Dokument #1166665
AI – Amnesty International (Autor)
Amtliche Bezeichnung: Republik Irak
Staatsoberhaupt: Jalal Talabani
Regierungschef: Nuri al-Maliki
Todesstrafe: nicht abgeschafft
Einwohner: 32,7 Mio.
Lebenserwartung: 69 Jahre
Kindersterblichkeit: 43,5 pro 1000 Lebendgeburten
Alphabetisierungsrate: 78,1%
Die Sicherheitskräfte der Regierung gingen mit unverhältnismäßiger Gewalt gegen überwiegend friedliche Demonstrierende vor und erschossen mehrere Menschen. Andere wurden festgenommen und gefoltert. Tausende von Menschen waren ohne Anklage oder Gerichtsverfahren inhaftiert, viele von ihnen schon seit mehreren Jahren. Folter und andere Misshandlungen waren weiterhin an der Tagesordnung. Es ergingen Hunderte von Todesurteilen nach meist unfairen Verfahren, und zahlreiche Gefangene wurden hingerichtet. Die US-Truppen begingen ebenfalls schwere Menschenrechtsverletzungen. Bewaffnete Gruppen, die die irakische Regierung und die Anwesenheit der US-Truppen im Land bekämpften, waren weiterhin für schwere Menschenrechtsverstöße verantwortlich. Sie verübten zahlreiche Selbstmordattentate und Bombenanschläge, bei denen Hunderte von Zivilpersonen ums Leben kamen.
Nach dem Vorbild der Proteste in Tunesien und Ägypten demonstrierten Tausende von Menschen in Bagdad, Basra und anderen Städten gegen Korruption, Arbeitslosigkeit und Mängel bei grundlegenden Versorgungsleistungen sowie für mehr bürgerliche und politische Rechte. Die größten Demonstrationen fanden am 25. Februar 2011 in mehreren Städten des Landes statt. Sie wurden von den Sicherheitskräften gewaltsam aufgelöst.
Am 18. Dezember verließen die letzten US-Soldaten den Irak, so wie es in der 2008 zwischen der irakischen Regierung und den USA geschlossenen Statusvereinbarung für die Streitkräfte (Status of Forces Agreement - SOFA) vorgesehen war. Eine angestrebte Vereinbarung, wonach mehrere Tausend Angehörige der US-Armee als Ausbilder der irakischen Streitkräfte im Land verbleiben sollten, scheiterte an rechtlichen Bestimmungen zur Immunität.
Im Juli trat der Irak dem UN-Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe bei.
Bewaffnete Gruppen, die die irakische Regierung und die Anwesenheit der US-Truppen im Land bekämpften, begingen erneut schwere Menschenrechtsverstöße, darunter willkürliche Tötungen von Zivilisten und Entführungen. Viele dieser Anschläge wurden von Al-Qaida im Irak und verbündeten Gruppen verübt.
Tausende Menschen blieben 2011 weiterhin ohne Anklage oder Gerichtsverfahren inhaftiert. Im Juli teilte der Vorsitzende des Obersten Justizrats (Supreme Judicial Council - SJC) mit, dass noch rund 12000 Gefangene auf ihr Verfahren warteten. Diese Zahl bezog sich jedoch nur auf die Inhaftierten in den Gefängnissen, die dem Justizministerium unterstanden. Es wird angenommen, dass sich in den Gefängnissen des Verteidigungs- und des Innenministeriums noch weit mehr Häftlinge befinden. Vielen Gefangenen wurde weiterhin der Zugang zu einem Rechtsbeistand und zu ihren Familien verwehrt.
Im Juli 2011 übergaben die US-Behörden Gefangene an die irakischen Behörden. Darunter befanden sich zwei Halbbrüder des ehemaligen Präsidenten Saddam Hussein und der ehemalige Verteidigungsminister; alle drei waren zum Tode verurteilt worden. Außerdem wechselten fast 200 Häftlinge, denen Mitgliedschaft in bewaffneten Gruppen vorgeworfen wurde, vom Gewahrsam der US-Streitkräfte in den Gewahrsam der irakischen Behörden. Es handelte sich dabei um die letzten Häftlinge, die noch unter der Kontrolle der US-Streitkräfte im Irak gestanden hatten. Sie blieben alle im al-Karkh-Gefängnis (dem ehemaligen Camp Cropper) in der Nähe des internationalen Flughafens von Bagdad inhaftiert.
