Dokument #1246313
Amnesty International (Autor)
Amtliche Bezeichnung: Republik Liberia
Staats- und Regierungschefin:
Ellen Johnson-Sirleaf
Das Justizwesen war nach wie vor ineffizient. Der Zugang zu Hafteinrichtungen wurde erschwert. Heterosexuelle und lesbische Frauen, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle sahen sich nach wie vor mit Diskriminierungen konfrontiert. 41 Personen wurden ohne ordnungsgemäße Verfahren an Côte d'Ivoire ausgeliefert.
Der Sondergerichtshof für Sierra Leone sprach 2012 den ehemaligen liberianischen Staatspräsidenten Charles Taylor wegen in Sierra Leone begangener Verbrechen schuldig und verurteilte ihn zu 50 Jahren Haft. Die Bevölkerung Liberias wartete allerdings immer noch darauf, dass diejenigen, die während des bewaffneten Konflikts in Liberia Menschenrechtsverletzungen begangen hatten, vor Gericht gestellt wurden.
Die meisten Empfehlungen, die die liberianische Wahrheits- und Versöhnungskommission 2009 vorgelegt hatte, warteten nach wie vor auf ihre Umsetzung. Dies betraf u.a. die Einrichtung eines Sondergerichtshofs für die Verfolgung von Verbrechen unter dem Völkerrecht sowie weitere rechtliche und institutionelle Reformen und auch Empfehlungen zur Rechenschaftspflicht und zu Entschädigungen.
Obwohl Liberia 2005 dem 2. Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte beigetreten war und daher verpflichtet ist, auf die Abschaffung der Todesstrafe hinzuarbeiten, wurden auch im Jahr 2012 Todesurteile verkündet. Hinrichtungen gab es jedoch nicht. Die Todesstrafe wurde für bewaffnete Raubüberfälle, Terrorismus und Entführungen mit Todesfolge beibehalten.
Das Justizsystem war nach wie vor ineffizient, schlecht ausgestattet und korrupt. Verzögerungen bei Gerichtsverfahren führten dazu, dass viele Menschen über lange Zeiträume hinweg in Untersuchungshaft saßen. Ungefähr 80% der Gefängnisinsassen waren Untersuchungshäftlinge. Ende 2012 standen in jedem Bezirk staatlich bestellte Verteidiger zur Verfügung. Zivilgesellschaftliche Organisationen berichteten, dass es dennoch sehr schwer sei, einen kostenfreien Rechtsbeistand zu finden.
Im Berichtsjahr war eine gewisse Verbesserung der medizinischen Versorgung in den Gefängnissen zu verzeichnen, da das Ministerium für Gesundheit und Soziales hier für eine regelmäßige Betreuung sorgte. Es gab aber weiterhin zu wenige Medikamente und andere medizinische Artikel.
Mangelhafte Sicherheitsvorkehrungen und schlechte Haftbedingungen führten landesweit zu mindestens zwölf Gefängnisausbrüchen. Nach Informationen aus verschiedenen Quellen reagierten die Behörden auf die Ausbrüche mit einer Verkürzung der Hofgänge und der sportlichen Betätigung. Im Januar 2012 fand der Spatenstich für den Bau eines neuen Zentralgefängnisses in der Region Montserrado statt. Mit dem Bau soll die Überbelegung reduziert und eine verbesserte Unterbringung der Häftlinge ermöglicht werden. Bis Jahresende kamen die Bauarbeiten jedoch kaum voran. Die eigentlichen Ursachen für die hohe Zahl von Untersuchungshäftlingen können nach Ansicht vieler kritischer Stimmen aber nicht durch den Bau des neuen Gefängnisses beseitigt wer- den.
Nachdem Amnesty International 2011 einen Bericht über die Zustände in den liberianischen Gefängnissen veröffentlicht hatte, schränkte die Regierung die Zugangsmöglichkeiten für Beobachter aus dem In- und Ausland zu den Gefängnissen und zu Informationen über die Gefängnisse ein.
Die Regierung hielt einen Bericht des UN-Ausschusses gegen Folter 2012 weiterhin unter Verschluss. Der Ausschuss hatte 2011 in Liberia Hafteinrichtungen besucht.
