Dokument #1229953
ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (Autor)
26. November 2015
Diese Anfragebeantwortung wurde für die Veröffentlichung auf ecoi.net abgeändert.
Das vorliegende Dokument beruht auf einer zeitlich begrenzten Recherche in öffentlich zugänglichen Dokumenten, die ACCORD derzeit zur Verfügung stehen sowie auf Expertenauskünften, und wurde in Übereinstimmung mit den Standards von ACCORD und den Common EU Guidelines for processing Country of Origin Information (COI) erstellt.
Diese Antwort stellt keine Meinung zum Inhalt eines Ansuchens um Asyl oder anderen internationalen Schutz dar. Alle Übersetzungen stellen Arbeitsübersetzungen dar, für die keine Gewähr übernommen werden kann.
Wir empfehlen, die verwendeten Materialien im Original durchzusehen. Originaldokumente, die nicht kostenfrei oder online abrufbar sind, können bei ACCORD eingesehen oder angefordert werden.
Politische Bedeutung der Parteien Hezb-e Islami und Dschamiat (auch: Dschamiat-e Islami); Verhältnis zwischen diesen beiden Parteien
Hezb-e Islami
Folgende ACCORD-Anfragebeantwortung vom Oktober 2015 enthält unter anderem allgemeine Informationen zur Hezb-e Islami:
· ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zu Afghanistan: 1) Ethnische Zusammensetzung der Mitglieder/Unterstützer der Hezb-e Islami (nur Paschtunen oder auch Angehörige anderer ethnischer Gruppen?) (vor allem während der Zeit der sowjetischen Besatzung); 2) Wie geht die Hezb-e Islami mit Personen um, die sich weigern, sich ihnen anzuschließen bzw. sie (z.B. finanziell) zu unterstützen? Geraten in solchen Fällen auch Familienmitglieder der sich weigernden Personen ins Visier? [a-9350-v2], 5. Oktober 2015 (Kopie im Anhang)
Die US-amerikanische Tageszeitung New York Times (NYT) schreibt in einem Artikel vom Mai 2013, dass die Hezb-e Islami, ein zur Zeit des Kampfes gegen die sowjetischen Truppen und während des Bürgerkrieges mächtiger und gefürchteter Akteur, weithin als eine erschöpfte aufständische Gruppe angesehen werde, die eine nur geringe militärische Bedrohung für die afghanische Regierung, das westliche Militär oder ihre Rivalen, die Taliban, darstelle. Stattdessen liege die wirkliche Stärke der Hezb-e Islami heutzutage in ihrem politischen Flügel. Dieser habe innerhalb der afghanischen Regierung an Einfluss gewonnen, obwohl der militärische Flügel versucht habe, seinen Kampf fortzusetzen. Einige der prominentesten Mitglieder des politischen Flügels der Hezb-e Islami würden sogar als glaubwürdige KandidatInnen für die Präsidentschaftswahlen 2014 betrachtet.
Die dominierende Interpretation dieser Entwicklung sei, dass sich die Hezb-e Islami zunehmend auf eine neue Waffe einlasse und auf effektive Weise ihren politischen Einfluss gegen den Westen geltend mache, um ihre abnehmende militärische Stärke zu kompensieren. Afghanische und US-amerikanische BeamtInnen hätten angegeben, dass die Anhänger („loyalists“) der Partei Präsident Karzai in zunehmendem Maße dazu gedrängt hätten, gegenüber den USA einen härteren Kurs einzuschlagen.
Wie der Artikel weiters anführt, hätten sich in den vergangenen drei Jahrzehnten in Afghanistan derart häufig Verschiebungen bei den Loyalitäten ereignet, dass es schwierig sein könnte, auszumachen, wo die Regierung ende und der Aufstand beginne. Allerdings sei die Hezb-e Islami selbst für afghanische Maßstäbe in einer besonders undurchschaubaren Ecke der politischen und militärischen Landschaft angesiedelt. So habe sie früh nach der US-amerikanischen Invasion im Jahr 2001 ihre Loyalitäten aufgespalten. Einem Professor für Politikwissenschaft an der Universität Kabul zufolge sei das Hauptziel der Hezb-e Islami gewesen, sicherzustellen, dass, egal welche Seite den Krieg gewinne, sie auf dieser Seite vertreten sei.
Wie die NYT erläutert, habe die politische Partei, die von Hezb-e-Islami-Mitgliedern, die nach 2001 nach Kabul zurückgekehrt seien, gegründet worden sei, Macht und Einfluss innerhalb der afghanischen Regierung angehäuft. So handle es sich zum Beispiel bei Karzais Stabschef und einer Reihe von Kabinettsmitgliedern und Provinzgouverneuren um Mitglieder der Hezb-e Islami:
„Hezb-i-Islami, a powerful and feared player in the fight against the Soviets and later in the country’s civil war, is now widely seen as a spent insurgent force that poses little military threat to the Afghan government, the Western military or its Taliban rivals. Instead, on the eve of the American troop withdrawal, Hezb-i-Islami’s real strength now lies with its political party. It has grown influential in the Afghan government, even as its militant faction has tried to continue its fight. Some of its most prominent members are even seen as credible contenders in presidential elections scheduled for next year.
In one sense, the evolution of Hezb-i-Islami, a broadly Islamist and anti-Western movement, could be taken as a promising sign by Western countries that have spent so much blood and money to establish a credible government here. A potent insurgent force is now finding that it can achieve more by working within the system than by fighting it. But the more dominant view of the group is that it has become increasingly comfortable with a new weapon, now effectively wielding political influence against the West to supplement its ailing military strength. Afghan and American officials say the party’s loyalists have increasingly pushed President Hamid Karzai to take a harder line with the United States in ways that have complicated American plans for pulling back without destabilizing Afghanistan. […]
The past three decades of war in Afghanistan have been so frequently punctuated by neck-wrenching shifts in factional loyalty that it can be difficult to spot where the government ends and the insurgency begins. Yet even by Afghan standards, Hezb-i-Islami occupies a particularly murky corner of the political and military landscape. Like Afghan families who send one son to the army and the other to the Taliban, Hezb-i-Islami split its loyalties early after the American invasion in 2001. ‘The main goal,’ said Tahir Hashimi, a political science professor at Kabul University, ‘was to make sure that whichever side wins the war, Hezb-i-Islami would be part of it.’ […]
All the while, the political party, which was founded by Hezb-i-Islami members who returned to Kabul in the years after 2001, has amassed power and influence within the Afghan government. Mr. Karzai’s chief of staff is a Hezb-i-Islami member, for instance, as are a handful of cabinet members and provincial governors.” (NYT, 21. Mai 2013)
Borhan Osman vom Afghanistan Analysts Network (AAN), einer unabhängigen, gemeinnützigen Forschungsorganisation mit Hauptsitz in Kabul, schreibt in einem Artikel vom Mai 2013, dass sich im Jahr 2005 eine Gruppe von Mitgliedern der ehemaligen Führung der Hezb-e Islami unter dem Namen Hezb-e Islami Afghanistan (HIA) als Partei registriert habe. Diese werde gegenwärtig vom Wirtschaftsminister Abdul Hadi Arghandiwal angeführt und habe sich bei den vergangenen Wahlen mit Präsident Karzai verbündet. Laut Angaben von Arghandiwals Stellvertreter Muhammad Khan habe die Partei drei Ministerposten inne (Wirtschaftsminister, Bildungsminister und Minister für Landwirtschaft und Viehzucht) und verfüge über 47 Mitglieder in beiden Parlamentskammern sowie über fast ein Viertel der 420 Mitglieder aller Provinzräte.
