a-6578 (ACC-IRN-6578)

Nach einer Recherche in unserer Länderdokumentation und im Internet können wir Ihnen zu oben genannter Fragestellung Materialien zur Verfügung stellen, die unter anderem folgende Informationen enthalten:
Rechte eines Angeklagten nach der iranischen Strafprozessordnung (Akteneinsicht eines bevollmächtigten Vertreters, Anfertigung von Kopien der Anklageschrift)
In den ACCORD derzeit zur Verfügung stehenden Quellen konnten im Rahmen der zeitlich begrenzten Recherche keine Version der iranischen Strafprozessordnung gefunden werden. Die folgenden Informationen beziehen sich daher auf Quellen, die über die Bestimmungen und die Anwendung der Strafprozessordnung, sowie über Fälle, aus denen Details zu Bestimmungen oder deren Anwendung hervorgehen, berichten.
 
Das US Department of State (USDOS) schreibt in seinem Menschenrechtsbericht vom Februar 2009, dass ein Angeklagter laut Verfassung und Strafprozessordnung das Recht auf ein öffentliches Verfahren, die Unschuldsvermutung und einen Rechtsanwalt seiner Wahl habe. Diese Rechte würden aber in der Praxis nicht respektiert. Angeklagte hätten kein Recht, den Anklägern entgegen zu treten und hätten kein Recht auf Zugang zu von der Regierung gesammelten Beweismitteln. Vertreter der UNO und unabhängige Menschenrechts­organisationen hätten die Abwesenheit von effektivem Rechtsschutz in Strafverfahren festgestellt. Richter von Revolutionsgerichten würden teilweise wegen ihrer ideologischen Loyalität zum System ausgewählt und die Behörden würden Personen wegen nicht näher definierter Verbrechen anklagen. Geheime Verfahren und Gruppenverfahren von nur fünfminütiger Dauer kämen häufig vor:
“Trial Procedures
Many aspects of the prerevolutionary judicial system survive in the civil and criminal courts. For example, according to the constitution and the criminal procedure code, a defendant has the right to a public trial, presumption of innocence, a lawyer of his or her choice, and the right of appeal in most cases involving major penalties. However, these rights were not respected in practice. Panels of judges adjudicate trials. There is no jury system in the civil and criminal courts. In the press court, a council of 11 persons specifically selected by the court adjudicates the case. Defendants did not have the right to confront their accusers, and were not granted access to government-held evidence.
UN representatives, including UN special representatives (UNSRs) and the UN Working Group on Arbitrary Detention, as well as independent human rights organizations, noted the absence of procedural safeguards in criminal trials. Numerous human rights groups condemned trials in the revolutionary courts for disregarding international standards of fairness. Revolutionary court judges were chosen in part due to their ideological commitment to the system. Authorities often charged individuals with undefined crimes, such as "antirevolutionary behavior," "moral corruption," and "siding with global arrogance." If postrevolutionary statutes did not address a situation, the government advised judges to give precedence to their knowledge and interpretation of Islamic law. Secret or summary trials of only five minutes' duration occurred frequently. Other trials were deliberately designed to publicize a coerced confession.” (USDOS, 25. Februar 2009, Section 1.e)
Human Rights Watch (HRW) erwähnt in einem Bericht vom Jänner 2008, dass Artikel 35 der iranischen Verfassung das Recht auf rechtliche Vertretung garantiere. Die Strafprozessordnung würde dieses Recht aber unterminieren. Artikel 128 der Strafprozessordnung sehe vor, dass während der Untersuchungsphase eines Falles die Rechtsvertretung verweigert werden könne in Fällen, in denen das Thema „einen geheimen Aspekt habe oder der Richter glaube, dass die Anwesenheit von anderen Personen als dem Beklagten zu einer Verfälschung („corruption“) des Falles führen könne. Laut einem iranischen Rechtsexperten gebe Artikel 128 dem Richter absolute Macht über die Verweigerung von Rechtsberatung während der Untersuchung und bei Vernehmungen:
“The right to counsel is protected under international law. The UN Working Group on Arbitrary Detention expressed concern in its June 2003 report about lack of access to counsel in Iran. Article 35 of Iran's Constitution guarantees the right to counsel. However, the Code of Criminal Procedure effectively undermines this right. Article 128 of the Code of Criminal Procedure states that during the investigative phase of a case, which may last up to a month (though a judge may renew this detention phase indefinitely), counsel may be denied "in cases where the issue has a secretive aspect or the judge believes that the presence of anyone other than the accused may lead to corruption." The article also states that for crimes involving national security, "the presence of the lawyer during the investigative stage takes place with the permission of the court." According to Iranian legal expert Mehrangiz Kar, Article 128 effectively allows the judge absolute power to deny counsel during investigations and interrogation.”(HRW, 6. Jänner 2008, Abschnitt „Absence of access to counsel)
In einem bereits aus dem Jahr 2002 stammenden Bericht von HRW wird erwähnt, dass die Verfahren vor den Revolutionsgerichten Artikel 168 der Verfassung verletzen würden. Die Verfassung sehe bei „politischen Vergehen“ öffentliche Verfahren mit Geschworenen vor. Schutzbestimmungen der Strafprozessordnung seien in vorliegenden Fällen ignoriert worden. Artikel 190 der iranischen Strafprozessordnung verlange, dass Verteidiger vollen Zugang zu Dokumenten der Anklage bekommen müssten:
“Revolutionary Court procedures, in which a single judge also serves as prosecutor, violates Article 168 of the Constitution, which provides for public trial by jury in cases involving “political offenses.” Safeguards in the Iranian Criminal Procedure Code have also been ignored. Article 33 of the Criminal Procedure Code provides for a maximum of a month of pre-trial detention without a hearing before a judge. No hearings on extending detention have taken place in this case. Article 190 of the Criminal Procedure Code also requires that defense lawyers be given full access to prosecution documents, and time to review them.” (HRW, 7. Jänner 2002)
Iran Focus veröffentlichte am 16. Februar 2009 unter Berufung auf die Nachrichtenagentur Agence France Presse (AFP) einen Artikel, in dem ein Fall von sieben Mitgliedern der Religionsgemeinschaft Bahai erwähnt wird, die unter anderem wegen „Spionage für Israel“ und „Propaganda gegen die islamische Republik“ angeklagt worden seien. Die Gruppe habe acht Monate warten müssen, bevor ihnen die Anklage zur Kenntnis gebracht worden sei. Sie hätten keinen Zugang zu ihren Anwälten gehabt, und die Anwälte hätten keinen Zugang zu den Akten erhalten:
„Britain expressed concern Monday over charges laid against seven members of the banned Bahai religion in Iran, accusing Tehran of targeting religious minorities. The charges, which include "espionage for Israel, insulting religious sanctities and propaganda against the Islamic republic", were brought last week. [...] The group had been forced to wait eight months before being notified of the charges against them, he said: they did not have access to their lawyers, and their lawyers had not been given access to their case files.” (Iran Focus, 16. Februar 2009)
Die folgenden Quellen berichten ebenfalls über Fälle von Verweigerung der Akteneinsicht für Anwälte und über die Verweigerung des Zugangs von Angeklagten/Tatverdächtigen zu rechtlicher Vertretung. Alle diese Fälle beziehen sich auf Personen, die, teilweise ohne Anklage, bereits in Haft gewesen seien. Daher werden sie hier nicht im Detail angeführt:
 
