Anfragebeantwortung zu Sierra Leone: Informationen zu Kult namens Poro [a-8356]

11. April 2013
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In einem von den Autoren Katrina Manson und James Knight 2012 herausgegebenen Reiseführer zu Sierra Leone wird erwähnt, dass viele BewohnerInnen Sierra Leones geheimen Verbindungen beitreten würden, denen sie lebenslang angehören würden. Diese Verbindungen würden ihre Mitglieder nicht nur untereinander, sondern auch an ihre Vorfahren binden. Die „Poro“ sei die bekannteste Geheimgesellschaft, die ihre Mitglieder aus den Gruppen Mende, Temne, Sherbro, Vai und Loko beziehe. Die Geheimgesellschaften seien mächtige, aktive soziale Netzwerke, die landesweit abseits westlicher Hierarchien durch „Logen“ tätig seien. Die Mitglieder, Treffpunkte und Zeiten der Treffen seien bekannt, jedoch sei es unter Androhung des Todes verboten, die tatsächlichen Vorgänge innerhalb der Gesellschaften zu enthüllen.
Oftmals seien hochrangige Mitglieder selbst keine höchsten Häuptlinge („paramount chiefs“). Anführer könnten von der „Poro“ abgesetzt werden und sie würden bei Streitigkeiten innerhalb von Clans vermitteln.
Die Initialisierung erfolge oft im Jugendalter und gelte auf Lebenszeit. Das „Martyrium“, das zukünftige Mitglieder durchlaufen müssten, würde ihnen einen mächtigen Sinn für die Bindung an ihre gewählte Gesellschaft vermitteln. Die Mitglieder würden einen neuen Namen erhalten und ihre Geburtsnamen würden fortan nicht mehr verwendet. In einigen Gesellschaften könnten sie Schnitte am Genick, Rücken und Brust erhalten. Dies würde sowohl als Zeichen der Initiation, als auch der Erkennung durch andere Mitglieder dienen. Frauen würden beschnitten werden.
Die Mitglieder könnten lebenslang in „Busch-Lager“, wo die Aufnahme stattfinde, zu weiterer Ausbildung zurückkehren. Neben der Poro gebe es die Gesellschaften der Ragbenie, Wunde, Gbangbani, Sande, Bundu oder Humoi.
An öffentlichen Feiertagen würden viele Gesellschaften ihre eigenen „Teufel“ bei Tänzen herauslassen.
Die Poro hätten die Hüttensteuerrevolte von 1898 koordiniert, was ein Beispiel für ihre Effizienz sei. Das Kriegszeichen der Poro sei ein verbranntes Palmenblatt, das aus dem Bumpe-Häuptlingstum als Zeichen für junge Kämpfer, sich auf den kommenden Konflikt vorzubereiten, in alle Teile des Landes versandt worden sei. In letzter Zeit hätten sich viele Mitglieder von Geheimgesellschaften zusammengeschlossen, um die RUF [Revolutionary United Front] unter dem Banner der Civil Defense Force (CDF) zu bekämpfen. Jedoch sei die düstere Natur von Ritualen der Gesellschaften wieder an die Oberfläche gekommen, als drei hochrangige Mitglieder vor dem Sondergerichtshof der Vereinten Nationen für Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt worden seien (Manson/Knight, 2012, S. 45).
 
