a-7270 (ACC-SOM-7270)

 
Das vorliegende Dokument beruht auf einer zeitlich begrenzten Recherche in öffentlich zugänglichen Dokumenten, die ACCORD derzeit zur Verfügung stehen, und wurde in Übereinstimmung mit den Standards von ACCORD und den Common EU Guidelines for processing Country of Origin Information (COI) erstellt.
Diese Antwort stellt keine Meinung zum Inhalt eines Ansuchens um Asyl oder anderen internationalen Schutz dar.
Wir empfehlen, die verwendeten Materialien im Original durchzusehen.
Zwangsverheiratung
Eine Darstellung verschiedener Formen von Zwangsheiraten und deren Vorkommen in der somalischen Gesellschaft findet sich in einer bereits etwas älteren Anfragebeantwortung des Immigration and Refugee Board of Canada (IRB) vom September 2007:
·       IRB - Immigration and Refugee Board of Canada: Somalia: Prevalence of forced or arranged marriages in Somalia; consequences for a young woman who refuses to participate in a forced or arranged marriage [SOM102612.E], 20. September 2007
http://www.irb-cisr.gc.ca:8080/RIR_RDI/RIR_RDI.aspx?l=e&id=451490
 
Laut UN Human Rights Council (UNHRC) vom März 2010 könnten sich Opfer geschlechts­spezifischer Gewalt nicht an ein funktionierendes Rechtssystem wenden. Vergewaltigung und andere Formen geschlechtsspezifischer Gewalt würden von Klans als ziviler Streitfall behandelt, der ohne Einbindung des Opfers verhandelt und oft durch Zahlung von Blutgeld oder Zwangsheirat zwischen Opfer und Täter gelöst würde:
 “Women, victims of SGBV, had no functioning judicial system to turn to. Rape and other forms of SGBV were dealt with by clans as a civil dispute, not involving the victim, and were often solved by either the payment of blood-money or a forced marriage between the victim and the perpetrator.” (UNHRC, 8. März 2010, S. 19)
Laut den Eligibility Guidelines von UN High Commissioner for Refugees (UNHCR) vom Mai 2010 sei sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt, darunter Kinder- und Zwangsheirat, häusliche Gewalt, FGM, weit verbreitet, sowohl innerhalb der allgemeinen Bevölkerung, als auch in Gemeinschaften für Binnenvertriebene. Letztgenannte könnten zusätzlich regelmäßig Vergewaltigungen ausgesetzt sein, besonders wenn es sich um Frauen aus Minderheitenclans handle. Akkurate Zahlen seien schwer zu erhalten, zum Teil da hierüber wenig berichtet werde. In Bossaso sei innerhalb der Gemeinschaft der Binnenvertriebenen von Zwangsverheiratungen unbegleiteter Frauen und Mädchen berichtet worden, die bei nicht verwandten Familien gewohnt hätten:
„Sexual and gender-based violence (SGBV) is reportedly widespread for both the general population, in terms of early and forced marriage, domestic violence and female genital mutilation, and for IDP women, who may in addition experience rape on a regular basis, especially if they are members of a minority clan. As with most gender-based violence, accurate figures are difficult to obtain, in part due to under-reporting. In Bossaso, several instances of forced marriage were reported in the IDP community of unaccompanied women and girls who had been staying with unrelated families.“ (UNHCR, 5. Mai 2010, S. 19)
In einem Bericht vom November 2006 über die traditionelle Rechtsstruktur in Somalia beschreibt der Somalia-Spezialist Joakim Gundel verschiedene, zu Menschenrechtsstandards in Gegensatz stehende Praktiken des Scharia-Rechts und des Xeer, der traditionellen, neben islamischem und modern-säkularem Recht nach wie vor gängigen Rechtsform. In diesem Zusammenhang erwähnt Gundel verschiedene gebräuchliche Formen von Zwangsheirat, darunter die Zwangsverheiratung einer Witwe mit einem Verwandten ihres verstorbenen Mannes (erzwungenes dumaal), die nur noch selten praktiziert werde. Weiters erwähnt Gundel die zwangsweise Verheiratung der Schwester einer verstorbenen Ehefrau mit deren verwitwetem Ehemann (erzwungenes higsiisan), sowie die Zwangsverheiratung einer Frau in einen anderen Klan als Teil einer Schadenersatzzahlung (mag-Zahlung) oder zur Besiegelung eines Friedensvertrages mit einem anderen Klan. Während dumaal nur noch selten praktiziert werde, seien die anderen Formen von Zwangsheirat in manchen Teilen Somalias nach wie vor gängig. Eine schwerwiegendere Form von Zwangsheirat sei die Verheiratung einer vergewaltigten Frau mit ihrem Vergewaltiger, um ihre „Ehre“ wiederherzustellen, die volle Brautpreiszahlung durch den Täterklan zu gewährleisten und die Beziehungen zwischen dem Täter- und dem Opferklan zu stärken, um weitere Gewalt zu verhindern:
