Anfragebeantwortung zur Türkei: Verhalten der Behörden bei Verdacht auf kurdischen Separatismus; Informationen zum Geheimdienst Jandarma İstihbarat ve Terörle Mücadele (JITEM) und dessen Aktivitäten [a-8809]

18. August 2014

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Verhalten der Behörden bei Verdacht auf kurdischen Separatismus

Das US-Außenministerium (US Department of State, USDOS) schreibt in seinem Länderbericht zur Menschenrechtslage vom Februar 2014 (Berichtszeitraum 2013), dass die türkische Regierung im Jahr 2010 damit begonnen habe, tausende Personen vor Gericht zu stellen, denen vorgeworfen worden sei, Mitglieder oder UnterstützerInnen der Union der Gemeinschaften Kurdistans (Koma Civakên Kurdistan, Kurdistan Communities Union, KCK), der politischen Dachorganisation der Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkerên Kurdistan, PKK), zu sein. Die Partei des Friedens und der Demokratie (Barış ve Demokrasi Partisi, BPD) und Menschenrechtsorganisationen hätten behauptet, dass die Behörden innerhalb von drei Jahren etwa 30.000 Personen festgenommen („detained“) und davon 8.000 Personen inhaftiert („arrested“) hätten. Tausende weitere, darunter BürgermeisterInnen, BeamtInnen politischer Parteien, JournalistInnen und MenschenrechtsaktivistInnen befänden sich in Untersuchungshaft. Im Jänner 2013 hätten Gerichte in Diyarbakir 106 Angeklagte, darunter 98 BürgermeisterInnen, nach vierjähriger Untersuchungshaft von allen Anklagepunkten freigesprochen. Es sei zu weiteren Verhaftungen und Anklageerhebungen in anderen Anti-KCK-Verfahren gekommen. Der Fortschrittsbericht der EU-Kommission für das Jahr 2013 habe angemerkt, dass die Anzahl der gewählten AmtsträgerInnen, die im KCK-Fall vor Gericht stünden, sich ungünstig auf die Ausübung regionaler und lokaler Demokratie auswirke:

„In 2010 the government began trying thousands of persons alleged to be members or supporters of the Kurdistan Communities Union (KCK), the umbrella political organization of the PKK terrorist group. The Peace and Democracy Party (BDP) and human rights organizations claimed that, over a three-year period, authorities detained approximately 30,000 persons, of whom they arrested 8,000, and detained thousands of others (including elected mayors, political party officials, journalists, and human rights activists) pending trial. In January courts acquitted 106 defendants in Diyarbakir, including 98 elected mayors, of all charges after they had spent four years in pretrial detention. Arrests and indictments in other anti-KCK trials continued. The EU Commission’s progress report for the year noted that the number of elected officials on trial in the KCK case was ‘adversely affecting the exercise of regional and local democracy.’“ (USDOS, 27. Februar 2014, Section 1d)

Bei der Anwendung der breiten Definition von „Terrorismus“ und „Bedrohung der nationalen Sicherheit“ hätten die Strafverfolgungsbehörden oftmals nicht zwischen Personen unterschieden, die zu Gewalt angestiftet hätten und jenen, die Gewalt zurückgewiesen hätten, aber mit einigen oder allen philosophischen Zielen verschiedener politischer Bewegungen, insbesondere der kurdischen Identitätsbewegung, sympathisiert hätten, so das USDOS weiters:

„Using the broad definition of terrorism and threats to national security, prosecutors often did not distinguish between persons who incited violence, those who supported the use of violence but did not use it themselves, and those who rejected violence but sympathized with some or all of the philosophical goals of the various political movements, particularly the Kurdish identity movement.“ (USDOS, 27. Februar 2014, Section 1e)

Einzelpersonen hätten laut dem USDOS in vielen Fällen den Staat oder die Regierung nicht ohne das Risiko einer zivil- oder strafrechtlichen Untersuchung öffentlich kritisieren können. Zudem habe die Regierung weiterhin Einzelpersonen mit Sympathien für einige religiöse, politische und kurdisch nationalistische oder kulturelle Ansichten bei der Äußerung ihrer Ansichten eingeschränkt. Im Jahr 2013 hätten die Behörden weiterhin zahlreiche Klagen gegen Publikationen unter dem Anti-Terror-Gesetz eingebracht. Laut dem vierten Justizreformpaket („Fourth Judicial Reform Package“) würden mit einigen Ausnahmen jene Personen, die wegen „Förderung terroristischer Propaganda“ verurteilt worden seien, nicht mehr automatisch zusätzliche Strafen wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation erhalten. Die Strafverfolgungsbehörden hätten diese Bestimmung des Strafgesetzbuchs oftmals angewendet, um gegen Mitglieder der Presse einen Schuldspruch zu erreichen, die Informationen hinsichtlich der Kurdenfrage und/oder der PKK veröffentlicht hätten. Am 18. Dezember 2013 habe das Committee to Protect Journalists (CPJ) berichtet, dass die Regierung 40 JournalistInnen inhaftiert habe, darunter ein Dutzend kurdische JournalistInnen. Die Recherchen des CPJ würden andeuten, dass „breit ausgelegte Anti-Terror- und strafgesetzliche Vorschriften den türkischen Behörden erlauben, die Berichterstattung über verbotene Gruppen mit einer Mitgliedschaft gleichzusetzen“:

