Amnesty International Report 2015/16 - The State of the World's Human Rights - Bulgaria

 

Nach wie vor gab es Vorwürfe über Zurückweisungen (Push-Backs) von Flüchtlingen und Migranten durch die Grenzpolizei. Die Aufnahmebedingungen für Asylsuchende blieben schlecht, und es gab keinen Integrationsplan für anerkannte Flüchtlinge. Lokale und überregionale Behörden führten unvermindert rechtswidrige Zwangsräumungen von Roma-Siedlungen durch. Bei der Überarbeitung der Gesetze gegen Hassverbrechen gab es keine Fortschritte.

Flüchtlinge, Asylsuchende und Migranten

Im Jahr 2015 verzeichnete Bulgarien eine Vervierfachung der Zahl von Flüchtlingen und Migranten, die über die türkische Grenze ins Land kamen, nachdem es 2014 durch die Einführung von Grenzschutzmaßnahmen zu einer spürbaren Abnahme gekommen war.

Die Behörden kündigten an, den gegenwärtig 33 km langen Grenzzaun um 60 km verlängern zu wollen, um die Migranten zu offiziellen Grenzübergängen umzuleiten. NGOs berichteten jedoch, dass Menschen, die internationalen Schutz suchten und versuchten, über Grenzkontrollpunkte nach Bulgarien einzureisen, abgewiesen wurden. Ein ausgedehntes Überwachungssystem, ausgestattet mit Sensoren und Wärmebildkameras, blieb an der Grenze zur Türkei in Betrieb.

Im Oktober 2015 starb ein afghanischer Asylbewerber, nachdem ein von einem Polizisten an der bulgarisch-türkischen Grenze abgegebener Warnschuss von einer nahe gelegenen Brücke abprallte und den Mann traf. Die NGO Bulgarisches Helsinki-Komitee (BHC) äußerte sich besorgt über Diskrepanzen zwischen den Aussagen von Behörden und Zeugen. Die von der Staatsanwaltschaft eingeleiteten Ermittlungen waren bis Ende 2015 noch nicht abgeschlossen.

Nach wie vor gab es keinen Integrationsplan für anerkannte Flüchtlinge und andere Personen unter internationalem Schutz. Obwohl die Regierung im Juni 2015 die Nationale Strategie für Migration, Asyl und Integration für 2015-2020 verabschiedete, ließ sie darauf keinen Handlungsplan folgen, mit dem die Strategie umgesetzt werden könnte.

Nach wie vor herrschten Bedenken hinsichtlich der Aufnahmebedingungen für Asylsuchende, insbesondere in Bezug auf Essen, Unterkunft und Zugang zu Gesundheitsfürsorge sowie Hygieneartikeln. Im Januar 2015 wurde die monatliche Zuwendung von 65 Lewa (33 Euro) für Asylsuchende in Aufnahmezentren eingestellt. Das BHC legte Beschwerde dagegen ein und erklärte, dass der Entzug der Zuwendung eine Verletzung bulgarischen Rechts bedeute.

NGOs dokumentierten Beschwerden über summarische Push-Backs von Flüchtlingen und Migranten durch die bulgarische Polizei an der Grenze zur Türkei. Im März 2015 starben zwei irakische Jesiden auf der türkischen Seite der Grenze an Unterkühlung, nachdem sie von bulgarischen Polizeikräften brutal verprügelt worden sein sollen. Die Behörden wiesen die Vorwürfe zurück, und die Ermittlungen des Innenministeriums zu dem Fall wurden abgebrochen, da die Behörden erklärten, es sei ihnen unmöglich, den genauen Ort des Vorfalls festzustellen. Ende 2015 gab es keine weiteren laufenden Ermittlungen zu Fällen von Push-Backs.

Recht auf Wohnen - Zwangsräumungen von Roma

Trotz des durch die Verfassung garantierten Rechts auf Wohnen verbietet das Wohnrecht in Bulgarien weder explizit rechtswidrige Zwangsräumungen, noch enthält es im Einklang mit internationalen Menschenrechtsstandards stehende Garantien. Die Behörden vertrieben nach wie vor Roma-Gemeinschaften aus informellen Siedlungen. Manche wurden in mangelhafte Unterkünfte umgesiedelt, während andere obdachlos wurden.

