a-5152 (ACC-NGA-5152)

Nach einer Recherche in unserer Länderdokumentation und im Internet können wir Ihnen zu oben genannter Fragestellung Materialien zur Verfügung stellen, die unter anderem folgende Informationen enthalten:
Weibliche Genitalverstümmelung in Nigeria
Die nigerianische National Population Commission (NPC) erläutert in ihrem Bericht vom April 2004 welche Arten der weiblichen Genitalverstümmelung (FGM) in Nigeria praktiziert werden:
In einer Erhebung seien Frauen, die berichtet hatten, beschnitten worden zu sein, nach der Art ihrer Beschneidung befragt worden. Jedoch konnte die Hälfte der befragten Frauen die Art ihrer Beschneidung nicht bestimmen. Von den Frauen, die die Art ihrer Verstümmelung identifizieren konnten, sei am häufigsten von Beschneidung berichtet worden (44%). Vier Prozent der Frauen hätten angegeben, dass an ihnen die radikalste Form der Beschneidung, Infibulation, verübt worden sei. Unter den Yoruba, die den größten Anteil an beschnittenen Frauen aufweisen würden, liege der Prozentsatz der Infibulationen bei 1 %. (NPC, April 2004, S. 201)
 
Asylum Aid definiert in seinen Länderstudien zu Flüchtlingsfrauen und häuslicher Gewalt vom Mai 2003 den Begriff der weiblichen Genitalverstümmelung, führt die damit einhergehenden Gesundheitsrisiken an und analysiert die gesellschaftlichen Zielsetzungen, die hinter der Praxis der Beschneidung stünden: Weibliche Genitalverstümmelung oder FGM sei eine in Nigeria gängige Form der familiären Gewalt gegen Frauen. Laut Dr. O. Ashiru (Chief Consultant und Arzt des Lagos Island Local Government) führe FGM zu einer hohen Anzahl von Krankheits- und manchmal sogar Todesfällen. Gewöhnlich träten Komplikationen durch Blutvergiftung, schwere Blutungen und fibröse Heilung auf. Diese gesundheitlichen Schwierigkeiten würden wiederum Eheleben sowie Gebärfähigkeit der betroffenen Frauen beeinflussen. Die äußerst schmerzvolle Prozedur der weiblichen Genitalverstümmelung verursache manchen Frauen lebens­­lange gesundheitliche Probleme. Insgesamt sei FGM eine kulturelle Praxis, die darauf abzielte, männliche Dominanz und damit die Unterwerfung der Frauen aufrechtzuerhalten - eine Form der Gewalt, die von der Tradition gestützt und weitergeführt werde. Das Ziel von FGM – die Aufrecherhaltung der weiblichen Keuschheit – werde auf Kosten der sexuellen Genussfähigkeit der Frau sowie ihre körperlichen Integrität erreicht:
„Female Genital Mutilation (FGM) FGM is a form of violence against women within the family that is common in Nigeria. Dr O. Ashiru(Asylum Aid, Mai 2003, S. 23) , Chief Consultant, Community Physician and Medical Officer, Lagos Island Local Government, notes: Female Genital Mutilation results in great morbidity and sometimes mortality. It is usually complicated by sepsis, haemorrhage, healing by fibrosis etc. This in turn affects their [sufferers] marital and reproductive lives. This is one of the cultural forces aimed at preserving male dominance and female subjugation. It is a domestic violence perpetuated against females and defended by tradition. This very painful procedure causes life-long health problems for some women. It is aimed at preserving female chastity and marriage prospects and achieves its purpose at the expense of a woman’s sexual pleasure and bodily integrity.“
Auf die prozentuelle und geographische Verbreitung von FGM in Nigeria geht ACCORD in seinem Länderbericht zu Nigeria vom August 2004 ein:
„Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass etwa 60% der weiblichen Bevölkerung des Landes der weiblichen Genitalverstümmelung unterworfen werden. Obgleich diese in allen Regionen des Landes praktiziert wird, sind vor allem die Frauen im Osten und Süden des Landes davon betroffen. Jedoch wird im Norden die schwerste Form der Genitalverstümmelung vorgenommen. (ACCORD, August 2004, S. 79)
Unter Berufung auf das Canadian Immigration and Refugee Board zitiert ACCORD eine Studie des Nigerian Center for Gender, Health and Human Rights (NCGHHR), welche sich mit der Verbreitung von FGM auseinandersetzt. Laut dieser Studie gebe es in Edo State eine Ver­breitung von FGM von 40%. (ACCORD, August 2004, S. 79)
 
Der Länderbericht des US Department of State (USDOS) vom März 2006 setzt die Verbreitungsrate von FGM in Nigeria unter Berufung auf den Nigeria Demographic and Health Survey (NDHS) mit 19% niedriger an. Auch sei ein stetiger Rückgang der Beschneidungen in den letzten 15 Jahren zu bemerken. Obwohl FGM in allen Landesteilen praktiziert würde, sei sie im Süden wesentlich gängiger. Frauen aus dem Norden liefen ein geringeres Risiko, der schweren, als Infibulation bezeichneten, Form der Genital­verstümmelung unterzogen zu werden:
„The NDHS estimated the FGM rate at approximately 19 percent among the country's female population, and the incidence has declined steadily in the past 15 years. While practiced in all parts of the country, FGM was much more prevalent in the south. Women from northern states were less likely to undergo the severe type of FGM known as infibulation.“ (USDOS, 8. März 2006, Abschnitt 5)
Auch ACCORD stellt in seinem Länderbericht vom August 2004 – unter Berufung auf Amnesty International (AI) - fest, dass die Verbreitung von FGM jedes Jahr etwas zurückgehe (ACCORD, August 2004, S. 80-81).