“A number of xeer practices are specifically in contrast with Human Rights standards as well as Sharia law. One example is the practice of dumaal, or rather the forced dumaal, where a widow is forced to marry a male relative of her deceased husband. This does however happen voluntarily, with the consent of the widow, because the bond of family and attachment of the children to her deceased husband’s family is seen by her as overridingly important. Forced dumaal is however not widely practiced any longer. Another custom is forced higsiisan, which is the forced marriage of the sister of a deceased wife to the widowed husband. Godobtir, the forced marriage of a girl into an aggrieved clan as part of a mag payment, or to ensure a peace-deal with another clan is still practiced in some parts of Somalia.
A more serious rights violation is the practice of forcing a raped woman to marry her perpetrator. The justification for this is to protect the woman’s and the clan’s honour, and to ensure full payment of her yarad (dowry) by the attacker’s clan to the victim’s clan, because otherwise her value has been ‘lost’. As marriage also solidifies a bond between the clans of the man and woman involved, further violence is also prevented.” (Gundel, November 2006, S. 55)
In einem COI-Workshop, dessen Protokoll ACCORD im Dezember 2009 veröffentlicht hat, erwähnt Joakim Gundel, dass die Reer Hamar „die Knüpfung von Heiratsbeziehungen“ mit mächtigen Klans als politische Strategie einsetzen:
“Heute sind die Rer Hamar „nicht machtlos“ und in der Lage, sich am lokalen Machtspiel mit den großen Clans zu beteiligen und werden nur selten Ziel von Angriffen durch andere Clans. […] Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Gemeinschaft der Rer Hamar keinen Diskriminierungen mehr ausgesetzt wäre. Vielmehr ist gemeint, dass es nun einige mildernde Faktoren zu ihren Gunsten gibt: […] Aufgrund ihrer Advocacy-Aktivität, ihres im Vergleich zu früher größeren politischen Einflusses und des sogenannten „Mukulal Madow“-Phänomen werden Rer Hamar nicht mehr im gleichen Maße zum Ziel straflos verübter Angriffe, wie es bei den Jareer (Bantu) nach wie vor der Fall ist. „Mukulal Madow“ bezeichnet die Knüpfung von Heiratsbeziehungen zwischen Rer Hamar-Haushalten (und anderen Benadiri-Gruppen) und den mächtigen „noblen“ Clans (insbesondere den Hawiye-Gruppen Abgal und Habr Gedir). Daher stehen Rer Hamar-Haushalte, die ihre Tochter bzw. Töchter an mächtige Clans verheiratet haben, bis zu einem gewissen Grad unter dem den Schutz dieser Clans.” (ACCORD, 15. Dezember 2009, S. 19f)
Situation der Reer Hamar
Nach Angaben des Länderberichts zur Menschenrechtslage des US Department of State (USDOS) vom März 2010 zählen die Reer Hamar zu den Minderheitengruppen bzw. niedrigrangigen Klans Somalias und sind daher, ebenso wie andere Minderheiten, in überproportionalem Maße von Gewalt sowie zahlreichen Formen gesellschaftlicher Diskriminierung und Exklusion betroffen (siehe auch Abschnitt Situation von Minderheiten – Überblick):
„Minority groups and low-caste clans included the Bantu (the largest minority group), the Benadiri, Rer Hamar, Brawanese, Swahili, Tumal, Yibir, Yaxar, Madhiban, Hawrarsame, Muse Dheryo, and Faqayaqub. Intermarriage between minority groups and mainstream clans was restricted by custom. Minority groups had no armed militias and continued to be disproportionately subject to killings, torture, rape, kidnapping for ransom, and looting of land and property with impunity by faction militias and majority clan members. Many minority communities continued to live in deep poverty and suffer from numerous forms of discrimination and exclusion.“ (USDOS, 11. März 2010, Sek. 5)
Laut dem Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage des Auswärtigen Amtes (AA) vom April 2009 würden die Reer Hamar zu den besonders benachteiligten Minderheitengruppen zählen.
