Dokument #1059637
Amnesty International (Autor)
Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen im August 2010 schränkten die Behörden die Rechte auf freie Meinungsäußerung und Vereinigungsfreiheit ein. Die Regierung verbot kritische Medien, und Herausgeber sahen sich zur Flucht aus Ruanda gezwungen. Menschenrechtsverteidiger wurden eingeschüchtert. Es fanden keine gründlichen Untersuchungen von Tötungsdelikten statt. Hochrangige Armeeoffiziere wurden inhaftiert, ohne dass man sie vor Gericht stellte. Im Justizwesen gab es zwar einige Verbesserungen, dem standen jedoch Gesetze gegenüber, die kritische Äußerungen unter Strafe stellten. Kein Land lieferte an Ruanda Personen aus, die im Verdacht standen, Völkermord begangen zu haben.
Vor den Präsidentschaftswahlen im August wurden die Meinungs- und Vereinigungsfreiheit in starkem Maße unterdrückt und neu gegründete Oppositionsparteien auf diese Weise daran gehindert, eigene Kandidaten aufzustellen. Bei den Wahlen wurde Präsident Paul Kagame mit 93% der Stimmen im Amt bestätigt.
In der Regierungspartei Ruandische Patriotische Front (Rwandan Patriotic Front - RPF) kam es zunehmend zu Flügelkämpfen. Der ehemalige Stabschef der ruandischen Armee, Faustin Kayumba Nyamwasa, floh nach Südafrika. Einige hochrangige Armeeoffiziere wurden festgenommen und ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft gehalten. Andere flüchteten in Nachbarländer.
Zwischen der Regierung und den Anhängern von Laurent Nkunda, dem ehemaligen Anführer der kongolesischen bewaffneten Gruppe Congrès National pour la Défense du Peuple (CNDP), nahmen die Spannungen zu. Der im Januar 2009 inhaftierte Laurent Nkunda stand in Ruanda weiterhin ohne Anklage oder Gerichtsverfahren unter Hausarrest.
Nach mehreren Granatenanschlägen wurden die Sicherheitsmaßnahmen in der Hauptstadt Kigali verstärkt.
Ruanda reagierte ablehnend auf eine UN-Datenerhebung über Menschenrechtsverletzungen in der Demokratischen Republik Kongo von 1993 bis 2003 und lenkte damit die Aufmerksamkeit auf frühere Verstöße der Ruandischen Patriotischen Armee, die straffrei geblieben waren.
Internationale Geberländer zeigten sich angesichts der sich verschlechternden Menschenrechtslage zunehmend besorgt. Frankreich, Spanien und die USA sowie Vertreter der EU und der UN verliehen ihrer Sorge vor den Wahlen öffentlich Ausdruck.
Das Recht auf freie Meinungsäußerung wurde 2010 noch stärker eingeschränkt als in den Vorjahren. Die Regierungspartei RPF reagierte im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen zunehmend gereizt auf Kritik.
Die Behörden wandten nach wie vor sehr allgemein und unklar formulierte Gesetze über "Völkermordideologie" und "Sektierertum" missbräuchlich an. Die Gesetze untersagen Hetzreden, stellen aber auch legitime Kritik an der Regierung unter Strafe.
Im April teilte die Regierung mit, dass das Gesetz über "Völkermordideologie" überarbeitet werde, und machte Andeutungen, dass möglicherweise auch das Gesetz über "Sektierertum" überprüft werde. Doch machte die Regierung weiterhin von beiden Gesetzen Gebrauch und gab nicht an, für wann die Überarbeitung geplant sei.
Medien, die Kritik an der Regierung übten, wurden verboten. Die Regierung bediente sich dabei ordnungsrechtlicher Zwangsmaßnahmen, restriktiver Gesetze und Verleumdungsklagen. Ab Juli 2010 setzte die Regierung Teile des 2009 verabschiedeten Mediengesetzes um, in dem u.a. der Straftatbestand Verleumdung enthalten ist. Einige der führenden Herausgeber und Journalisten flüchteten aus Ruanda, nachdem sie bedroht und drangsaliert worden waren.
Menschenrechtsverteidiger erhielten erneut Drohungen, u.a. von Regierungsvertretern. Sie wandten auch weiterhin Selbstzensur an, um Konfrontationen mit den Behörden zu vermeiden.