 
Bezüglich des Alters der Mädchen und Frauen, an denen Beschneidungen vorgenommen werden, berichtet das USDOS, dass dieses stark variiere: Beschneidungen würden bereits in der ersten Woche nach der Geburt oder aber auch erst während der ersten Schwangerschaft der Frau durchgeführt werden. Jedoch habe eine Studie des NDHS ergeben, dass dreiviertel der an der Studie beteiligten Frauen vor ihrem ersten Geburtstag beschnitten worden seien. Auf Frage nach den „Vorteilen“ der Beschneidung seien Aufrecherhaltung der Keuschheit bzw. Jungfräulichkeit vor der Ehe, bessere Heiratsaussichten, größeres sexuelles Vergnügen für den Mann (hauptsächlich von männlichen Studienteilnehmern) und mehr Sicherheit bei der Geburt angeführt worden:
„The age at which women and girls were subjected to the practice varied from the first week of life until after a woman delivers her first child; however, three-quarters of the NDHS 2003 survey respondents who had undergone FGM had the procedure before their first birthday. According to the survey, the principal perceived "benefits" of FGM include maintaining chastity/virginity before marriage, giving the victim better marriage prospects, providing more sexual pleasure for men (primarily according to male respondents), and aiding safe childbirth.“ (USDOS, 8. März 2006, Abschnitt 5)
Laut Danish Immigration Service (DIS) vom Jänner 2005 sei die Beschneidung in vielen nigerianischen Gemeinden eine Voraussetzung für die Ehe, was dazu führe, dass auch erwachsene Frauen sich der Praxis unterziehen müssten. In diesen Gemeinden würde es vorkommen, dass Frauen die Tatsache, nicht beschnitten zu sein, als ebenso schamvoll empfänden, wie zum Beispiel Opfer einer Vergewaltigung zu werden:
„However, in some communities FGM is a precondition of entering marriage, which means that even adult women may have to undergo FGM. In those communities some women may regard not undergoing FGM as shameful in much the same way as being a victim of rape.“ (DIS, Jänner 2005, S. 26-27, Absatz 3.9.1-2.9.4.)
Zur Vorgangsweise bei der Beschneidung sowie zur Rechfertigung der Praxis in Nigeria führt ACCORD (August 2004) in Bezugnahme auf verschiedene Menschenrechts­- und Medien­berichte aus: 
„Im Falle von minderjährigen Mädchen, werden diese für gewöhnlich nicht um ihre Zustimmung gefragt. Die Zustimmung der Eltern liegt hingegen meist vor. In einigen Fällen, vorwiegend jedoch bei unehelichen Mädchen kann auch gegen den Willen der Eltern(teile) der Druck der Großfamilie in eine Beschneidung münden (IFK 2002, S. 4). Dies hängt wiederum mit der Stellung der Frau in der nigerianischen Gesellschaft zusammen. AI meint, dass die Zustimmung der Eltern aus folgender Argumentation heraus nicht notwendig sei: ‚… dies liegt darin begründet, dass der einzige „Zweck“ einer Frau in der Geburt von Kindern, vornehmlich Söhnen gesehen wird. Vorraussetzung hierfür ist die Heirat, die wiederum bei zahlreichen Ethnien eine Genitalbeschneidung voraussetzt. In weiten Teilen der nigerianischen Bevölkerung ist ein Leben einer Frau außerhalb der Ehe praktisch unmöglich, was dazu führt, dass vor allem die weiblichen Mitglieder der Groß-Familien darum bemüht sind, für die Mädchen die Vorraussetzungen für die existenziellen Sicherheiten in einer patriarchalischen Gesellschaft zu schaffen. … Die Verweigerung der Beschneidung würde auf größtes Unverständnis stoßen und für die Mädchen die soziale und ökonomische Ausgrenzung bedeuten.’ (AI 2000)
Die NGO WOPED (Women’s Center for Peace and Development) erklärt die Praxis von FGM unter anderem damit, dass unbeschnittene Frauen gesellschaftlich als promiskuitiv, unrein, einer Heirat unwürdig und als Gesundheitsgefahr für sich und die von ihr geborenen Kinder gelten (USDOS, 2004, Sektion 5).
Es wird davon ausgegangen, dass etwa 85% der Verstümmelungen durch Hebammen, Friseure oder traditionelle Heiler vorgenommen werden (CFRR 2003, S. 82), denn Hospitälern wurde dieser Eingriff bereits vor einigen Jahren untersagt (IFK 2002, S. 4). Kommt es bei den Eingriffen zu Komplikationen, so muss die handelnde Person keine Konsequenzen befürchten. Die Schuld wird dann häufig beim Mädchen gesucht. Ihr wird Promiskuität vorgeworfen oder die Eltern werden beschuldigt, die Opferspenden und Rituale während des Vorgangs nicht ordnungsgemäß vollbracht zu haben (AllAfrica.com/This Day 28. Februar 2003).“ (ACCORD, August 2004, S. 80-81)
Staatlicher Schutz vor weiblicher Genitalverstümmelung (insbesondere in Edo State)
Auch zum Thema staatlicher Schutz vor Genitalverstümmelung findet sich im Länderbericht von ACCORD vom August 2004 (wiederum unter Bezugnahme auf verschiedene Quellen) ein erster Überblick: Generell gebe es in Nigeria auf Ebene der Bundesstaaten zwar gesetzliche Bestimmungen zum Schutz vor FGM, deren Umsetzung sei jedoch kaum gewährleistet:
„Die Zentralregierung Nigerias spricht sich offiziell gegen FGM aus und arbeitet mit nationalen NGOs hinsichtlich Aufklärungsarbeit und Prävention zusammen. Sie unternimmt jedoch keine rechtlichen Schritte, um die Praxis einzuschränken – dementsprechend gibt es auch auf der Bundesebene keine Gesetze, die FGM verbieten. Bemühungen zur Kriminalisierung von FGM konzentrieren sich daher auf die Regierungen der Gliedstaaten und auf die Ebene der Lokalverwaltungen (USDOS 2004, Sektion 5).
