 74,1%
Zwar nahm die Gewalt 2009 im Land gegenüber den Vorjahren ab, doch begingen Regierungstruppen und bewaffnete politische Gruppierungen nach wie vor schwere Menschenrechtsverletzungen. Bei Selbstmordattentaten und anderen Anschlägen bewaffneter politischer Gruppen wurden Tausende von Zivilisten getötet oder schwer verletzt. Sowohl die irakischen Behörden als auch die von den USA angeführten multinationalen Truppen (Multi-National Force - MNF) hielten aus Sicherheitsgründen weiterhin mehrere tausend Menschen ohne Anklageerhebung in ihrem Gewahrsam, viele von ihnen schon seit mehreren Jahren. Tausende andere Personen wurden 2009 aus dem Gefängnis freigelassen. Folterungen und Misshandlungen an Gefangenen durch Angehörige der irakischen Sicherheitskräfte, darunter auch Gefängniswärter, waren an der Tagesordnung und wurden nicht geahndet. Mindestens 1100 Gefangene sollen vom Vollzug der Todesstrafe bedroht gewesen sein, viele von ihnen waren in unfairen Gerichtsverfahren zum Tode verurteilt worden. Zwar veröffentlichte die Regierung keine entsprechenden Informationen, doch Berichten zufolge wurden 2009 mindestens 120 Menschen hingerichtet, einige offenbar im Geheimen. Noch immer lebten mindestens 1,5 Mio. Menschen als Binnenvertriebene im Land und Hunderttausende von Irakern als Flüchtlinge im Ausland. Aus der halbautonomen Region Kurdistan, in der die Lage generell besser und stabiler war als im Rest des Landes, wurden 2009 neue Menschenrechtsverletzungen gemeldet.
Die US-Streitkräfte zogen sich gemäß der zwischen der irakischen Regierung und den USA abgeschlossenen Statusvereinbarung für die Streitkräfte (Status of Forces Agreement), die im Januar in Kraft trat, bis zum 30. Juni aus den Städten des Landes zurück und ließen die von ihnen festgehaltenen Gefangenen frei oder übergaben sie den irakischen Behörden. Auch die Kontrolle über das Zentrum von Bagdad, die sogenannte Grüne Zone, wurde an die irakische Regierung übergeben.
Bei den Kommunalwahlen Ende Januar 2009 gewann Ministerpräsident Nuri al-Malikis Bündnis "Koalition des Rechtsstaats" in zehn von 14 Provinzen einschließlich der Stadt Bagdad die Mehrheit. In Kirkuk und den drei kurdischen Provinzen wurde nicht gewählt.
Das zutiefst gespaltene Parlament konnte sich erst im November auf ein neues Wahlgesetz einigen. Neuwahlen zum Parlament wurden für März 2010 festgelegt.
Trotz des Erdölreichtums lebten Millionen Iraker in tiefer Armut und litten unter hoher Arbeitslosigkeit und einer weitgehend korrupten Regierung. Wie ein hoher Regierungsvertreter im Oktober gegenüber den Vereinten Nationen erklärte, lebten 5,6 Mio. Iraker unterhalb der Armutsgrenze, was einen Anstieg von 35% gegenüber der Zeit vor der Invasion der US-Streitkräfte im Jahr 2003 bedeutete.
Bewaffnete politische Gruppen waren für schwere Menschenrechtsverstöße wie Entführungen, Folter und Mord verantwortlich. Mit Selbstmordanschlägen und Attentaten an öffentlichen Orten sollten anscheinend gezielt Zivilisten getroffen werden. Viele Anschläge wurden von Al-Qaida im Irak und von sunnitischen Gruppen verübt. Auch schiitische Milizen waren für Entführungen, Folterungen und Morde verantwortlich. Unter den Opfern befanden sich Mitglieder ethnischer und religiöser Minderheiten, Journalisten, Homosexuelle und andere Zivilpersonen.
Am 1. Januar 2009 befanden sich in Camp Cropper und anderen Hafteinrichtungen mehr als 15000 Personen im Gewahrsam der MNF, zum Großteil ohne Anklage. Gemäß der Statusvereinbarung, derzufolge die MNF die Gefangenen entweder freilassen oder den irakischen Behörden übergeben mussten, wurden 7499 Häftlinge auf freien Fuß gesetzt, nachdem ein Ausschuss aus Vertretern mehrerer irakischer Ministerien ihre Fälle geprüft und der Geheimdienst die Betroffenen verhört hatte. Dadurch verringerte sich die Zahl der Anfang Dezember inhaftierten Personen auf 6466. Mindestens 1441 weitere Männer, darunter auch Ausländer, wurden in irakische Gefängnisse überstellt, nachdem die irakischen Justizbehörden Haftbefehl gegen sie erlassen hatten.
