Konfliktporträt: Tadschikistan

Die Folgen des Bürgerkriegs von 1992 bis 1997 sind bis heute nicht überwunden. Nach einer deutlichen Verbesserung der Sicherheitslage im ganzen Land kam es zwischen 2009 und dem Frühjahr 2011 in der zentraltadschikischen Gebirgsregion Gharm erneut zu militärischen Auseinandersetzungen. 
 
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Aktuelle Situation

Obwohl offizielle Statistiken ein jährliches Wirtschaftswachstum suggerieren, haben sich die Lebensbedingungen im agrarisch geprägten Tadschikistan in den letzten Jahren kaum verbessert. Besonders prekär ist die Lage auf dem Land. Von den geschätzt 7 Mio. Einwohnern halten sich bis zu einer Million als Arbeitsmigranten im Ausland auf (v.a. Russland) und erwirtschaften mit ihren Rücküberweisungen etwa die Hälfte des BIP (2011 ca. 2-3 Mrd. US$). Das Bildungs- und Gesundheitswesen sowie alle anderen sozialen Bereiche stagnieren und werden vor allem über internationale Geberorganisationen am Leben erhalten.

Seit 2007 belegten mehrere Wirtschaftsskandale die systematische Selbstbereicherung der herrschenden Eliten. Der harte Winter 2007/08 brachte die Bevölkerung an den Rand einer humanitären Katastrophe und führte erstmals seit dem Ende des Bürgerkriegs zu zaghaften öffentlichen Protesten. Diese wurden bereits im Keim erstickt. Gerüchte über aufbrechende Konflikte im inneren Macht- und Familienkreis des Präsidenten sowie über die Rückkehr einiger am tadschikischen Bürgerkrieg, aber nicht am Friedensprozess beteiligter Kommandeure und Kämpfer aus Afghanistan (u.a. Mulla Abdulla, der seit 2002 als tot galt) heizten die angespannte Lage weiter an. Im Sommer 2009 demonstrierte die Zentralregierung mit einer groß angelegten Operation der Sicherheitskräfte in der zentralen und östlichen Gebirgsregion, der Hochburg der Opposition, militärische Stärke und dehnte ihre Kontrolle in dieser Region aus.

Im Sommer 2010 führte der Ausbruch von 25 Häftlingen aus dem Hochsicherheitsgefängnis in der Hauptstadt Duschanbe zu weiterer Verunsicherung und bildete den Vorwand zu begrenzten Militäraktionen im Herbst und Winter des Jahres. Nach einem Angriff auf einen Truppentransporter unweit der Stadt Gharm im September 2010, bei dem etwa 30 Soldaten ums Leben kamen, wurde die gesamte zentrale Gebirgsregion abgeriegelt und mit der Jagd auf die angeblichen "Drahtzieher" des Anschlags begonnen. Dabei versuchte die Regierung, den Konflikt als einen von ausländischen Kräften unterstützten Angriff von Islamisten auf die nationale Sicherheit darzustellen. Nach einigen Verlusten vermeldete die tadschikische Regierung im Januar 2011 den Tod von Ali Bedaki (einem ehemaligen Bürgerkriegskommandeur der Opposition) und im April von Mulla Abdulla. Seither scheint die Lage in Gharm wieder unter Kontrolle Duschanbes zu sein.

Ursachen und Hintergründe des Konflikts

Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion befindet sich Tadschikistan in einer politischen und ökonomischen Dauerkrise. Besonders dramatisch war die Situation zwischen 1992 und 1997, als das nunmehr unabhängige Tadschikistan in einem Bürgerkrieg versank.

Die generalisierende kulturelle und ethnische Unterteilung der Bürgerkriegsparteien in Tadschiken aus Khujand (Nordtadschikstan), Uzbeken aus Hisor (Westtadschikistan) und Tadschiken aus Kulob (Südtadschikistan) auf der einen und Tadschiken aus Gharm (Zentraltadschikistan) und Pamiris (Osttadschikistan) auf der anderen Seite, kann den Bürgerkrieg und die fortgesetzten Spannungen nur zum Teil erklären. Ein vollständigeres Bild ergibt sich, wenn man weiß, warum die kulturellen Unterschiede zu politischen und militärischen Frontlinien geworden sind.