Die ruandische Regierung wies einen Mitarbeiter der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch aus. Andere internationale NGOs berichteten, dass ihre Tätigkeit immer stärker eingeschränkt werde. Hochrangige Regierungsvertreter griffen in ihren Reden Amnesty International und andere internationale Menschenrechtsorganisationen an.
Auf einer Sitzung der Afrikanischen Kommission für Menschenrechte und Rechte der Völker, die im Mai stattfand, kritisierte ein Vertreter der ruandischen Regierung ruandische Menschenrechtsorganisationen.
Einschränkungen der Vereinigungsfreiheit verhinderten die Teilnahme neu gegründeter Oppositionsparteien an den Präsidentschaftswahlen. Die FDU-Inkingi und die Demokratische Grüne Partei erhielten keine Sicherheitsfreigabe für Versammlungen, die für eine Zulassung erforderlich waren. Die PS-Imberakuri, die als einzige neue Partei eine Zulassung erhielt, war von Abweichlern unterwandert und entschied, bei den Wahlen nicht anzutreten.
Oppositionspolitiker wurden schikaniert und bedroht. Untersuchungen der Drohungen blieben oberflächlich und zogen keine strafrechtlichen Konsequenzen nach sich.
Charles Ntakirutinka, ein ehemaliger Minister der Regierung, saß im Zentralgefängnis von Kigali weiterhin eine zehnjährige Haftstrafe ab, die 2012 endet. Er war in einem unfairen Prozess für schuldig befunden worden, weil er zu "zivilem Ungehorsam" aufgerufen und mit "kriminellen Elementen" zusammengearbeitet haben soll.
Das Personal der Zeugenschutzstellen wurde geschult und verbesserte die Aktenführung. Angesichts der eingeschränkten Meinungsfreiheit aufgrund der Gesetze über "Völkermordideologie" und "Sektierertum" gab es weiterhin Bedenken hinsichtlich der Aussagebereitschaft von Zeugen.
Im Oktober 2010 wurde ein Gesetz zur "lebenslangen Haftstrafe mit Sonderbedingungen" verkündet, die die Todesstrafe ersetzen soll. Das Gesetz sieht vor, Gefangene bis zu 20 Jahre lang in Einzelzellen zu inhaftieren, was für Häftlinge, deren Angehörige sie nicht besuchen können oder wollen, anhaltende Isolationshaft bedeuten könnte. Auch dürfen die Betroffenen nur in Gegenwart von Wachpersonal mit ihrem Anwalt reden, wodurch ihr Recht auf Verteidigung bei Rechtsmittelverfahren eingeschränkt ist und sie möglicherweise davon abgehalten werden, Übergriffe anzuzeigen. Da Ruanda nicht die erforderlichen Kapazitäten besaß, um Straftäter in Einzelzellen zu inhaftieren, wurde die Strafe nicht angewandt.
Die Überfüllung der Haftanstalten stellte auch weiterhin ein Problem dar.
Die Frist, um Verfahren wegen Völkermord vor den Gacaca-Gerichten abzuschließen, wurde im September auf unbestimmte Zeit verlängert.
Von März bis Mai "verschwanden" mindestens vier Männer. Einige von ihnen standen dem CNDP-Flügel von Laurent Nkunda nahe oder hatten in der Vergangenheit Verbindungen zu bewaffneten Gruppen in der Demokratischen Republik Kongo. Ihr Verbleib war Ende 2010 weiterhin unbekannt. Bei mindestens einem von ihnen, Robert Ndengeye Urayeneza, wurde vermutet, dass er Opfer des "Verschwindenlassens" geworden war und von der ruandischen Armee in Gewahrsam gehalten wurde.
Einige Parteimitglieder der PS-Imberakuri und der FDU-Inkingi, die im Juni und im Juli 2010 festgenommen worden waren, wurden von Polizisten misshandelt. Sie erhielten Schläge und wurden an Mithäftlinge gefesselt, selbst wenn sie zur Toilette gingen.
Mehrere hochrangige Armeeoffiziere wurden festgenommen und ohne Anklageerhebung in Gewahrsam gehalten. Sie durften keinen Rechtsbeistand in Anspruch nehmen und standen monatelang unter Hausarrest oder befanden sich ohne Kontakt zur Außenwelt in Militärgewahrsam.