„Individuals in many cases could not criticize the state or government publicly without risk of civil or criminal suits or investigation, and the government continued to restrict expression by individuals sympathetic to some religious, political, and Kurdish nationalist or cultural viewpoints. […]

During the year authorities continued to file numerous cases against publications under the antiterror law. The Fourth Judicial Reform Package stated that, with few exceptions, those persons convicted of ‘promoting terrorism propaganda’ would no longer automatically receive additional punishment for the charge of membership in a terrorist organization. Prosecutors had often used this provision of the criminal code to convict members of the press who published information relating to the Kurdish issue and/or the PKK. […]

On December 18, the Committee to Protect Journalists reported that the government had 40 journalists imprisoned, including dozens of Kurdish journalists. Their research indicates, ‘Broadly worded antiterror and penal code statutes allow Turkish authorities to conflate the coverage of banned groups with membership.’” (USDOS, 27. Februar 2014, Section 2a)

Die Minority Rights Group International (MRGI), die sich für die Rechte von ethnischen, religiösen und sprachlichen Minderheiten und indigenen Völkern weltweit einsetzt, schreibt in ihrem Jahresbericht zur Lage von Minderheiten und indigenen Völkern vom Juli 2014, dass die Anti-Terror-Gesetze der Türkei in steigendem Ausmaß gegen Minderheitengruppen wie die KurdInnen, die innerhalb der Türkei seit langem marginalisiert würden, angewendet worden seien, um Aktivitäten wie Demonstrationen oder Treffen unter Strafe zu stellen:

However, critics have pointed to a range of gaps and shortcomings, such as its failure to recognize Alevi cemevis as places of worship. The package also did not propose any amendments to Turkey’s existing anti-terrorism laws. This legislation has increasingly been used against minority groups such as the Kurds, long marginalized within Turkey, to penalize activities such as demonstrations and meetings.” (MRGI, 3. Juli 2014)

Das Congressional Research Service (CRS), der Recherchedienst des US-amerikanischen Kongresses, schreibt in einem Bericht vom August 2014, dass die Vorgehensweise des türkischen Militärs gegen die PKK regelmäßig von westlichen Regierungen und Menschenrechtsorganisationen aufgrund übermäßig harter Auswirkungen auf ethnische KurdInnen kritisiert worden sei. Tausende Personen seien wegen Verbindungen zur oder Sympathien für die PKK inhaftiert worden. Hunderttausende Personen seien vertrieben worden:

„The Turkish military’s approach to neutralizing the PKK has been routinely criticized by Western governments and human rights organizations for being overly hard on ethnic Kurds—thousands have been imprisoned for PKK involvement or sympathies and hundreds of thousands have been displaced.” (CRS, 1. August 2014, S. 27-28)

Weitere Informationen zu oben genannter Frage entnehmen Sie bitte auch Punkt 2 folgender ACCORD-Anfragebeantwortung vom Oktober 2013:

·      ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zur Türkei: 1) Informationen zu Amnestiegesetzen; 2) Informationen zu unfairen Verfahren, Folter und unverhältnismäßigen Strafen [a-8534], 23. Oktober 2013 (verfügbar auf ecoi.net)

http://www.ecoi.net/local_link/270014/398482_de.html

Informationen zum Geheimdienst Jandarma İstihbarat ve Terörle Mücadele (JITEM) und dessen Aktivitäten

Folgende teilweise etwas ältere Quellen enthalten Informationen zu oben genannter Frage:

·      Armenian Reporter: Wikileaks: Turkey seeks to target “hidden Armenians”, 22. April 2011

http://www.reporter.am/go/article/2011-04-22-wikileaks-turkey-seeks-to-target--hidden-armenians--

·      NYT - New York Times: In Turkish Restoration, a Violent History Unearthed, 28. März 2012

http://www.nytimes.com/2012/03/29/world/middleeast/in-turkish-restoration-a-violent-history-unearthed.html?pagewanted=all&_r=0

·      Radikal: Fresh Accusations Of "Deep State" Crimes In Turkey, 23. Juli 2013 (veröffentlicht auf World Crunch)

http://www.worldcrunch.com/world-affairs/fresh-accusations-of-quot-deep-state-quot-crimes-in-turkey/turkish-ergenekon-jitem-secret-service/c1s12847/#.U-tnu0AVHIY

·      Spiegel: Turkey's Dirty War against the Kurds: 'We Used to Murder People at Night When the Soldiers Weren't Around', 27. Mai 2009

http://www.spiegel.de/international/world/turkey-s-dirty-war-against-the-kurds-we-used-to-murder-people-at-night-when-the-soldiers-weren-t-around-a-627144.html

