Amnesty International Report 2015/16 - The State of the World's Human Rights - Jordan

 

 

Die Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit waren 2015 weiterhin stark eingeschränkt. Regierungskritiker wurden strafrechtlich verfolgt und inhaftiert. In Haftzentren und Gefängnissen waren Folter und andere Misshandlungen verbreitet. Vor dem Staatssicherheitsgericht (State Security Court - SSC) fanden weiterhin unfaire Gerichtsverfahren statt. Frauen wurden durch Gesetze und im täglichen Leben diskriminiert und waren nur unzureichend gegen sexuelle Gewalt und andere Gewalttaten geschützt. Gerichte sprachen Todesurteile aus, und es wurden Hinrichtungen durchgeführt. In Jordanien lebten mehr als 641 800 Flüchtlinge aus Syrien.

Hintergrund

Jordanien bekam auch 2015 die Auswirkungen der Ereignisse im benachbarten Syrien deutlich zu spüren. Das Land beherbergte zahlreiche Flüchtlinge, und bei Zwischenfällen im Grenzgebiet gab es zivile Opfer. Im Februar flogen jordanische Kampfflugzeuge weitere Luftangriffe auf syrische Gebiete, die von der bewaffneten Gruppe Islamischer Staat (IS) kontrolliert wurden. Zuvor hatte der IS ein Video veröffentlicht, das die Verbrennung des jordanischen Kampfpiloten Muath al-Kasasbeh zeigte, der sich in den Händen des IS befand.

Etwa zwölf Menschen starben Berichten zufolge bei gewaltsamen Auseinandersetzungen mit Angehörigen der Sicherheitskräfte, die im Mai und Juni 2015 mehrere Häuser in Ma'an im Südwesten Jordaniens stürmten. Nach den Ereignissen in Ma'an und dem Tod von Abdullah Zu'bi in Gewahrsam (siehe unten) trat der Innenminister im Mai 2015 zurück. Der Leiter der Behörde für öffentliche Sicherheit, die für Polizei und Gefängnisse zuständig ist, sowie der Leiter der Gendarmerie wurden in den vorgezogenen Ruhestand versetzt. Ministerpräsident Abdullah Ensour nannte als Begründung eine "mangelnde Abstimmung zwischen den beiden Sicherheitsbehörden".

Antiterrormaßnahmen und Sicherheit

Mutmaßliche Unterstützer des IS und anderer bewaffneter Gruppen wurden auf Grundlage des Antiterrorgesetzes und anderer Gesetze vor das Staatssicherheitsgericht gestellt. Dabei handelt es sich um ein quasi-militärisches Gericht, dessen Verfahren nicht den internationalen Standards für faire Gerichtverfahren entsprechen.

Folter und andere Misshandlungen

Im August 2015 teilte das staatliche Nationale Menschenrechtszentrum mit, im Jahr 2014 seien 87 Beschwerden über Folter und andere Misshandlungen eingegangen. Als Reaktion kündigte Ministerpräsident Ensour die Einrichtung eines Ministerkomitees an, dem auch Vertreter des Allgemeinen Geheimdienstes und der Behörde für öffentliche Sicherheit angehören sollen. Das Gremium unter Vorsitz des Menschen-rechtskoordinators der Regierung soll sich mit den Erkenntnissen des Nationalen Menschenrechtszentrums beschäftigen. Im Dezember 2015 äußerte sich der UN-Ausschuss gegen Folter besorgt angesichts "anhaltender Berichte über weitverbreitete Folter und andere Misshandlungen von Tatverdächtigen durch Sicherheits- und Ordnungskräfte". Dies betreffe insbesondere Hafteinrichtungen des Allgemeinen Geheimdienstes und der Kriminalpolizei.