Das Mandat des Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda (International Criminal Tribunal for Rwanda - ICTR) für die Bearbeitung aller Verfahren der ersten Instanz wurde bis Ende 2011 verlängert. Die Rechtsmittelverfahren sollen bis Ende 2012 abgeschlossen sein. Zehn verdächtige Personen, gegen die der Gerichtshof Haftbefehle erlassen hatte, befanden sich weiterhin auf freiem Fuß. Der Ankläger des ICTR beantragte im November erneut, Fälle an die ruandische Justiz zu übertragen. Ähnliche Anträge waren in der Vergangenheit von den Verfahrenskammern abgelehnt worden, da die Angeklagten ihrer Ansicht nach in Ruanda nicht mit einem fairen Verfahren rechnen konnten.
In Belgien, Finnland, den Niederlanden, in der Schweiz, in Spanien und in den USA fanden Verfahren gegen Personen statt, die verdächtigt wurden, am Völkermord beteiligt gewesen zu sein. Schweden hatte 2009 in einem Fall der Auslieferung zugestimmt, doch war der Fall noch beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängig. Kein Land lieferte des Völkermords verdächtigte Personen an Ruanda aus, da zu befürchten war, dass die Verfahren dort nicht die Standards der Fairness erfüllen würden.
Am Oktober 2010 wurde Callixte Mbarushimana, der Sekretär der bewaffneten Gruppe Demokratische Kräfte für die Befreiung Ruandas (Forces Démocratiques de Libération du Rwanda - FDLR), in Frankreich verhaftet. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hatte einen Haftbefehl gegen ihn ausgestellt wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die 2009 im Osten der Demokratischen Republik Kongo begangen wurden. Frankreich hatte ihm 2003 den Flüchtlingsstatus gewährt, und die französischen Strafverfolgungsbehörden hatten es abgelehnt, zuvor erhobenen Vorwürfen nachzugehen, er sei am Völkermord in Ruanda beteiligt gewesen. Im November ordnete ein Berufungsgericht in Paris die Überstellung von Callixte Mbarushimana an den Internationalen Strafgerichtshof an.
Straflosigkeit bei Verbrechen im Sinne des Völkerrechts
Im Vorfeld der Wahlen verübte Tötungsdelikte wurden von den ruandischen Behörden nicht gründlich untersucht und strafrechtlich verfolgt.
Die Regierung übte auf Nachbarländer Druck aus, um die Rückführung von Flüchtlingen nach Ruanda zu erreichen. Der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge (UNHCR) gab bekannt, dass ruandischen Flüchtlingen, die sich im Gebiet der Afrikanischen Großen Seen aufhielten, Ende Dezember 2011 möglicherweise der Flüchtlingsstatus aberkannt werde. Dies werde jedoch nur geschehen, wenn gewisse messbare Fortschritte zu verzeichnen wären.
Am 14. und 15. Juli 2010 wurden im Rahmen einer gemeinsamen Operation ugandischer und ruandischer Behörden ungefähr 1700 abgelehnte Asylbewerber und einige Flüchtlinge aus den im Südwesten von Uganda gelegenen Lagern Nakivale und Kyaka II gegen ihren Willen repatriiert. Die Operation verstieß gegen das internationale Flüchtlingsrecht und den internationalen Menschenrechtsschutz. Die betroffenen ruandischen Staatsbürger, darunter einige anerkannte Flüchtlinge, wurden mit vorgehaltener Waffe dazu gezwungen, Lastwagen zu besteigen. Dabei wurden mehrere Personen verletzt, darunter auch schwangere Frauen. Mindestens ein Mann starb, nachdem er von einem Lkw gesprungen war.
Delegierte von Amnesty International besuchten Ruanda im März und im September.
Rwanda: Politician charged, was not ill-treated (AFR 47//002/2010)
Rwanda: End human rights clampdown before presidential elections (AFR 47//003/2010)
Investigate murder of Rwandan journalist, Jean Léonard Rugambage (AFR 47//004/2010)
Completing the work of the International Criminal Tribunals for the former Yugoslavia and Rwanda (REG 01/005/2010)
Safer to stay silent: The chilling effect of Rwanda's laws on "genocide ideology" and "sectarianism" (AFR 47//005/2010)
Rwanda: Pre-election attacks on Rwandan politicians and journalists condemned, 4 August 2010
Rwanda: Opposition leader must receive fair trial (PRE 01/139/2010)
Rwanda: Intimidation of opposition parties must end (PRE 01/058/2010)
© Amnesty International
Amnesty International Report 2011 - The State of the World's Human Rights (Periodischer Bericht, Englisch)