Anfragebeantwortung zu Tadschikistan: 1) Voraussetzungen, unter denen eine Frau einen Mann (beide Tadschiken und sunnitische Muslime) traditionell nach religiösem Ritus heiraten kann, wenn sie zuvor einen anderen Mann (Afghane, sunnitischer Muslim) traditionell nach religiösem Ritus in Afghanistan geheiratet hat?; 2) Anerkennung von traditionell im Ausland (Afghanistan) geschlossenen Ehen und Auswirkungen solcher Ehen auf das Sorgerecht für gemeinsame Kinder in aufrechter Ehe und im Fall einer Scheidung [a-8937-1]

25. November 2014

Diese Anfragebeantwortung wurde für die Veröffentlichung auf ecoi.net abgeändert.

Das vorliegende Dokument beruht auf einer zeitlich begrenzten Recherche in öffentlich zugänglichen Dokumenten, die ACCORD derzeit zur Verfügung stehen, und wurde in Übereinstimmung mit den Standards von ACCORD und den Common EU Guidelines for processing Country of Origin Information (COI) erstellt.

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Wir empfehlen, die verwendeten Materialien im Original durchzusehen. Originaldokumente, die nicht kostenfrei oder online abrufbar sind, können bei ACCORD eingesehen oder angefordert werden.

1) Voraussetzungen, unter denen eine Frau einen Mann (beide Tadschiken und sunnitische Muslime) traditionell nach religiösem Ritus heiraten kann, wenn sie zuvor einen anderen Mann (Afghane, sunnitischer Muslim) traditionell nach religiösem Ritus in Afghanistan geheiratet hat?

[Passage entfernt]

 

In einem Artikel vom Dezember 2011 berichtet das Institute for War and Peace Reporting (IWPR), ein in London ansässiges internationales Netzwerk zur Förderung freier Medien, über den Fall einer 29-jährigen Frau aus Duschanbe, die in dritter Ehe einen Mann nach religiösem Ritus geheiratet habe, welcher zu dem Zeitpunkt bereits eine „legale“ Ehefrau sowie eine „Zweitfrau“ gehabt habe. Der erste Ehemann der obengenannten 29-jährigen Frau (den sie bereits mit 15 Jahren geheiratet habe) sei als Arbeitsmigrant nach Russland verzogen und nie wieder zurückgekehrt. Danach habe sie einen anderen Mann geheiratet, dieser habe sie jedoch nach einem Jahr verlassen. Sie sei in der Folge kein Interesse gehabt, sich dem muslimischen Scheidungsritus zu unterziehen, da es sich für sie in diesem Fall schwierig gestaltet hätte, wieder zu heiraten. So habe sie sich zumindest den sozialen Status einer verheirateten Frau bewahren können:

„Ruzigul, a 29-year-old Dushanbe resident, has found herself in a difficult situation as the third wife of a man who is gradually distancing himself from her and their children.

‘These days, he comes only once a week. Sometimes he doesn’t bring any money for months at a time,’ she said. ‘But what can I do?’.

Ruzigul has two children with her present husband, and two from an earlier marriage.

When she agreed to a religious marriage, she was aware that her husband already had a legal wife, but not that he also had a second one. At the time, she was struggling to make ends meet, and her job as a waitress did not pay enough to pay cover the rent and look after her children.

Her first husband, whom she married at 15, went off to Russia as a labour migrant and never came back. She also had a second husband, who left her after a year.

