Amnesty International Report 2011 - Zur weltweiten Lage der Menschenrechte

Amtliche Bezeichnung: Republik Paraguay
Staats- und Regierungschef: Fernando Lugo Méndez
Todesstrafe: für alle Straftaten abgeschafft
Einwohner: 6,5 Mio.
Lebenserwartung: 72,3 Jahre
Kindersterblichkeit (m/w): 44/32 pro 1000 Lebendgeburten
Alphabetisierungsrate: 94,6%

Indigenen Gemeinschaften wurde weiterhin ihr Besitzrecht auf ihr angestammtes Land verwehrt. Es gingen Berichte ein, wonach Angehörige sozialer Bewegungen und Sprecher von Kleinbauern von Polizeikräften gefoltert und in anderer Weise misshandelt wurden. Die Zunahme von Angriffen auf Menschenrechtsverteidiger bot Anlass zur Sorge.

Hintergrund

Das gesamte Jahr 2010 über gab es Berichte über gewaltsame Vorkommnisse, darunter Entführungen und ungesetzliche Tötungen. An einigen Vorfällen soll die bewaffnete oppositionelle Gruppe Armee des paraguayischen Volkes (Ejército del Pueblo Paraguayo - EPP) beteiligt gewesen sein. Als Reaktion darauf wurde im April ein 30-tägiger Ausnahmezustand über knapp die Hälfte des Landes verhängt. NGOs kritisierten die unklare Definition von "Terrorismus" im neuen Antiterrorgesetz, das während des Ausnahmezustands eingeführt wurde.
Im August ratifizierte Paraguay das Internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen. Im März äußerte sich der UN-Sonderberichterstatter über das Recht auf Bildung besorgt über die mangelnde Qualität der Bildung, fehlende Ressourcen und eine unzureichende Infrastruktur. Er bemängelte außerdem, dass die ländliche Bevölkerung Paraguays in der Praxis so gut wie keinen Zugang zu höherer Bildung habe.

Rechte indigener Völker

Im Februar 2010 wurde ein Vorschlag für Maßnahmen zur sozialen Entwicklung veröffentlicht, der von den Ministern des Sozialkabinetts vorangetrieben wurde. Darin war eine Stärkung der Rechte indigener Bevölkerungsgruppen vorgesehen, Maßnahmen zum Schutz ihres traditionellen Landes wurden als ein politisches "Schlüsselprogramm" bezeichnet. Aus den in dem Vorschlag aufgeführten Zahlen ging hervor, dass indigene Gemeinschaften seit 2008 lediglich Besitzrechte über 26119 ha Land erhalten hatten, damit gab es insgesamt Rechtsansprüche auf 55970 ha Land. Ziel der Behörden war es, bis zum Jahr 2013 die Besitzansprüche auf über 279850 ha indigenen Landes anzuerkennen.
Im Juni 2010 richtete das Gesundheitsministerium eine neue Abteilung für die Gesundheit der indigenen Bevölkerung ein. Als ersten wichtigen Schritt sorgte die Abteilung dafür, dass die ethnische Zugehörigkeit in alle im Gesundheitswesen verwendeten Formulare Eingang fand, um die Umsetzung und Effektivität von Maßnahmen diesbezüglich überprüfen zu können.
Durch die Verkündung des Urteils im Fall Xákmok Kásek durch den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte im August wurde Paraguay als bislang einziger Staat im Zuständigkeitsbereich des Gerichts zum dritten Mal wegen der Verletzung der Menschenrechte indigener Völker verurteilt.

  • Bezüglich der Landansprüche der Yakye Axa und Sawhoyamaxa gab es trotz der Urteile des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus den Jahren 2005 und 2006 noch keine Entscheidung. Ein Vorschlag, der Gemeinschaft der Yakye Axa anderes Land zuzuteilen als das, was sie ursprünglich eingefordert hatten, wurde nach Verfahrensverzögerungen abgelehnt. Im September 2010 begannen direkte Verhandlungen zwischen hochrangigen Regierungsvertretern und den derzeitigen Besitzern des von den beiden Gemeinschaften beanspruchten Landes.
  • Während die Sonderberichterstatterin für indigene Völker der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte im September das Gebiet von Puerto Colón besuchte, erhielten zwei Vertreter der Gemeinschaft der Kelyenmagategma Morddrohungen.
  • Eine wissenschaftliche Expedition, die vom Naturhistorischen Museum in London gemeinsam mit einer paraguayischen Umwelt-NGO und dem Umweltministerium, jedoch ohne vorherige Abstimmung mit indigenen Führern und Vertretern, organisiert worden war, wurde im November abgesagt. Zuvor waren Bedenken laut geworden, die Expedition könne schädliche und irreversible Auswirkungen auf die Lebensweise der Ayoreo haben, die bislang abgeschieden leben.
  • Die Ermittlungen bezüglich des mutmaßlichen Versprühens giftiger Chemikalien aus der Luft in Itakyry im Jahr 2009 hatten bis Ende 2010 noch zu keinen Ergebnissen geführt.