Um registriert werden zu können, hätten sich die Anführer der Partei von Gulbuddin Hekmatyar (Anführer der Hezb-e Islami, Anm. ACCORD) distanzieren müssen, was sie schlussendlich auch getan hätten. Allerdings habe dieser Schritt viele AfghanInnen nicht überzeugen können, die der Meinung seien, beide „Fraktionen“ würden dasselbe Ziel, die Übernahme der Macht, durch unterschiedliche Mittel verfolgen. Aussagen der beiden Fraktionen zu ihrem gegenseitigen Verhältnis seien durchwegs widersprüchlich gewesen, abhängig vom Kontext, auf den sie sich bezogen hätten:
„Hezb’s case is strikingly different from that of the Taleban who have almost no former senior members present in the Karzai government and have refused to establish a political party. In late 2005, a group of members of the party’s former leadership registered a party under the original name, Hezb-e Islami Afghanistan (HIA). (This is also still the official name of ‘HIG’.) It is currently led by the Minister of Economy Abdul Hadi Arghandiwal and has aligned itself with the president in the past elections. According to Arghandiwal’s deputy Muhammad Khan, it holds three ministries – the other two being the Ministry of Education (with Faruq Wardak as minister) and the Ministry of Agriculture and Livestock (Asef Rahimi) – and has 47 members in both houses of parliament as well as almost one quarter of the 420 members of all provincial councils.
In order to be able to finally register in 2005, the party’s leaders needed to distance themselves from Hekmatyar, which they did after a tug-of-war. However, this move failed to convince many Afghans who suspect that both ‘factions’ are pursuing the same strategy, namely to take over power, via different means. Statements from each of the two major Hezb factions about its relationship with the other have been consistently contradictory, depending on the context they addressed.” (Osman, 6. Mai 2013)
Thomas Ruttig, ebenfalls vom AAN, erläutert in einem Artikel vom Februar 2014, dass die Hezb-e Islami bereits über einen guten Stand in Kabul verfüge. So stelle die Partei Minister, Provinzgouverneure, eine große Gruppe von Abgeordneten im Unterhaus des Parlaments, verschiedene Präsidentenberater sowie den Kabinettschef des Präsidenten. Laut Marvin Weinbaum vom in Washington, D.C. angesiedelten Middle East Institute habe sich Karzai bewusst oder unbewusst mit der Hezb-e Islami verbündet („aligned himself with“). Der Einfluss der Hezb-e Islami reiche auch in den Beamtenapparat, außerdem seien ihre Mitglieder in der Nationalversammlung und in mehreren Provinzversammlungen gut vertreten.
Wenn es stimme, was der Sprecher der HIA angegeben habe, dann sei diese Allianz nicht unbewusst eingegangen worden, so Ruttig. Dem HIA-Sprecher zufolge sei Parteichef Abdul Hadi Arghandiwal als Teil eines Machtteilungsarrangements zum Wirtschaftsminister ernannt worden, was auf eine bevorzugte Behandlung der Hezb-e Islami hinweise. Zuvor habe Präsident Karzai Kabinettsmitglieder dazu ermutigt, Posten als Parteichefs niederzulegen bzw. habe ihnen davon abgeraten, sich in einer Partei zu engagieren.
Wie Ruttig weiters anführt, habe die von Gulbuddin Hekmatyar angeführte Hezb-e Islami (HIG) auch bei der Afghanischen Lokalpolizei (ALP) einen Fuß in der Tür. So hätten afghanische Offizielle und US-amerikanische Spezialkräfte einem im Jänner 2014 veröffentlichten Bericht von Open Democracy zufolge „mutmaßlich“ Hezb-e-Islami-Mitglieder bewaffnet und in die von der Regierung kontrollierte Hilfstruppe in der Provinz Wardak integriert.
Allerdings ziehe nicht jeder in der Hezb-e Islami an einem Strang. So gebe es die scheinbar formale Trennung zwischen der aufständischen HIG und der registrierten, legalen Partei HIA. Dies habe dazu geführt, dass beide Flügel im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2014 unterschiedliche Kandidaten unterstützen würden: die HIG unterstütze Qutbuddin Helal, während die HIA Arghandiwals Abdullah Abdullah unterstütze. Arghandiwals Stellvertreter, Muhammad Khan, gehöre Abdullahs Team an.
Arghandiwals Einfluss sei allerdings bereits im Abnehmen begriffen. Die HIG habe scharf auf die Koalition zwischen dem politischen Flügel der Hezb-e Islami, der HIA Arghandiwals, und Abdullah von der Dschamiat-e Islami, einem politischen Erzfeind seit der Zeit der sowjetischen Besatzung, reagiert. Im Gegenzug dazu habe ein HIA-Sprecher angegeben, dass Helal nicht ihr Kandidat sei:
„[…] Hezb already has a good foothold in Kabul. There are ministers, provincial governors, a large group in the parliament’s lower house, various presidential advisor posts (Paktia Governor Juma Khan Hamdard, former HIG [Heb-e Islami Gulbuddin] Intelligence Chief Wahidullah Sabawun and others) and the president’s chef de cabinet, Abdul Karim Khorram (see also this CAPS report). ‘Arguably, Karzai has wittingly or unwittingly aligned himself with this radical Islamic party,’ veteran Afghanistan watcher Marvin Weinbaum of the Washington-based Middle East Institute recently wrote. ‘The influence of Hezb-i-Islami also reaches into the bureaucracy, and its members are well represented in the national and several provincial assemblies.’