[Textpassage entfernt]
Joakim Gundel beschreibt die Situation der Reer Hamar in dem bereits zitierten, von  ACCORD verfassten Workshop-Bericht vom Dezember 2009 folgendermaßen:
„Die Rer Hamar stellen eine zu den Benadiri gehörende Gruppe dar. Daher lassen sie sich hinsichtlich ihrer Sprache und Kultur als Minderheit betrachten. Sie leben in den zentralen Stadtteilen Mogadischus (Hamarweyne und Shangani), wo sie Grundeigentum besitzen. Die großteils arabischstämmigen Rer Hamar sind keine ethnisch homogene Gruppe. Sie werden mit den Stadtbewohnern der Bezirke Hamar und Shangani, den historischen Teilen Mogadischus, in Verbindung gebracht. Es gibt mindestens zwei Haupt-Lineages, die Gibil Cad und die Gibil Madow (letztere sind teilweise somalischer Herkunft). In diesem Zusammenhang wurde mir etwa mitgeteilt, dass es unter den Benadiri eine kleine Gruppe namens Qalimoshube gebe, die den Gibil Madow angehöre und wegen ihrer dunkleren Hautfarbe und Berufe durch die anderen Benadiri-Rer Hamar diskriminiert werde. Heute sind die Rer Hamar „nicht machtlos“ und in der Lage, sich am lokalen Machtspiel mit den großen Clans zu beteiligen und werden nur selten Ziel von Angriffen durch andere Clans. Diese Beobachtung ist im Zusammenhang mit den Veränderungen in Mogadischu im Laufe der letzten acht Jahre zu sehen, in deren Zuge die Rer Hamar-Gemeinschaft nicht mehr den gezielten und straflos verübten Gewalttaten durch die großen, sich bekriegenden Clans ausgesetzt ist, wie es während der frühen Bürgerkriegsjahre der Fall war. Damals wurden Rer Hamar teilweise wegen ihres Einflusses und ihrer Funktionen in der früheren Regierung Somalias, und weil sie nach dem Zerfall der (rechts)staatlichen Einrichtungen im Jahr 1990 jeglichen Schutz verloren hatten, angegriffen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Gemeinschaft der Rer Hamar keinen Diskriminierungen mehr ausgesetzt wäre. […] Aus meinen Begegnungen im Jahr 2006 mit Gruppen in Merka, die mit den Rer Hamar verwandt sind, ergaben sich für mich klare Hinweise über die verschiedenen Mittel, von denen diese Gemeinschaften Gebrauch machen, um jene straflos verübten Übergriffe zu verhindern, denen sie bislang ausgesetzt waren. Im Unterschied zu vielen anderen, über ganz Somalia zerstreut siedelnden Minderheiten ist eine allgemeine Konzentration der Benadiri-Bevölkerung auf die urbanen Zentren, in denen sie bereits seit Jahrhunderten gelebt haben, zu bemerken. Diese konzentrierte Besiedlung trägt zur Stärkung der Benadiri bei. Darüber hinaus haben sie gelernt, mit den mächtigeren Clans zu verhandeln, Kompromisse zu schließen und Beziehungen zu knüpfen und sich an die xeer (Gewohnheitsrechte) der Clans, die sie beherrschen, anzupassen und diese einzuhalten (auch wenn es zu keiner Assimilation in diese Clans kam). Dadurch konnten sie ein gewisses Maß an „Rechtsschutz“ erlangen. Bezüglich der Art und Weise, wie sich schwächere Gruppen mächtigeren Clans „anschließen“, um besseren Schutz zu erreichen, ist noch Vieles ungeklärt. Mir ist nicht klar, ob sich die Rer Hamar in der Praxis an die somalischen xeer angepasst haben, doch fände ich es nicht überraschend, wenn dies der Fall wäre. Dies würde bedeuten, dass sie bei Fällen von Mord zwischen ihnen und den „noblen“ Clans mit letzteren diya-Zahlungen vereinbaren. Für die Rer Hamar in Hamarweyne und Shangani (Mogadischu) wäre es schwierig, an andere Orte in Somalia zu ziehen und dort Grund zu erwerben oder Schutz durch Clans zu erlangen. Jedoch ist auch dies von Ort zu Ort verschieden und auch vom „Beitrag“ abhängig, den der jeweilige Rer Hamar-Angehörige zu leisten imstande ist. So ist es denkbar, dass etwa eine Person, die ein für die Gastgemeinschaft nützliches Gewerbe einführt, von dieser bereitwillig aufgenommen wird. The Rer Hamar sind – im Unterschied zu einigen mächtigen Clans – nicht kollektiv bewaffnet. Rer Hamar-Geschäftsleute in Mogadischu können aber (so wie alle somalischen Geschäftsleute) bewaffneten Personenschutz anstellen.“ (ACCORD, 15. Dezember 2009, S. 19f)