FGM wurde bisher in folgenden Gliedstaaten gesetzlich verboten: Abia, Delta, Edo, Ekiti, Ogun, Cross River, Osun, Rivers und Bayelsa (Sandberg 16. August 2004; ACCORD/UNHCR 28. November 2002, S. 168; IFK 2002, 4) Das US State Department berichtet jedoch, NGOs hätten die Erfahrung gemacht, dass sie nach Verabschiedung des Gesetzes auf Bundesstaatsebene die Lokalverwaltungen von dessen Anwendung in den Bezirken überzeugen müssten (USDOS 2004, Sektion 5).
Die vorgesehen Strafen und Tatbestände der in den verschiedenen Gliedstaaten geltenden Gesetze sind unterschiedlich. In Edo sind eine Geldstrafe von 1.000 Naira (ca. $ 10) und 6 Monate Haft vorgesehen (USDOS 2004, Sektion 5; USDOS 2003, Sektion 5; IRB unter Bezug auf USDOS Juni 2001). In Cross Rivers ist ein Gesetz in Kraft, welches FGM unabhängig von der Zustimmung der betroffenen Frau unter Strafe stellt. Das Strafmaß liegt bei einer 2-jährigen Haftstrafe und einer Geldstrafe. Im Wiederholungsfall kann ein 3-jähriger Freiheitsentzug verhängt werden. Delta droht bei FGM-Straftaten mit einer 3-monatigen Haft und einer Geldstrafe, wie das IRB unter Berufung auf Panapress berichtet (IRB 27. November 2003).
Laut Ulrika Sandberg von Amnesty International treten nationale und panafrikanische NGOs darüber hinaus für die Verabschiedung eines Gesetzes zu Gewalt gegen Frauen ein, das auch FGM beinhalten würde. Ein solches Gesetz wurde jedoch noch nicht beschlossen (Sandberg 16. August 2004). Gegner von FGM berufen sich zudem auf die Verfassung. § 34, 1 a besagt, dass keine Person Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unterworfen werden darf (USDOS, FGM).
Wie das Institut für Afrika-Kunde feststellt, hält sich die Wirkung von FGM relevanten Gesetzen in engen Grenzen: ‚Nicht zuletzt die Erfahrung mit ähnlichen gesetzlichen Verboten von FGM in anderen afrikanischen Staaten zeigen, dass diese Verbote keine signifikanten Auswirkungen auf die aktuelle Beschneidungspraxis haben, die sich allenfalls durch geduldige Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit über mehrere Generationen zurückdrängen lässt. Dies gilt auch für Nigeria, zumal ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung und der Betroffenen selbst diesem Verbot bisher eher skeptisch bis ablehnend gegenübersteht. Das gesetzliche Verbot der weiblichen Genitalbeschneidung in Nigeria wird daher als bisher wenig effektiv eingeschätzt. Zum Beispiel, weil die Eingriffe zunehmend in benachbarte Regionen oder aus den Kliniken und medizinischen Einrichtungen in die Dörfer und die Hände nicht genügend qualifizierter traditioneller Heilerinnen verlagert werden. Es sind uns keine Erkenntnisse über Strafanzeigen wegen FGM und deren Auswirkungen bekannt.’ (IAK 2002, S. 4-5).
Auch Harneit-Sievers von der Heinrich Böll Stiftung Nigeria gibt zu bedenken, dass sich FGM vor allem in der lokalen beziehungsweise „traditionellen“ Sphäre abspiele. Insofern hätten Gesetze eher einen „moralisch ermahnenden“ Charakter, könnten aber nicht notwendigerweise durchgesetzt werden, da Fälle von FGM den Autoritäten gar nicht bekannt würden. Wichtig sei hier eher die Rolle von Frauengruppen und traditionellen Autoritäten, die im lokalen Raum Druck zum Abbau von FGM ausüben könnten. (Axel Harneit-Sievers 23. August 2004)
Das Verwaltungsgericht Aachen entschied in einem Urteil vom August 2003 zu Gunsten der Antragstellerin: Eine Frau, welche bislang einer Genitalverstümmelung (FGM) entgehen konnte, geriet nach ihrer Hochzeit zunehmend unter Druck diese vornehmen zu lassen. Das Gericht befand, dass der nigerianische Staat nicht ausreichend Schutz vor einer zwangsweise vorgenommenen FGM bietet: ‚Die zwangsweise Genitalverstümmelung stellt eine politische Verfolgung dar. Sie knüpft an die Überzeugung der betroffenen Frau an, das Recht zu haben, ein körperlich unversehrtes Leben als Frau zu führen und die traditionelle Beschneidung zu verweigern. Diese Überzeugung ist eine politische, da sie im Zusammenhang mit dem Verhältnis zwischen den Geschlechtern einerseits sowie der gesellschaftlichen Stellung der Frau und ihrem Selbstbestimmungsrecht andererseits steht. ... Auch wenn die Genitalverstümmelung in Nigeria nicht unmittelbar von staatlichen Organen, sondern von Dritten vorgenommen wird, ist sie derzeit noch dem Staat als mittelbare politische Verfolgung zuzurechnen. ... Verfolgungsmaßnahmen privater Dritter stellen eine “mittelbare” staatliche Verfolgung dar, wenn sie dem Staat zurechenbar sind. Das ist unter anderem dann der Fall, wenn der Staat dem Betroffenen nicht mit den ihm an sich zur Verfügung stehenden Mitteln Schutz gewährt.[…] In Würdigung dieser Auskünfte und unter Berücksichtigung der innenpolitischen Schwierigkeiten in Nigeria ist das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass der nigerianische Staat derzeit nicht wirksam gegen die Zwangsbeschneidung vorgehen kann bzw. will. Diese Einschätzung beruht maßgeblich darauf, dass es angesichts der Häufigkeit der Verstümmelungen nicht verständlich ist, dass die Behörden in ganz Nigeria bislang keine Erkenntnisse über durchgeführte Genitalverstümmelungen und die entsprechenden Täter, zumeist ältere Frauen aus dem Verwandtenkreis des Opfers, erhalten haben sollen, die sie zu einem Eingreifen hätten bewegen können.’ (VwG Aachen 12. August 2003)“ (ACCORD, August 2004, S. 78-79)