AI – Amnesty International: Urgent Action Willkürliche Festnahme: Iran UA-169/2008-2, Index: MDE 13/097/2008, 25. Juli 2008
https://www.amnesty.de/urgent-action/ua-169-2008-2/willkuerliche-festnahme
Commission on Human Rights: Civil And Political Rights, Including The Question Of Freedom Of Expression - Report Submitted By The Special Rapporteur On The Right To Freedom Of Opinion And Expression, Ambeyi Ligabo Addendum Mission To The Islamic Republic Of Iran, e/cn.4/2004/62/add.2, 12. Jänner 2004, (Absätze 48.d und 72)
http://daccessdds.un.org/doc/UNDOC/GEN/G04/101/86/PDF/G0410186.pdf?OpenElement
HRW - Human Rights Watch: “Like the Dead in Their Coffins” - Torture, Detention, and the Crushing of Dissent in Iran, Juni 2004, S. 44-45
http://www.hrw.org/sites/default/files/reports/iran0604.pdf
The Star Online: Iran says detained Baha'is face spying charges, 17. Februar 2009
http://thestar.com.my/news/story.asp?file=/2009/2/17/worldupdates/2009-02-17T162622Z_01_NOOTR_RTRMDNC_0_-380610-1&sec=Worldupdates
Yusef Molayee and Parviz Khorshid: Iran: Bus worker imprisoned - Statement from Mansour Osanloo’s Lawyers, 18. Dezember 2006
http://www.labournet.net/world/0612/iran1.html
 
