Dokument #2002944
Fox, Mandy (Autor), veröffentlicht von bpb – Bundeszentrale für politische Bildung (Deutschland)
1.6.2018 | Von:
arbeitet als freiberufliche Journalistin für die ARD-Sendeanstalten und ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Südostasienstudien der Universität Passau mit dem Schwerpunkt Myanmar und dem Fokus Südostasien. Sie befasst sich mit ethnischen und religiösen Konflikten in Südostasien und Myanmar, besonders in Verbindung mit der Gruppe der Rohingya, Migrationsforschung, Nationsbildungsprozesse in Südostasien und Community Medien in südostasiatischen Transformationsländern.
In Myanmar nehmen die Kämpfe zwischen Armee und ethnischen Gruppen an Intensität zu. Die Folge sind über 240.000 Binnenvertriebene und fast eine Million Flüchtlinge in den Nachbarländern. Die zivile Regierung taktiert angesichts des Widerstands des Militärs gegen die Föderalisierung des Staates.
[IMG | SOURCE: /cache/images/2/176542-3x2-article620.jpg?8EEE4 | ALT: 3. Januar 2014: Demonstranten gehen in Yangon, der Hauptstadt Birmas, für Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi auf die Straße.] 3. Januar 2014: Demonstranten gehen in Yangon, der Hauptstadt Birmas, für Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi auf die Straße. (© picture-alliance/dpa)
[IMG | SOURCE: /cache/images/5/255435-3x2-article620.jpg?CDF28 | ALT: Ethnische Gruppen in Myanmar] Ethnische Gruppen in Myanmar [IMG | SOURCE: /sites/all/themes/bpb/images/icon_pdf_imtext.png | ALT: PDF-Icon] Hier finden Sie die Karte als hochauflösende PDF-Datei Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/ (mr-kartographie)
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Die Beilegung des Regime-Konfliktes ist nicht in Sicht, da die verfassungspolitischen Realitäten dies bislang nicht zulassen. Qua Verfassung kontrolliert das Militär das Innenministerium, das Verteidigungsministerium und das Ministerium für Grenzangelegenheiten. Hinzu kommt, dass das Militär über 25% der Parlamentssitze verfügt und dies ebenfalls in der Verfassung verankert ist. Das Militär kann mit der Sperrminorität von einem Viertel der Parlamentssitze Änderungen der restriktiven Verfassung blockieren. Die Regierung muss folglich bis auf weiteres zusammen mit dem Militär regieren, und so bleibt es ein zähes Ringen um Kompromisse.
Trotz der schwierigen Rahmenbedingungen bemüht sich die Regierung, den Friedensprozess mit den ethnischen Gemeinschaften voranzutreiben. Auch hier gilt es, Kompromisse mit dem Militär zu finden. Bislang bestimmt die Militärführung mit ihrer "Teile und Herrsche"-Politik noch weitgehend das Geschehen. Teile des Militärs wenden sich gegen die Föderalisierungs- und Autonomiebestrebungen der ethnischen Minderheiten. Sowohl zu diesen Forderungen als auch zu der Haltung des Militärs, dass es nur eine nationale Armee zur Landesverteidigung geben dürfe, gibt es bisher keine Einigung. Die nächste Runde der Friedenskonferenz wurde seit Mai 2017 immer wieder verschoben, sodass Zweifel am Erfolg des Friedensprozesses aufkommen. Auch werden nur bestimmte bewaffnete Gruppen zu den Gesprächen zugelassen und andere ausgeschlossen, was letztlich zu einer Eskalation der Situation geführt hat. Eine Folge ist die Bildung der "Nord-Allianz", die von der Kachin Independent Army (KIA), einem Zusammenschluss aus vier bewaffneten ethnischen Gruppen, angeführt wird. Sie ist seit Dezember 2016 in Kämpfe mit dem Militär verwickelt.[8]
Um deutlich zu machen, dass der Konflikt im Rakhine-Staat ganz oben auf der Prioritätenliste der Regierung steht, gründete Aung San Suu Kyi 2016 das Central Committee on Implementation of Peace, Stability and Development of Rakhine State, das sie auch leitet. Der Abschlussbericht der Advisory Commission on Rakhine State, die vom ehemaligen UNO-Generalsekretär Kofi Annan geleitet wurde, schlägt eine Handlungsgrundlage vor, um Frieden und Entwicklung im Rakhine-Staat zu erreichen. Die Kommission führte Gespräche mit Politikern und weiteren Akteuren, Binnenvertriebenen, Mönchen und Imamen. Zentrale Punkte, die in dem Bericht ausführlich thematisiert werden, sind u.a. die Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Lage breiter Bevölkerungsschichten sowie die Anerkennung der Diversität und der Identität der verschiedenen Gruppen und Gemeinschaften. Stabilität und Entwicklung, so der Bericht, können nur durch Inklusion und Integration erreicht werden.[9]
Als einen ersten Schritt gründete das Präsidialbüro am 14. September 2017 einen Ausschuss, der die Empfehlungen der Rakhine-Kommission umsetzen soll. Darüber hinaus wurde am 12. Oktober 2017 die "Union Enterprise for Humanitarian Assistance, Resettlement and Development in Rakhine" etabliert. Es ist eine Partnerschaft zwischen der Regierung, der Privatwirtschaft, lokalen und internationalen zivilgesellschaftlichen Organisationen. Sie soll als Plattform dienen, um die Aufgaben der humanitären Hilfe, der Wiederansiedlung und der Entwicklung im Rakhine-Staat umzusetzen. Außerdem wurde am 23. November 2017 von Myanmar und Bangladesch ein "Memorandum of Understanding" über die Repatriierung von Vertriebenen aus dem Rakhine-Staat unterzeichnet.