Das UN Committee on the Rights of the Child (CRC) erwähnt in seinem Länderbericht zu Nigeria vom September 2004, dass das “Female Circumcision and Genital Mutilation (Prohibition) Law 1999” FGM in Edo State verbiete. Genauso würden Personen, die den Eingriff vornehmen bestraft. Das Strafausmaß betrage bis zu 1.000 Naira oder sechs Monate Haft:
“The recently passed Edo and Delta State laws prohibiting circumcision. In Edo State the law is cited as Female Circumcision and Genital Mutilation (Prohibition) Law 1999. Offenders include those who perform the operation. The punishment is a fine of up to N 1,000 or 6 months’ imprisonment;“ (CRC, 17. September 2004, S.8)
Das US Department of State (USDOS) berichtet in seinem Länderbericht zu Nigeria vom März 2006 detaillierter von den Schwierigkeiten bei der Umsetzung der in einigen Staaten bestehenden Gesetzgebung gegen FGM: Die nigerianische Bundesregierung habe sich öffentlich gegen die Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung ausgesprochen, rechtliche Maßnahmen dagegen seien bislang jedoch ausständig. Aufgrund der erheblichen Widerstände, denen Anti-FGM-Gruppen auf Bundesebene ausgesetzt seien, hätten viele von ihnen ihren Kampf gegen Genitalverstümmelung auf die Ebene der Bundesstaaten sowie Lokalregierungen verlegt. Bayelsa, Edo, Ogun, Cross River, Osun, und Rivers States hätten FGM offiziell verboten. Trotzdem hätten NGOs die Erfahrung gemacht, dass die Lokalregierungen erst davon überzeugt werden müssten, dass die Gesetzte der Bundesstaaten in ihren Bezirken anwendbar seien. Das Gesundheitsministerium, Frauenrechtsgruppen und viele NGOs hätten Bildungsprojekte und Projekte zur Steigerung des öffentlichen Bewusstseins über die Problematik ins Leben gerufen und arbeiteten daran, die Praxis zu eliminieren. Bezüglich der medizinischen Aus­wirkungen von FGM habe es jedoch nur eingeschränkt Kontakte zu Personen und Organisationen, die im Gesundheitsbereich tätig sind, gegeben:
„The federal government publicly opposed FGM but took no legal action to curb the practice. Because of the considerable problems that anti-FGM groups faced at the federal level, most refocused their energies on combating the practice at the state and LGA levels. Bayelsa, Edo, Ogun, Cross River, Osun, and Rivers States banned FGM. However, once a state legislature criminalized FGM, NGOs found that they had to convince the LGA authorities that state laws were applicable in their districts. The Ministry of Health, women's groups, and many NGOs sponsored public awareness projects to educate communities about the health hazards of FGM. They worked to eradicate the practice, but they had limited contact with health care workers on the medical effects of FGM.“ (USDOS, 8. März 2006, Abschnitt 5)
Bezogen auf die rechtliche Situation berichtet das USDOS weiters, dass es in Osun State ein Gesetz gebe, das die Durchführung von Beschneidungen unter Strafe stelle. Dieses sei am 21. März 2005 in Kraft getreten und ziele darauf ab, jene Personen zu bestrafen, die die Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung unterstützen. Gemäß diesem Gesetz sei die Entfernung jeglichen Teils der Geschlechtsorgane einer Frau oder eines Mädchens – ausgenommen medizinische Eingriffe - eine strafbare Handlung. Gemäß den Bestimmungen des Gesetzes mache sich somit jede Frau strafbar, die Beschneidungen anbiete, jede Person, die Frauen oder Mädchen nötige, verleite oder veranlasse, sich FGM zu unterziehen, sowie jede Person, die aus anderen als aus medizinischen Gründen eine Operation durchführe, die in der Entfernung von Teilen der Geschlechtsorgane bestehe. Das Gesetz sehe eine Geldstrafe von $385 oder eine Gefängnisstrafe von einem Jahr für das erste Vergehen, die jeweils doppelte Strafe bei einer zweiten Verurteilung vor:
„On March 21, Osun State enacted a law aimed at punishing those who encourage FGM. The law makes it a punishable offense to remove any part of a sexual organ from a woman or a girl, except for medical reasons approved by a doctor. According to the provisions of the law, an offender shall be any female who offers herself for FGM; any person who coerces, entices, or induces any female to undergo FGM; and any person who other than for medical reasons performs an operation removing part of a woman or girl's sexual organs. The law provides a $385 (50 thousand) fine or one year's imprisonment or both for a first offense, with doubled penalties for a second conviction.“ (USDOS, 8. März 2006, Abschnitt 5)
Das UK Home Office betont in seinem Bericht vom Oktober 2006, in Bezugnahme auf die nigerianische Frauen-NGO BAOBAB, dass die Verbreitung von FGM in Nigeria je nach Tradition unterschiedlich sei. In Edo State würde das Gesetz FGM während der ersten Schwangerschaft verbieten:
„‚According to BAOBAB the practice of FGM in Nigeria is quite diverse depending on tradition. In Edo State the law prohibits FGM during the first pregnancy of a woman, i.e adult women. However, most women throughout Nigeria have the option to relocate to another location if they do not wish to undergo FGM. Government institutions and NGOs afford protection to these women. BAOBAB was of the opinion that FGM in itself is not a genuine reason for applying for asylum abroad.” [15] (p27)“ (UK Home Office, 27. Oktober 2006, S.89)
