Amnesty International Report 2011 - Zur weltweiten Lage der Menschenrechte

Amtliche Bezeichnung: Republik Kasachstan
Staatsoberhaupt: Nursultan Nasarbajew
Regierungschef: Karim Massimow
Todesstrafe: für gewöhnliche Straftaten abgeschafft
Einwohner: 15,8 Mio.
Lebenserwartung: 65,4 Jahre
Kindersterblichkeit (m/w): 34/26 pro 1000 Lebendgeburten
Alphabetisierungsrate: 99,7%

Es gab nach wie vor zahlreiche Berichte über Folter und andere Misshandlungen, obwohl die Regierung zugesichert hatte, mit einer "Null-Toleranz-Politik" dagegen vorgehen zu wollen. Derartige Menschenrechtsverletzungen blieben weiterhin straflos. Die Behörden verstärkten ihre Anstrengungen, um im Rahmen von Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der nationalen Sicherheit und zum Kampf gegen den Terrorismus Asylsuchende und Flüchtlinge zwangsweise nach China und Usbekistan zurückzuführen.

Hintergrund

Im Januar 2010 übernahm Kasachstan den Vorsitz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und erklärte Antiterror- und Sicherheitsmaßnahmen in Europa und Zentralasien zu vorrangigen Aufgaben der OSZE. Dem Thema Menschenrechte wurde in der Agenda des OSZE-Präsidiums kein wichtiger Platz eingeräumt.
Im Mai beschloss das Parlament eine Verfassungsänderung, die Präsident Nursultan Nasarbajew zum "Führer der Nation" erklärte und ihm und seiner engeren Familie permanente Immunität vor strafrechtlicher Verfolgung gewährte. Die Verfassungsänderung räumte ihm gleichfalls das lebenslang geltende Recht ein, endgültige Entscheidungen über Angelegenheiten der Außen- und Sicherheitspolitik zu treffen. Entstellende Bilder des "Führers der Nation" und Verfälschungen seiner Biografie wurden zu Straftaten erklärt. Im September deutete Staatspräsident Nasarbajew an, dass er im Jahr 2012 für eine neue Amtsperiode kandidieren werde.

Folter und andere Misshandlungen

Die Behörden führten eine Reihe von Maßnahmen ein, die darauf abzielten, Folter zu verhindern. Dazu gehörten ein erleichterter Zugang unabhängiger öffentlicher Beobachter zu Hafteinrichtungen und eine öffentliche Verpflichtung, gegenüber Folter eine "Null-Toleranz-Politik" walten zu lassen.
Im Februar 2010 wurde Kasachstans Menschenrechtslage im Rahmen der Universellen Regelmäßigen Überprüfung (UPR) durch die UN begutachtet. In ihrem Bericht wiederholte die Regierungsdelegation, dass sich die kasachischen Behörden zu einer "Null-Toleranz-Politik" gegenüber Folter verpflichtet hätten und dass sie "nicht rasten werden, bis die Folter voll und ganz ausgemerzt ist".
Im Februar verschob die Regierung die Einrichtung des Nationalen Präventionsmechanismus, eines unabhängigen Überwachungsmechanismus für Haftanstalten, um drei Jahre. Die Behörden fuhren jedoch damit fort, im Einklang mit den ihnen nach dem Fakultativprotokoll zum UN-Übereinkommen gegen Folter obliegenden Pflichten in enger Zusammenarbeit mit nationalen und internationalen NGOs und zwischenstaatlichen Organisationen einen rechtlichen Rahmen für den Nationalen Präventionsmechanismus zu entwickeln.
Im April erklärte die Generalstaatsanwaltschaft gegenüber Amnesty International, dass Mitgliedern unabhängiger öffentlicher Überwachungskommissionen der Zugang zu Einrichtungen für Untersuchungshäftlinge des Inlandsgeheimdienstes (National Security Service - NSS) in bislang nie dagewesenem Ausmaß gewährt worden sei. Vier Besuche hätten im Jahr 2009 und acht im Jahr 2010 stattgefunden.
Trotz dieser Maßnahmen berichteten Personen, die sich im Polizeigewahrsam befanden, dass sie sowohl vor als auch nach der formalen Registrierung ihrer Haft in einer Polizeistation häufig Folter und anderen Misshandlungen ausgesetzt waren. Polizeibeamte verstießen oft gegen das Strafvollzugsgesetz, das eine Registrierung von Gefangenen binnen drei Stunden nach ihrer Inhaftierung vorsieht.
Im Oktober kritisierte der UN-Sonderberichterstatter über Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe Kasachstan, weil das Land das volle Ausmaß der Folter und anderer Misshandlungen in seinem Haft- und Gefängnissystem weiterhin verberge.

Straflosigkeit

Die Situation der Straffreiheit für Verantwortliche von Menschenrechtsverletzungen wurde auch 2010 nicht grundlegend in Frage gestellt. Die Behörden kamen ihrer Aufgabe nicht nach, die Verpflichtungen, die Kasachstan nach dem UN-Übereinkommen gegen Folter übernommen hatte, vollständig und in wirksamer Weise zu erfüllen. Die Behörden setzten auch die Empfehlungen des UN-Ausschusses gegen Folter und anderer UN-Fachausschüsse und -Sonderverfahren nicht um - vor allem nicht in Bezug auf eine rechtzeitige, gründliche, unabhängige und unparteiische Aufnahme von Untersuchungen bei Verdacht auf Folter oder andere Misshandlungen.
Im April informierte die Generalstaatsanwaltschaft Amnesty International darüber, dass im Jahr 2009 lediglich zwei Foltervorwürfe gegen Sicherheitsbeamte bestätigt und Strafverfahren gegen sie eingeleitet worden seien. Sie wies jedoch alle anderen von mehreren Personen vorgebrachten Foltervorwürfe gegen Sicherheitsbeamte als unbegründet zurück. Es handelte sich dabei um Fälle, die von Amnesty International, anderen Menschenrechtsorganisationen und dem UN-Sonderberichterstatter über Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe aufgegriffen worden waren.

  • Im April 2010 erhob Alexander Gerasimov vor dem UN-Ausschuss gegen Folter die erste individuelle Klage gegen Kasachstan seit der im Jahr 2008 erfolgten Ratifizierung des Fakultativprotokolls zum UN-Übereinkommen gegen Folter durch Kasachstan. Alexander Gerasimov gab an, dass ihn im Jahr 2007 mindestens fünf Polizeibeamte gefoltert hätten. Die Polizeibeamten setzten seinen Angaben zufolge die dry submarino genannte Foltertechnik ein: Sie banden seine Hände hinter dem Rücken zusammen, stießen ihn mit dem Kopf nach unten auf den Boden, stülpten eine Plastiktüte über seinen Kopf und hielten ihn in dieser Position, während ein Beamter wiederholt ein Knie in seinen Rücken rammte. Die Beamten traktierten auch seine Nieren mit schweren Schlägen und drohten ihm sexuelle Gewalt an. Aufgrund seiner Verletzungen wurde er 13 Tage im Krankenhaus behandelt und verbrachte wegen eines posttraumatischen Belastungssyndroms mehr als einen Monat in intensiver psychiatrischer Behandlung. In seiner vor dem Ausschuss erhobenen Klage gab Alexander Gerasimov an, dass sein Fall nicht gründlich und unabhängig untersucht worden und niemand für die Verletzungen seiner Menschenrechte zur Verantwortung gezogen worden sei.

Flüchtlinge und Asylsuchende

Ein neues Flüchtlingsgesetz, das am 1. Januar 2010 in Kraft trat, nahm gewisse Kategorien von Asylsuchenden von der Möglichkeit aus, in Kasachstan den Flüchtlingsstatus zu erhalten. Zu diesen Kategorien zählten Menschen, die in ihren Herkunftsländern beschuldigt wurden, Mitglieder illegaler, nicht genehmigter oder verbotener politischer oder religiöser Parteien oder Bewegungen zu sein. In der Praxis betraf dieser Ausschluss vor allem Muslime aus Usbekistan, die ihren Glauben in nicht vom Staat kontrollierten Moscheen praktizierten oder die tatsächlich oder vermutlich in Usbekistan verbotenen islamistischen Parteien oder islamischen Bewegungen angehörten und aus dem Land geflohen waren, weil sie wegen ihrer Glaubensüberzeugung Verfolgung befürchteten. Der Ausschluss betraf auch Personen uigurischer Herkunft aus der Autonomen Uigurischen Region Xinjiang in China, die beschuldigt oder verdächtigt wurden, Mitglieder separatistischer Bewegungen oder Parteien zu sein.
Der neu geschaffene staatliche Migrationsausschuss, der dem Arbeitsministerium untersteht, begann damit, alle Fälle jener Personen zu überprüfen, denen der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge (UNHCR) vor der Gründung des Ausschusses den Flüchtlingsstatus zuerkannt hatte. Er widerrief den Flüchtlingsstatus vieler Personen aus Usbekistan und China, von denen die meisten auf eine Neuansiedlung in einem Drittland warteten.
Eine zunehmende Anzahl dieser Menschen wie auch andere Asylsuchende aus Usbekistan und China wurden von der Polizei oder Beamten des Inlandsgeheimdienstes NSS zur Kontrolle ihrer Ausweispapiere angehalten und willkürlich entweder für kurze Zeit in Einrichtungen für Untersuchungshaft oder ohne zeitliche Begrenzung in Haftanstalten des NSS bis zur zwangsweisen Rückführung in ihre Herkunftsländer festgehalten. Sie hatten keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu Rechtsanwälten, zum UNHCR und zu ihren Familien. Viele beklagten sich über Folter und andere Misshandlungen im Gewahrsam.

  • Im Juni 2010 nahmen NSS-Mitarbeiter 30 usbekische Flüchtlinge und Asylsuchende in der Stadt Almaty fest, um sie nach Usbekistan abzuschieben. Alle 30 Männer waren aus Usbekistan geflohen, weil sie dort verbotenen religiösen Gruppen angehörten und deshalb befürchteten, verfolgt zu werden. Den Frauen der Festgenommenen wurde erklärt, ihre Ehemänner würden wegen Mitgliedschaft in illegalen religiösen und extremistischen Organisationen und unter dem Vorwurf, die staatliche Ordnung umstürzen zu wollen, an Usbekistan ausgeliefert.
    Am 8. September wurde einem der Männer, Nigmatulla Nabiev, für ein Jahr Asyl gewährt. Am 13. September verkündete der stellvertretende Staatsanwalt von Almaty, dass die Generalstaatsanwaltschaft entschieden habe, die übrigen 29 Männer an Usbekistan auszuliefern. Dem Vernehmen nach wurden mindestens zwei der 29 Männer im September an Usbekistan ausgeliefert, obwohl über die gegen ihre Festnahme und die Auslieferungsbeschlüsse eingelegten Rechtsmittel noch nicht entschieden worden war. Bis zum Jahresende wurde die Mehrzahl der Einsprüche der 29 Männer ablehnend beschieden. Mindestens zwei andere usbekische Asylsuchende wurden im Oktober und November an Usbekistan ausgeliefert.

Amnesty International: Berichte

Uzbekistani asylum-seekers at risk of extradition from Ukraine and Kazakhstan (EUR 04/002/2010)

Kazakhstan: No effective safeguards against torture (EUR 57/001/2010)

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