Ruzigul is not keen to go through the Islamic divorce rite, as she would find it hard to remarry, and at least this way she still has the social status of a married woman.” (IWPR, 13. Dezember 2011)

Amnesty International (AI) schreibt in einer älteren Pressemitteilung vom November 2009, dass die standesamtliche Eheschließung und –scheidung gesetzlich vorgeschrieben sei. Allerdings würden die damit verbundenen Kosten als hoch empfunden, und es sei einfach, diesen finanziellen Aufwand zu umgehen, indem man sich für eine traditionelle, auf Grundlage der Scharia geschlossene religiöse Ehe (nikoh) bzw. eine traditionelle Scheidung (taloq) entscheide. Im Gegensatz zu einer Zivilehe, die beiden Ehepartnern bestimmte durchsetzbare Rechte wie das Recht auf Eigentum, Alimente und das Sorgerecht für die Kinder im Scheidungsfall zugestehe, handle es sich bei „nikoh“ um einen Vertrag, der allein durch den Ehemann aufgekündigt werden könne. Dieser könne eine Ehe ohne vorherige Ankündigung und ohne rechtliche Konsequenzen beenden. Zwar seien Mullahs verpflichtet, vor einer nikoh-Trauung zu prüfen, ob die Ehe bereits amtlich registriert sei, doch würden sie dies in der Praxis häufig nicht tun:

„In Tajikistan, there are two marriage procedures: the civil registration in a registry office, ZAGS (Zapis Aktov Grazhdanskogo Sostoyaniya), and nikoh, the traditional, religious marriage under Shari’a law. The official registrations of marriage and divorce, although legal requirements, are seen as costly obligations that can easily be dispensed with in favour of the nikoh and taloq.

Civil registration is still a legal requirement in Tajikistan. It is a contract that gives both parties certain justiciable rights – to property, alimony, and child custody – in case of divorce. The nikoh, on the other hand, is a form of contract that can be broken by the husband alone, without advance warning, and with no penalties. Mullahs are required to check whether marriages have been registered before they proceed with nikoh marriages; however, this is frequently not done.” (AI, November 2009)

Informationen zum Thema Scheidungen in Afghanistan entnehmen Sie bitte folgender Anfragebeantwortung von ACCORD:

·      ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Übergriffe durch die Familie der geschiedenen Frau auf den früheren Ehemann wegen Scheidung bzw. Annullierung der Ehe [a-8785-v2], 12. August 2014 (verfügbar auf ecoi.net)

http://www.ecoi.net/local_link/283480/413946_de.html

 

In den ACCORD derzeit zur Verfügung stehenden Quellen konnten im Rahmen der zeitlich begrenzten Recherche keine weiteren Informationen zu dieser Teilfrage gefunden werden.

2) Anerkennung von traditionell im Ausland (Afghanistan) geschlossenen Ehen und Auswirkungen solcher Ehen auf das Sorgerecht für gemeinsame Kinder in aufrechter Ehe und im Fall einer Scheidung

[Passage entfernt]

 

In den ACCORD derzeit zur Verfügung stehenden Quellen konnten im Rahmen der zeitlich begrenzten Recherche keine Informationen zu konkreten Auswirkungen traditionell (im Ausland) geschlossener Ehen auf das Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder in aufrechter Ehe und im Scheidungsfall gefunden werden.

 

Folgende Berichte gehen allgemein auf Auswirkungen traditionell geschlossener Ehen auf Rechte der Eheleute ein und behandeln dabei insbesondere die Situation der Frau im Scheidungsfall:

 

Das Institute for War and Peace Reporting (IWPR) schreibt im November 2013, dass gemäß tadschikischem Recht der Ehemann auch nach einer Trennung dazu verpflichtet sei, für den Lebensunterhalt seiner Kinder zu sorgen. Dieses Unterhaltsrecht sei indes in Fällen, in denen sich der Ehemann im Ausland befinde, nur schwer durchsetzbar. Dies gelte insbesondere dann, wenn die Ehe nicht registriert worden sei, da in diesem Fall einer Scheidungserklärung keine Rechtskraft zukomme:

„Under Tajik law, husbands are bound to provide for their children, including after a separation, but this becomes difficult to enforce if they are in another country, and especially if the marriage has not been registered, which means a statement of divorce carries no legal force.” (IWPR, 28. November 2013)

Asia Plus, eine private tadschikische Nachrichtenagentur mit Sitz in Duschanbe, berichtet im August 2014, dass nach Angaben von Sabochat Olimowa, Leiterin der NGO „Awrora“, der religiöse Heiratsritus (nikoh) die Eheleute zu nichts verpflichte und keinerlei Rechtskraft habe. Im Fall einer Scheidung von Paaren mit Kindern würden die Frauen unter anderem keine Möglichkeit haben, die Zahlung von Alimenten durch den Mann rechtlich durchsetzen:

По мнению руководителя неправительственной организации АврораСабохат Олимовой, обряд никох необходимо проводить исключительно только после официальной регистрации брака.