Angesichts der systematischen Menschenrechtsverletzungen, von denen internationale Menschenrechtsorganisationen sprechen, sowie der Vertreibung hunderttausender Muslime in das benachbarte Bangladesch, beschloss die EU am 26. Februar 2018 Sanktionen gegen Myanmar.[10] Einreiseverbote und Vermögenssperren gegen ranghohe Militärs wurden auf den Weg gebracht. Zudem sollen bestehende Exportbeschränkungen für Waffen und bestimmte andere Güter noch einmal verschärft werden. Die EU reagiert mit alten Rezepten auf die aktuelle Situation im Rakhine-Staat. Schon die Sanktionen in den 1990er Jahren machten wenig Eindruck auf die damalige Militärregierung. Es ist zu befürchten, dass die Regierung und damit die demokratischen Kräfte im Land noch weiter destabilisiert und isoliert werden. Kritische Stimmen mahnen, dass die internationale Gemeinschaft stattdessen den Dialog mit der Regierung und dem Militär suchen und die Zusammenarbeit verstärken sollte, um an einem zukunftsfähigen Plan zu arbeiten.
Als Myanmar 1948 in die Unabhängigkeit entlassen wurde, setzte sich das Land aus zwei Gebieten zusammen: den ethnisch und linguistisch sehr diversen Hill Areas, die bis dahin indirekt verwaltetet wurden, und den direkt verwalteten Gebieten in Burma Proper. Beide hatten bis dahin eine unterschiedliche politische, wirtschaftliche und soziale Entwicklung durchlaufen und kämpften während des Zweiten Weltkrieges sogar auf unterschiedlichen Seiten. Die hastig ausgearbeitete Verfassung sorgte schon bald nach der Unabhängigkeit 1948 für Missverständnisse und Konflikte und die ersten Gruppen traten in den Bürgerkrieg ein.
Die ethnischen und religiösen Konflikte haben ihren Ursprung in der britischen Kolonialzeit (1885-1948) und setzten sich seit 1962 fort, als General Ne Win putschte und die demokratische Phase in Burma beendete. Der Slogan "Burmane sein, heißt Buddhist sein" von der Nationalismusbewegung, die während der britischen Kolonialzeit entstand, wurde unter Ne Win wieder aufgegriffen. Xenophobie und ein latenter Rassismus wurden gefördert. Chinesen, Indern – Muslimen und Hindus – sowie Rohingya wurde vorgeworfen, erst während der britischen Kolonialzeit in Burma illegal eingewandert zu sein. Diese nationalistische und diskriminierende Sichtweise fand u.a. Eingang in das Staatsbürgerschaftsgesetz von 1982. Und das Militär ging immer wieder gegen diese ethnischen und religiösen Gruppen vor, vorgeblich mit dem Ziel, illegale Migrant/innen im Rakhine-Staat ausfindig zu machen und die Einheit des Landes zu bewahren. Die Folge waren zwei Fluchtwellen von jeweils rd. einer Viertelmillion Muslimen nach Bangladesch.
Bis zum Beginn der Demokratisierung fühlten sich die Menschen in ihrer Ablehnung des Militärregimes vereint. Dieses Thema fällt nun weg und alte Konfliktlinien brechen wieder auf. Politischen Parteien und die Regierung stehen heute vor der Aufgabe, eine die vielen Ethnien einschließende und von allen Gruppen akzeptierte nationale Identität zu formen. Das ist bisher nicht gelungen. Vielmehr setzen einflussreiche Elitegruppen auf die Förderung und Durchsetzung einer buddhistisch geprägten nationalen Identität und schließen so bewusst Gruppen, wie die muslimischen Rohingya, aus. Die myanmarische Verfassung von 2008 erkennt die Weltreligionen an, schreibt aber dem Buddhismus als "von einer großen Mehrheit der Bürger praktiziertem Glauben" eine "besondere Position" zu.[11]
Ardeth Thawnghmung (2016): The Myanmar Elections 2015: Why the National League for Democracy Won a Landslide Victory, in: Critical Asian Studies, Vol. 48, No. 1.
Blaževič, Igor (2016): Burma Votes for Change: The Challenges Ahead, in: Journal of Democracy, Vol. 27, No. 2, S. 101-115.
Crouch Melissa (Hrsg.) (2016): Islam and the state in Myanmar. Muslim-Buddhist relations and the politics of belonging, New Delhi: Oxford University Press.
Fox Mandy (2017): Ein Jahr NLD-geführte Regierung in Myanmar – Eine Bilanz, in: Blickwechsel, April 2017, Stiftung Asienhaus.
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Gravers Mikael (1993): Nationalism as Political Paranoia in Burma. An Essay on the Historical Practice of Power. NIAS Report Series 11. Copenhagen: Nordic Institute of Asian Studies, 1993.
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Nick, Cheesman/ Farrelly, Nicholas (2016): Conflict in Myanmar: War, Politics and Religion, Singapur: ISEAS – Yusof Ishak Institute.
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Strasser, Fred (2016): Myanmar Peace Process: Slow Progress, Delicate Steps, United States Institute for Peace (USIP), 10. November 2016.
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Advisory Commission on Rakhine State – Final Report 2017.
International Crisis Group (2013): The Dark Side of Transition: Violence Against Muslims in Myanmar, Report N° 251/ Asia, 1. October 2013.
International Crisis Group (ICG) (2016): Myanmar: A New Muslim Insurgency in Rakhine State, Report N° 283/ Asia, 15. December 2016.
International Crisis Group (ICG) (2016): Myanmar's New Government: Finding Its Feet?, Report N° 282/ Asia, 29. Juli 2016.
International Crisis Group (ICG) (2016): Myanmar’s Peace Process: Getting to a Political Dialogue, Briefing, N° 149/ Asia, 19. Oktober 2016.
International Crisis Group (ICG) (2017): Buddhism and State Power in Myanmar, Asia Report N° 290, 5. September 2017.
Fox, Mandy (2017): Die große Flucht, in: Südwind Magazin – Internationale Politik, Kultur und Entwicklung, 11/2017.
Kämpfe flammen in dem Gebiet auf, dass von der Kachin Independence Organisation (KIO) und ihrem militärischen Arm, der Kachin Independence Army (KIA), kontrolliert wird. Hinzu kommen militärische Offensiven gegen die Ta’ang National Liberation Army (TNLA) und die Shan State Army-North (SSA-N).
Siehe: "Myanmar: A New Muslim Insurgency in Rakhine State", in: International Crisis Group, Asia Report N° 283, 15.12.2016.
Fox, Mandy (2017): Die große Flucht, in: Südwind Magazin – Internationale Politik, Kultur und Entwicklung, 11/2017.
Gärtner, Uta (2008): Der Mönch in der Gesellschaft Myanmars, in: Südostasien Magazin 2/2008, S. 59.
International Crisis Group - Buddhism and State Power in Myanmar, Asia Report N° 290, 5. September 2017.
Die Nordallianz setzt wie folgt zusammen: Arakan Army (AA) (mehr als 2.000 Kämpfer/innen), Ta’ang National Liberation Army (TNLA) (ca. 4.500), Myanmar National Democracy Alliance Army (MNDAA) (mehr als 3.000), Kachin Independence Organization (KIO) (mehr als 10.000).
Advisory Commission on Rakhine State – Final Report 2017.
In der Verfassung von 2008 heißt es (http://www.burmalibrary.org/docs5/Myanmar_Constitution-2008-en.pdf): "361. The Union recognizes special position of Buddhism as the faith professed by the great majority of the citizens of the Union. 362. The Union also recognizes Christianity, Islam, Hinduism and Animism as the religions existing in the Union at the day of the coming into operation of this Constitution."
arbeitet als freiberufliche Journalistin für die ARD-Sendeanstalten und ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Südostasienstudien der Universität Passau mit dem Schwerpunkt Myanmar und dem Fokus Südostasien. Sie befasst sich mit ethnischen und religiösen Konflikten in Südostasien und Myanmar, besonders in Verbindung mit der Gruppe der Rohingya, Migrationsforschung, Nationsbildungsprozesse in Südostasien und Community Medien in südostasiatischen Transformationsländern.
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Autor: Mandy Fox für bpb.de
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