In einem Interview im Rahmen der gemeinsamen britisch-dänischen Fact-Finding Mission nach Nigeria des Danish Immigration Service (DIS) (Bericht vom Jänner 2005) berichtet BAOBAB, dass es in Nigeria kein Bundesgesetz gebe, das FGM verbiete. BAOBAB kritisiert, dass die Praxis der Beschneidung trotz der oben bereits erwähnten Gesetze auf Ebene der Bundesstaaten fortbestehe. Weiters habe die British High Commission (BHC) bestätigt, dass die nigerianische Verfassung zwar unmenschliche Behandlung verbiete, es den BürgerInnen jedoch gleichzeitig ermögliche, ihren traditionellen Glauben zu praktizieren. Die Regierung warne vor schädlichen traditionellen Praktiken wie FGM und seitens des Gesundheitsministeriums und der Medien seien Kampagnen gegen FGM durchgeführt worden. Seit 2001 liege der Nationalversammlung ein Gesetzesentwurf zum Verbot von FGM vor. Im Rahmen der National Economic Empowerment and Development Strategy (NEEDS), die im Mai 2004 von Präsident Obasanjo lanciert wurde, hielt die Regierung ihre Intention fest, die Kampagnen zur Ausrottung schädlicher traditioneller Praktiken zu intensivieren und stellte fest, dass einige Staaten bereits die dafür notwenigen Gesetze verabschiedet hätten und viele mehr auf bestem Wege dazu seien. Individuelle Beschwerden vor der National Human Rights Commission (NHRC) bezüglich FGM gebe es nur wenige – 2005 habe die NHCR nur eine Klage registriert. Insgesamt habe sich die Situation bezogen auf FGM aber – so die NHRC – signifikant verbessert:
„Female Genital Mutilation (FGM) 3.9.1. According to the Nigerian women-NGO BAOBAB there is no federal law prohibiting FGM in Nigeria. However, laws in Cross River State, Edo State, Akwa Ibom State and Ondo State prohibit FGM, but in spite of these laws the custom of FGM continues. 3.9.2. The BHC confirmed that the Nigerian constitution outlaws inhumane treatment but also provides for citizens to practice their traditional beliefs. The government have warned against harmful traditional practices like FGM and campaigns have been conducted through the Ministry of Health and the media. A draft bill outlawing FGM has been before the National Assembly since 2001. 3.9.3. In its National Economic Empowerment and Development Strategy (NEEDS), which was launched in May 2004 by Obasanjo, the government stated its intention to intensify its campaign for the eradication of harmful traditional practices such as FGM, and stated that several states had already passed the necessary legislation, and many more are in the process of doing so.59 3.9.4. Individual complaints to NHRC concerning FGM are few and far between and during the last 12 months NHRC only registered one complaint. NHRC was of the opinion that the situation regarding FGM in general has improved significantly.“ (DIS, Jänner 2005, S. 26-27, Absatz 3.9.1-2.9.4.)
Bezüglich der Rolle der Polizei stellt der britisch-dänische Bericht (Jänner 2005) zur Fact Finding Mission nach Nigeria fest, dass die staatliche Polizei sich in Fragen der FGM nicht einmische, da sie diese für eine Familienangelegenheit halte. Trotzdem gebe es Gruppierungen, die sich gegen FGM engagierten. Solle ein Mädchen gegen den Druck ihrer Familie versuchen, sich der Praxis der Beschneidung zu entziehen, habe sie die Möglichkeit, bei der Nigeria Police Force (NPF) oder der NHCR Beschwerde zu führen. Zudem könne sie Schutz bei FrauenanwältInnen und NGOs suchen. Auch traditionelle Führer könnten um Beistand gebeten werden. Auch die NHCR habe bestätigt, dass es möglich sei, FGM zu entkommen, habe jedoch hinzugefügt, dass Handlungsweisen von PolizeibeamtInnen und GemeinderätInnen von einer „traditionellen Haltung“ bestimmt seien, welche den Grad ihrer Intervention beeinflusse. Zudem habe die NHCR betont, dass eine von der Tradition geprägt Haltung gegenüber FGM immer noch vorherrsche und auch manche Opfer wahrscheinlich nie den Mut aufbringen würden, ihren Fall vor Gericht zu bringen. Nach Aussage von BAOBAB gewährten Regierungs- und Nichtregierungs­organisationen Frauen, die vor weiblicher Genitalverstümmelung fliehen würden, Schutz:
„On the subject of protection a senior representative of the IGP said that there is a law banning FGM, but the NPF does not become involved in FGM matters, as “it is a family thing”. However, there are groups that are against the practice of FGM and should a girl desire to avoid FGM in spite of pressure from her family to do otherwise she has the opportunity to complain to the NPF or the der and in addition she may seek protection by women lawyers or NGOs. The source added that traditional leaders might also be asked to step in. NHRC confirmed that it is possible to avoid FGM but added that the “traditional attitude” of a police officer or a village council would normally determine their level of concern and intervention. NHRC emphasized that cultural attitudes would still be prevalent and some victims would probably never have the courage to take their case to court. 3.9.8. According to BAOBAB the government and prominent NGOs in Nigeria provide protection to women escaping FGM.“ (DIS, Jänner 2005, S. 26-27, Absatz 3.9.7.-3.9.8.)