Nach Anti-Roma-Demonstrationen kündigten lokale und überregionale Behörden zwischen Mai und Juni 2015 das Vorhaben an, Häuser der Roma in der Siedlung Kremikovtzi im Dorf Gurmen sowie im Viertel Orlandovzi in der Hauptstadt Sofia abzureißen. Zwischen Juni und September wurden in Gurmen mehrere Häuser zerstört, wovon 14 Haushalte betroffen waren. Nachdem NGOs einstweilige Verfügungen gefordert hatten, empfahl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte der Regierung im Juli 2015, die Zwangsräumungen nicht fortzusetzen, solange kein angemessener Wohnraum als Alternative zur Verfügung stehen würde. Durch die Zerstörungen waren etwa 60 Roma obdachlos geworden, darunter ältere Menschen, mindestens eine Schwangere und zwei behinderte Kinder. Es fanden keine ernsthaften Konsultationen statt, um Alternativen zu den geplanten Zwangsräumungen zu entwickeln und adäquate Ersatzunterkünfte bereitzustellen. Im September 2015 drängte der UN-Hochkommissar für Menschenrechte Bulgarien, derartige Menschenrechtsverletzungen zu beenden. Ende 2015 waren nach wie vor 96 Roma-Haushalte in der Siedlung Kremikovtzi von Zwangsräumungen bedroht.

Im August 2015 wurden die Unterkünfte von 46 Roma-Familien - darunter auch Kinder und alleinerziehende Mütter - im Viertel Maksuda in der Stadt Varna ohne Vorwarnung abgerissen. Etwa 400 Menschen, unter ihnen 150 Kinder, wurden bei extremen Wetterbedingungen obdachlos. Nur wenige von ihnen erhielten vorübergehend Obdach in einem überbelegten und ungeeigneten Sozialzentrum.

Am 15. September 2015 kündigten die Behörden den Abriss von vier Roma-Häusern in der Stadt Pesshtera an. Das Vorhaben wurde jedoch ausgesetzt, nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erklärt hatte, dass die Behörden nicht damit fortfahren sollten, solange kein angemessener alternativer Wohnraum zur Verfügung stand.

Diskriminierung - Hassverbrechen

Im Juni 2015 äußerte sich der Menschenrechtskommissar des Europarats besorgt über das hohe Ausmaß an Rassismus und Intoleranz gegenüber verschiedenen Gruppierungen, u. a. Flüchtlingen, Asylsuchenden und Migranten, die besonders von Gewalt und Drangsalierungen bedroht waren.

Hassverbrechen gegen Roma, Muslime, Juden sowie andere ethnische und religiöse Minderheiten wurden nach wie vor überwiegend als durch "Rowdytum" motivierte Taten verfolgt, statt gemäß der strafrechtlichen Bestimmungen, die speziell für "rassistische Hassverbrechen" verabschiedet worden waren.

Im Mai 2015 stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Fall Karahhmed gegen Bulgarien fest, dass das Versäumnis der Behörden, die Störung des muslimischen Freitagsgebets im Jahr 2011 durch eine Gruppe gewaltsamer Protestierender zu verhindern, einer Verletzung des Rechts auf Religions- und Glaubensfreiheit gleichkam.

Die Regierung setzte in der Vergangenheit eingeleitete Maßnahmen nicht fort, um Lücken in den Gesetzen gegen Hassverbrechen zu schließen, die in der vorliegenden Form keinen expliziten Schutz vor Hassverbrechen aufgrund von Alter, Behinderung, Geschlecht oder sexueller Orientierung boten.

Im März 2015 verabschiedete das Parlament ein Gesetz, das den Umfang des Schutzes vor Diskriminierung aus Gründen der sexuellen Orientierung auf Transgeschlechtliche ausweitete, auch wenn dies nur für "Fälle von Änderungen der personenstandsrechtlichen Geschlechtszuordnung" galt.

Folter und andere Misshandlungen

Nationale und internationale Organisationen, darunter auch der Europäische Ausschuss zur Verhütung von Folter und der Menschenrechtskommissar des Europarats, befanden das Jugendstrafrechtssystem als unzureichend und forderten eine umfassende Reform.
Nach einem Besuch Bulgariens im Februar 2015 äußerte der Menschenrechtskommissar Bedenken in Bezug auf die langsamen Fortschritte bei der Deinstitutionalisierung (der Verlegung aus psychiatrischen Einrichtungen in gemeindenahe Fürsorge) von Kindern und Erwachsenen mit Behinderungen. Er kritisierte außerdem die Überrepräsentation von Roma-Kindern, in Armut lebenden Kindern und Kindern mit Behinderungen in solchen Einrichtungen sowie die körperliche und psychische Gewalt vonseiten des Personals und unter den Kindern selbst.

Nach einem Besuch im Jahr 2014 forderte der Europäische Ausschuss zur Verhütung von Folter zeitnahe und effektive Maßnahmen, um gegen die Misshandlung von Menschen - darunter auch Jugendliche und Frauen - durch Polizeikräfte und Gefängnispersonal vorzugehen. Gleiches sollte für die Gewalt unter den Gefangenen, die Überbelegung und mangelhafte Gesundheitsfürsorge, den zu geringen Personalschlüssel, unverhältnismäßige Härte, die Segregation unter Inhaftierten und deren mangelnden Kontakt zur Außenwelt gelten.

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