World Report 2011

Die Parlamentswahlen im Mai führten zu einer Koalition zwischen der konservativen und der liberaldemokratischen Partei, der ersten Koalitionsregierung in Großbritannien seit 1945. Im Juli veröffentlichte die neue Regierung erstmals Richtlinien für Geheimdienstmitarbeiter über Verhöre von Häftlingen im Ausland. Darüber hinaus kündigte sie eine von Richtern geleitete Untersuchung über die Beteiligung des britischen Geheimdiensts an Folter an. Das genaue Mandat der Untersuchungskommission ist zurzeit noch nicht öffentlich. Allerdings ist nicht zu erwarten, dass sie ihre Arbeit aufnimmt, bevor alle laufenden Ermittlungen gegen britische Agenten abgeschlossen sind, denen Folter im Ausland vorgeworfen wird. Im November gab der britische Oberstaatsanwalt bekannt, dass nicht genügend Beweise für die Verurteilung eines Agenten des Inlandsgeheimdienstes (MI5) vorliegen, dem die Misshandlung von Binyam Mohamed zur Last gelegt wird. Im selben Monat kündigte die Regierung an, ehemaligen Guantanamo-Häftlingen Schadensersatz zu zahlen. Auf diesem Weg sollen Zivilprozesse beigelegt und die Offenlegung von Geheimakten verhindert werden, ohne dass britische Behörden öffentlich die Verantwortung für Menschenrechtsverletzungen übernehmen.

Die neuen Richtlinien über Verhöre im Ausland sind nicht geeignet, menschenrechtliche Bedenken zu zerstreuen. Sie gestehen Geheimdienstmitarbeitern einen großen Ermessensspielraum zu und überlassen offenbar Ministern die Entscheidung, ob die Menschenrechte verletzende Verhörmethoden angewendet werden dürfen. Weiterhin sollen Zusicherungen die Folter- und Misshandlungsgefahren eindämmen, obwohl es sich bei ihnen um unzuverlässige Mittel handelt.

Die Kommission für Gleichstellung und Menschenrechte kündigte im September an, dass sie die Richtlinien gerichtlich überprüfen lassen wird, sollte die Regierung sie nicht überarbeiten. Auch Anwälte von Zivilisten, die von britischen Streitkräften im Irak festgehalten und mutmaßlich gefoltert worden waren, drohten, juristische Schritte einzuleiten. Sie kritisieren, dass die Richtlinien nicht explizit verbieten, Gefangenen mit Kapuzen die Sicht zu nehmen. Diese Praxis stand im Zentrum der Untersuchung zum Tod des Hotelrezeptionisten Baha Mousa, der 2003 in britischer Gefangenschaft in Basra starb. Die Anhörungen zu diesem Fall wurden im Oktober beendet, ein Abschlussbericht liegt derzeit noch nicht vor.

Im Zuge einer Zivilklage von sechs ehemaligen Guantanamo-Häftlingen gegen die britische Regierung ordnete der High Court die Veröffentlichung von Geheimdokumenten an. Diese wurden im Juli und September in stark redigierten Fassungen publiziert. Sie beweisen, dass die Regierung bereits im Januar 2002 Kenntnis davon hatte, dass britischen Staatsbürger n in US-Gewahrsam Folter-Vorwürfe erhoben hatten. Dennoch sprach sie sich nicht dagegen aus, britische Staatsangehörige nach Guantanamo zu überstellen. Darüber hinaus enthalten die Dokumente eine Anordnung an Mitarbeiter des britischen Geheimdienstes aus dem Jahr 2002, nach der sie, sollten sie die „Misshandlung” von Gefangenen anderer Staaten beobachten, „gesetzlich nicht dazu verpflichtet” seien, „einzugreifen oder entsprechenden Handlungen vorzubeugen”.