Bezug nehmend auf ein Interview der British High Commission in Abuja mit Alhaji Bukhari Bello, Chairman der National Human Rights Commission hält das UK Home Office in seinem Länderbericht vom Oktober 2005 fest, dass Gewalt gegen und Diskriminierung von Frauen in Nigeria illegal seien und dass es Vorschläge gebe, die Gesetzgebung in diese Richtung weiter auszubauen. Wie andere – bereits zitierte - Berichte erwähnt auch der Länderbericht des UK Home Office, dass es zwar Gesetze auf Bundesebene gegen FGM und Gewalt gegen Frauen gebe, deren Umsetzung jedoch unzureichend sei. Die „National Agency for the Prohibition of Traffic in Persons and Other Related Matters“ (nationale Behörde zum Verbot des Menschenhandels und ähnlicher Angelegenheiten) und die „Federal Capital Development Agency“ würde einige Unterkünfte sowie Beratung für betroffene Frauen zur Verfügung stellen. Weiters betont das UK Home Office auch, dass Opfer von Genitalverstümmelung aufgrund drückender lokaler Traditionen vielfach zu viel Furcht empfänden, um öffentlich Beschwerde einzulegen. Dementsprechend sei eine große Informationskampagne, die das Bewusstsein der betroffenen Frauen selbst heben solle, notwendig:
„’Violence and discrimination against women and the girl child[2b] (p2)“ (UK Home Office, Oktober 2005, S.89, Abschnitt 6.109) is illegal in Nigeria and there are proposals to strengthen further the laws. There is a new Bill before the National Assembly specifically on violence against women. The Convention on the Rights of the Child has been incorporated into Nigerian law in the Child Rights Act. Some Nigerian States have passed their own State laws against female genital mutilation and violence against women. There is little state provision to support women facing domestic violence, female genital mutilation or trafficking. Where it exists it is inadequate. The National Agency for the Prohibition of Traffic in Persons and Other Related Matters and the Federal Capital Development Agency provide some shelters and counselling. Often the victims of female genital mutilation are scared to complain because of local cultural pressures. A big public information campaign is needed to raise awareness of womens [sic] rights.’
Zu der Frage, ob eine Frau in Nigeria zur Polizei gehen könnte und dort Anzeige erstatten könne, hält das UK Home Office (Oktober 2006) fest, dass der British High Commission in Abuja im August 2005 von Alhaji Bukhari Bello, dem Vorsitzenden der National Human Rights Commission, die Information zugetragen worden sei, dass sich die NPF (Nigerian Police Force) vielfach unsensibel gegenüber Frauen verhalte. Auch Einschüchterung und Bedrohung von Frauen sei gängig. Manche Frauen brächten den Mut auf, ein Verbrechen anzuzeigen, andere hingegen würden aufgrund der Einstellung gegenüber Frauen, mit der sie sich konfrontiert sehen würden, darauf verzichten:
„In August 2005, the British High Commission in Abuja obtained information about state protection for women from Alhaji Bukhari Bello, Chairman of the National Human Rights Commission. According to Alhaji Bukhari Bello: “The NPF [Nigerian Police Force] are insensitive to women. They sometimes even go out of their way to intimidate and harass women. They might, for example, arrest an unaccompanied woman for soliciting in an attempt to obtain a bribe. Some women do report crimes but others do not because of the attitudinal problems they will encounter.”“ (UK Home Office, Oktober 2006, S. 86, Abschnitt 6.109)
Lebenssituation alleinstehender Frauen in Nigeria und interne Fluchtalternative
ACCORD weist in seinem Länderbericht zu Nigeria vom August 2004 Bezug nehmend auf verschiedene Quellen auf die Benachteiligung von Frauen hin. Generell erfülle sich der Wert einer Frau nur in der Ehe und werde an ihrer Gebärfähigkeit bemessen. Unverheirateten Frauen hafte das Stigma der Promiskuität an, was unter anderem dazu führe, dass Wohnungen nur ungern an alleinstehende Frauen vermietet würden:
„Zwar verbietet die Verfassung von 1999 Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts (Constitution, 17, 2, a; 42, 1); Frauen in Nigeria sind jedoch nach wie vor deutlichen Benachteiligungen ausgesetzt. Laut Osakue und Martin-Hilber werde der Wert von Frauen in erster Linie an ihrer Gebärfähigkeit und daran gemessen, inwieweit sie ihre Rolle als ‚gute Ehefrauen’ erfüllten. (Osakue & Martin-Hilber zit. In: Asylum Aid 2003, S. 51) Das UN Komitee zur Beseitigung der Diskriminierung von Frauen stellt fest, dass in Nigeria nur verheiratete Frauen auf Grund des Schutzes ihres Ehemannes respektiert würden. Dessen ungeachtet blieben verheiratete Frauen im Gewohnheitsrecht Sklavinnen ihrer Ehemänner und angeheirateten Verwandten (UN 2003, Nigeria Women S. 53)“ (ACCORD, August 2004, S. 76)
„Unverheirateten Frauen haftet zusätzlich der Ruf der Promiskuität an, weshalb sie ungern als Mieterinnen unter Vertrag genommen werden (ACCORD 2002, S. 65 unter Bezug auf UN Commission on Human Rights 24. Februar 2000).“ (ACCORD, August 2004, S. 77)
Ebenso weist Asylum Aid in seinem Bericht vom Mai 2003 in Bezug auf den Frauen­rechtsbericht des United Nations Economic and Social Council, Commission on Human Rights aus dem Jahr 2000 darauf hin, dass geschiedene oder getrennt lebende Frauen sowie unverheiratete Mütter oft schwere Probleme hätten, eine Unterkunft zu finden. Generell vergleicht Asylum Aid die Rechte nigerianischer Frauen mit jenen von minderjährigen Kindern:
“5.3 Property rights
The legal status of women in Nigeria and in particular their lack of property rights means that divorced and separated women would have great difficulty in finding accommodation. The UN Special Rapporteur on violence against women states: 
In countries such as Nigeria, women have the legal status of a minor. Women who choose to live alone, who are widowed, divorced or lesbians, and women with children outside marriage are at a severe disadvantage, as they do not share the same rights as men. When married, women become the property of their husband; only through him or through their father or sons do women have access to land. By themselves, they are not able to sign legal contracts or file for divorce. Without a man, women-headed households are severely limited in their access to means to support themselves.  