Eine übergeordnete "all-tadschikische" Identität und Solidarität konnte sich nach der Gründung der "Tadschikischen Sozialistischen Sowjetrepublik" (1924/1929) nie wirklich durchsetzen. Bis heute ist im alltäglichen Leben die Identifikation mit der nationalen Ebene eher unbedeutend. Es dominieren kleinteiligere Beziehungsnetze. Während der Sowjetzeit haben sich interregionale Rivalitäten sogar noch verstärkt. Gründe dafür waren Ungleichbehandlung, Ämterpatronage und Zwangsumsiedlungen. So mussten Bewohner der Gebirgsregionen (v.a. Gharm und Pamir) als Arbeitskräfte für den Baumwollanbau in die Tiefebenen im Süden und Norden des Landes umsiedeln. Eliten aus Nordtadschikistan (Khujand) stellten seit den 1940er Jahren die politischen Führungskader.

Als mit dem Zerfall der Sowjetunion die integrierende politische Idee an Kraft verlor und Subventionen aus Moskau ausblieben, entwickelte sich rasch eine Konfliktsituation entlang regionaler, kultureller und ideologischer Linien. Durch den Bürgerkrieg haben die trennenden Gruppenloyalitäten und Solidaritäten zusätzlich Auftrieb erhalten und sich weiter verfestigt. Die tadschikische Regierung versucht, die tatsächlichen Hintergründe des Konflikts und die Gründe für die wachsende Unzufriedenheit zu verschleiern, indem sie sich gängiger Stereotype wie des "internationalen Terrorismus" und "radikalen Islamismus" bedient.

Bearbeitungs- und Lösungsansätze

Die Zentralisierung der Macht in Duschanbe und die Ausschaltung aller potentiellen Gegner und politischen Alternativen sind die bevorzugten Mittel der Regierung, die Probleme im Land anzugehen. Dabei scheint es gerade diese repressive Vorgehensweise zu sein, die die Konflikte in der Region Gharm anheizt und die Lage destabilisiert.

Der Präsident – seit 1994 Emomali Rahmon – ist laut Verfassung Staats- und Regierungsoberhaupt. Er kontrolliert die Exekutive, Legislative und Judikative, ernennt und entlässt die Provinzgouverneure und ist oberster Armeechef. Im Parlament hält seine Partei (Volksdemokratische Partei Tadschikistans) die für Verfassungsänderungen notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit.

Alle wesentlichen Entscheidungen werden von dem parallel zu den staatlichen Strukturen agierenden Präsidialapparat getroffen. Schlüsselpositionen in Politik, Wirtschaft und anderen gesellschaftlichen Bereichen sind mit Vertrauten des Präsidenten besetzt. Diese stammen wie der Präsident selbst aus der Region Kulob im Süden des Landes. Das Rahmon-Regime hat durch Ämtervergabe an Angehörige der eigenen Loyalitätsgruppe seine Herrschaft bis auf die lokale Ebene gefestigt und präsentiert sich mittlerweile als alleiniger Stabilitätsgarant und Friedensstifter.

Die Regierung nutzt auch die Religion, um ihre Macht zu stabilisieren. Während überall im Land kleinere Moscheen geschlossen werden, begannen in der Hauptstadt die Bauarbeiten an der größten Moschee Zentralasiens. Gleichzeitig wird der Druck auf die weitgehend entmachtete Partei der Islamischen Wiedergeburt (PIW) und andere islamische Gruppierungen erhöht. Seit den letzten Parlamentswahlen (2010) sind nur noch zwei Vertreter der PIW im Parlament vertreten, deren Anhängerschaft sich vorwiegend aus der zentralen Gebirgsregion rekrutiert.

Das tiefe Misstrauen großer Teile der tadschikischen Bevölkerung gegenüber den politischen Eliten besteht fort – trotz des zunehmenden Personenkults um Rahmon. Die Erfahrung von Sowjetherrschaft und Bürgerkrieg sowie die fehlende Rechtssicherheit und mangelnde politische Alternativen führen zu weit verbreiteter Apathie gegenüber politischen Prozessen.

Von westlichen Akteuren initiierte Reform- und Entwicklungsprogramme richten sich oft nicht nach den lokalen Bedürfnissen und erfüllen nur selten den selbst gestellten Anspruch der Nachhaltigkeit. China sorgte in den letzten Jahren für eine schnelle Instandsetzung des Straßennetzes, während Russlands Einfluss im rohstoffarmen Tadschikistan bis heute mit starker Militärpräsenz untermauert wird.

Geschichte des Konflikts

Nachdem die alte kommunistische Führung durch eine Koalition der sog. Vereinigten Tadschikischen Opposition (VTO), bestehend aus "Gharmis", "Pamiris" und "Demokraten", im September 1992 entmachtet worden war, konnte die Fraktion der Kulober und Hisorer Milizen nur drei Monate später mit Unterstützung Russlands und Usbekistans in Duschanbe die Macht an sich reißen. In der Folge flohen bis zu 60.000 Menschen, die aufgrund ihrer Herkunft der Opposition zugerechnet wurden, aus den Hauptkampfgebieten in Südtadschikistan (Provinz Khatlon) nach Nordafghanistan. Die Rückführung dieser Flüchtlinge erfolgte 1997, nach dem Friedensschluss zwischen den Kulober und den Gharmer Eliten, die ihren Widerstand ebenfalls von Afghanistan aus koordinierten.

1994 ließ sich Emomali Rahmonov1, der Repräsentant der Kulober Fraktion, erstmals zum Präsidenten wählen. Im Friedensabkommen wurden 30% der Regierungsposten auf nationaler und lokaler Ebene Vertretern der VTO zugestanden. Usbeken und die alten sowjetischen Eliten aus Khujand sowie einige Angehörige der Opposition blieben außen vor. Im November 1998 wurde von den ehemals verfeindeten Bürgerkriegsparteien ein Umsturzversuch in Nordtadschikistan vereitelt. Seither hat es Rahmon verstanden, seine Macht Schritt für Schritt auszubauen.

Literatur

Abdullaev, Kamoludin: Current Local Government Policy Situation in Tajikistan, in: De Martino, Luigi (Hrsg.): Tajikistan at a Crossroad: The Politics of Decentralisation, S. 8-16.

Epkenhans, Tim (2009): Wie stabil ist Tadschikistan? Das politische Erbe des Bürgerkriegs und die Machtkämpfe der Eliten, in: Zentralasien-Analysen, No. 23, S. 2-5.

Geppert, Meike /Oppeln, Constanze von (2011): Hungrige Bauern trotz stark gestiegener Weizenpreise – Ergebnisse einer Umfrage unter Kleinbauern im südlichen Tadschikistan, in: Zentralasien-Analysen, No. 45, S. 2-5.

Heathershaw, John (2009): Post-Conflict Tajikistan. The politics of peacebuilding and the emergence of legitimate order, London and New York: Routledge.

Heathershaw, John (2011): Tajikistan amidst globalisation: state failure or state transformation? In: Central Asian Survey, Vol. 30, No. 1, S. 147-168.

Heathershaw, John /Roche, Sophie (2011): Islam and Political Violence in Tajikistan. An Ethnographic Perspective on the Causes and Consequences of the 2010 Armed Conflict in the Kamarob Gorge, in: Ethnopolitics Papers, No. 8, March 2011.

Herbers, Hiltrud (2006): Landreform und Existenzsicherung in Tadschikistan: Die Handlungsmacht der Akteure im Kontext der postsowjetischen Transformation, Erlangen 2006.

Nourzhanov, Kirill (2005): Saviours of the nation or robber barons? Warlord politics in Tajikistan, in: Central Asia Survey, Vol. 24, No. 2, S. 109-130.

Rzehak, Lutz (2004): "Das Tadschikische Phänomen". Zum Verhältnis sprachlich und regional begründeter Identitäten, in: Geographische Rundschau, No. 10, S. 66-70.

Links

»International Crisis Group (2009): Tajikistan: On the Road to Failure, Asia Report, No. 162, 12 February 2009.«

»International Crisis Group (2011): Tajikistan: The Changing Insurgent Threats, Asia Report, No. 205, 24 May 2011.«

»International Crisis Group: Tadschikistan.«

»Länderinformationsportal (LIPortal) der GiZ zu Tadschikistan.«

»Die persönliche Seite Emomali Rahmons.«

»Beiträge zu Alltag und Leben in Tadschikistan.«
 


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