Im Juli prüfte das Innenministerium einige stark kritisierte Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung, insbesondere Kontrollverfügungen, die verlängerte Inhaftierung vor der Anklageerhebung, das Festhalten und Durchsuchen von Personen, ohne dass ein konkretes Verdachtsmoment vorliegt, und das Ausweisen von Personen gegen die Zusicherung, ihnen werde nichts geschehen. Derzeit hat die Regierung dem Parlament noch keine Reformvorschläge vorgelegt. Im Juli setzte die Regierung die Befugnis außer Kraft, Personen im Rahmen von Anti-Terror-Maßnahmen willkürlich anzuhalten und zu durchsuchen. Sie reagierte damit auf eine Einschätzung des EGMR, dass diese Befugnis die Privatsphäre verletzt, zu weit gefasst ist und nicht ausreichend Schutz vor Missbrauch bietet.

Trotz des laufenden Überprüfungsverfahrens des Innenministeriums beinhaltet das Übereinkommen der Koalitionsregierung die Verwendung von diplomatischen Zusicherungen bei der Abschiebung von Terrorverdächtigen.

Im Mai verhinderte die Widerspruchsinstanz für Einwanderungsangelegenheiten (Special Immigration Appeals Commission - SIAC) die Abschiebung von zwei pakistanischen Terrorismusverdächtigen nach Pakistan, die auf der Grundlage diplomatischer Zusicherungen erfolgen sollte. Im Juli leiteten die USA ein Auslieferungsverfahren gegen einen der Verdächtigen ein. Das Verfahren ist derzeit noch nicht abgeschlossen. Im September entschied die SIAC, dass ein äthiopischer Terrorverdächtiger nach Äthiopien abgeschoben werden darf, obwohl ihm dort Folter droht. In diesem Fall wurde erstmals ein Übereinkommen zwischen Großbritannien und Äthiopien aus dem Jahr 2008 herangezogen. Ein Berufungsverfahren läuft derzeit.

Im Juni bestätigte der High Court ein Abschiebemoratorium von Terrorverdächtigen in eine Einrichtung des nationalen Direktorats für Sicherheit in Kabul, das nach Foltervorwürfen erlassen wurde. Im März hatte der EGMR entschieden, dass Großbritannien die Rechte von zwei irakischen Staatsbürgern verletzt hat, indem es sie im Dezember 2008 aus britischem Militärgewahrsam in Basra an irakische Behörden überstellte. Das Gericht gab der Berufung der Regierung im Oktober nicht statt.

Der Premierminister entschuldigte sich im Juni öffentlich für die „ungerechtfertigte und nicht zu rechtfertigende” Erschießung von 14 unbewaffneten Demonstranten 1972 in Nordirland durch britische Soldaten. Kurz zuvor war der lange erwartete Bericht der „Bloody Sunday”-Untersuchungskommission veröffentlicht worden. Die zwölf Jahre andauernden Ermittlungen kamen zu dem Ergebnis, dass die Soldaten nicht bedroht wurden und keinerlei Warnung abgaben, bevor sie das Feuer eröffneten.

Im Oktober starb ein Mann aus Angola, als er von privaten Sicherheitskräften, die für das Innenministerium arbeiteten, abgeschoben wurde. Daraufhin leitete der Innenausschuss des Parlaments eine Untersuchung über Zwangsmaßnahmen ein, die bei solchen Abschiebungen angewendet werden. Eine strafrechtliche Untersuchung über den Todesfall läuft derzeit.

Obwohl die Regierung im Mai zugesagt hatte, diese Praxis zu beenden, werden Kinder weiterhin in Immigrationszentren festgehalten. Asylgesuche von Frauen, auch von Überlebenden sexueller Gewalt in Pakistan, Sierra Leone und Uganda, werden weiterhin im Schnellverfahren bearbeitet, während die Betreffenden sich in Haft befinden. Dieses Vorgehen ist bei so komplexen Fällen nicht angemessen.

Das Oberste Gericht entschied im Juli, dass zwei homosexuelle Asylsuchende aus dem Iran und aus Kamerun nicht mit der Begründung ausgewiesen werden dürfen, sie hätten ihre sexuelle Orientierung in ihren Herkunftsländern verbergen können. Das Innenministerium kündigte daraufhin neue Regeln an, um Abschiebungen in Länder zu verhindern, in denen den Betreffenden Verfolgung auf Grund ihrer sexuellen Orientierung und ihres sexuellen Selbstverständnisses droht.

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