In Nigeria, 90 per cent of land and property are in the name of men. Accommodation grants from the employer can only be received by men as women are expected to move in with the husband. Single mothers fall through this safety net. In Nigeria, landlords are reluctant to give accommodation to single women or mothers, who have the reputation of being promiscuous. Should they become homeless, women are at a great risk of becoming victims of violence such as rape.  
Not being a full member of society in legal terms prevents female heads of household from being able to support their family. Housing in the formal sector may not be available or affordable and the family may be exposed to the vagaries of the informal housing sector. But married women also are affected by this situation, as they are dependent on their husbands in legal and economic terms. Where the husband does not allocate the resources equally, women are at a severe disadvantage and powerless. In cases of domestic violence, the inability to live life independently without a husband or father may force women to stay with their batterers.” (Asylum Aid, Mai 2003, S. 52-53)
Das US Department of State (USDOS) hält in seinem Bericht vom März 2006 fest, dass Frauen in Nigeria besonders was die Bereiche Arbeit und Einkommen betreffe Diskriminierungen unterliegen würden. Obwohl es in Nigeria keine Gesetze gebe, die Frauen von bestimmten Berufsfeldern fernhalten würden, würden Gewohnheit und religiöse Praktiken häufig Diskriminierungen rechtfertigen. Die Vereinigung Nigerianischer NGOs habe Besorgnis bezüglich der fortgesetzten Diskriminierung gegen Frauen im privaten Sektor geäußert, vor allem was den Zugang zu Arbeit, Beförderungen und Lohngleichheit betreffe. Laut USDOS würden glaubwürdige Quellen von einer so genannten „werde-schwanger-werde-gefeuert“-Politik berichten. Während Frauen im formellen Sektor immer noch unter­repräsentiert seien, spielten sie im Bereich der Schattenwirtschaft eine bedeutende Rolle. Auch gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit sei nicht gewährleistet. Vor allem unverheiratete Frauen müssten verschiedenste Formen der Diskriminierung erleiden:
„Women also experienced considerable discrimination. While there are no laws barring women from particular fields of employment, women often experienced discrimination under customary and religious practices. The Nigerian NGOs Coalition expressed concern regarding continued discrimination against women in the private sector, particularly in access to employment, promotion to higher professional positions, and salary equality. There were credible reports that several businesses operated with a "get pregnant, get fired" policy. Women remained underrepresented in the formal sector but played an active and vital role in the country's informal economy. While the number of women employed in the business sector increased every year, women did not receive equal pay for equal work and often found it extremely difficult to acquire commercial credit or to obtain tax deductions or rebates as heads of households. Unmarried women in particular endured many forms of discrimination.“ (USDOS, 8. März 2006, Abschnitt 5)
Zu der Frage einer internen Fluchtmöglichkeit bei frauenspezifischen Fragestellungen stellt ACCORD in seinem Länderbericht vom August 2004 in Bezugnahme auf verschiedene Menschenrechtsberichte sowie Rechtssprechung fest:
„Die kanadischen Behörden befanden im November 2002 in folgendem Fall zu Gunsten der Asylwerberin: Einer Frau der Volkgruppe Edo, welche nach Ableben des Ehemannes zu einer Leviratehe gezwungen werden sollte und misshandelt wurde, konnte von der Polizei keinerlei Schutz erwarten. Diese verwies vielmehr auf den häuslichen und kulturellen Charakter der Angelegenheit und schritt nicht ein. Nachdem sie über keinerlei Berufserfahrung und über keine Freunde in Lagos verfügte, die sie hätten unterstützen können, gingen die kanadischen Behörden davon aus, dass für sie keine tatsächliche Fluchtalternative innerhalb des nigerianischen Staatsgebietes gegeben war (RefLex 23. Januar 2003).
Das VwG Aachen entschied im Fall einer Ehefrau eines Mitglieds eines regionalen Königshauses, dass ihr keine interne Fluchtalternative zur Verfügung stehe, da sie als Mitglied einer regional herausragenden Familie einem besonderen Druck zur Durchführung der Zwangsbeschneidung ausgesetzt sei und für sie angesichts ihrer Bekanntheit und des Einflusses der Familie auch in einem anderen Landesteil die Problematik der Zwangsbeschneidung akut werden könnte (VwG Aachen 12. August 2003).
Wie bereits ausgeführt kommen sowohl Amnesty International als auch das Institut für Afrika-Kunde zu dem Urteil, dass im gesamten nigerianischen Staatsgebiet kein Schutz vor der FGM-Praxis besteht (AI 2002; IAK 2002, S. 5).