If what the HIA [Hezb-e Islami Afghanistan] spokesman was quoted as saying last July is correct, this alliance is not so unwitting. According to spokesman Abdullah Kamawal, party leader Abdul Hadi Arghandiwal had been appointed minister of economy as part of what he called a power-sharing plan. This points to preferential treatment of Hezb-e Islami. Previously, President Karzai has actively encouraged cabinet members to lay down positions as party leaders, as in the case with former commerce minister Anwar-ul-Haq Ahadi (Afghan Mellat) or discouraged them from engaging in parties, particular those not belonging to tanzims (mujahedin factions). […]
HIG also has a foot in the door of the Afghan Local Police (ALP). A January 2014 report by Open Democracy says that Afghan officials and US Special Forces ‘allegedly’ have armed and integrated HIG members into this government-controlled auxiliary force in Wardak province. […]
But not everyone is pulling together in Hezb yet. First, there is the ostensibly formal split between the insurgent HIG and the registered legal party that carries the same official name, Hezb-e Islami Afghanistan (HIA) (find more about the history of that split in our earlier dispatch here). This has resulted in both wings supporting different candidates at the moment: HIG supports [Qutbuddin] Helal, Arghandiwal’s HIA supports Dr Abdullah. Arghandiwal’s deputy, Engineer Muhammad Khan, is one of Abdullah’s two running mates (the full list of candidates here).
But Arghandiwal’s influence is already shrinking. HIG reacted sharply to the political branch’s – meaning the HIA’s, led by Arghandiwal – unlikely coalition with Jamiat’s Dr Abdullah, a political arch-enemy since the time of the anti-Soviet war, saying, ‘It is against the party’s reputation to be part of such an alliance. [Hezb-e Islami] will not support such faces as they are in the service of enemies and who support and insist on the stay of foreign troops.’ A spokesman for Arghandiwal’s group, in turn, said Helal was not their candidate.” (Ruttig, 19. Februar 2014)
Auch die den deutschen Grünen nahestehende Heinrich-Böll-Stiftung berichtet im März 2014 über das Team Abdullahs für die Präsidentschaftswahlen 2014 und führt an, dass zu diesem Vertreter dreier Gruppen gehören würden, die während des Bürgerkrieges in Gegnerschaft zueinander gestanden seien („civil war adversarial groups“): die Dschamiat-e Islami, die Hezb-e Islami sowie die Wahdat-e Islami. Bei einem der Kandidaten für einen Posten als Vizepräsident handle es sich um Muhammad Khan, den stellvertretenden Vorsitzenden des registrierten Flügels der Hezb-e Islami. Diese sei von Gulbuddin Hekmatyar gegründet worden und werde immer noch von diesem angeführt. Hekmatyars Unterstützung für Abdullahs Team wäre essentiell gewesen, allerdings habe er sich entschieden, einen anderen Kandidaten der Hezb-e Islami, Qutbuddin Helal, zu unterstützen:
„Abdullah Abdullah is from the second generation of Mujahideen. He was an aide of the slain leader of the Northern Alliance, Ahmad Shah Massoud, and served as Afghanistan’s Foreign Minister from 2001 to 2005. He was a runner up in 2009 presidential election. This ticket brings together three civil war adversarial groups, Jamiat-e-Islami, Hizb-e-Islami and Wahdat-e-Islami. Dr. Abdullah’s Jamiat-e-Islami fought the parties of both his vice presidential candidates, Eng. Mohammad Khan and Haji Mohammad Mohaqeq, between 1992 and 1996. […]
Khan is the deputy of the registered wing of the Islamic Party of Afghanistan. Islamic Party was founded and is still led by Gulbuddin Hekmatyar, a former prime minister who is leading a smaller faction of insurgency. Hekmatyar’s support for this ticket would have been key but he instead chose to back another candidate from the Islamic Party, Qutbuddin Helal.” (Heinrich-Böll-Stiftung, 20. März 2014)
In einem Artikel vom Mai 2015 führt Ruttig Muhammad Khan als stellvertretenden Exekutivchef („Vice CEO“) an und erläutert, dass dessen Hezb-e-Islami-Flügel gemeinsam mit der Dschamiat und anderen „Tanzim“ (Mudschaheddin-Parteien, Anm. ACCORD) wie der Jombesch, die gegenwärtig alle auf der Seite der Regierung stehen würden, viele, wenn nicht gar alle, ALP-Einheiten im Norden Afghanistans stellen würden („run“). Es sei selten, dass ein wichtiger Politiker dies öffentlich zugebe, da es für politische Parteien verboten sei, bewaffnet zu sein:
„Jamiat, along with other tanzims like Vice President Dostum’s Jombesh and Vice CEO [Chief Executive Officer] Muhammad Khan’s wing of Hezb-e Islami all currently on the government’s side, indeed run many, if not most, of the ALP units in the region [in the north]; it is rare to hear a major politician admitting this in public as it is illegal for a political party like Jamiat to be armed.” (Ruttig, 3. Mai 2015)
Der deutsche Auslandsrundfunksender Deutsche Welle (DW) schreibt in einem Artikel vom Jänner 2015 Folgendes zu den nominierten MinisterInnen der afghanischen Einheitsregierung von Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah:
„Nach der monatelangen Pattsituation, die auf die Präsidentschaftswahlen 2014 folgte, hatten sich die Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah auf eine Teilung der Macht und eine Regierung der Nationalen Einheit geeinigt. […] Die Liste der nominierten Minister umfasst derweil weder Vertreter der Taliban noch der Hisb-i-Islami, worüber zuvor spekuliert worden war. […]
Immer wieder war zu hören gewesen, die Regierung hätte versucht, militante Gegner wie die Taliban und die im Kampf gegen die Sowjets aufgestiegene islamistische Partei Hisb-i-Islami in das Kabinett einzubeziehen. ‚Ashraf Ghani hatte mehrfach angekündigt, diese Gruppen ebenfalls aufzunehmen. Es gab immer wieder Gerüchte, dass ihnen der ein oder andere Posten freigehalten würde‘, sagt Nils Wörmer von der Konrad-Adenauer-Stiftung. Thomas Ruttig ist dagegen skeptisch: ‚Vielleicht hat man Leuten Angebote gemacht, die früher mal zu den Taliban gehörten‘, so Ruttig. Die Entscheidung, ob man die Taliban in die neue Regierung einbeziehen möchte, stehe der neuen Regierung noch als Aufgabe bevor.“ (DW, 13. Jänner 2015)
Kate Clark vom AAN berichtet in einem Artikel vom Jänner 2015 ebenfalls über die Liste der nominierten MinisterInnen und führt an, dass sich die Hezb-e Islami beschwert habe, da ihr nur zwei Minister zugestanden würden:
„The attempt to have a different kind of cabinet means that many who felt entitled to a position now feel snubbed. They include heavy-weight politicians and provincial strongmen who mobilised votes and presumably money and who now feel unrewarded or even betrayed. The snubs may be multiple and overlapping – both personal and on behalf of their tanzim, community, province or region. Complaints that have been voiced in the media or on social media have come from the mujahedin (our sacrifice for this country has been ignored while the leftists are rampant), Hezb-e Islami (only two ministers!), Hazaras (‘we were promised five seats and one has been given to a Sayed’), Panjshiris (only one minister and none of the security ministries, which all went to leftists), Heratis (no minister at all), Nuristanis (we’re the sixth biggest ethnic group and have ‘no representation’) and so on. Some of these groupings have strong representation in parliament, often with overlapping members – mujahedin, Hezbis and Jamiati, Hazaras and Heratis. Getting the numbers for an endorsement will involve some more difficult and complex arithmetic.” (Clark, 20. Jänner 2015)
Bei den zwei Ministern, die von der Hezb-e Islami als die Ihrigen beansprucht würden, handle es sich um Ahmad Sayer Mahjur (Anwärter auf den Posten des Justizministers) und Naseer Durani (Anwärter auf den Posten des Ministers für Wiederaufbau und Entwicklung in ländlichen Gegenden), so Clark (Clark, 20. Jänner 2015).