·      The Jamestown Foundation: The Ergenekon Investigation May Reveal JITEM’s Dirty Past, 28. Jänner 2009

http://www.jamestown.org/single/?tx_ttnews[tt_news]=34425&no_cache=1#.U-tqUUAVHIY

·      Today’s Zaman: JİTEM confessor in Sweden unlikely to be extradited to Turkey, 8. Oktober 2009

http://www.sundayszaman.com/newsDetail.action;jsessionid=t8XosRe4ONSiGuLkJDMLjwc9?newsId=189219&columnistId=0

·      Today’s Zaman: General Staff knew about JİTEM ops, says ex-Colonel Doğan, 11. Juli 2011

http://www.todayszaman.com/news-250087-general-staff-knew-about-jitem-ops-says-ex-colonel.html

·      Wiki Leaks: BBC Monitoring Alert – TURKEY, 12. Juli 2011

https://wikileaks.org/gifiles/docs/67/675723_bbc-monitoring-alert-turkey-.html

 

Ein Artikel der BBC von April 2014 erwähnt zudem, dass in der Türkei ein Gesetz in Kraft getreten sei, das die Befugnisse des Geheimdienstes erweitere:

·      BBC News: Turkey expands secret service powers, 26. April 2014

http://www.bbc.com/news/world-europe-27172043

 

image001.png 

 

Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 18. August 2014)

Verhalten der Behörden bei Verdacht auf kurdischen Separatismus

·      ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zur Türkei: 1) Informationen zu Amnestiegesetzen; 2) Informationen zu unfairen Verfahren, Folter und unverhältnismäßigen Strafen [a-8534], 23. Oktober 2013 (verfügbar auf ecoi.net)

http://www.ecoi.net/local_link/270014/398482_de.html

·      CRS - Congressional Research Service: Turkey: Background and U.S. Relations, 1. August 2014
http://fpc.state.gov/documents/organization/230747.pdf

·      MRGI - Minority Rights Group International: State of the World's Minorities and Indigenous Peoples 2014, 3. Juli 2014 (verfügbar auf ecoi.net)

http://www.ecoi.net/file_upload/4232_1404984034_mrg-state-of-the-worlds-minorities-2014-europe.pdf

·      USDOS - US Department of State: Country Report on Human Rights Practices 2013 - Turkey, 27. Februar 2014 (verfügbar auf ecoi.net)

http://www.ecoi.net/local_link/270746/400690_de.html

Informationen zum Geheimdienst Jandarma İstihbarat ve Terörle Mücadele (JITEM) und dessen Aktivitäten

·      Armenian Reporter: Wikileaks: Turkey seeks to target “hidden Armenians”, 22. April 2011

http://www.reporter.am/go/article/2011-04-22-wikileaks-turkey-seeks-to-target--hidden-armenians--

·      BBC News: Turkey expands secret service powers, 26. April 2014

http://www.bbc.com/news/world-europe-27172043

·      NYT - New York Times: In Turkish Restoration, a Violent History Unearthed, 28. März 2012

http://www.nytimes.com/2012/03/29/world/middleeast/in-turkish-restoration-a-violent-history-unearthed.html?pagewanted=all&_r=0

·      Radikal: Fresh Accusations Of "Deep State" Crimes In Turkey, 23. Juli 2013 (veröffentlicht auf World Crunch)

http://www.worldcrunch.com/world-affairs/fresh-accusations-of-quot-deep-state-quot-crimes-in-turkey/turkish-ergenekon-jitem-secret-service/c1s12847/#.U-tnu0AVHIY

·      Spiegel: Turkey's Dirty War against the Kurds: 'We Used to Murder People at Night When the Soldiers Weren't Around', 27. Mai 2009

http://www.spiegel.de/international/world/turkey-s-dirty-war-against-the-kurds-we-used-to-murder-people-at-night-when-the-soldiers-weren-t-around-a-627144.html

·      The Jamestown Foundation: The Ergenekon Investigation May Reveal JITEM’s Dirty Past, 28. Jänner 2009

http://www.jamestown.org/single/?tx_ttnews[tt_news]=34425&no_cache=1#.U-tqUUAVHIY

·      Today’s Zaman: JİTEM confessor in Sweden unlikely to be extradited to Turkey, 8. Oktober 2009

http://www.sundayszaman.com/newsDetail.action;jsessionid=t8XosRe4ONSiGuLkJDMLjwc9?newsId=189219&columnistId=0

·      Today’s Zaman: General Staff knew about JİTEM ops, says ex-Colonel Doğan, 11. Juli 2011

http://www.todayszaman.com/news-250087-general-staff-knew-about-jitem-ops-says-ex-colonel.html

·      Wiki Leaks: BBC Monitoring Alert – TURKEY, 12. Juli 2011

https://wikileaks.org/gifiles/docs/67/675723_bbc-monitoring-alert-turkey-.html

 

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