Im Juni 2012 wurden 41 Personen auf Ersuchen der ivorischen Regierung an Côte d'Ivoire ausgeliefert. Sie waren 2011 unter dem Vorwurf festgenommen worden, sie hätten - unter Mitführung von Waffen - die Grenze von Liberia nach Côte d'Ivoire zu überqueren versucht. Die liberianischen Behörden ignorierten die von UN-Agenturen, Menschenrechtsorganisationen und anderen geäußerte Befürchtung, dass die ausgelieferten Personen in Côte d'Ivoire gefoltert oder auf andere Weise misshandelt werden könnten und dass ihnen möglicherweise unfaire Gerichtsverfahren drohten oder ihre Menschenrechte auf andere Weise missachtet werden könnten. Bei dem Auslieferungsprozess wurde zudem gegen das Prinzip des Völkergewohnheitsrechts des Non-Refoulement (Abschiebungsverbot) verstoßen. Danach ist eine Person nicht an ein Land auszuliefern, in dem ihr schwere Menschenrechtsverletzungen drohen. Einigen Betroffenen wurde das Recht auf ein ordnungsgemäßes Verfahren verwehrt. Während des Auslieferungsverfahrens hatten viele der Angeklagten keinen Zugang zu Dolmetschern. Außerdem waren zum Zeitpunkt der Auslieferung Rechtsmittelverfahren sowie ein Antrag auf Haftprüfung anhängig. Mindestens elf Betroffene waren registrierte Flüchtlinge. Anderen, die angaben, Asyl beantragen zu wollen, wurde die Einleitung des Asylverfahrens verweigert. Die Betroffenen durften weder von Mitarbeitern des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge (UNHCR) noch von Anwälten oder anderen Personen besucht werden, um ihre Identität festzustellen bzw. ihre möglichen Ansprüche auf Asyl zu prüfen.
Im Dezember stellte Côte d'Ivoire ein weiteres Auslieferungsersuchen für acht ivorische Staatsangehörige. Es handelte sich um sieben erwachsene Männer und ein Kind. Die ivorische Regierung warf ihnen vor, im Juni 2012 einen Anschlag verübt zu haben, bei dem sieben Blauhelmsoldaten und ein ivorischer Soldat getötet wurden. Die Gruppe war in Liberia ebenfalls wegen mehrerer Verbrechen angeklagt, u.a. Mord, Vergewaltigung und Söldnertum. In beiden Fällen bestand Anlass zu großer Sorge, weil die Beweislage dürftig war. Sollten die Männer und das Kind ausgeliefert werden, besteht die Gefahr, dass sie gefoltert oder auf andere Weise misshandelt werden könnten und ihnen unfaire Gerichtsverfahren, willkürliche Inhaftierung sowie Verschwindenlassen drohen oder sie außergerichtlich, willkürlich oder summarisch hingerichtet werden könnten.
Familiäre Gewalt war noch immer kein Straftatbestand und blieb auch 2012 weit verbreitet, ebenso wie Vergewaltigungen und andere Formen sexueller Gewalt, einschließlich weiblicher Genitalverstümmelung und Frühverheiratung.
Vor dem Hintergrund weit verbreiteter Homophobie in der liberianischen Öffentlichkeit und in den Medien wurden in der Legislaturperiode zwei Gesetze eingeführt, mit denen gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen noch stärker unter Strafe gestellt wurden und die somit die Diskriminierung verstärkten. Im Juli stimmte der Senat geschlossen für eine Änderung des Familienrechts, nach der gleichgeschlechtliche Ehen als Verbrechen zweiten Grades gelten sollen. Das Repräsentantenhaus hatte Ende 2012 noch nicht über den Gesetzentwurf abgestimmt. Durch einen zweiten Gesetzentwurf sollen die "Förderung" der Homosexualität unter Strafe gestellt und lange Haftstrafen für die Aufnahme einvernehmlicher gleichgeschlechtlicher sexueller Beziehungen verhängt werden können. Dieser Entwurf stand Ende 2012 im Repräsentantenhaus noch zur Abstimmung an und soll dann dem Senat vorgelegt werden. Durch die zweideutige Formulierung der Klausel, in der es um die "Förderung" von Homosexualität geht, könnte die Arbeit von Menschenrechtsverteidigern kriminalisiert werden.
Zahlreiche Angehörige sexueller Minderheiten berichteten über Beispiele von Diskriminierung und Schikanen wegen ihrer sexuellen Orientierung. Viele gaben auch an, dass sie durch die Einführung der genannten Gesetzentwürfe, mit denen die Stigmatisierung gleichgeschlechtlicher sexueller Beziehungen festgeschrieben wurde, immer mehr um ihre Sicherheit fürchteten und sie Angst davor hätten, staatliche Leistungen wie Gesundheits- und Sozialleistungen oder den Schutz der Polizei in Anspruch zu nehmen.
Delegierte von Amnesty International hielten sich von September bis Oktober in Liberia auf.
© Amnesty International
Amnesty International Report 2013 - The State of the World's Human Rights - Liberia (Periodischer Bericht, Englisch)