Situation von Minderheiten - Überblick
Die folgenden Quellen enthalten Informationen zur allgemeinen Situation von Minderheiten (Zugriff auf alle Quellen am 29. Juni 2010):
 
·       ACCORD: Clans in Somalia - Bericht zum Vortrag von Dr. Joakim Gundel beim COI-Workshop in Wien am 15. Mai 2009 (überarbeitete Neuausgabe), 15. Dezember 2009 (veröffentlicht auf ecoi.net), S. 12f
http://www.ecoi.net/file_upload/90_1261131016_accord-bericht-clans-in-somalia-ueberarbeitete-neuausgabe-20091215.pdf  
·       BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland): Blickpunkt Somalia: Strukturen, Geschichte, aktuelle Lage, Januar 2010, S. 1 (über „Gastzugang“ einsteigen)
https://milo.bamf.de/llde/livelink.exe?func=ll&objId=13656382&objAction=Open&nexturl=%2Fllde%2Flivelink%2Eexe%3Ffunc%3Dll%26objId%3D13690516%26objAction%3Dbrowse%26sortclsbrowse%3Ddc_namefunc%26sortclsitembrowse%3Ddc_namefuncpromotedcmds
·       FCO - UK Foreign and Commonwealth Office: Human Rights Annual Report 2009 - Countries of Concern: Somalia, März 2010 (verfügbar auf ecoi.net), Kap. Minority Groups
http://www.ecoi.net/local_link/135903/248699_de.html
·       IRIN - Integrated Regional Information Network: Dangerous for minorities, 29. April 2010
http://www.IRINnews.org/report.aspx?ReportID=88965
·       MRG - Minority Rights Group International: State of the World's Minorities and Indigenous Peoples 2009, 16. Juli 2009, S. 109f
http://www.minorityrights.org/download.php?id=663
·       RDC - Refugee Documentation Centre, Legal Aid Board: Country Information Package - Somalia, 31. März 2010 (veröffentlicht auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/1829_1277805175_somalia.pdf
·       UNHCR - UN High Commissioner for Refugees: UNHCR Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Somalia, 05. Mai 2010 (veröffentlicht auf ecoi.net), S. 15f
http://www.ecoi.net/file_upload/90_1273592553_2010-05-unhcr-som.pdf
·       USDOS - US Department of State: Country Reports on Human Rights Practices 2009 - Somalia, 11. März 2010, Sek. 6 – Kap. National/Racial/Ethnic Minorities
http://www.state.gov/g/drl/rls/hrrpt/2009/af/135976.htm
Situation von Frauen – Überblick
Die folgenden Quellen enthalten Informationen zur allgemeinen Lage von Frauen in Somalia (Zugriff auf alle Quellen am 29. Juni 2010):
 
·       AFP – Agence France-Presse: Rapists, hunger and hyenas stalk displaced Somali women, 23. Oktober 2009 (veröffentlicht auf ReliefWeb)
http://www.reliefweb.int/rw/rwb.nsf/db900SID/SNAA-7X48NJ?OpenDocument&RSS20=02-P
·       BBC World News: Somali woman stoned for adultery, 18. November 2009
http://news.bbc.co.uk/2/hi/africa/8366197.stm
·       IRIN – Integrated Regional Information Network: SOMALIA: Instead of a safe haven, fear and rape in Galkayo, 23. September 2009
http://www.irinnews.org/report.aspx?ReportID=86257
·       Reuters – AlertNet: Somali rebels close women's organisations, 2. November 2009 (veröffentlicht auf ReliefWeb)
http://www.reliefweb.int/rw/rwb.nsf/db900SID/VVOS-7XEQ9V?OpenDocument&RSS20=02-P
·       UKBA - UK Border Agency (Home Office): Country Of Origin Information Report – Somalia, 19. Mai 2010 (veröffentlicht auf ecoi.net), S. 129ff (Kap. Women)
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1276107434_somalia-260510.pdf
·       UNHCR - UN High Commissioner for Refugees: UNHCR Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Somalia, 05. Mai 2010 (veröffentlicht auf ecoi.net), S. 18ff