Ein AAN-Artikel vom März 2015 stellt biographische Informationen zu einigen der nominierten MinisterInnen zur Verfügung. Als Anwärter auf den Posten des Justizministers wird eine Person namens Abdul Basir Anwar erwähnt, die dem von Arghandiwal angeführten politischen Flügel der Hezb-e Islami angehöre:
„Dr Anwar, an ethnic Tajik, was born 1952 in the Jabal Saraj district of Parwan province. Data about his recent history is still very scarce, but there are details about his career during the mujahedin time. Abdul Basir Anwar is a member of Hezb-e Islami Afghanistan (the political party led by Arghandiwal, not the fighting branch led by Gulbuddin Hekmatyar).” (AAN, 24. März 2015)
Auf der Website der US-amerikanischen Central Intelligence Agency (CIA) findet sich eine zuletzt im August 2015 aktualisierte Auflistung der Kabinettsmitglieder in Afghanistan. Darunter werden unter anderem der im obigen Zitat erwähnte Abdul Basir Anwar als Justizminister und der im Clark-Artikel von Jänner 2015 angeführte Naseer Durani als Minister für Wiederaufbau und Entwicklung in ländlichen Gegenden angeführt. Der ebenfalls im Clark-Artikel erwähnte Ahmad Sayer Mahjur findet sich in der Auflistung nicht. (CIA, 21. August 2015)
Dschamiat
In einem im August 2013 veröffentlichten Bericht für das US-amerikanische Institute for the Study of War (ISW), das sich selbst als überparteiliche Forschungsorganisation im Bereich Militärangelegenheiten bezeichnet, schreibt Mara Tschalakow, Doktorandin an der University of Oxford, die für das United States Central Command, eines der Regionalkommandozentren der US-Streitkräfte, gearbeitet hat, dass es sich bei der Dschamiat weiterhin um eine der ältesten und einflussreichsten von Tadschiken dominierten politischen Parteien handle. Seit dem Sturz der Taliban würden Dschamiat-Mitglieder durchwegs entscheidende Ministerien dominieren, auch wenn die Partei mit dem Erstarken abtrünniger Fraktionen und plötzlichen Führungswechseln konfrontiert gewesen sei. Viele ihrer wichtigen Mitglieder seien weiterhin für das politische Gleichgewicht entscheidend, das von Präsident Karzai aufrechterhalten werde:
„Jamiat remains one of Afghanistan’s oldest and most influential Tajik-dominated political parties, originally forged as a tanzim or political-military organization. The party’s members formed the core of the anti-soviet mujahideen resistance and of the Northern Alliance against the Taliban. Since its inception in the 1970s, the party’s fortunes have ebbed and flowed. While Jamiat members have consistently dominated crucial cabinet ministries since the fall of the Taliban, the party has also endured the rise of breakaway factions and suffered sudden leadership changes. Nonetheless, many of its key players remain essential to the fragile political equilibrium President Karzai has, with varying success, maintained to the present day.” (ISW, August 2013, S. 9)
Die englischsprachige ägyptische Wochenzeitung Al-Ahram Weekly erwähnt in einem Artikel vom April 2014, dass AfghanInnen davon ausgehen würden, dass die Dschamiat-e Islami (bzw. das, was von ihr übrig sei) weiterhin zu den einflussreichsten Gruppen Afghanistans gehöre. Die Dschamiat, die als eine politisch-militärische Organisation geformt worden sei und den Kern der Nordallianz gegen die Taliban gebildet habe, sei eine Kraft, mit der man rechnen müsse. Ob sich ihr Einfluss auch in den anstehenden Präsidentschaftswahlen widerspiegeln werde, bleibe abzuwarten:
„Afghans understand that the political heirs and residue of Jamiat-i-Islami remains one of Afghanistan’s most influential groups. The movement, after all, is one of Afghanistan’s oldest. But the fact that it is a Tajik-dominated group of political parties and reformers desperate to prevent a Taliban comeback runs deep. The Jamiat-i-Islami forces, forged as a political-military organisation that eventually formed the core of the Northern Alliance against the Taliban, are a power to reckon with. Whether their influence will be reflected in the Afghan elections this week remains to be seen. Their political mantra is stability, the same as their Pashtun counterparts.” (Al-Ahram Weekly, 10. April 2014)
Im weiter oben bereits zitierten Bericht der Heinrich-Böll-Stiftung vom März 2014 wird angeführt, dass Abdullah Abdullah von seiner Partei, der Dschamiat-e Islami, als Kandidat für die Präsidentschaftswahlen aufgestellt worden sei. Die Dschamiat sei eine wichtige Mudschaheddin-Partei gewesen, die nach wie vor, besonders in nicht-paschtunischen Gebieten, über beträchtlichen Einfluss verfüge:
„Abdullah Abdullah was expected to do well in polls after his name was put forward by his party, Jamiat-e-Islami of Afghanistan (the Islamic Society of Afghanistan). Jamiat was a major Mujahideen party that still has considerable influence, especially in the non-Pashtun areas.” (Heinrich-Böll-Stiftung, 20. März 2014)
In einem älteren Artikel vom Oktober 2011 schreibt Thomas Ruttig, dass die Dschamiat-e Islami seit den 1970er-Jahren vom am 20. September 2011 ermordeten Burhanuddin Rabbani angeführt worden sei. Während des Dschihad habe sich die Dschamiat zu einem militärisch-politischen Netzwerk, einem „Tanzim“, entwickelt. Nicht jeder Kommandant oder Mudschaheddin, der mit der Dschamiat gekämpft habe oder von dieser finanziert worden sei, sei ein Dschamiat-Mitglied. Trotzdem könne die Dschamiat in Krisenzeiten wahrscheinlich auf deren Loyalität zählen. Die Dschamiat verfüge weiterhin über ein starkes Netzwerk in den Ministerien, den Sicherheitskräften, im Parlament und auf subnationaler Ebene. Außerdem stelle sie eine Reihe von Provinzgouverneuren und Polizeichefs:
„The assassination of Burhanuddin Rabbani on 20 September not only decapitated the High Peace Council, but also Jamiat-e Islami. Since the 1970s, Ustad Rabbani had led this party, which, during the jihad, became a military-political network – a tanzim – and post-2011, has been registered as a party under the new political parties law. Not every commander or mujahed who fought with Jamiat, or was funded by it, is a member. However, Jamiat can probably count on their loyalty in times of crises and they still feel a certain ownership when it comes to deciding who will be the new leader. Jamiat still has a strong network in the ministries, security forces, parliament and at the subnational level; it has a number of provincial governors (Balkh, Takhar, Badakhshan, Panjshir, Parwan, Kapisa and several others with good personal links to individual senior Jamiat leaders), as well as police chiefs.” (Ruttig, 23. Oktober 2011)
In einem im Februar 2013 veröffentlichten Bericht zur Evaluierung des Länderberichts des britischen Innenministeriums zu Afghanistan schreibt Peter Mardsen, Afghanistan-Experte und früherer Koordinator der British and Irish Agencies Afghanistan Group (BAAG), einer Dachorganisation von in Afghanistan tätigen britischen und irischen Hilfsorganisationen, dass die Dschamiat-e Islami wegen ihrer führenden Rolle beim Widerstand gegen den Vormarsch der Taliban im Zeitraum von 1992 bis 1996 von den US-amerikanischen Streitkräften dazu verwendet worden sei, mit Luftunterstützung seitens der USA Bodenoffensiven gegen Taliban-Kämpfer im Norden des Landes durchzuführen. Als Anerkennung für ihre Rolle sei die Dschamiat-e Islami in Folge des Petersberger Abkommens (von Dezember 2001, Anm. ACCORD) mit Schlüsselpositionen innerhalb der afghanischen Regierung belohnt worden. Seitdem habe sie einflussreiche Positionen in den aufeinanderfolgenden Regierungen Karzais eingenommen.
Wie Marsden weiters anführt, hätten führende Dschamiat-e-Islami-Mitglieder unmittelbar nach Abschluss des Petersberger Abkommens die wichtigen Ministerposten Inneres, Verteidigung und Äußeres erhalten. Im Juli 2010 sei der Posten des Innenministers erneut an die Dschamiat-e Islami gefallen sowie im September 2012 der Posten des Verteidigungsministers. Angesichts des erheblichen Einflusses auf das Innenministerium verfüge die Dschamiat-e Islami über eine starke Position, um Kontrolle über die Polizei und den Geheimdienst auszuüben. Deshalb bestehe die Möglichkeit, dass zurückkehrende ehemalige Hezb-e-Islami- und Taliban-Kämpfer schlecht behandelt („ill-treated“) würden, sollten sie bei ihrer Ankunft auf dem Kabuler Flughafen oder danach zwecks Vernehmung in Gewahrsam genommen werden.
An anderer Stelle erwähnt Marsden, dass sich die Dschamiat-e Islami angesichts ihres Einflusses auf die Polizei und den Geheimdienst in einer Lage befinde, die es ihren Milizkommandanten oder Kämpfern erlaube, straffrei Vergeltungsmaßnahmen gegen ehemalige Kämpfer der von Hekmatyar angeführten Hezb-e Islami oder ehemalige Taliban-Kämpfer durchzuführen:
„Because Jamiat-e-Islami was in a lead role in resisting the Taliban advance over the 1992-96 period, it was used by US forces to carry out ground offensives against Taliban contingents in the north, with air support provided by the US military. In recognition of this role, Jamiat-i-Islami was rewarded with key positions within the Afghan government following the Bonn Agreement and it has retained a powerful position within the successive governments of President Karzai. […]
Leading Jamiat-e-Islami members were thus immediately given the key ministerial portfolios of Interior, Defence and Foreign Affairs and have again held the Interior Ministry since July 2010 and the Defence Ministry since September 2012. […] Through the considerable influence which Jamiat-e-Islami has held over the Interior Ministry, it has been in a strong position to exert control over the police and the intelligence service, the National Directorate of Security. This creates the potential for returning former Hizb-e-Islami and Taliban fighters to be ill-treated if they are taken in for questioning on arrival at Kabul airport or subsequently. […]
I consider it important that the COI [country of origin information] sources reflect the key role which Jamiat-e-Islami has played because it is now in a position, through its influence over the police and intelligence service, to enjoy effective impunity in any reprisals which its militia commanders or fighters may carry out against former fighters of Hizb-e-Islami (Hekmatyar) arising from the intra-Mujahidin period of 1992-96 or against former Taliban fighters, arising from the Taliban offensives in northern Afghanistan of 1996-2001.” (Marsden, Februar 2013, Absätze 32-34)
In einem Artikel der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu Agency (AA) vom Juli 2015 wird angeführt, dass das Parlament zum zweiten Mal den von Präsident Ashraf Ghani vorgeschlagenen Verteidigungsminister abgelehnt habe. Atta Muhammad Noor, der einflussreiche Gouverneur der im Norden gelegenen Provinz Balch, habe daraufhin seine eigene Liste von Kandidaten für den Posten des Verteidigungsministers vorgeschlagen. Noor gehöre zu den wichtigsten Anführern der mächtigen Dschamiat-e Islami, die nach dem Sturz der Taliban weitreichenden Einfluss ausgeübt habe. Dschamiats Kämpfer und Anführer, mehrheitlich ethnische Tadschiken, würden nach wie vor verschiedene Posten in führender Funktion bekleiden.
Einem Parlamentsreporter zufolge handle es sich bei Noor und seiner Partei nicht um die einzige starke und parallele Kraft in Afghanistan. Es gebe im Parlament sehr viele Gruppen, die entlang regionaler, ethnischer und Parteilinien formiert worden seien, ihre eigenen Prioritäten über das nationale Interesse stellen würden und die Regierung dazu zwingen könnten, ihre Bedingungen zu akzeptieren:
„Afghanistan's parliament has not given President Ashraf Ghani an easy ride since he took office last September. On Wednesday, they rejected Anisa Rassouli, his choice for the Supreme Court bench and the first ever female candidate. Days earlier they rejected, for the second time, his chosen defense minister, leaving the crucial position unfilled even as the country goes through the peak of the fighting season with the Taliban. Most of his original cabinet were earlier rejected.