Polizei, Sicherheitskräfte und Justizwesen

Es herrschte erhebliche Besorgnis im Hinblick auf Folter und andere Misshandlungen, exzessive Gewaltanwendung und Verfahrensmängel bei Razzien und Festnahmen durch die Polizei. Dies betraf insbesondere Sicherheitseinsätze im Zusammenhang mit der EPP und die anschließenden Gerichtsverfahren. NGOs äußerten in einer nichtöffentlichen Anhörung vor der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte im Oktober ihre Bedenken in Bezug auf zwölf beispielhafte Fälle, die auch die Gewaltanwendung durch Privatpersonen betrafen.
Als im April 2010 der Ausnahmezustand verhängt wurde, hieß es zur Begründung, "schwere innere Unruhen, verursacht durch kriminelle Gruppen, die in der Gegend operieren", stellten "eine unmittelbare Gefahr für das normale Funktionieren der rechtsstaatlichen Organe" dar. Das entsprechende Gesetz wies jedoch zahlreiche Mängel auf, so enthielt es z.B. keine klaren Angaben darüber, welche Rechte dadurch eingeschränkt würden.

  • Im Juni 2010 wurden Meldungen zufolge bei einem Zusammenstoß mit mutmaßlichen Mitgliedern der EPP in Kuruzú de Hierro (Bezirk Horqueta) zwei Polizeibeamte getötet. Kurz nach dem Vorfall stürmte ein Sonderkommando der Polizei (Fuerza Operativa de la Policía Especializada) die Häuser einiger Anwohner, die daraufhin Vorwürfe wegen exzessiver Gewaltanwendung und Misshandlung erhoben. Es gab Bedenken, da die Untersuchung dieser Vorwürfe äußerst schleppend verlief.

Sexuelle und reproduktive Rechte

In September 2010 veröffentlichte das Bildungsministerium einen Leitfaden zur Sexualaufklärung, der in Zusammenarbeit mit verschiedenen Ministerien, zivilgesellschaftlichen Gruppen und UN-Organisationen entwickelt worden war. Durch den Leitfaden sollen Aufklärungsprogramme in Übereinstimmung mit internationalen Standards in Bezug auf sexuelle und reproduktive Rechte gebracht werden. Auch soll er dazu beitragen, weit verbreitete Probleme wie sexuellen Missbrauch und Gewalt zu bekämpfen.

Gewalt gegen Frauen und Kinder

Im September 2010 wurde im Staatsgefängnis Tacumbú ein Kinderpornografie-Ring aufgedeckt. Nur wenige Tage zuvor hatte der UN-Unterausschuss zur Verhütung von Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe das Gefängnis besucht, um sich von der Umsetzung der 2009 von ihm gemachten Empfehlungen zu überzeugen. Es hieß, Gefangene hätten junge Mädchen ins Gefängnis eingeladen und sie zu sexuellen Handlungen gezwungen, die gefilmt wurden; später hätten sie die Filme verkauft. Einige Gefängnisbedienstete, darunter der Gefängnisdirektor und im Gefängnis tätige Pfarrer, sollen in den Missbrauchsfall verwickelt gewesen sein. Die Ermittlungen dauerten an, bis zum Ende des Berichtsjahrs hatte die Staatsanwaltschaft noch keine Ergebnisse veröffentlicht.

Menschenrechtsverteidiger

Das gesamte Jahr 2010 über gab es Aussagen, die darauf hindeuteten, dass die legitimen Aufgaben und Rechte von Menschenrechtsverteidigern immer weniger respektiert wurden. So stellten Regierungsvertreter die Rolle von Menschenrechtsverteidigern und anderen Organisationen in Frage, die Verstöße untersuchten, die im Rahmen von Sicherheitseinsätzen begangen wurden. Dies trug zu einer weit verbreiteten falschen Darstellung der Aufgabe und Arbeit von Menschenrechtsverteidigern bei, wie sie in den Medien vorherrschte.
Im Dezember fand in den Büros der NGO Iniciativa Amotocodie eine Razzia statt, wenige Wochen nachdem die NGO eine nationale und internationale Kampagne gestartet hatte, um eine wissenschaftliche Expedition in ein Gebiet zu stoppen, in dem indigene Gruppen bislang abgeschieden lebten. In dem Durchsuchungsbefehl und bei seiner Umsetzung durch die Ermittler wurden viele Verfahrensgarantien verletzt, so wurden u.a. Dokumente konfisziert, die keinen Bezug zur Anklage hatten. Es schien, als handele es sich um eine Vergeltungsmaßnahme, weil die Organisation sich gegen die Expedition gewandt hatte.

Amnesty International: Mission und Bericht

Eine Delegierte von Amnesty International besuchte Paraguay im November.

Paraguay: Submission to the UN Universal Periodic Review, July 2010 (AMR 45/003/2010)

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