Amnesty International Report 2015/16 - The State of the World's Human Rights - Burundi

 

 

Die Regierung schränkte die Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit 2015 zunehmend ein. Die Entscheidung von Präsident Pierre Nkurunziza, für eine dritte Amtszeit zu kandidieren, löste bei der Opposition, in der Zivilgesellschaft und bei anderen Akteuren Proteste aus, die von den Sicherheitskräften, insbesondere von Polizei und Geheimdienst (Service National de Renseignement - SNR), gewaltsam unterdrückt wurden. Demonstrierende sahen sich mit exzessiver Polizeigewalt konfrontiert. Festgenommene Personen wurden vom SNR gefoltert und auf andere Weise misshandelt. Die Sicherheitskräfte drangen gewaltsam in die Räumlichkeiten unabhängiger Medien ein. Mehrere Menschen wurden rechtswidrig getötet, weil sie als Gegner des Präsidenten galten.

Hintergrund

Im Februar 2015 riet der Geheimdienstchef, General Godefroid Niyombare, Präsident Nkurunziza eindringlich, nicht für eine dritte Amtszeit zu kandidieren, weil dies ein Verstoß gegen den Friedensvertrag von Arusha und die burundische Verfassung sei. Wenige Tage später enthob der Präsident ihn seines Amtes.

Im März 2015 riefen mehrere führende Vertreter der Regierungspartei CNDD-FDD (Conseil National pour la Défense de la Démocratie - Forces pour la Défense de la Démocratie) Präsident Nkurunziza öffentlich auf, von der Kandidatur für eine dritte Amtszeit abzusehen. Sie wurden daraufhin aus der Partei ausgeschlossen.

Ungeachtet ähnlicher Aufrufe der katholischen Kirche, der Zivilgesellschaft, der Opposition und zahlreicher weiterer Appelle von afrikanischer und internationaler Seite stellte der CNDD-FDD am 25. April Präsident Nkurunziza als seinen Kandidaten für die Präsidentschaftswahl 2015 auf. Die Entscheidung löste Proteste in der Hauptstadt Bujumbura und anderen Landesteilen aus. Die Proteste wurden gewaltsam unterdrückt, was zu Gewalt seitens der Protestierenden führte.

Am 5. Mai 2015 bestätigte das Verfassungsgericht die Kandidatur des Präsidenten. Einen Tag zuvor war der Vizepräsident des Gerichts außer Landes geflohen, nachdem er der Regierung vorgeworfen hatte, Druck auf die Richter auszuüben.

Am 13. Mai 2015 unternahmen mehrere Generäle einen Putschversuch, während Präsident Nkurunziza in der tansanischen Stadt Daressalam an einem Gipfeltreffen zur aktuellen Lage in Burundi von Staatschefs aus der Region teilnahm. Der Umsturzversuch schlug fehl. Mehrere Offiziere flohen außer Landes. Sicherheitskräfte, die loyal zum Präsidenten standen, inhaftierten mehrere Offiziere.

Nach den Parlamentswahlen im Juni folgte im Juli 2015 die Präsidentschaftswahl, die Pierre Nkurunziza gewann. Er legte am 20. August 2015 seinen Amtseid ab. Die Sicherheitskräfte gingen weiter hart gegen vermeintliche Gegner vor. Im Morgengrauen des 11. Dezember 2015 wurden drei Militärstützpunkte in Bujumbura und ein weiterer in der Provinz Bujumbura Rural angegriffen. Die anschließenden Straßensperren und Razzien der Sicherheitskräfte gingen mit systematischen Menschenrechtsverletzungen einher.

Die Ostafrikanische Gemeinschaft, die Afrikanische Union (AU) und die UN bemühten sich vergeblich, zwischen den burundischen Konfliktparteien zu vermitteln. Von vom ugandischen Präsidenten moderierten Gespräche, die am 28. Dezember 2015 begannen, wurden schon bald wieder eingestellt. Den Plan des AU-Friedens- und Sicherheitsrats, Truppen zur Stabilisierung des Landes zu entsenden, lehnte die Regierung ab.

Die monatelange Instabilität führte zu einer Verschlechterung der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Lage im Land. Der Internationale Währungsfonds rechnete für das Jahr 2015 mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um mehr als 7%. Die burundische Finanzbehörde verzeichnete infolge der Krise sinkende Steuereinnahmen.