The deep-seated tussle for power has left Ghani's capacity to govern limited but it is one he will have to continue to contend with, while also balancing the sensitivities of his unity government partners, in order to finally complete his cabinet. Atta Muhammad Noor, the powerful Governor of northern Balkh province, seemingly crossed the limits of his authority this week by proposing his own list of candidates to head the Ministry of Defense. Noor is among the key leaders of the powerful Jamiat-e-Islami party that enjoyed sweeping influence across Afghanistan after the fall of Taliban. Jamiat’s fighters and leaders, mostly ethnic Tajiks, are still in commanding positions in various posts. […]
‘Atta Noor and his party is not the only strong and parallel force in Afghanistan,’ Dawood Shah Mal, a senior parliamentary reporter, told Anadolu Agency. ‘There are so many groups formed on regional, ethnic and party lines in the parliament that keep their own priorities superior to national interests and can force the government into accepting their terms.’” (AA, 9. Juli 2015)
In einem Artikel vom Jänner 2015 geht Thomas Ruttig wie folgt auf die Liste der Kandidaten für das neue afghanische Kabinett nach den Präsidentschaftswahlen 2014 ein:
„Es gibt einige ranghohe Vertreter der tanzims (der Mudschahedin-‚Parteien‘, die eher politisch-militärische, z.T. eher auch noch militärisch-politische Formationen sind, die aus den Jahrzehnten der Bürger- und Fraktionskriege kommen) in diesem Kabinett, aber sie kommen meist aus deren zivilen Flügeln und waren – mit einigen Ausnahmen – nicht prominent und aktiv in den früheren Phasen beteiligt. Dazu gehören Faizullah Zaki (Transport), ein früherer DVPA-Jugendaktivist und spätere Jombesh-Parteivize,; Mahmud Saiqal (Wasser und Energie) sowie Zalmai Yunusi (Bildung), beider Jamiat-Intellektuelle; Salahuddin Rabbani (Äußeres), der Sohn des früheren (ermordeten) Jamiat-Chefs Borhanuddin Rabbani; der frühere Parlamentsabgeordnete Sayed Hussein Alemi Balkhi (Flüchtlinge), einer der Gründer der schiitischen Hezb-e Wahdat-e Islami. Jailani Popal (Finanzen) ist früherer Vizechef der Partei Afghan Mellat, die nur sehr begrenzt mit bewaffneten Gruppen an den früheren Kriegen teilnahm. (Zaki und Yunusi, aus verfeindeten Fraktionen, haben 2002/03 aber auch in der von den Vereinten Nationen inspirierten örtlichen Friedenskommission in Mazar mitgearbeitet, die nach vorherigen bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Jamiat und Jombesch gebildet wurde.“ (Ruttig, 15. Jänner 2015)
In dem bereits angeführten AAN-Artikel vom März 2015, der biographische Informationen zu einigen nominierten MinisterInnen zur Verfügung stellt, wird außerdem eine Person namens Abdul Satar Murad als Anwärter für den Posten des Wirtschaftsministers erwähnt. Murad sei ein im Jahr 1957 geborener ethnischer Tadschike, der als stellvertretender Leiter von Abdullahs Wahlkampfteam und von 2007 bis 2014 als Vorsitzender des politischen Komitees der Dschamiat-e Islami fungiert habe. Darüber hinaus führt der Artikel eine Person namens Assadullah Hanif Balkhi als Anwärter für den Posten des Bildungsministers an. Dieser, ebenfalls ein ethnischer Tadschike, komme aus der Provinz Balch, wo er sich auch der Dschamiat-e Islami angeschlossen habe. Berichten zufolge sei Balkhi ein einflussreicher politischer Berater im Präsidentenpalast („the Palace“) gewesen:
„5. Mr Abdul Satar Murad, Economy (AA)
Abdul Satar Murad is an ethnic Tajik and was born in Parwan province in 1957. Most recently, he served as deputy head of Dr. Abdullah’s electoral campaign team and chairman of the political committee of Jamiat-e Islami (2007 to 2014). […]
16. Mr Assadullah Hanif Balkhi, Education (AA)
Asadullah Hanif Balkhi, an ethnic Tajik in his fifties, hails from Balkh Province where he also became a member of Jamiat-e Islami. He is said to have had a particularly close relationship with the late Marshal Fahim and to have been an influential political advisor in the Palace .” (AAN, 24. März 2015)
In der bereits angeführten, zuletzt im August 2015 aktualisierten Auflistung der CIA von Kabinettsmitgliedern in Afghanistan finden sich unter anderem die in den zwei voranstehenden Zitaten erwähnten Salahuddin Rabbani (Außenminister), Abdul Satar Murad (Wirtschaftsminister) und Assadullah Hanif Balkhi (Bildungsminister). Die im Ruttig-Zitat vom Jänner 2015 ebenfalls erwähnten Mahmud Saiqal und Zalmai Yunusi finden sich in der Auflistung nicht. (CIA, 21. August 2015)
Verhältnis zwischen beiden Gruppen
Über die oben bereits enthaltenen Informationen zum Verhältnis zwischen der Hezb-e Islami und der Dschamiat hinausgehend konnten folgende Informationen zur Fragestellung gefunden werden:
Der in Doha ansässige arabische Nachrichtensender Al Jazeera erwähnt in einem Artikel vom September 2012, dass es sich bei der von Gulbuddin Hekmatyar angeführten Hezb-e Islami um den Hauptrivalen der von Ahmad Schah Massud (im Jahr 2001 getöteter Mudschaheddin-Kämpfer und Anführer des Widerstandes gegen die Taliban, Anm. ACCORD) angeführten Dschamiat-e Islami gehandelt habe:
„The Hezb-e-Islami group is led by Gulbuddin Hekmatyar, another mujahidin leader who fought the Soviets. Hekmatyar's faction was the chief rival of [Ahmad Shah] Massoud's Jamiat-e-Islami group.” (Al Jazeera, 9. September 2012)
Im weiter oben bereits zitierten Artikel von Borhan Osman wird angeführt, dass das Verhältnis der Hezb-e Islami zur Dschamiat-e Islami besonders belastet sei, da sich beide Seiten während der sowjetischen Besatzungszeit und später häufig bekämpft hätten. Dabei sei es um die Kontrolle über Kabul nach dem Sturz der Regierung Nadschibullahs im April 1992 gegangen:
„Hezb’s relationship with Jamiat-e Islami is particularly fraught, given that both sides fought each other frequently during the Soviet occupation and later, over control of Kabul after the Najibullah government collapsed in April 1992.” (Osman, 6. Mai 2013, Fußnote 4)
In einem im September 2014 veröffentlichten Artikel für die US-amerikanische Tageszeitung Washington Post schreibt Renard Sexton, Doktorand der Politikwissenschaft an der New York University, dass die Regierung Nadschibullahs im Jahr 1992 gestürzt worden sei und die zahlreichen bewaffneten Oppositionsgruppen, die jahrelang versucht hätten, das von der Sowjetunion unterstützte Regime zu beseitigen, die Möglichkeit erhalten hätten, eine Einheitsregierung zu etablieren. Zwei große Fraktionen hätten um die Spitzenpositionen in der Nachkriegsregierung gerungen: die von Burhanuddin Rabbani und Militärchef Ahmad Schah Massud angeführte Dschamiat-e Islami sowie die von Gulbuddin Hekmatyars angeführte Hezb-e Islami.