Bitte beachten Sie bei Bedarf auch die Details zum Thema politische Gefangene und die detaillierte Beschreibung von Fällen im Bericht des USDOS (USDOS, 25. Februar 2009, Section 1.e, Abschnitt “Political Prisoners and Detainees”).
Schritte von Gerichten und Sicherheitsbehörden bei Abwesenheit des Angeklagten; Weiterleitung von Schriftstücken des Gerichts oder der Sicherheitsbehörden an den Angeklagten, auch bei Abwesenheit; welche Kenntnisse über das Gerichtsverfahren müssten die an der Heimatadresse wohnhaften Verwandten eines Angeklagten haben? Involvierung von Verwandten in ein Gerichtsverfahren durch Gerichte und Sicherheitsbehörden?
Das kanadische Immigration and Refugee Board (IRB) zitiert in einer Anfragebeantwortung aus dem Juni 2006 eine Information einer Anwaltskanzlei in London, die sich auf iranisches Recht spezialisiert habe. Der Quelle zufolge würde ein Haftbefehl an die letzte bekannte Adresse zugestellt werden. Wenn die Adresse unbekannt ist oder der Beschuldigte nicht dort vorgefunden werden kann, würde die Zustellung über die Publikation in einer weit verbreiteten lokalen Tageszeitung erfolgen. Den Familienmitgliedern könne der Haftbefehl nicht zugestellt werden, außer wenn sie angeben, über den Aufenthaltsort des Beschuldigten Bescheid zu wissen und versuchen werden, den Haftbefehl zuzustellen. Prinzipiell sei die Zustellung über Familienmitglieder in Strafsachen nicht zulässig. Wenn der Beschuldigte nicht gefunden werden könne, werde der Haftbefehl an die Sicherheitsbehörden weitergereicht, die die Verhaftung des Beschuldigten vornehmen sollen, wo und wann immer er gefunden wird:
“Correspondence with Sabi and Associates, a law firm specializing in Iranian law, located in London, England, yielded the following information: [...]
A warrant for arrest should be served on the accused at his last known address. If the address is unknown or the accused cannot be found at his last known address, then the proper service would take place through publication of the warrant in a widely circulated newspaper or a local newspaper where the accused resides. The members of the family cannot be served instead of the accused unless they acknowledge that they are aware of the whereabouts of the accused and they will undertake to deliver the notice/summons to the accused. In principal, in criminal cases, the substituted service through members of the family is not acceptable. If the accused cannot be found, the arrest warrant would be passed on to law enforcement officers to arrest the accused whenever and wherever he is found.” (IRB, 20. Juni 2006)
Das US Department of State (USDOS) erwähnt in seinem Bericht vom Februar 2009 die Fälle von Saleh Kamrani und Ebrahim Lotfallahi. Die Familien seien tagelang nicht von der Verhaftung bzw. von der Anklage informiert worden. Im Fall von Ebrahim Lotfallahi sei die Familie neun Tage nach dem Verschwinden vom angeblichen Selbstmord des Studenten informiert worden:
“On May 11, a revolutionary court sentenced Azeri human rights lawyer Saleh Kamrani to a five-year suspended sentence after charging him with "publicity against the Islamic Republic." In August 2007 security forces detained Kamrani and did not inform his family of his whereabouts for several days. Authorities released him in December 2007 after he paid approximately 1.5 billion rials (approximately $150,000) in bail.” (USDOS, 25. Februar 2009, Section 1.e)
“On January 6, security forces arrested Kurdish-Iranian student Ebrahim Lotfallahi as he left a university exam. According to a domestic human rights group, the revolutionary court in the province of Sanandaj had issued an arrest warrant, but Lotfallahi's family was not aware of the charges against him. Nine days later, the authorities notified Lotfallahi's family of his death and told them he had committed suicide in prison. Intelligence officials buried Lotfallahi in secret against the wishes of his family, who did not believe he had committed suicide. On February 9, the judiciary announced there would be no autopsy conducted on Lotfallahi, nor an investigation into his death. According to the domestic press, intelligence officials threatened to file charges against Lotfallahi's family for publicly questioning the suicide claim.” (USDOS, 25. Februar 2009, Section 1.a)
In den ACCORD derzeit zur Verfügung stehenden Quellen konnten im Rahmen der zeitlich begrenzten Recherche keine weiteren Informationen zu den oben angeführten Fragen gefunden werden.
 
Diese Informationen beruhen auf einer zeitlich begrenzten Recherche in öffentlich zugänglichen Dokumenten, die ACCORD derzeit zur Verfügung stehen. Diese Antwort stellt keine Meinung zum Inhalt eines bestimmten Ansuchens um Asyl oder anderen internationalen Schutz dar. Wir empfehlen, die verwendeten Materialien zur Gänze durchzusehen.
Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 4. März 2009)
HRW - Human Rights Watch: “You Can Detain Anyone for Anything”, 6. Jänner 2008
http://www.hrw.org/en/node/62453/section/4
http://www.hrw.org/sites/default/files/reports/iran0108_1.pdf
HRW - Human Rights Watch: Iran: Trial of Political Activists Begins. Basic Rights Violated in Secret Detentions, 7. Jänner 2002
http://www.hrw.org/en/news/2002/01/07/iran-trial-political-activists-begins
Iran Focus: Britain 'very concerned' over Iranian Bahai charges, 16. Februar 2009
http://www.iranfocus.com/en/index2.php?option=com_content&do_pdf=1&id=17186
IRB - Immigration and Refugee Board of Canada: Iran: Arrest warrants and other court documents; trial in absentia in criminal cases; [...] ,  IRN101299.E, 20. Juni 2006
http://www.unhcr.org/refworld/docid/45f147543e.html (veröffentlicht auf UNHCR Refworld)
USDOS - US Department of State: Country Reports on Human Rights Practices 2008 - Iran, 25. Februar 2009
http://www.state.gov/g/drl/rls/hrrpt/2008/nea/119115.htm
 
Wir hoffen, dass wir Ihnen behilflich sein konnten, und stehen für weitere Nachfragen gerne zur Verfügung.