Belgien, die Niederlande, die USA und weitere Länder stellten ihre Entwicklungszusammenarbeit mit Burundi teilweise oder vollständig ein. Die EU leitete Konsultationen mit den Behörden des Landes gemäß Artikel 96 des Cotonou-Abkommens ein, um die Zusammenarbeit zu überprüfen. Nach Angaben des UN-Kinderhilfswerks (UNICEF) waren die für den Sozialbereich zuständigen Ministerien zuletzt zu 80% von ausländischer Unterstützung abhängig.

Mehr als 230000 Menschen flohen 2015 in die Nachbarländer. Der brüchige Zusammenhalt zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen, der durch die Umsetzung des Friedensabkommens von Arusha gefördert worden war, wurde durch die politische Krise geschwächt. Aufwiegelnde Äußerungen führender Politiker trugen gegen Jahresende zu einer weiteren Verschärfung der Lage bei.

Rechte auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit

Oppositionsparteien und zivilgesellschaftliche Organisationen konnten vor den Wahlen nur sehr eingeschränkt tätig sein. Im März 2015 erließ der Bürgermeister von Bujumbura eine Anweisung, nach der nur öffentliche Versammlungen der Regierungspartei erlaubt waren. Am 17. April 2015 wurden bei einer Kundgebung gegen die Kandidatur von Präsident Nkurunziza mehr als 100 Menschen festgenommen. Am 24. April, einen Tag vor der Entscheidung des CNDD-FDD über den Präsidentschaftskandidaten, untersagte der Innenminister sämtliche Demonstrationen. Dessen ungeachtet gingen viele Menschen in Bujumbura auf die Straße und protestierten dagegen, dass sich Präsident Nkurunziza zur Wiederwahl stellte. Demonstrationen oppositioneller politischer Gruppen wurden von den Sicherheitskräften gewaltsam unterdrückt. Von der Regierungspartei organisierte Demonstrationen und Kundgebungen zur Unterstützung der Kandidatur Nkurunzizas verliefen hingegen ungestört.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Internationale Journalisten durften 2015 nur eingeschränkt über die Demonstrationen berichten. Mitarbeiter internationaler Medienunternehmen erhielten mehrfach Drohungen von offizieller Seite.

Am 26. April 2015 stürmten Sicherheitskräfte den Radiosender Radio Publique Africaine (RPA) während einer Live-Sendung über die Proteste. Am selben Tag hinderten die Behörden vier private Radiosender daran, ihr Programm über Bujumbura hinaus auszustrahlen. Am 27. April schlossen die Behörden das Studio des Pressehauses (Maison de la Presse), das von verschiedenen Medien für Gemeinschaftssendungen zu besonderen Anlässen genutzt wurde.

Am 13. und 14. Mai 2015 wurden die Büroräume der vier Privatsender RPA, Radio Television Renaissance, Radio Isanganiro und Radio Bonesha von den Sicherheitskräften teilweise oder vollständig zerstört. Die Regierung warf den Sendern vor, den Putschversuch gegen Präsident Nkurunziza unterstützt zu haben. Der regierungsnahe Sender Radio Television Rema wurde von unbekannten bewaffneten Tätern ebenfalls zum Teil zerstört.

Die Behörden nahmen burundische Journalisten gezielt ins Visier und überzogen sie mit Drohungen. Sehr viele von ihnen sahen sich gezwungen, in Nachbarländer zu fliehen.

Der Geschäftsführer des Senders RPA und bekannte Journalist Bob Rugurika wurde am 20. Januar 2015 festgenommen und inhaftiert, nachdem er kritische Berichte über die Tötung von drei italienischen Ordensschwestern im September 2014 in Bujumbura gesendet hatte. Er wurde wegen Mittäterschaft bei den Morden, Justizbehinderung durch Verletzung der Vertraulichkeit im strafrechtlichen Verfahren, Aufnahme eines Straftäters und mangelnder öffentlicher Solidarität angeklagt. Am 18. Februar 2015 wurde er gegen Kaution freigelassen.

Eine von der Regierung eingesetzte Untersuchungskommission erhob in ihrem Bericht über die Demonstrationen gegen eine dritte Amtszeit des Präsidenten den Vorwurf, einige Journalisten der privaten Medien stünden mit den Drahtziehern des Putschversuchs in Verbindung. Im November 2015 forderte die Staatsanwaltschaft die Auslieferung von fünf ins Ausland geflohenen Journalisten. Im Dezember 2015 wurden Fahrzeuge des Senders RPA beschlagnahmt und dessen Bankkonten gesperrt.