Der palästinensisch-jordanische Aktivist Amer Jubran gab an, man habe ihn während seiner zweimonatigen Haft beim Allgemeinen Geheimdienst gefoltert und in anderer Weise misshandelt und gezwungen, ein "Geständnis" zu unterzeichnen. Die Militärrichter des SSC akzeptierten das "Geständnis" als Beweismittel gegen ihn und verurteilten ihn im Juli 2015 u. a. wegen Waffen- und Sprengstoffbesitzes sowie Mitgliedschaft in der Hisbollah zu zehn Jahren Haft. Im November 2015 bestätigte das Kassationsgericht den Schuldspruch. Seine Mitangeklagten, von denen einige ebenfalls angaben, vom Geheimdienst gefoltert worden zu sein, erhielten Gefängnisstrafen zwischen zwei und drei Jahren.

Tod in Gewahrsam

Im Mai 2015 starb Abdullah Zu'bi in Irbid in Polizeigewahrsam, nachdem er wegen mutmaßlicher Drogendelikte inhaftiert worden war. Drei Polizisten wurden angeklagt, ein "Geständnis" erzwungen und Abdullah Zu'bi erschlagen zu haben. Zwei weitere Polizisten sahen sich mit Anklagen wegen Fahrlässigkeit und Befehlsverweigerung konfrontiert. Nachdem ein Video im Internet aufgetaucht war, das den geschundenen Körper von Abdullah Zu'bi zeigte, wurde eine offizielle Autopsie vorgenommen. Der Obduktionsbericht bestätigte, dass sein Tod durch Schläge verursacht worden war, die er im Gewahrsam erlitten hatte. Ende 2015 war unklar, ob die angeklagten Beamten vor Gericht gestellt worden waren. Im Fall von Omar al-Naser, der im September 2015 im Gewahrsam der Kriminalpolizei starb, ergab eine offizielle Autopsie ebenfalls, dass sein Tod auf Schläge zurückzuführen war. Der Fall wurde der Anklagebehörde der Polizei übergeben. In Jordanien werden Polizeibeamte, die wegen solcher Straftaten angeklagt sind, vor ein spezielles Polizeigericht gestellt, das nicht unabhängig ist und dessen Entscheidungen nicht transparent sind.

Verwaltungshaft

Die Provinzbehörden hielten Tausende Menschen weiterhin ohne Anklageerhebung oder Gerichtsverfahren auf Grundlage des Gesetzes zur Verbrechensverhütung aus dem Jahr 1954 in Verwaltungshaft. Das Gesetz gibt Provinzgouverneuren die Befugnis, Personen, die als "Gefahr für die Gesellschaft" angesehen werden, festnehmen zu lassen und auf unbestimmte Zeit zu inhaftieren. Verwaltungshäftlinge haben keine Möglichkeit, gegen ihre Inhaftierung Rechtsmittel einzulegen.

Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit
Die Regierung schränkte die Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit auch 2015 stark ein. Grundlage dafür waren Gesetze, die friedliche Kundgebungen und andere friedliche Meinungsäußerungen unter Strafe stellen. Dutzende Journalisten und Aktivisten wurden festgenommen und inhaftiert, u. a. unter Verweis auf Artikel des Strafgesetzbuchs, die Kritik am König und an der Regierung verbieten. Außerdem kam das 2014 novellierte Antiterrorgesetz zur Anwendung, das Kritik an ausländischen Staatschefs oder Staaten unter Strafe stellt, die Jordaniens Beziehungen zum Ausland schaden könnte. Von der strafrechtlichen Verfolgung waren Journalisten, Reformbefürworter und Mitglieder der Muslimbruderschaft betroffen. Einige von ihnen mussten sich vor dem SSC verantworten.

Das Justizministerium schlug umfassende Änderungen des Strafgesetzbuchs vor, die Ende 2015 jedoch noch nicht umgesetzt worden waren. Darunter befand sich der Vorschlag, Streiks in "lebenswichtigen Branchen" zu verbieten und Verstöße zu bestrafen.

Rechte von Frauen und Mädchen

Frauen wurden weiterhin durch Gesetze und im täglichen Leben diskriminiert und waren nicht ausreichend gegen Verbrechen im Namen der "Familienehre" und andere Gewalttaten geschützt. Fast 89 000 Jordanierinnen, die mit Ausländern verheiratet waren, konnten ihre Staatsbürgerschaft weiterhin nicht an ihre Ehemänner und Kinder weitergeben, denen damit der Zugang zu staatlichen Leistungen versagt blieb. Im Januar 2015 sorgte die Regierung allerdings dafür, dass die Kinder von mit ausländischen Staatsangehörigen verheirateten Frauen Personal-ausweise beantragen dürfen, wenn sie mindestens fünf Jahre lang in Jordanien gelebt haben. Damit verbesserte sich für sie der Zugang zum Gesundheits- und Bildungssystem. Auch die Beantragung von Arbeitserlaubnissen, der Erwerb eines Führerscheins und der Besitz von Grundstücken oder Immobilien wurde dadurch erleichtert.

Die jordanische Frauenorganisation Tadamun berichtete im September 2015, sie habe auf der Grundlage von Presseberichten zwischen Januar und August zehn mutmaßliche Tötungen von Frauen und Mädchen im Namen der "Familienehre" dokumentiert. Im Mai 2015 sprach sich das Kabinett dafür aus, eine Bestimmung im Strafgesetzbuch abzuschaffen, wonach Vergewaltiger straffrei ausgehen, wenn sie ihr Opfer heiraten. Die Neuregelung galt nicht in Fällen, in denen das Vergewaltigungsopfer zwischen 15 und 18 Jahre alt war. Zur Begründung hieß es, durch eine Ehe mit dem Täter sei die Jugendliche davor geschützt, von ihren Angehörigen aus Gründen der "Familienehre" getötet zu werden.

Flüchtlinge und Asylsuchende

Jordanien beherbergte 2015 mehr als 641 800 Flüchtlinge aus Syrien, darunter rund 13 800 Palästinenser und eine wachsende Anzahl von Flüchtlingen aus dem Irak. Die Behörden führten weiterhin strikte Kontrollen an den offiziellen und inoffiziellen Grenzübergängen durch und verweigerten Palästinensern sowie Menschen ohne Ausweisdokumente die Einreise. Auch alleinreisende Männer, die keinen Nachweis erbringen konnten, dass sie Familienangehörige in Jordanien hatten, durften nicht einreisen. Auf der dritten internationalen Geberkonferenz, die über humanitäre Hilfe für syrische Flüchtlinge beriet, erklärte Ministerpräsident Ensour im März 2015, dass die Zahl der Flüchtlinge die Möglichkeiten Jordaniens bereits jetzt übersteige. Dennoch blieben die internationalen Finanzzusagen bezüglich humanitärer Hilfe und die Angebote zur Umsiedlung von syrischen Flüchtlingen in Jordanien unzureichend.

Jordanien schickte zahlreiche syrische Flüchtlinge nach Syrien zurück. Unter Verletzung des Völkerrechts durften mehr als 12 000 syrische Flüchtlinge, die sich unter katastrophalen Bedingungen in einem Wüstengebiet an der Grenze zu Syrien auf jordanischer Seite befanden, nicht nach Jordanien einreisen. Im Dezember 2015 schob Jordanien mehr als 500 sudanesische Flüchtlinge und Asylsuchende in den Sudan ab, obwohl ihnen dort Menschenrechtsverletzungen drohten.

Todesstrafe

Gerichte sprachen 2015 weiterhin Todesurteile aus, und es kam zu Hinrichtungen. Im Februar 2015 wurden die Irakerin Sajida al-Rishawi und der Iraker Ziad al-Karbouli wegen Verbindungen zu Al-Qaida gehängt. Der Zeitpunkt der Hinrichtungen ließ vermuten, dass es sich dabei um eine Antwort auf die Tötung eines jordanischen Piloten durch den IS handelte. Sajida al-Rishawi hatte 2006 dem UN-Sonderberichterstatter über Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe berichtet, sie sei während der Untersuchungshaft gefoltert worden.

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