Amnesty International Report 2011 - Zur weltweiten Lage der Menschenrechte

Amtliche Bezeichnung: Königreich Belgien
Staatsoberhaupt: König Albert II.
Regierungschef: Yves Leterme (Übergangsregierung seit 26. April 2010)
Todesstrafe: für alle Straftaten abgeschafft
Einwohner: 10,7 Mio.
Lebenserwartung: 80,3 Jahre
Kindersterblichkeit (m/w): 6/5 pro 1000 Lebendgeburten

Nach wie vor herrschten unzulängliche Aufnahmebedingungen für Asylsuchende. Die Praxis, abgewiesene Asylsuchende in den Irak abzuschieben, wurde fortgesetzt. Es gab auch weiterhin Vorwürfe über exzessive Gewaltanwendung durch die Polizei. Es wurden Bedenken geäußert, dass ein Gesetzentwurf für ein Schleierverbot in der Öffentlichkeit gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Religionsfreiheit verstoßen könnte.

Flüchtlinge und Asylsuchende

Die Aufnahmebedingungen für Asylsuchende waren unzulänglich. Lokalen NGOs zufolge versäumte es die für den Empfang von Asylsuchenden zuständige staatliche Behörde Fedasil zwischen Oktober 2009 und Dezember 2010, den insgesamt 7723 Asylsuchenden eine Unterkunft zur Verfügung zu stellen. Zum Jahresende waren 1203 Asylsuchende weiterhin vorübergehend in Hotels untergebracht, wo sie weder medizinische Versorgung noch Sozial- oder Rechtshilfe erhielten. Die Regierung unternahm im Jahresverlauf einige Maßnahmen wie die Schaffung mehrerer Notunterkünfte, doch waren diese sowohl quantitativ als auch qualitativ unzureichend.
Am 19. Januar entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Fall Muskhadzhiyeva und andere gegen Belgien, dass Belgien mit der Inhaftierung von vier kleinen Kindern und ihrer Mutter im Hinblick auf die vier Kinder gegen das Verbot von Folter und Misshandlung sowie gegen das Recht auf Freiheit verstoßen habe. Sie waren über einen Monat lang in einem geschlossenen Haftzentrum inhaftiert gewesen, bevor sie im Januar 2007 nach Polen zurückgeschickt wurden. Seit Oktober 2009 werden Familien mit Kindern in sogenannten Wohneinheiten untergebracht und nicht länger in Hafteinrichtungen festgehalten.
Belgien hielt 2010 an seiner Abschiebepolitik für den Irak fest, trotz der Richtlinien des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge (UNHCR), nach denen die Staaten aufgefordert sind, niemanden in die Provinzen Ninewa (Mosul), Kirkuk, Diyala, Salah al-Din und Bagdad oder andere als besonders gefährlich geltende Gebiete wie beispielsweise die Provinz Al Anbar abzuschieben.

  • Im Oktober 2010 gelang es den Behörden, Saber Mohammed, einen irakischen Asylsuchenden, dazu zu zwingen, seinen Kampf gegen die Rückführung aufzugeben, und ihn in den Irak abzuschieben. Dies geschah, obwohl der belgische Generalkommissar für Flüchtlinge und Staatenlose im September bestätigt hatte, dass Saber Mohammed bei einer Rückkehr in den Irak dem Risiko von Folter und anderen Misshandlungen ausgesetzt sei. Mohammed war 2005 in Belgien wegen Straftaten, die als terroristisch eingestuft wurden, zu einer Haftstrafe verurteilt und inhaftiert worden. Direkt im Anschluss an die von ihm verbüßte Gefängnisstrafe war er in Abschiebehaft genommen worden, um in den Irak ausgewiesen zu werden. Mit Ausnahme eines Zeitraums unter Residenzpflicht blieb er bis zu seiner Ausweisung in Gewahrsam. Zu den Zwangsmethoden der belgischen Behörden gehörte die Andeutung, ihn fortgesetzt in Haft zu halten. Er wurde bei seinem Eintreffen im Irak am 27. Oktober inhaftiert und hatte bis zu seiner Freilassung am 23. November keinen Kontakt zu seiner Familie oder einem Rechtsbeistand.

Exzessive Gewaltanwendung

Es gab Berichte über exzessive Gewaltanwendung der Polizei bei mehreren Demonstrationen.
Aussagen von Protestierenden zufolge hat die Polizei im September und Oktober in Brüssel nach zwei Demonstrationen exzessive Gewalt angewandt. Im Oktober begann der staatliche Polizeikontrolldienst mit einer Untersuchung der Vorwürfe.

  • Bis Ende 2010 waren noch immer keine Ermittlungen zu den Vorwürfen der exzessiven Gewaltanwendung durch Ordnungskräfte gegen Ebenizer Sontsa erfolgt. Sie sollen den abgewiesenen Asylbewerber aus Kamerun im April 2008 bei dem Versuch, ihn nach Kamerun abzuschieben, misshandelt haben. Ebenizer Sontsa beging im Mai 2008 Selbstmord.

Internationale Gerichtsbarkeit

Am 8. Dezember fällte das Brüsseler Zivilgericht ein erstes Urteil im Prozess von neun Überlebenden des Völkermords in Ruanda gegen den belgischen Staat und drei belgische Soldaten. Das Gericht befand, dass der belgische Staat für den Befehl zur sofortigen Rückkehr belgischer Blauhelme 1994 aus Kigali verantwortlich sei. Die Blauhelme hatten etwa 2000 Menschen in einem Schulgebäude zurückgelassen, das sich zum Zeitpunkt ihres Rückzugs unter belgischer Kontrolle befand. Viele der Menschen wurden kurz nach dem Abzug der Blauhelme ermordet. Das Gericht kam weiterhin zu dem Urteil, dass die drei Soldaten eigenverantwortlich gehandelt hätten, als sie dem Befehl Folge leisteten.

Diskriminierung

Am 29. April 2010 stimmte das Abgeordnetenhaus für ein Gesetz, das die teilweise oder vollständige Bedeckung des Gesichts in der Öffentlichkeit durch Kleidung verbietet, die es unmöglich macht, den Tragenden zu erkennen. Es gab Bedenken, dass ein generelles Verbot des Schleiers die Rechte der Frauen verletze, die den Schleier als Ausdruck ihrer religiösen, kulturellen, politischen oder persönlichen Identität oder Überzeugung tragen. Zum Jahresende lag der Gesetzentwurf noch dem Senat zur Prüfung vor.

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