Exzessive Gewaltanwendung

Die Regierung reagierte auf die Proteste in einer Weise, die nicht international geltenden Standards entsprach. Die Polizei ging mit exzessiver Gewalt gegen Demonstrierende vor. Dabei setzte sie auch tödliche Gewalt ein und schoss u.a. bei Demonstrationen mit scharfer Munition.

Willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen

Nach Angaben des UN-Hochkommissars für Menschenrechte wurden im Zusammenhang mit der politischen Krise in Burundi 2015 mindestens 3496 Personen festgenommen. Viele wurden inhaftiert, nachdem sie an friedlichen Protesten gegen die dritte Amtszeit von Präsident Nkurunziza teilgenommen hatten. Zahlreiche Inhaftierte durften weder von ihren Familien noch von ihren Rechtsanwälten besucht werden.

In einigen Fällen beteiligten sich auch Mitglieder der Jugendorganisation der Regierungspartei CNDD-FDD, Imbonerakure, an den Festnahmen von Demonstrierenden und anderen Personen, die als Gegner von Präsident Nkurunziza betrachtet wurden. Nach Angaben von UNICEF befanden sich unter den Inhaftierten 66 Minderjährige, die wegen "Beteiligung an bewaffneten Gruppen" angeklagt waren.

Straflosigkeit

2015 verfestigte sich die Tendenz, Straftaten nicht zu verfolgen.

Es bestand Anlass zu der Sorge, dass Angehörige der Sicherheitskräfte, die an Menschenrechtsverletzungen bei Demonstrationen beteiligt waren, nicht zur Rechenschaft gezogen wurden. Der Polizeichef erklärte im Juli 2015, dass gegen fünf Polizisten ermittelt werde. Der Generalstaatsanwalt kündigte eine Untersuchung der Vorwürfe, bei Durchsuchungen am 11. Dezember 2015 seien verübt worden, an.

Es gab seitens der Regierung keine Bemühungen, Vorwürfe zu untersuchen, wonach Mitglieder von Imbonerakure Menschen einschüchterten und schikanierten. Entsprechende Fälle waren u.a. vom Amt des UN-Hochkommissars für Menschenrechte dokumentiert worden.

Außergerichtliche Hinrichtungen

Die Regierung unternahm nichts gegen Angehörige der Sicherheitskräfte, denen außergerichtliche Hinrichtungen vorgeworfen wurden. Es kam weder zu Ermittlungen, noch wurden sie vom Dienst suspendiert.

Die zur Präsidialgarde zählende Polizeieinheit API (Appui pour la Protection des Institutions) war für außergerichtliche Hinrichtungen politischer Gegner und andere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich. Berichten zufolge war die Einheit an der Tötung von Zedi Feruzi beteiligt, dem Vorsitzenden der Oppositionspartei Union pour la paix et la démocratie-Zigamibanga. Er wurde am 23. Mai 2015 zusammen mit einem seiner Leibwächter getötet. Am 7. September 2015 wurde der Sprecher der Partei, Patrice Gahungu, von Unbekannten erschossen.

Angehörige der API waren dem Vernehmen nach auch an der Tötung von Vénérant Kayoya und Léonidas Nibitanga am 26. April 2015 in Cibitoke, einem Stadtteil von Bujumbura, beteiligt. Die API-Einheit soll außerdem für den Tod von Faustin Ndabitezimana verantwortlich sein. Der Krankenpfleger war Mitglied der Oppositionspartei Front pour la Démocratie au Burundi und wurde am 15. Mai 2015 in Buterere, ebenfalls einem Stadtteil von Bujumbura, getötet.

Am 13. Oktober 2015 wurden der Kameramann Christophe Nkezabahizi, seine Frau und seine beiden Kinder sowie Evariste Mbonihankuye, ein Mitarbeiter der Internationalen Organisation für Migration, in Bujumbura getötet. Eine Untersuchung des Amts des UN-Hochkommissars für Menschenrechte enthielt Hinweise auf eine Beteiligung der API, die Staatsanwaltschaft beschuldigte hingegen eine Gruppe von Jugendlichen.