- Я помню по результатам одного мониторинга, что девушки ставили условие перед родителями об обязательной регистрации брака в органах ЗАГСа [Управление записи актов гражданского состояния] перед проведением обряда никох. Данный вопрос был вызван, прежде всего, тем, что религиозный обряд ничему не обязывает стороны и не имеет силу законов светского государства. В случае расторжения брака после рождения детей женщины не могут добиться выплаты алиментов, решить жилищные споры и т.д., - отметила С.Олимова.“ (Asia Plus, 22. August 2014)

Wie das US-Außenministerium (Department of State, USDOS) in seinem im Februar 2014 veröffentlichten Länderbericht zur Menschenrechtslage bemerkt, würden Ehemänner häufig von der Möglichkeit einer religiösen Heirat Gebrauch machen, um zu verhindern, dass ihre Ehefrauen im Fall einer Scheidung Zugriff auf Vermögensgüter der Familie erhalten:

„Religious marriages were common substitutes for civil marriages, due to the high marriage registration fees associated with civil marriages and the power afforded men under religious law. […]

Husbands also used these officially unregistered religious marriages to prevent wives from accessing family assets and other rights in the event of divorce.” (USDOS, 27. Februar 2014, Section 6)

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) erwähnt in einem Bericht vom September 2012, dass das tadschikische Familiengesetzbuch Ehen, die gemäß religiöser Tradition geschlossen worden seien, keinen rechtlichen Status zuerkenne. Wie der Bericht weiter ausführt, würden die meisten Ehen nach wie vor religiös geschlossen und daher rechtlich nicht anerkannt. Folglich könnten Frauen, die von ihren ins Ausland ausgewanderten Ehemännern zurückgelassen worden seien, ihre Rechte gegenüber dem Ehemann nicht gerichtlich durchsetzen:

„While the Family Code includes a provision stipulating equality between men and women in marriage and divorce, in practice, discrimination persists. One of the issues concerns the legality of marriage in Tajikistan. The Family Code sets forth that ’a marriage concluded within state bodies of civil registration may be recognized. A marriage concluded according to religious customs shall not have legal status’. While meant to protect the rights of women, the provision, however, effectively hampers their exercise, as most marriages are still concluded according to religious customs and therefore are not legally recognized. As a result, wives abandoned by migrants often cannot enforce their rights against their husbands before the courts. Although polygamy is banned by the Penal Code of Tajikistan, it is, however, still practiced.” (OSZE, 12. September 2012, S. 18-19)

Die in New York ansässige Nachrichtenwebsite EurasiaNet, die schwerpunktmäßig zur GUS und zum Nahen Osten berichtet, schreibt im April 2011 über den Fall einer 43-jährigen Tadschikin, die ihren Ehemann verlassen habe. Die Behörden hätten ihr jedoch keine Scheidung zuerkannt, da sie aus behördlicher Sicht nie verheiratet gewesen sei, weil sie sich für eine islamische Eheschließung durch einen Imam entschieden habe, die nicht standesamtlich registriert worden sei. Laut Angaben der Frau hätten die Behörden ihr daher erklärt, dass ihr weder Rechte an dem gemeinsamen Haus noch in Bezug auf ihre Kinder zustünden. Laut Daten der OSZE würden in Scheidungsfällen rund 80 Prozent der Frauen keine Alimente für ihre Kinder erhalten – üblicherweise aus dem Grund, dass ihre Ehe nicht registriert worden sei:

„After suffering years of physical abuse at the hands of her husband, a beating in the street was the last straw for 43-year-old Shamsigul Khulova. Her humiliation prompted her to leave her husband of 18 years, the father of her six children. But to her alarm, authorities would not recognize a divorce, thus threatening to deny her a property and custody settlement.

The state was reluctant to sanction her divorce because, from the official standpoint, she had never been married. Authorities cited ‘the fact that we were not registered in the registry office, and stated that I have no rights to the house or to the children,’ Khulova explained. Like many women in post-Soviet Tajikistan Khulova had opted for an Islamic marriage ceremony, or nikaah, conducted by an imam.

No reliable statistics exist, but legal experts say many, if not most, marriages in Tajikistan today are not officially registered with the government, and are therefore not recognized under Tajik law. ‘Marriage registration is extremely important for women to protect their financial security, no matter what happens in the marriage,’ according to Marcellene Hearn, a lawyer with the American Bar Association’s Rule of Law Initiative in Dushanbe. Most couples that opt for the nikaah never get their vows legally documented.

With the state playing less of a role in Tajiks’ lives, new couples are often unaware of the need to register, says Azita Ranjbar, a Fulbright scholar researching Tajik women’s access to justice. Others complain about the distance to the registry office. Following Tajikistan’s civil war from 1992-97, ‘people just stopped registering,’ she added.

With divorce rates climbing in Tajikistan, the issue of spousal rights is becoming increasingly salient. Labor migration -- involving hundreds of thousands of Tajik men leaving the country in search of seasonal work, heading primarily to Russia -- is straining many marriages, as elsewhere in the former Soviet Union.

Under Tajik law, women are entitled to 50 percent of a couple’s property upon divorce. Yet, research by the Organization for Security and Cooperation in Europe (OSCE), shows that around 80 percent of women in divorce cases are denied property rights and child support, usually because they lack registration.” (EurasiaNet, 14. April 2011)

Zu dieser Teilfrage wurde ein externer Experte per E-Mail kontaktiert. Sobald eine Auskunft einlangt, werden wir Ihnen diese unverzüglich weiterleiten.

 

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Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 25. November 2014)

·      ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Übergriffe durch die Familie der geschiedenen Frau auf den früheren Ehemann wegen Scheidung bzw. Annullierung der Ehe [a-8785-v2], 12. August 2014 (verfügbar auf ecoi.net)

http://www.ecoi.net/local_link/283480/413946_de.html

·      AI – Amnesty International: Women and Girld in Tajikistan: Facing Violence, Discrimination and Poverty, November 2009

http://www.amnesty.org/en/library/asset/EUR60/002/2009/en/aadfa3ce-ca75-47d0-932b-b2b8c60fe077/eur600022009en.pdf

·      Asia Plus: Никох в мечети: Две стороны одной медали [Nikoh und Moscheen: Zwei Seiten derselben Medaille], 22. August 2014 (verfügbar auf Factiva)

·      EurasiaNet: Tajikistan: Loophole Leaves Women in the Lurch When it Comes to Divorce, 14. April 2011

http://www.eurasianet.org/node/63296

·      IWPR - Institute for War and Peace Reporting: Multiple Marriages in Tajikistan, 13. Dezember 2011

https://iwpr.net/global-voices/multiple-marriages-tajikistan

·      IWPR - Institute for War and Peace Reporting: Abandoned Wives Struggle to Survive in Tajikistan, 28. November 2013

https://iwpr.net/global-voices/abandoned-wives-struggle-survive-tajikistan

·      OSZE - Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa: Social and Economic Inclusion of Women from Migrant Households in Tajikistan: Assessment Report, 12. September 2012 (verfügbar auf ecoi.net)

https://www.ecoi.net/file_upload/1226_1347965351_93637-taj.pdf 

·      USDOS - US Department of State: Country Report on Human Rights Practices 2013 - Tajikistan, 27. Februar 2014 (verfügbar auf ecoi.net)

https://www.ecoi.net/local_link/270757/400864_de.html