Zur Frage der Situation alleinstehender Frauen meint Axel Harneit-Sievers, dass diese nicht allgemein beantwortet werden könne. Es gäbe zahlreiche Frauen, die ökonomisch eigenständig sind, und manche von ihnen würden auch alleine leben. Es hänge von Qualifikationen und Berufstätigkeit ab, ob dies ein „decent living“ bedeute. Eine solche Lebensweise gelte nicht unbedingt als „normal“, bedeute aber als solche keine Gefährdung, solange keine anderen Risikofaktoren (etwa Hexereivorwürfe) hinzukämen. Ein Leben ohne Rückgriff auf familiäre Unterstützung (dauerhaft oder in Krisensituationen) sei in Nigeria allgemein schwer vorstellbar (Axel Harneit-Sievers 23. August 2004).
Sowohl Amnesty International als auch das Institut für Afrika-Kunde stellen bestätigend fest, dass die Existenzmöglichkeiten von nigerianischen Familien und allein erziehenden Mütter ohne den Rückhalt der Großfamilie erheblich eingeschränkt sind (AI 2002; IAK 2002, S. 5-6).“ (ACCORD, August 2004, S. 87)
Zum Thema Reisefreiheit in Nigeria stellt das US Department of State (USDOS) in seinem Bericht vom März 2006 fest, dass das Gesetz generell das Recht der Reise- und Bewegungsfreiheit garantiere. Seitens der Polizei werde das Recht der Bewegungsfreiheit in Gebieten, in denen es zu ethnisch-religiösen Ausschreitungen kommen könne, gelegentlich durch Ausgangssperren eingeschränkt. An Kontrollstellen und Straßenblockaden komme es weiterhin zu übertriebenem Gewalteinsatz:
„The law provides for these rights, and while the government generally respected them police occasionally restricted freedom of movement by enforcing curfews in areas experiencing ethno-religious violence. Law enforcement agencies used roadblocks and checkpoints to search for criminals and to prevent persons traveling from areas of conflict to other parts of the country where their presence might instigate retaliatory violence. There were no reports that government officials restricted mass movements of individuals fleeing ethnic unrest. Security and law enforcement officials continued to use excessive force at checkpoints and roadblocks and engage in extortion and violence (see section 1.a.).“ (USDOS, 8. März 2006, Abschnitt 2d)
Zu Fluchtmöglichkeiten innerhalb Nigerias stellt der bereits zitierte Bericht des Danish Immigration Service (DIS) zur gemeinsamen britisch-dänischen Fact Finding Mission nach Nigeria fest, dass es NigerianerInnen fast immer möglich sei, vor Verfolgung von nicht-staatlicher Seite in einen anderen Teil des Landes zu fliehen. Trotzdem könnten sie hierbei auf Probleme stoßen: fehlende Akzeptanz in der neuen Umgebung, fehlende Unterkunfts­möglichkeiten, etc.. Für Personen, die über Familienanbindung in dem Gebiet der Neuansiedlung verfügten, wäre die Situation wesentlich leichter zu bewältigen:
“The BHC believed that internal relocation to escape any ill treatment from non-state agents was almost always an option. Some individuals may, however, face difficulties with regard to lack of acceptance by others in the new environment as well as lack of accommodation, land etc. The situation would be considerably easier if the individual concerned has family or other ties on [in] the new location.“ (DIS, Jänner 2005, S. 37, Absatz 4.3.1.)
Auch im Falle von „social persecution“ wie FGM, Zwangsverheiratung, Bestrafungen nach der Sharia etc. gebe es – so das DIS - Fluchtalternativen innerhalb Nigerias. So könnten nur fehlende Mittel für die Reise ein Hindernis für eine interne Flucht vor weiblicher Genitalverstümmelung darstellen:
“Momoh [Channels Television, Abuja] explained that it is possible to evade ‘social persecution’ e.g. FGM, forced marriage, Shari’a [italics] punishment etc by relocating inside Nigeria. Momoh saw only one obstacle for escaping FGM in the form of lack of means for a person from the rural hinterland.” (DIS, Jänner 2005, S. 37-38, Absatz 4.3.4.)
Die im Rahmen der britisch-dänischen Fact Finding Mission befragte NHRC soll sich erstaunt darüber geäußert haben, dass eine Frau, um drohender Genitalverstümmelung zu entgehen, tatsächlich das Land verlassen müsse, anstatt an einem anderen Ort in Nigeria ihren Wohnsitz aufzunehmen. Die NHRC habe jedoch hinzugefügt, dass es für eine Frau, die im Süden Nigerias lebe, schwierig sein könne, einen neuen Wohnsitz im Norden aufzunehmen. Hingegen stehe es allen NigerianerInnen aufgrund der ethnischen Durchmischtheit und der Größe der Stadt frei, sich in Lagos anzusiedeln:
„NHRC expressed surprise if someone actually had to leave Nigeria in order to avoid FGM instead of taking up residence elsewhere in Nigeria. NHRC added that it might be difficult for a woman residing in the southern part of Nigeria who wishes to avoid FGM to take up residence in the northern part whereas all Nigerians have the possibility to take up residence in Lagos due to the ethnic diversity and size of the city.” (DIS, Jänner 2005, S. 26-27, Absatz 4.3.5.)
Diese Informationen beruhen auf einer zeitlich begrenzten Recherche in öffentlich zugänglichen Dokumenten, die ACCORD derzeit zur Verfügung stehen. Die Antwort stellt keine abschließende Meinung zur Glaubwürdigkeit eines bestimmten Asylansuchens dar.
Quellen: