Dokument #1113244
Amnesty International (Autor)
Amtliche Bezeichnung: Republik Ruanda
Staatsoberhaupt: Paul Kagame
Regierungschef: Pierre Damien Habumuremyi (löste im Oktober Bernard Makuza im Amt ab)
Todesstrafe: für alle Straftaten abgeschafft
Einwohner: 10,9 Mio.
Lebenserwartung: 55,4 Jahre
Kindersterblichkeit: 110,8 pro 1000 Lebendgeburten
Alphabetisierungsrate: 70,7%
Die Behörden gingen zunehmend gegen Personen vor, die Kritik an der Regierung übten; auch kam es vermehrt zu rechtswidrigen Inhaftierungen. Das Recht auf freie Meinungsäußerung blieb weiterhin eingeschränkt, obwohl geplant war, die Gesetzgebung diesbezüglich zu reformieren. Oppositionspolitiker und Journalisten, die während der Präsidentschaftswahlen im Jahr 2010 festgenommen worden waren, wurden auf der Grundlage politisch motivierter Anklagen in unfairen Verfahren schuldig gesprochen.
Im Januar 2011 begutachtete der UN-Menschenrechtsrat die Lage der Menschenrechte in Ruanda im Rahmen der Universellen Regelmäßigen Überprüfung (UPR). Die Regierung akzeptierte die meisten Empfehlungen des Gremiums, darunter auch die, geltende Gesetze zu überarbeiten, um das Recht auf freie Meinungsäußerung zu schützen. Die Empfehlungen, Fälle willkürlicher Festnahmen und Inhaftierungen sowie das mutmaßliche Verschwindenlassen von Personen zu untersuchen, wies die Regierung jedoch zurück. Sie argumentierte, die Anzahl der gesetzwidrigen Festnahmen sei gering und die dafür verantwortlichen Beamten seien bereits zur Rechenschaft gezogen worden.
Die Sicherheitslage war 2011 zunehmend angespannt. Hintergrund waren Ereignisse, wie die Granatenanschläge im Jahr 2010, aber auch Flügelkämpfe innerhalb der Regierungspartei Front Patriotique Rwandais (FPR) sowie die Unzufriedenheit mit der Regierung, die unter den Anhängern von Laurent Nkunda herrschte, dem ehemaligen Anführer der kongolesischen bewaffneten Gruppe Congrès National pour la Défense du Peuple (CNDP).
Die Regierung beteiligte sich an der Organisation eines Treffens in der Hauptstadt Kigali, auf dem andere afrikanische Länder ermutigt werden sollten, dem Beispiel Ruandas zu folgen und die Todesstrafe abzuschaffen.
Die internationalen Geldgeber unterstützten die Regierung weiterhin und verwiesen auf das Wirtschaftswachstum des Landes. In privaten Gesprächen wurden jedoch Bedenken wegen der Menschenrechtsverletzungen zum Ausdruck gebracht.
Das Recht auf freie Meinungsäußerung war 2011 weiterhin stark eingeschränkt, obwohl diesbezüglich Gesetzesänderungen geplant waren. Immer mehr Menschen wurden verurteilt, weil man ihnen vorwarf, die nationale Sicherheit zu gefährden, indem sie z.B. Kritik an der Regierungspolitik übten.
Die Zusagen der Regierung, das Gesetz über "Völkermordideologie" überarbeiten zu wollen, waren wenig glaubhaft angesichts des anhaltenden Missbrauchs der vage und unklar definierten Gesetze über "Völkermordideologie" und "Sektierertum" (besser bekannt unter dem Begriff "Divisionismus"). Die Gesetze untersagen Hetzreden, stellen aber auch legitime Kritik an der Regierung unter Strafe. Ende 2011 hatte die Regierung noch nicht über mögliche Änderungen des Gesetzes über "Völkermordideologie" beraten, die sie im April 2010 erstmals angekündigt hatte.
Dem Parlament lagen Ende 2011 mehrere Entwürfe für Gesetzesänderungen vor, die die Medienfreiheit fördern sollen. Menschenrechtsorganisationen hofften, dass die vorgeschlagenen Reformen des Mediengesetzes und des Gesetzes über den Obersten Medienrat sowie der Erlass eines neuen Gesetzes über den Zugang zu Informationen die staatliche Kontrolle der Medien reduzieren würden. Verleumdung sollte weiterhin als strafbare Handlung gelten. Das Gesetz gegen Verleumdung war in den vergangenen Jahren dazu benutzt worden, Journalisten zum Schweigen zu bringen und Medienunternehmen zu schließen.
Private Medienunternehmen, deren Schließung im Jahr 2010 angeordnet worden war, konnten ihren Betrieb nicht wieder aufnehmen. Ihre Herausgeber und andere unabhängige Journalisten lebten weiterhin im Exil.
Menschenrechtsverteidiger wurden weiterhin von Behördenvertretern eingeschüchtert und auf unterschiedliche Art und Weise schikaniert, u.a. durch Festnahmen, Drohungen, bürokratische Behinderungen und Vorwürfe wegen angeblicher finanzieller Verfehlungen.
Oppositionspolitiker wurden wegen des Versuchs, "nicht genehmigte" Demonstrationen zu planen oder an diesen teilzunehmen, schuldig gesprochen. Einige Mitglieder von Oppositionsparteien wurden festgenommen. Oppositionspolitiker in den Nachbarländern sowie in Südafrika und in einigen europäischen Ländern wurden von ruandischen Behörden bedroht und eingeschüchtert.
Charles Ntakirutinka, ein ehemaliger Minister der ruandischen Regierung, saß im Zentralgefängnis von Kigali weiterhin eine zehnjährige Haftstrafe ab. Er war in einem unfairen Prozess für schuldig befunden worden, zu "zivilem Ungehorsam" aufgerufen und mit "kriminellen Elementen" zusammengearbeitet zu haben.
Die Regierung bemühte sich weiterhin um die Überstellung und Auslieferung von Personen nach Ruanda, die im Verdacht standen, Völkermord begangen zu haben. Im Rahmen dieser Bemühungen wurde die Gesetzgebung geändert, um sicherzustellen, dass die Angeklagten im Falle einer Verurteilung keine "lebenslange Haftstrafe mit Sonderbedingungen" erhalten würden. Diese Strafe könnte für Gefangene, deren Familienangehörige sie nicht besuchen wollen oder können, lang andauernde Einzelhaft bedeuten. Auch wäre es den Gefangenen nur erlaubt, in Gegenwart von Wachpersonal mit ihrem Rechtsbeistand zu sprechen, was ihr Recht auf Verteidigung bei Rechtsmittelverfahren verletzen würde. Die "lebenslange Haftstrafe mit Sonderbedingungen" wurde wegen fehlender Einzelzellen bisher nicht angewandt.
Trotz entsprechender Anträge erhielt keine unabhängige NGO Zugang zu Gefängnissen, um die Haftbedingungen zu begutachten oder Gefangene unter vier Augen zu sprechen.
Die Verfahren wegen Völkermord vor den Gacaca-Gerichten, die nicht den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren entsprachen, sollten nach mehrmaligem Aufschub bis Ende 2011 abgeschlossen sein. Zum Jahresende waren allerdings noch einige Rechtsmittelverfahren anhängig. Dem Parlament lag noch kein neues Gesetz vor, um zukünftige Ermittlungen und die strafrechtliche Verfolgung in Fällen mutmaßlicher Beteiligung am Völkermord im Jahr 1994 vor ordentlichen Gerichten zu regeln.
Zahlreiche junge Männer, die in den Jahren 2010 und 2011 festgenommen worden waren, wurden häufig monatelang rechtswidrig in militärischen Haftanstalten, wie z.B. Camp Kami, und in illegalen Hafteinrichtungen, darunter Chez Gacinya und Gikondo, festgehalten. Man verweigerte ihnen den Zugang zu Rechtsbeiständen und medizinischer Versorgung. Auch erhielten sie keine Möglichkeit, ihre Inhaftierung gerichtlich anzufechten. In einigen Fällen baten Angehörige die Polizei offiziell um Informationen, doch wurde diesen Bitten nicht entsprochen. Einige Gefangene wurden in offizielle Gefängnisse verlegt, nachdem man gegen sie Anklage wegen Gefährdung der Staatssicherheit erhoben hatte. Andere wurden unter der Bedingung freigelassen, Stillschweigen zu bewahren.
Die Behörden unternahmen nichts, um das Verschwindenlassen von Robert Ndengeye Urayeneza aufzuklären. Er war zuletzt im März 2010 gesehen worden, und es wurde angenommen, dass er sich im Gewahrsam des Militärs befand.
Internationaler Strafgerichtshof für Ruanda
Der Internationale Strafgerichtshof für Ruanda (International Criminal Tribunal for Rwanda - ICTR) sprach während des Berichtsjahrs zahlreiche Urteile. Neun Angeklagte, gegen die der Gerichtshof Haftbefehle erlassen hatte, befanden sich weiterhin auf freiem Fuß. Das Mandat des ICTR endet im Jahr 2012.
Im Dezember 2011 bestätigte die Berufungskammer des ICTR die Entscheidung, das Verfahren gegen Jean Uwinkindi an Ruanda zu übertragen. Das Urteil verwies auf die Absicht Ruandas, die gesetzlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass ausländische Richter an Verfahren mitwirken können, die vom ICTR an die ruandische Justiz übertragen werden. Das Verfahren gegen Jean Uwinkindi wäre das erste Verfahren wegen Völkermordes, das an Ruanda abgegeben würde.
In Finnland, Deutschland und Spanien fanden Gerichtsverfahren gegen Personen statt, die verdächtigt wurden, am Völkermord beteiligt gewesen zu sein. Der Antrag Frankreichs und Spaniens zur Auslieferung von Kayumba Nyamwasa war noch immer in Südafrika anhängig, wo ihm im Jahr 2010 Asyl gewährt worden war. Kayumba Nyamwasa ist ein ruandischer Staatsbürger, der verdächtigt wird, in Ruanda Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt zu haben. Ruandas Auslieferungsantrag war von den Behörden Südafrikas abgelehnt worden.
Es gab keine Ermittlungen oder Strafverfolgungsmaßnahmen in Bezug auf mutmaßliche Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit der Ruandischen Patriotischen Armee (Armée Patriotique Rwandaise - APR) im Jahr 1994 in Ruanda. Straflosigkeit herrschte auch bezüglich der umfangreichen Menschenrechtsverletzungen, die die ruandischen Streitkräfte in der Demokratischen Republik Kongo begangen hatten und die im sogenannten UN Mapping Report dokumentiert sind.
Am 31. Dezember 2011 kündigte der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge (UNHCR) an, man werde für ruandische Flüchtlinge in den Nachbarländern eine Beendigungsklausel (cessation clause) zur Anwendung bringen. Das bedeutet, dass Personen ihren Flüchtlingsstatus verlieren, wenn im Herkunftsland wieder stabile und sichere Verhältnisse herrschen. Die ruandischen Flüchtlinge in mehreren Ländern hatten bis zum Jahresende keine Möglichkeit, zu erklären, dass sie aus individuellen Gründen weiterhin Verfolgung befürchten mussten und deshalb nicht unter die Regelung fielen. Die Klausel soll am 1. Juli 2012 in Kraft treten.
Delegierte von Amnesty International besuchten Ruanda in den Monaten Februar, Juli, Oktober und November. Ein Beobachter von Amnesty International war in den Monaten September, Oktober und November beim Verfahren gegen Victoire Ingabire anwesend.
© Amnesty International
Amnesty International Report 2012 - The State of the World's Human Rights (Periodischer Bericht, Englisch)