Nach den Angriffen auf Militärstützpunkte am 11. Dezember 2015 gingen die Sicherheitskräfte mit Straßensperren und Razzien gegen sogenannte oppositionelle Viertel vor und töteten dabei systematisch Dutzende Menschen. Es gab Berichte über Massengräber. Nach Angaben von Augenzeugen waren an den Einsätzen neben regulären Polizeieinheiten auch die API und die Bereitschaftspolizei beteiligt.

Folter und andere Misshandlungen

Die Sicherheitskräfte machten 2015 immer häufiger von Folter und anderen Misshandlungen Gebrauch. Opfer wurden insbesondere Personen, die gegen eine dritte Amtszeit des Präsidenten protestiert hatten. Es gab Berichte über Folter und andere Misshandlungen in offiziellen Hafteinrichtungen, vor allem in der Zentrale des SNR, und in einer inoffiziellen Hafteinrichtung in Bujumbura, die unter dem Namen Chez Ndadaye bekannt ist. Die Inhaftierten wurden von den Sicherheitskräften u.a. mit Eisenstangen, Schlagstöcken und Militärgürteln geschlagen. Einige der Opfer wurden in schmutziges Wasser getaucht, andere in Räume voller Glasscherben eingeschlossen oder gezwungen, sich in Säure zu setzen.

Ende 2015 hatten die Behörden in keinem einzigen Fall Ermittlungen aufgenommen oder Angehörige des Geheimdienstes oder der Polizei dafür zur Rechenschaft gezogen.

Rechtswidrige Tötungen

Bei gezielten Angriffen wurden 2015 mindestens zwei ranghohe Angehörige der Sicherheitskräfte von Uniformierten getötet. Am 2. August wurde General Adolphe Nshimirimana in Bujumbura erschossen, der als enger Vertrauter von Präsident Nkurunziza galt. Nach der Untersuchung des Falls wurden am 2. September 2015 vier Armeeangehörige in Bujumbura wegen Mordes vor Gericht gestellt.

Am 15. August 2015 wurde der pensionierte Oberst Jean Bikomagu, der während des Bürgerkriegs Generalstabschef war, vor seinem Haus in Bujumbura erschossen. Die Regierung erklärte, es seien Ermittlungen eingeleitet worden, doch wurden bis Endes des Jahres keine Ergebnisse bekannt gegeben. Am 11. September 2015 überlebte der derzeitige Generalstabschef in Bujumbura einen Anschlag auf seinen Konvoi.

Von September 2015 an wurden auf den Straßen von Bujumbura fast täglich Tote aufgefunden. Auch in den übrigen Landesteilen war dies gelegentlich der Fall. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte gab an, von April bis Mitte Dezember 2015 seien mindestens 400 Menschen getötet worden, unter ihnen auch Mitglieder der Regierungspartei CNDD-FDD.

Menschenrechtsverteidiger

Eine Kampagne der Zivilgesellschaft unter dem Motto "Die dritte Amtszeit stoppen" führte dazu, dass Menschenrechtsverteidiger immer stärker schikaniert und eingeschüchtert wurden. Regierungsvertreter warfen ihnen vor, eine aufrührerische Bewegung anzuführen bzw. zu unterstützen. In dem Bericht der von der Regierung eingesetzten Untersuchungskommission zu den Demonstrationen wurden viele von ihnen namentlich aufgeführt. Ende 2015 waren zahlreiche Menschenrechtsverteidiger ins Ausland geflohen oder in Burundi untergetaucht. Im November 2015 verbot die Regierung mehreren NGOs, weiter tätig zu sein, und sperrte ihre Bankkonten. Auch die Konten von drei führenden Aktivisten wurden gesperrt.

Der prominente Menschenrechtsverteidiger Pierre Claver Mbonimpa wurde bei einem Anschlag schwer verletzt, den Unbekannte am 3. August 2015 auf ihn verübten, als er auf dem Weg nach Hause war. Sein Schwiegersohn Pascal Nshimirimana wurde am 9. Oktober 2015 in Bujumbura vor seinem Haus erschossen; sein Sohn Welly Fleury Nzitonda wurde am 6. November 2015 getötet, nachdem die Polizei ihn festgenommen hatte. Bis Ende 2015 hatten die Behörden keine Ermittlungen zu diesen Verbrechen eingeleitet und niemand war dafür strafrechtlich zur Verantwortung gezogen worden.

Amnesty International: Berichte

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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