http://www.ecoi.net/file_upload/90_1273592553_2010-05-unhcr-som.pdf
·       USDOS - US Department of State: Country Reports on Human Rights Practices 2009 - Somalia, 11. März 2010, Sek. 6 – Kap. Women
http://www.state.gov/g/drl/rls/hrrpt/2009/af/135976.htm
Situation von Frauen, die Minderheitenclans angehören
Laut Joakim Gundel vom Dezember 2009 seien Frauen, da sie in der gesellschaftlichen Hierarchie an unterster Stelle stünden, de facto schutzlos, wenn sie Minderheiten bzw. Gruppen angehören, die nicht Teil der lokalen nomadischen Hauptclans sind – vor allem dann, wenn sie Angehörige einer Minderheit in einem Lager für Binnenvertriebene seien:
„Traditionell verpflichtet ein somalischer kultureller Code dazu, Personen, die um Schutz ansuchen, zu schützen. Einer solchen Person ihren Schutz zu verweigern wird dementsprechend als Pflichtverletzung und Schande betrachtet. Gleichwohl ist aufgrund der massiven Vertreibungen der jüngeren Zeit die Anzahl der Schutz suchenden Menschen zu groß geworden, als dass die lokalen Gastgeber-Clans (englisch: host clans) dieser traditionellen Pflicht nachkommen könnten. Dies führte zu einer erhöhten Gefährdungslage für Vertriebe. In diesem Zusammenhang ist insbesondere zu beachten, dass Frauen und Kinder in allen gesellschaftlichen Hierarchien ganz unten stehen. Frauen, die Minderheiten bzw. Gruppen angehören, die nicht Teil der lokalen nomadischen Hauptclans sind, befinden sich in einer besonders schlimmen Lage, vor allem dann, wenn sie Angehörige einer Minderheit in einem Lager für Binnenvertriebene (englisch: Internally Displaced Persons, IDPs) sind. Aufgrund der Zerstörung sozialer und staatlicher Strukturen existieren Recht und Ordnung kaum. So gibt es zahlreiche junge Männer, die bewaffnet sind (oder Zugang zu Waffen haben) und unter Ausnutzung der in großen IDP-Lagern vorherrschenden Situation beispielsweise willkürlich IDPs schikanieren, Frauen vergewaltigen, Personen zur Verrichtung bestimmter Arbeiten zwingen oder Geld erpressen. Da diese Männer in der Regel Angehörige der lokalen Gastgeber-Clans sind, genießen sie Straflosigkeit.“ (ACCORD, 15. Dezember 2009, S. 26)
In seinen Eligibility Guidelines vom Mai 2010 hält der UN High Commissioner for Refugees (UNHCR) fest, dass sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt (darunter Zwangsheiraten) weit verbreitet seien, besonders in Lagern für Binnenvertriebene und gegen Frauen aus Minderheitenklans:
„Sexual and gender-based violence (SGBV) is reportedly widespread for both the general population, in terms of early and forced marriage, domestic violence and female genital mutilation, and for IDP women, who may in addition experience rape on a regular basis, especially if they are members of a minority clan.“ (UNHCR, 5. Mai 2010, S. 19)
In einem gemeinsamen Fact-Finding-Mission-Bericht des Danish Immigration Service (DIS) und des Danish Refugee Council (DRC) vom August 2007 wird eine internationale Organisation zitiert, der zufolge mächtige Frauen in Somalia gesellschaftlich schlecht behandelt würden, besonders wenn sie einer Minderheit angehören würden. Laut einer anderen internationalen Organisation seien Frauen, die nicht unter dem Schutz ihres Ehemannes stünden, konkret gefährdet, insbesondere wenn sie Binnenflüchtlinge oder Angehörige eines schwachen Klans, eines Minderheitenklans oder einer Minderheitengruppe seien:
„An international organisation (B) explained that there are powerful women in Somalia, but socially such women may be treated badly and their own community may marginalize them. Powerful women of minority origin may even be treated worse than powerful women from major clans. […] An international organisation (C) explained that if a woman is left without a husband’s protection she is in concrete danger, especially if she is an IDP, and belongs to a minor or weak clan or an ethnic minority group.“ (DIS/DRC, August 2007, S. 31)