Folter und andere Misshandlungen von Gefangenen waren insbesondere in den vom Innen- und vom Verteidigungsministerium kontrollierten Gefängnissen und Haftzentren an der Tagesordnung. Zu den üblichen Foltermethoden zählten das Aufhängen an Armen oder Beinen über lange Zeiträume hinweg, Schläge mit Kabeln und Schläuchen, Elektroschocks und das Brechen von Armen oder Beinen. Häftlinge berichteten auch davon, vergewaltigt oder mit Vergewaltigung bedroht sowie mit Plastiktüten fast erstickt worden zu sein. Mit den Folterungen wollte man die Gefangenen zur Preisgabe von Informationen und "Geständnissen" bringen, die man vor Gericht als Beweismittel gegen sie verwenden konnte.
Die Sicherheitskräfte gingen in Bagdad und anderen Städten des Landes mit unverhältnismäßiger Gewalt gegen regierungskritische Demonstrationen vor, insbesondere im Februar und März 2011. Sie setzten scharfe Munition, Geräuschbomben und andere Waffen ein, um die friedlichen Demonstrationen aufzulösen. Seit Beginn der Proteste im Februar 2011kamen dabei mindestens 20 Menschen ums Leben.
Hunderte Menschen wurden zum Tode verurteilt. Der Vorsitzende des SJC sagte im Juli, die Gerichte hätten im ersten Halbjahr 2011 insgesamt 291 Todesurteile ausgesprochen. Im September teilte ein Sprecher des SJC mit, dem irakischen Präsidenten seien zwischen Januar 2009 und September 2011 insgesamt 735 Todesurteile zur Unterzeichnung vorgelegt worden, von denen 81 ratifiziert worden seien. 2011 wurden laut Angaben des Justizministeriums 65 Männer und drei Frauen hingerichtet.
Die meisten Todesurteile ergingen gegen Personen, die wegen Mitgliedschaft in einer bewaffneten Gruppe oder wegen Beteiligung an Anschlägen, Entführungen oder anderen gewaltsamen Verbrechen schuldig gesprochen wurden. Die Prozesse genügten durchweg nicht den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren. Viele Angeklagte beschwerten sich, dass sie keinen Verteidiger ihrer Wahl benennen konnten und dass man sie gezwungen habe, "Geständnisse" zu unterzeichnen, die bei Verhören während ihrer Untersuchungshaft ohne Kontakt zur Außenwelt unter Folter und Einschüchterungen erzwungen worden seien. Die Gerichte erkannten diese "Geständnisse" trotzdem als Beweismittel an. In vielen Fällen wurden die "Geständnisse" im Fernsehen übertragen, oft noch vor Beginn der Gerichtsverhandlung. Damit wurde der Grundsatz der Unschuldsvermutung ausgehöhlt, wonach jeder Angeklagte als unschuldig anzusehen ist, bis seine Schuld nachgewiesen ist. Die Regierung machte nur wenige Angaben zur Todesstrafe. Vor allem die Namen der Hingerichteten und die genaue Zahl der Hinrichtungen blieben im Dunkeln.
Das Oberste Irakische Strafgericht (Supreme Iraqi Criminal Tribunal - SICT) setzte die strafrechtliche Verfolgung ehemaliger führender Mitglieder der Ba'ath-Partei und hochrangiger Militärs aus dem Umfeld des früheren Präsidenten Saddam Hussein fort. Ihnen wurden Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und andere Straftaten zur Last gelegt. Das Gericht, dessen Unabhängigkeit und Unparteilichkeit durch politische Einflussnahme untergraben wurde, verhängte mehrere Todesurteile. Im September berichtete der Vorsitzende des SICT dem Parlament, das Gericht habe seine Arbeit eingestellt, da alle ihm vorgelegten Fälle abgeschlossen seien.
Im August wurde ein neues Gesetz verabschiedet, das offenbar die Rechte von Journalisten schützen sollte. Das Gesetz wurde von Medienorganisationen und Journalisten jedoch als unzureichend kritisiert. Medienschaffende sahen sich weiterhin Drohungen und tätlichen Übergriffen durch die Sicherheitskräfte ausgesetzt. Mit gezielten Maßnahmen wurde hart gegen die Presse vorgegangen. Vor allem Journalisten, die für unabhängige oder oppositionelle Medien arbeiteten, gerieten ins Visier der Behörden. Mehrere Journalisten wurden festgenommen und gefoltert.