Die Vereinten Nationen und Pakistan, gemeinsam mit den USA, hätten versucht, ein Friedensabkommen zwischen den verschiedenen Fraktionen auf die Beine zu stellen, so Sexton weiter. Dieses sei jedoch von Hekmatyar abgelehnt worden, der sich geweigert habe, die Macht mit Massud zu teilen. Die anderen Mudschaheddin-Gruppen hätten das Abkommen allerdings unterzeichnet, woraufhin Rabbani den Posten des Präsidenten und Massud den des Verteidigungsministers übernommen hätten. In der darauffolgenden Woche habe Hekmatyar begonnen, Kabul unter Beschuss zu nehmen. Zu diesem Zeitpunkt seien Kämpfe zwischen den verschiedenen Fraktionen ausgebrochen und Massud loyal gegenüberstehende Kräfte und ehemalige Kommunisten unter der Führung Abdul Rashid Dostums hätten gegen Kämpfer Hekmatyars und eine andere Fraktion ehemaliger Kommunisten gekämpft. Trotz wiederholter Bemühungen, zwischen den Parteien zu vermitteln, habe die Gewalt zwei Jahre lang angehalten. Im März 1993 sei ein Machtteilungsabkommen zwischen der Hezb-e Islami und der Dschamiat geschlossen worden, das allerdings bereits kurz danach gescheitert sei:
„In 1992, shortly after the disintegration of the USSR, the Afghanistan Communist government under President Mohammad Najibullah was swept from power. The numerous armed opposition groups that had spent years trying to eject the Soviet-sponsored regime now had the opportunity to establish a unity government.
Two main factions competed for the top posts in the post-war government. Led by ‘Professor’ Burhanuddin Rabbani and military chief Ahmad Shah Massoud, the Jamiat-e Islami represented Persian-speaking Sunnis (often lumped into the quasi-ethnic group ‘Tajik’) and their allies. In primary opposition was Gulbuddin Hekmatyar’s Hezb-e Islami, which was largely Pashtun in composition.
The United Nations and Pakistan, along with the United States, attempted to pull together a peace settlement between the various factions in what becomes known as the Peshawar Accords, signed on April 24, 1992. Hekmatyar refused to participate, saying that he would not share power with Massoud, but the other major mujahedeen groups signed on, with Jamiat’s Rabbani as president and Massoud as minister of defense (Hekmatyar was offered to the post of prime minister).
The next week, Hekmatyar began to bombard the city of Kabul from his mountainside position on the southern outskirts of the city, using his heavy artillery. By this time, fighting had broken out between the various factions, with forces loyal to Massoud and ex-communists under Gen. Abdul Rashid Dostum fighting against those of Hekmatyar and another faction of the former Communists. […]
Despite repeated efforts at bargaining between the parties, and some side-switching on the part of smaller groups, violence continued for two years. In March 1993, a deal was hammered out to share power between Hezb-e Islami and Jamiat until elections would be held in 1994, but this too soon fell apart.” (Washington Post, 26. September 2014)
Der vom US-amerikanischen Kongress finanzierte Rundfunkveranstalter Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE /RL) berichtet in einem Artikel vom Oktober 2013 über die Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen 2014. Als erstes nennt der Artikel Abdullah Abdullah (ethnischer Tadschike), zu dessen Team die Vizepräsidentschaftskandidaten Mohammad Khan (Paschtune) und Mohammad Mohaqeq (Hazara) gehören würden. Wie der Artikel anführt, seien die Dschamiat-e Islami und die Hezb-e Islami während des afghanischen Bürgerkrieges Todfeinde gewesen, was Dschamiat-e-Islami-Mitglied Abdullah aber nicht davon abgehalten habe, Mohammad Khan von der Hezb-e Islami in sein Team aufzunehmen:
„Abdullah Abdullah (center)
ethnic Tajik
Vice-presidential running mates: Mohammad Khan (Pashtun) (left in photo), Mohammad Mohaqeq (Hazara) (right in photo)
Abdullah (born in 1960) is a former foreign minister and qualified eye surgeon. He finished second behind President Hamid Karzai in the 2009 presidential election, with around 30 percent of the vote.
The Jamiat-e Islami and Hezb-e Islami were deadly rivals during Afghanistan's civil war, but that did not prevent Jamiat-e Islami member Abdullah from adding Hezb-e Islami associate Khan to his ticket.” (RFE/RL, 23. Oktober 2013)
Ali Obaid vom AAN schreibt in einem Artikel vom April 2015, dass im Distrikt Kohband, Provinz Kapisa, verschiedene illegale bewaffnete Gruppen präsent seien, die täglich Morde und gezielte Tötungen durchführen würden. In Durnama, einem der größeren Täler Khobands, würden mit der Hezb-e Islami Gulbuddin Hekmatyars (HIG) und der Dschamiat in Verbindung stehende Kommandanten fortlaufend miteinander kämpfen.
Ihre Rivalität („competition”) gehe in Kapisa auf eine lange Geschichte zurück. Während der sowjetischen Besatzung seien die meisten Gebiete der Provinz von der HIG kontrolliert worden. Nach dem Sturz des kommunistischen Regimes im Jahr 1992 und der Bildung der von Dschamiat-Anführer Burhanuddin Rabbani geführten Islamischen Regierung Afghanistans sei ein neues Kapitel der Feindschaft und des Hasses zwischen lokalen Dschihad-Kommandanten aufgeschlagen worden. Kapisa sei zwischen Kommandanten, die mit der HIG verbündet gewesen und von den Paschtunen im Süden der Provinz unterstützt worden seien, und Kommandanten vor allem im tadschikischen Norden der Provinz, die mit der Dschamiat verbündet gewesen seien, gespalten gewesen. Auch in ethnisch homogenen Gebieten sei es aufgrund von Rivalitäten zwischen Personen oder Dörfern zu Spaltungen gekommen. Diese politisch und ideologisch aufgeladenen Fehden seien während Jahrzehnten fortgesetzt worden:
„Despite not hosting many supporters of the Taleban, Kohband is haunted by a variety of illegally armed groups that carry out assassinations and targeted killings on a daily basis. In one of the major valleys of Kohband, Durnama, only five kilometers south of the district centre Bolah Ghain, commanders affiliated with Hezb-e Islami Afghanistan (HIG, led by Gulbuddin Hekmatyar) and Jamiat continuously fight each other, posing a major challenge for the provincial security department.
Their competition has a long history in Kapisa (see here, here and here). During the Soviet invasion, most parts of Kapisa province were under HIG control. After the collapse of the communist regime in 1992 and the establishment of the Islamic Government of Afghanistan led by Jamiati leader Burhanuddin Rabbani, a new chapter of enmity and hatred began among local jihadi commanders, affecting the province badly. Kapisa was split between commanders allied with HIG, mainly supported by the Pashtuns in the province’s south (where the Taleban also find more supporters today), and commanders affiliated with Jamiat-e Islami, mainly in the Tajik north of the province. In ethnically homogenous areas too, divisions emerged along the fault lines of personal or village rivalries. These feuds, endowed with a political and ideological significance, would continue for decades to come.” (Ali, 6. April 2015)
[Teilfrage entfernt]
Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 26. November 2015)
· AA - Anadolu Agency: Afghan parliament’s
tussle for power with president, 9. Juli 2015
http://www.aa.com.tr/en/politics/afghan-parliaments-tussle-for-power-with-president/27674
· AAN - Afghanistan Analysts Network: Finally
Towards a Complete Afghan Cabinet? The next 16 minister nominees and their bios
(amended), 24. März 2015
https://www.afghanistan-analysts.org/finally-a-complete-afghan-cabinet-the-next-16-minister-nominees-and-their-biographies/
· ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zu Afghanistan: 1) Ethnische Zusammensetzung der Mitglieder/Unterstützer der Hezb-e Islami (nur Paschtunen oder auch Angehörige anderer ethnischer Gruppen?) (vor allem während der Zeit der sowjetischen Besatzung); 2) Wie geht die Hezb-e Islami mit Personen um, die sich weigern, sich ihnen anzuschließen bzw. sie (z.B. finanziell) zu unterstützen? Geraten in solchen Fällen auch Familienmitglieder der sich weigernden Personen ins Visier? [a-9350-v2], 5. Oktober 2015 (Kopie im Anhang)
· Al-Ahram Weekly: Post-Karzai Kabul, 10. April
2014
http://weekly.ahram.org.eg/Print/5884.aspx
· Ali, Obaid: Fire in the Pashai Hills. A two-district case study from
Kapisa, 6. April 2015 (veröffentlicht von AAN)
https://www.afghanistan-analysts.org/fire-in-the-pashai-hills-a-two-district-case-study-from-kapisa/
· Al Jazeera: Remembering the ‘Lion of Panjshir’, 9. September 2012
http://www.aljazeera.com/indepth/features/2012/09/20129913233327927.html
· CIA - Central Intelligence Agency: Chiefs of State and Cabinet
Members of Foreign Governments: Afghanistan, zuletzt aktualisiert am 21. August 2015
https://www.cia.gov/library/publications/world-leaders-1/AF.html
· Clark, Kate: The Cabinet and the
Parliament: Afghanistan’s government in trouble before it is formed, 20. Jänner 2015 (veröffentlicht von AAN)
https://www.afghanistan-analysts.org/the-cabinet-and-the-parliament-afghanistans-government-in-trouble-before-it-is-formed/
· DW
- Deutsche Welle: Weder Warlords noch Taliban, 13. Jänner 2015
http://www.dw.com/en/afghanistans-new-cabinet-much-delay-for-nothing/a-18187786
· Heinrich-Böll-Stiftung: Afghanistan’s
Presidential Election of 2014: Who is leading?, 20. März
2014
https://www.boell.de/en/2014/03/20/afghanistans-presidential-election-2014-who-leading
· ISW - Institute for the Study of War: The
Northern Alliance Prepares for Afghan Elections in 2014 (Autorin: Mara
Tschalakow), August 2013
http://www.understandingwar.org/sites/default/files/NorthernAlliance-2014Elections_1AUG.pdf
· Marsden, Peter: Review of the COI Report
on Afghanistan of the UK Border Agency Country of Origin (COI) Information
Service, Februar 2013
http://icinspector.independent.gov.uk/wp-content/uploads/2013/06/IAGCI-Afghanistan-COISresponse-April2013.pdf
· NYT - New York Times: A Group Taking Politics and Military Strategy
to the Same Extremes, 21. Mai 2013
http://www.nytimes.com/2013/05/22/world/asia/in-afghanistan-hezb-i-islami-takes-its-extremism-into-politics.html?_r=1
· Osman, Borhan: Adding the Ballot to the
Bullet? Hezb-e Islami in transition, 6. Mai 2013 (veröffentlicht von AAN)
http://www.afghanistan-analysts.org/adding-the-ballot-to-the-bullet-hezb-e-islami-in-transition/
· RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty: Afghanistan’s Presidential
Hopefuls, 23. Oktober 2013
http://www.rferl.org/media/photogallery/afghanistan-candidate-biographies/25146037.html
· Ruttig, Thomas: Jamiat after Rabbani: The competition for the top
job, 23. Oktober 2011 (veröffentlicht von AAN)
https://www.afghanistan-analysts.org/jamiat-after-rabbani-the-competition-for-the-top-job/
· Ruttig, Thomas: Bomb and Ballot: The many
strands and tactics of Hezb-e Islami, 19. Februar
2014 (veröffentlicht von AAN)
https://www.afghanistan-analysts.org/bomb-and-ballot-the-many-strands-and-tactics-of-hezb-e-islami/
· Ruttig,
Thomas: Das neue afghanische Kabinett 3 (erste AAN-Analyse), 15. Jänner 2015
https://thruttig.wordpress.com/2015/01/15/das-neue-afghanische-kabinett-3-erste-aan-analyse/
· Ruttig, Thomas: ANSF Wrong-Footed: The
Taleban offensive in Kunduz, 3. Mai
2015 (veröffentlicht von AAN)
https://www.ecoi.net/local_link/302899/439838_de.html
· Schetter, Conrad: E-Mail-Auskunft, 14. November 2014
· Washington Post: The spoils of peace in Afghanistan (Autor: Renard
Sexton), 26. September 2014
https://www.washingtonpost.com/blogs/monkey-cage/wp/2014/09/26/the-spoils-of-peace-in-afghanistan/