Laut Länderbericht des USDOS vom März 2010 seien in den vergangenen Jahren in Mogadishu und Kismayo besonders binnenvertriebene Frauen und Mädchen, und hier besonders Angehörige von Minderheitengruppen, Ziel sexueller Gewalt durch Jugendgruppen geworden:
„NGOs documented patterns of rape perpetrated with impunity, particularly of women displaced from their homes due to civil conflict or who were members of minority clans. […] In March 2008 the UNIE reported that in Mogadishu and Kismayo IDP women and girls, particularly those belonging to minority groups, were increasingly becoming the targets of sexual violence by youth gangs.“ (USDOS, 11. März 2010, Sek. 6)
Die norwegische Herkunftsinformationsstelle LandInfo berichtet im November 2007 unter Berufung auf UNICEF, dass Vergewaltigungen zwar willkürlich stattfänden, aber Frauen aus Minderheiten größere Gefahr laufen würden, bei Straßensperren misshandelt zu werden. Eine weitere konsultierte internationale Organisation sei zu dem Schluss gekommen, dass die meisten Vergewaltigungen willkürlich erfolgen würden, die Möglichkeit systematischerer Vergewaltigungen aber nicht ausgeschlossen werden könne:
„According to UNICEF, most rapes occur arbitrarily, but it noted that minority women are more likely to suffer systematic abuse at roadblocks in places such as Lower Shebelle. An international source (B) confirmed the arbitrary nature of most rapes but would not exclude the possibility of more systematic rape activity, though evidence of it is lacking.” (LandInfo, November 2007, S. 22)
In einem Bericht über die Situation in kenianischen Flüchtlingslagern vom Juni 2010 hält Human Rights Watch (HRW) fest, dass Frauen ohne nahe männliche Verwandte und Frauen aus Minderheitenklans besonders gefährdet seien, Opfer sexueller Gewalt zu werden. Aufgrund ihres niedrigen Status als Frauen ohne nahe männliche Verwandte oder Angehörige einer Minderheit stehe ihnen kein Rechtsmittel zur Verfügung, was den Tätern wiederum bekannt sein dürfte:
“Interviews with women attacked in 2009 and early 2010 confirm other studies’ findings that women without close male relatives and women from minority clans face a particular risk of sexual violence in the [Kenyan] camps. […] Women in these situations have difficulty seeking accountability through maslaha, a mediation proceeding based on xeer, Somali clan customary law. Maslaha involves negotiations between the elder male relatives of the parties in dispute (in sexual violence cases, the victim and the perpetrator). Women without close male relatives or women from minority clans do not have representatives who could negotiate successfully on their behalf in these proceedings, meaning that men who attack these women may assume that they are likely to face few repercussions.” (HRW, 17. Juni 2010, Sek. V)
Zusammenhang zwischen Bagadi und Reer Hamar
Joakim Gundel schildert im ACCORD-Bericht vom Dezember 2009 die Klanstruktur der Bagadi folgendermaßen:
„Die Bagadi / Iroole gehören zu jenen Digil / Rahanweyn-Gruppen, die in Unter-Shabelle ansässig sind, wo die lokale Clan-Zusammensetzung weiters auch Biymaal und Benadiri-Gruppen mit einschließt. Infolge des Bürgerkriegs wurden diese Digil / Rahanweyn-Gruppen, obgleich sie keine Minderheiten sind, gemeinsam mit anderen lokalen Gruppen durch die Hawiye unterdrückt. Der kürzliche Einmarsch der Al-Shabaab in dieses Gebiet erfolgte mit der Begründung, die Digil, die Biymaal und die anderen, bis dahin von den Hawiye unterdrückten Gruppen zu unterstützen“ (ACCORD, Dezember 2009, S. 22).
Die Gruppe der Reer Hamar sei laut Gundel (Dezember 2009) regional definiert und großteils arabischstämmig, aber ethnisch nicht homogen:
"Die Rer Hamar stellen eine zu den Benadiri gehörende Gruppe dar. Daher lassen sie sich hinsichtlich ihrer Sprache und Kultur als Minderheit betrachten. Sie leben in den zentralen Stadtteilen Mogadischus (Hamarweyne und Shangani), wo sie Grundeigentum besitzen. Die großteils arabischstämmigen Rer Hamar sind keine ethnisch homogene Gruppe. Sie werden mit den Stadtbewohnern der Bezirke Hamar und Shangani, den historischen Teilen Mogadischus, in Verbindung gebracht. Es gibt mindestens zwei Haupt-Lineages, die Gibil Cad und die Gibil Madow (letztere sind teilweise somalischer Herkunft). In diesem Zusammenhang wurde mir etwa mitgeteilt, dass es unter den Benadiri eine kleine Gruppe namens Qalimoshube gebe, die den Gibil Madow angehöre und wegen ihrer dunkleren Hautfarbe und Berufe durch die anderen Benadiri-Rer Hamar diskriminiert werde." (ACCORD, Dezember 2009, S. 19)
Das Danish Immigration Service (DIS) schreibt in einem älteren Bericht zu Minderheitengruppen in Somalia vom November 2000, der auf einer (zusammen mit Großbritannien durchgeführten) Fact-Finding-Mission basiert, dass Reer Hamar so viel wie „Menschen aus Mogadischu“ (Hamar Weyne) bedeute, einige der befragten Quellen den Ausdruck aber verwendet hätten, um die gesamte Küstenbevölkerung zu beschreiben, die unterschiedlicher Herkunft sein könne:
„Reer Hamar means people from Mogadishu (Hamar Weyne), but some sources (such as the elders interviewed by the delegation) use it to include the whole coastal population of mixed origin.“ (DIS, November 2000, S. 38f)
In den ACCORD derzeit zur Verfügung stehenden Quellen konnten im Rahmen der zeitlich begrenzten Recherche keine Informationen zum Zusammenhang zwischen Reer Hamar und Bagadi gefunden werden.
 
 

Quellen:(Zugriff auf alle Quellen am 29. Juni 2010)
·        AA – Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Somalia, 2. April 2009
·       ACCORD: Clans in Somalia - Bericht zum Vortrag von Dr. Joakim Gundel beim COI-Workshop in Wien am 15. Mai 2009 (überarbeitete Neuausgabe), 15. Dezember 2009 (veröffentlicht auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/90_1261131016_accord-bericht-clans-in-somalia-ueberarbeitete-neuausgabe-20091215.pdf  
·       AFP – Agence France-Presse: Rapists, hunger and hyenas stalk displaced Somali women, 23. Oktober 2009 (veröffentlicht auf ReliefWeb)
http://www.reliefweb.int/rw/rwb.nsf/db900SID/SNAA-7X48NJ?OpenDocument&RSS20=02-P
·       BAMF - Federal Office for Migration and Refugees (Germany): Blickpunkt Somalia: Strukturen, Geschichte, aktuelle Lage, Januar 2010
https://milo.bamf.de/llde/livelink.exe?func=ll&objId=13656382&objAction=Open&nexturl=%2Fllde%2Flivelink%2Eexe%3Ffunc%3Dll%26objId%3D13690516%26objAction%3Dbrowse%26sortclsbrowse%3Ddc_namefunc%26sortclsitembrowse%3Ddc_namefuncpromotedcmds
·       BBC World News: Somali woman stoned for adultery, 18. November 2009
http://news.bbc.co.uk/2/hi/africa/8366197.stm
·       DIS/DRC - Danish Immigration Service/Danish Refugee Council: Human rights and security in central and southern Somalia – Joint fact-finding mission by the Danish Refugee Council and the Danish Immigration Service, 14 – 27 March 2007, veröffentlicht im August 2007
http://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/F382C881-5A67-4605-845F-953B98E01355/0/somaliarapport_humanrights.pdf
·       DIS - Danish Immigration Service: Report on minority groups in Somalia; Joint British, Danish and Dutch fact-finding mission to Nairobi, Kenya; 17 - 24 September 2000, 1. November 2000
http://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/0317E0EF-BB21-493F-A41C-1E0BD6D49EE5/0/FactfindingmissiontoKenyaSomalia2000tildanskhjemmeside.pdf
·       FCO - UK Foreign and Commonwealth Office: Human Rights Annual Report 2009 - Countries of Concern: Somalia, März 2010 (verfügbar auf ecoi.net), Kap. Minority Groups
http://www.ecoi.net/local_link/135903/248699_de.html
·       Gundel, Joakim: The predicament of the ‘Oday’ – The role of traditional structures in security, rights, law and development in Somalia, November 2006 (veröffentlicht auf der Website der Weltbank)
http://siteresources.worldbank.org/INTJUSFORPOOR/Resources/ThePredicamentoftheOday.doc
·       HRW - Human Rights Watch: “Welcome to Kenya”, 17. Juni 2010
http://www.hrw.org/en/node/90848/section/10
·       IRB - Immigration and Refugee Board of Canada: Somalia: Prevalence of forced or arranged marriages in Somalia; consequences for a young woman who refuses to participate in a forced or arranged marriage [SOM102612.E], 20. September 2007
http://www.irb-cisr.gc.ca:8080/RIR_RDI/RIR_RDI.aspx?l=e&id=451490
·       IRIN - Integrated Regional Information Network: Dangerous for minorities, 29. April 2010
http://www.IRINnews.org/report.aspx?ReportID=88965
·       IRIN – Integrated Regional Information Network: SOMALIA: Instead of a safe haven, fear and rape in Galkayo, 23. September 2009
http://www.irinnews.org/report.aspx?ReportID=86257
·       LandInfo: Security and human rights conditions in southern Somalia, November 2007
http://www.landinfo.no/asset/648/1/648_1.pdf
·       MRG - Minority Rights Group International: State of the World's Minorities and Indigenous Peoples 2009, 16. Juli 2009
http://www.minorityrights.org/download.php?id=663
·       RDC - Refugee Documentation Centre, Legal Aid Board: Country Information Package - Somalia, 31. März 2010 (veröffentlicht auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/1829_1277805175_somalia.pdf
·       Reuters – AlertNet: Somali rebels close women's organisations, 2. November 2009 (veröffentlicht auf ReliefWeb)
http://www.reliefweb.int/rw/rwb.nsf/db900SID/VVOS-7XEQ9V?OpenDocument&RSS20=02-P
·       UKBA - UK Border Agency (Home Office): Country Of Origin Information Report – Somalia, 19. Mai 2010 (veröffentlicht auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1276107434_somalia-260510.pdf
·       UNHCR – UN High Commissioner for Refugees: UNHCR Eligibility Guidelines For Assessing The International Protection Needs Of Asylum-Seekers From Somalia [HCR/EG/SOM/10/1], 5. Mai 2010 (veröffentlicht auf ecoi.net)
https://www.ecoi.net/file_upload/90_1273592553_2010-05-unhcr-som.pdf
·       UNHRC – United Nations Human Rights Council: Technical Assistance And Capacity-Building – Report of the independent expert on the situation of human rights in Somalia, Shamsul Bari [A/HRC/13/65], 10. März 2010 (veröffentlicht auf ecoi.net)
https://www.ecoi.net/file_upload/470_1275054323_a-hrc-13-65.pdf
·       USDOS - US Department of State: Country Reports on Human Rights Practices 2009 - Somalia, 11. März 2010
http://www.state.gov/g/drl/rls/hrrpt/2009/af/135976.htm