Angehörige der US-Streitkräfte waren an einer Reihe von Zwischenfällen beteiligt, bei denen Zivilpersonen unter ungeklärten Umständen ums Leben kamen.
Die irakischen Sicherheitskräfte verstärkten den Druck auf die Bewohner des Flüchtlingslagers Camp Ashraf und gingen gewaltsam gegen sie vor. Das 60 km nördlich von Bagdad gelegene Lager, das in Camp New Iraq umbenannt wurde, beherbergte noch immer ungefähr 3250 Exiliraner, die meisten von ihnen Angehörige und Unterstützer der oppositionellen iranischen Volksmudschaheddin. Am 8. April 2011 stürmten irakische Streitkräfte das Lager und gingen mit unverhältnismäßiger Gewalt und scharfer Munition gegen diejenigen vor, die sich ihnen in den Weg stellten. Bei dem Angriff kamen 36 Menschen ums Leben - 28 Männer und acht Frauen; mehr als 300 Personen wurden verletzt. Anschließend wurde den Verwundeten und anderen Schwerkranken, die das Lager verlassen wollten, um sich in fachärztliche Behandlung zu begeben, der Weg versperrt.
Hochrangige irakische Regierungsbeamte bestanden darauf, dass das Lager bis Ende 2011 geschlossen werden sollte. Der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge (UNHCR) bat daraufhin um eine Verlängerung der Frist, um die Bewohner des Lagers, die sich als Flüchtlinge registrieren lassen wollten, befragen zu können. Ende 2011 willigte die irakische Regierung ein, das Lager erst im April 2012 zu schließen, vorausgesetzt, die Bewohner würden in das Camp Liberty in der Nähe des internationalen Flughafens von Bagdad umziehen.
Auch in der autonomen Region Kurdistan, vor allem in der Stadt Sulaimaniya, fanden Demonstrationen statt, die sich gegen Korruption richteten und politische Reformen forderten.
Mehrere neue Gesetze traten in Kraft. Ein neues Gesetz bezüglich Nichtregierungsorganisationen vereinfacht das offizielle Zulassungsverfahren für NGOs und erlaubt ihnen, Gelder aus dem In- und Ausland zu erhalten. In dem Gesetz wird die Rolle der NGOs anerkannt, das Handeln von Regierungsinstitutionen zu beobachten und Informationen zu beschaffen. Auch ist es ihnen gestattet, Zweigstellen zu eröffnen und Netzwerke aufzubauen. Außerdem trat ein neues Gesetz zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen in Kraft. Darin werden eine Reihe von gewaltsamen Handlungen im häuslichen Bereich unter Strafe gestellt. Außerdem sieht das Gesetz vor, die Identität der Opfer künftig zu schützen. Ferner soll ein spezieller Gerichtshof eingerichtet werden, der sich mit Fällen von Gewalt gegen Frauen beschäftigt.
Exzessive Gewaltanwendung
Bei der Niederschlagung von Protesten in Sulaimaniya und Kalar gingen die kurdischen Sicherheitskräfte mit unverhältnismäßiger Gewalt und scharfer Munition gegen Demonstrierende vor. Mindestens sechs Menschen fanden dabei den Tod.
Folter und andere Misshandlungen
Eine Reihe politisch aktiver Bürger, die sich für mehr Demokratie einsetzten, sowie Mitglieder oppositioneller politischer Parteien wurden inhaftiert, gefoltert und anderweitig misshandelt.
Übergriffe auf Medienschaffende
Mehrere Journalisten, vor allem solche, die für unabhängige Medien arbeiteten, wurden bedroht, schikaniert oder tätlich angegriffen. Bei den Tätern handelte es sich offenbar um Angehörige der Sicherheitsorgane.
Delegierte von Amnesty International besuchten die Region Kurdistan im Irak im März. Sie machten sich ein Bild von der Lage und führten Gespräche mit der Regierung.
* Iraq: Days of rage: Protests and repression in Iraq (MDE 14/013/2011)
© Amnesty International
Amnesty International Report 2012 - The State of the World's Human Rights (Periodischer Bericht, Englisch)