In einem von Dr. Richard Fanthorpe verfassten Bericht für WRITENET, der im August 2007 veröffentlicht wurde, schreibt der Autor unter anderem über Poro-Initiation. Im Jänner 2005 habe Berichten zufolge die Poro-Gesellschaft in der Stadt Kailahun die Bewegungsfreiheit von Händlern beschränkt und einige zu einer Initiation gezwungen. Im März 2005 hätten Muslime Berichten zufolge in der Stadt Bo nach der Zwangsinitiation eines örtlichen Imam demonstriert. Der Imam habe zuvor das Recht von Poro-Mitgliedern in Frage gestellt, zwei seiner Arabisch-Studenten ohne die Erlaubnis ihrer Eltern zu initieren. Im Mai 2006 hingegen habe ein Vertreter der National League of Islamic Organizations of Sierra Leone behauptet, in seiner Region seien 420 Poro-Mitglieder zum Islam „konvertiert“ und 51 „Poro-Büsche“ seien in Brand gesetzt worden. Mitglieder der Poro-Gesellschaft hätten darauf im Bezirk Kailahun eine Moschee gestürmt, in der Predigten gegen die Gesellschaft abgehalten worden seien. Mehrere Menschen seien Berichten zufolge verletzt worden und einige Mitglieder der religiösen Gemeinde seien zwangsinitiert worden. Einige Muslime seien Berichten zufolge von Poro-Mitgliedern entführt und länger als ein Monat nicht gesehen worden. Im März 2003 hätten Mitglieder der Poro-Gemeinschaft eine „Maskerade” in der Stadt Waterloo veranstaltet. Die Maskerade sei in Zusammenhang mit einer Feier zu einem Initiationsritual abgehalten worden. Viele BewohnerInnen hätten später jedoch den Standpunkt geäußert, dass Poro-Initationen in die Provinzen gehören würden und nicht in westliche Gebiete gebracht werden sollten:
“For example, it was reported in January 2005 that the Poro society in Kailahun town in eastern Sierra Leone was restricting the movement of traders and forcing some to undergo initiation. In March 2005, it was reported that Muslims in Bo township had protested en masse to local government officials following the forced initiation of a local Imam who had questioned the right of Poro members to initiate two of his Arabic students without first obtaining permission from their parents. Some Muslims also took the initiative against their opponents. For example, in May 2006, the eastern regional representative of the newly launched National League of Islamic Organizations of Sierra Leone claimed 420 recent Poro ‘converts’ to Islam in his area and the subsequent burning of 51 Poro bushes. With the stakes thus raised, Poro society members in Pendembu town in Kailahun District were reported to have stormed a mosque where sermons had been preached against the society. Several people were reportedly injured and some members of the congregation were forcibly initiated.” (WRITENET, August 2007, S. 13)
“The raid on the Pendembu mosque and forced initiation of imams, noted above, indicate the risks faced by religious critics of the societies. The news article on the Pendembu raid mentions that some of the Muslims abducted by Poro members had not been seen for over a month.” (WRITENET, August 2007, S. 16)
“For example, in March 2003, Poro society members caused public outrage by carrying out a masquerade through the centre of Waterloo town without giving prior warning. The masquerade was being performed in celebration of an initiation rite but many Waterloo residents later expressed the view that Poro initiations belonged in the provinces and should not be brought into the Western Area.” (WRITENET, August 2007, S. 15)
Die Zeitung Concord Times berichtet im März 2006, dass mutmaßliche Mitglieder der Poro-Gesellschaft laut Angaben des Polizeichefs die Makeni Comprehensive Academy in der Stadt Makeni „gestürmt“ und Mohamed Tarawali, einen Lehrer, „verhaftet” hätten. Berichten zufolge sollte Tarawali entführt werden und einer Initiation in die Poro-Gesellschaft unterzogen werden. Der Auslöser des Zwischenfalls sei eine Äußerung des Schatzmeisters der Schule gewesen, der damit geprahlt habe, er „werde dem Lehrer eine Lektion erteilen, die er nie vergessen wird“:
„Inspector General of Police, Briama Acha- Kamara said Tuesday a group of people believed to be members of the 'Poro' society, a male secret society, stormed the Makeni Comprehensive Academy in Makeni and arrested Mohamed Tarawali, a school teacher. The police chief made this statement during the weekly police press briefing at Police Headquarters. He says the school's Bursar reportedly triggered the incident as the latter was boasting that he would teach the teacher a lesson that he would never forget. Reports indicated that Tarawalli was to be abducted and initiated into the 'poro' society and incident that led to chaos within the school wherein civil society activists immediately intervened to calm the situation. Meanwhile, police reports say Allieu Zombo of Sumbuya village, Bo district beat up his spouse to death and abandoned the deceased. The suspect has been arrested and is helping the police with their investigation.“ (Concord Times, 15. März 2006)
Im Jänner 2011 berichtet die Concord Times, dass Dutzende bewaffnete Männer Barrikaden auf einer Schnellstraße an der Grenze zu Liberia errichtet hätten. Berichten zufolge hätten die Männer eine Initiationszeremonie und Rituale der Poro abgehalten:
„Dozens of men armed with sticks, knives and cutlasses on Sunday, 23 January, barricaded the Sierra Leone-Liberia border highway for many hours. The blockade occurred just a few miles after Zimmi on the road to the Sierra Leone border town of Gendema. The fearful looking men used wooden logs to block the route and commanded approaching passers-by, vehicles and motorbikes not to use the road. […]
However, it was gathered that the incident was because the men were commencing this season's initiation ceremony and were performing some rituals which will tell commuters that a Poro initiation ceremony was in progress in the area.“ (Concord Times, 25. Jänner 2011)
BBC berichtet im Dezember 2009, dass Mitglieder einer traditionellen Gruppe das Haus einer Frau belagert hätten, die rechtliche Schritte eingeleitet habe, um Häuptling werden zu können. Mitglieder der Poro-Geheimgesellschaft hätten bei der Rückkehr der Frau in den Bezirk Kono trotz Anwesenheit von Sicherheitskräften den Konvoi, der von bewaffneter Polizei, UNO-BeamtInnen und FrauenrechtsaktivistInnen geschützt worden sei, mit Steinen beworfen:
“Members of a Sierra Leone traditional group have besieged a woman's house and stopped her from going home after she launched a legal bid to become a chief. […]
Ms Sogbo-Tortu was protected by armed police, UN officials and women's rights campaigners when she tried to return to her home in the eastern Kono district on Monday. But our reporter says the convoy had to turn around after they learnt that her house had been besieged and her supporters targeted. Members of the Poro secret society then threw stones at the convoy in the town of Sewase 40km (25 miles) from the district capital Koidu despite the presence of the security forces.” (BBC, 15. Dezember 2009)
Das Online-Nachrichtenportal The Patriotic Vanguard berichtet im August 2010 über Geheimgesellschaften in Sierra Leone. Unter anderem wird der Fall eines Teenagers erwähnt, dem ein Bein amputiert worden sei, nachdem er von Poro-Mitgliedern gefoltert worden sei. Die Poro-Mitglieder würden behaupten, der Junge habe etwas getan, das für die Poro-Gesellschaft ein Tabu sei. Der Junge sei kopfüber an einem Baum hängend aufgefunden worden, nachdem ihn Poro-Mitglieder entführt hätten. Die Angelegenheit sei dem höchsten Häuptling berichtet worden, aber es sei offensichtlich aus Angst oder weil der Häuptling selbst ein Mitglied der Geheimgesellschaft sei, nichts „herausgekommen“. In einem weiteren Fall sei eine Person namens Ahmed Kamara von Poro-Mitgliedern in der Ortschaft Kagbantama aufgefordert worden, „den Platz seines Vaters einzunehmen“. Ahmed sei jedoch zuvor geflohen und seine Familie sei terrorisiert worden. Zuvor habe sich Ahmed gegen die Geheimgesellschaft und für Menschenrechte und Würde ausgesprochen. Die Poro-Mitglieder hätten geprahlt, dass überall im Land, wo sich Ahmed verstecke, eine Geheimgesellschaft existiere und sie könnten sich ihn „vornehmen“ („he could still be dealt with“):
“Since the pre-colonial era secret societies have played a dominant role in the politics of African societies including Sierra Leone, but over the decades they have become so powerful that they have gone to the extreme point of becoming dangerous. […]
In the same Port Loko district a teenage boy is currently suffering from an amputated leg after being tortured by Poro society members who claim he did something that was taboo to the society. The boy was found hung upside down on a tree after being abducted by poro men. The matter was reported to the traditional ruler, that is the Paramount Chief, but apparently out of fear or because he too is a member and is bound by his secret society oath, nothing came out of it. The matter has been pursued for the past couple of years by an investigative journalist of the Premier News newspaper, Desmond Lewis. That boy is not the only one, there is currently a pathetic issue that has made a family at Kagbantama Village in Port Loko District to weep every day. Their son Ahmed Kamara who had been influenced by human rights campaigns openly condemned the activities of poro men at Kagbantama village. Prior to that the men had vowed that the so-called campaigns that were going on in Freetown if anyone dared to take them to that village, he or she would be ‘seriously dealt with.’ But Ahmed perhaps never took the threat seriously and went ahead to condemn the secret society practices and started talking about human rights and dignity. This was considered a serious ‘offence’ against the secret society. One night they stormed their home and claimed that they want Ahmed Kamara who should ‘take the place of his dad’ in the sceret society but only to discover that Ahmed had escaped. Some secret society members were held responsible for leaking the information to Ahmed. His family was terrorized. They searched every nook and corner of the village but he was nowhere to be seen. They even boasted that anywhere he hides in Sierra Leone there is a secret society there so he could still be dealt with. A boast which is actually true because everywhere in Sierra Leone secret society members are known to have solidarity and can secretly plan against anyone or group of persons. They knew Ahmed had always detested joining the society but always gave the impression that he would replace his dad. His campaign was reported to be an attempt to vilify the society as FGM campaigners had done to the (female) Bondo society.” (The Patriotic Vanguard, 14. August 2010)
 

Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 11. April 2013)
 
 

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