Im September wurde das große, von den MNF geführte Gefängnis Camp Bucca nahe der südirakischen Hafenstadt Um Qasr geschlossen. Die Insassen wurden entweder freigelassen, den irakischen Behörden übergeben oder in die beiden noch verbleibenden MNF-Gefängnisse überstellt: Camp Cropper, in dem zahlreiche führende Mitglieder der ehemaligen regierenden Ba'ath-Partei inhaftiert waren, und Camp Taji nördlich von Bagdad.
2009 wurden mindestens 391 Menschen zum Tode verurteilt. Damit stieg die Zahl der Todestraktinsassen auf mindestens 1100 an, von denen mindestens 900 sämtliche Rechtsmittel ausgeschöpft hatten. Mindestens 120 Todesurteile wurden vollstreckt. Da die Behörden kaum entsprechende Informationen veröffentlichen und viele Hinrichtungen im Geheimen durchgeführt werden, dürfte deren tatsächliche Zahl höher liegen.
Die meisten Todesurteile ergingen 2009 in unfairen Gerichtsverfahren wegen bewaffneten Überfalls, Mordes und anderer Gewaltverbrechen. Viele Angeklagte beschwerten sich, dass sie keinen Verteidiger ihrer Wahl benennen konnten und dass ihre als Beweis vor Gericht zugelassenen "Geständnisse", die sie während der Untersuchungshaft ohne Zugang zur Außenwelt abgelegt hatten, unter Folter erzwungen worden seien. In einigen Fällen wurden die "Geständnisse" im Fernsehen übertragen.
Das Oberste Irakische Strafgericht (Supreme Iraqi Criminal Tribunal - SICT) setzte die strafrechtliche Verfolgung ehemaliger führender Regierungsvertreter und anderer Personen aus dem Umkreis des früheren Präsidenten Saddam Hussein fort, der am 30. Dezember 2006 wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und anderer Straftaten hingerichtet worden war. Das Oberste Gericht, dessen Unabhängigkeit und Unparteilichkeit durch politische Einflussnahme untergraben wurde, verhängte mehrere Todesurteile. Ende Oktober sprachen sich mehr als 50 Mitglieder des Parlaments dafür aus, das SICT nicht länger dem Ministerrat zu unterstellen, dessen Vorsitz der Ministerpräsident innehat, sondern der alleinigen Aufsicht des Obersten Justizrats. Gleichfalls forderten sie, die Zuständigkeit des SICT auf Straftaten zu erweitern, die nach dem 1. Mai 2003 von Zivilisten und Militärangehörigen begangen worden sind.
Angehörige der irakischen Sicherheitskräfte waren für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich, darunter außergerichtliche Hinrichtungen, Folterungen und Misshandlungen sowie willkürliche Inhaftierungen. Zur Rechenschaft wurde kaum jemand gezogen. Die Häftlinge waren in überfüllten Gefängnissen und Lagern zusammengepfercht und wurden von den Vernehmungsoffizieren und dem Wachpersonal gefoltert. Zu den berichteten Foltermethoden gehörten das Schlagen mit Kabeln und Schläuchen, das Aufhängen an Armen oder Beinen über lange Zeiträume, Elektroschocks an den Genitalien und anderen empfindlichen Körperstellen, das Brechen von Armen oder Beinen, das Herausreißen der Zehennägel mit einer Zange sowie das Durchbohren der Hände mit elektrischen Bohrern. Einige Gefangene sollen auch vergewaltigt worden sein.
Angehörige der US-Streitkräfte waren für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich, darunter die ungesetzliche Tötung von Zivilisten. US-Militärtribunale nahmen in einigen Fällen, in denen Soldaten Straftaten zur Last gelegt wurden, die sie in früheren Jahren im Irak begangen haben sollen, Ermittlungen auf.
Auch 2009 wurden im Irak zahlreiche Frauen Opfer von Diskriminierung und tätlichen Übergriffen. Einige Frauen wurden auf offener Straße von bewaffneten Männern attackiert und andere mit dem Tod bedroht, weil sie sich nicht entsprechend den islamischen Moralvorstellungen verhielten. Im Mai berichteten Insassen des Frauengefängnisses Al-Kadhimiya in Bagdad den Mitgliedern des parlamentarischen Menschenrechtsausschusses, sie seien im dortigen Gefängnis oder anderen Haftorten vergewaltigt worden. Die Regierung unternahm kaum etwas, um Frauen vor Gewalt in der Öffentlichkeit oder der Familie zu schützen.
Hunderttausende Iraker hatten als Flüchtlinge in Syrien, Jordanien, dem Libanon, der Türkei und anderen Ländern Zuflucht gefunden, bis zu 1,5 Mio. Menschen lebten weiter als Binnenvertriebene im eigenen Land. Berichten zufolge waren 2009 rund 200000 Menschen an ihren Wohnort zurückgekehrt, oft weil sie glaubten, die Sicherheitslage habe sich verbessert. Die Rückkehrer standen vor großen Problemen: Viele fanden ihre Häuser zerstört oder von anderen Menschen bewohnt vor, und auch die Versorgung mit Nahrungsmitteln, Wasser und Strom war unzureichend.
Nachdem sich die Spannungen im Land seit Monaten verstärkt hatten, stürmten irakische Sicherheitskräfte am 28. und 29. Juli 2009 das Camp Ashraf im Gouvernement Diyala. Dieses Lager, in dem rund 3400 Mitglieder und Anhänger der oppositionellen iranischen Volksmudschaheddin lebten, hatte von 2003 bis zum Abzug der amerikanischen Truppen unter Kontrolle des US-Militärs gestanden. Viodeaufnahmen zeigten, wie irakische Sicherheitskräfte absichtlich mit Militärfahrzeugen in Gruppen protestierender Camp-Bewohner hineinfuhren. Durch den Einsatz scharfer Munition dürften mindestens neun Menschen ums Leben gekommen sein, 36 weitere wurden festgenommen, gefoltert und zur Polizeistation al-Khalis nach Diyala gebracht, wo sie einen Hungerstreik begannen. Trotz wiederholter richterlicher Anordnungen, sie freizulassen, wurden sie nach Bagdad gebracht. Erst nach einer internationalen Kampagne durften sie im Oktober wieder ins Camp Ashraf zurückkehren. Berichten zufolge hielt die irakische Regierung jedoch weiter daran fest, die Camp-Bewohner an einen anderen Ort im Süden des Irak zu verbringen. Sie setzte ungeachtet aller Befürchtungen über mangelnde Sicherheit an dem neuen Ort eine Frist bis zum 15. Dezember für die freiwillige oder zwangsweise Umsiedlung fest. Ende 2009 lebten die Menschen jedoch weiterhin in dem Camp.
Am 25. Juli 2009 fanden im kurdischen Autonomiegebiet im Norden des Irak Präsidentschafts- und Parlamentswahlen statt. Masoud Barzani wurde als Präsident der Regionalregierung wiedergewählt. Die Kurdistan-Liste, ein Bündnis zwischen der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) und der Patriotischen Union Kurdistans (PUK), behielt ihre absolute Mehrheit im Parlament. Die wichtigste Oppositionsgruppe Goran (Wandel) errang 25 von 111 Sitzen.
Im April erklärte der Ministerpräsident der Kurdischen Regionalregierung Nechirvan Barzani den Mitgliedern einer Delegation von Amnesty International, er habe die Sicherheitspolizei (Asayish) der Regionalregierung und andere Organe der Strafverfolgung persönlich angewiesen, sich an den von Amnesty International empfohlenen Menschenrechtsstandards zu orientieren, und werde Mechanismen einführen, um die volle Rechenschaftspflicht der Asayish sicherzustellen. Des Weiteren seien konkrete Maßnahmen zur Verhinderung von "Ehrenmorden" und anderen Gewalttaten gegen Frauen beschlossen worden. Trotz dieser Zusagen und der weiteren Verbesserung der Menschenrechtslage in der Region Kurdistan wurden auch 2009 wieder Fälle willkürlicher Inhaftierung sowie Folterungen und Misshandlungen insbesondere durch die Geheimdienste von KDP und PUK gemeldet. Mitglieder von Goran und unabhängige Journalisten, die sich über die Kurdische Regionalregierung oder hohe Amtsträger kritisch äußerten, wurden bedroht und eingeschüchtert, einige auch tätlich angegriffen.
Willkürliche Inhaftierung
2009 saßen noch mindestens neun Menschen im Gefängnis ein, gegen die nie Anklage erhoben oder ein Gerichtsverfahren eingeleitet worden war.
Pressefreiheit
Trotz der Einführung eines liberaleren Pressegesetzes im Jahr 2008 wurden Journalisten, die für unabhängige Presseorgane tätig waren, weiterhin mit Strafverfahren überzogen, die anscheinend politisch motiviert waren. Einige wurden zum Opfer tätlicher Angriffe von Personen in Zivil, die vermutlich mit den Geheimdiensten Parastin und Zanyari in Verbindung standen.
Gewalt gegen Frauen
2009 gingen zahlreiche Berichte über Gewalt gegen Frauen ein, darunter auch Fälle, in denen Frauen von Familienangehörigen getötet wurden.
Delegierte von Amnesty International besuchten die Region Kurdistan in den Monaten April und Mai.
Trapped by violence: Women in Iraq (MDE 14/005/2009)
Hope and fear: Human rights in the Kurdistan region of Iraq (MDE 14/006/2009)
A thousand people face the death penalty in Iraq (MDE 14/020/2009)
Iraq: Submission to the UN Universal Periodic Review (MDE 14/022/2009)
© Amnesty International
© Amnesty International
Amnesty International Report 2010 - The State of the World's Human Rights (Periodischer Bericht, Englisch)