Konfliktporträt: Elfenbeinküste

Beim blutigen Machtkampf um das Präsidentenamt setzte sich der international anerkannte Alassane Ouattara durch. Trotz Festnahme des Rivalens Laurent Gbagbo bleibt die Lage im Land instabil. Alleine die Einliederung von bis zu 11.000 ehemaligen Rebellen und weiten Teilen der Armee in eine gemeinsame nationale Armee stellt eine große Herausforderung dar. Fraglich scheint zudem, wie stark der neue Präsident von den ehemaligen Rebellen abhängig ist.
 

Aktuelle Situation

Im November 2010 wurden auf internationalem Druck die ersten Wahlen nach dem Bürgerkrieg in der Elfenbeinküste durchgeführt. Der 2. Wahlgang zwischen Präsident Laurent Gbagbo und seinem Herausforderer Alassane Ouattara führte zu einem politischen Patt. Die Wahlkommission rief Ouattara mit 54,1 Prozent zum Wahlsieger aus, was von den internationalen Beobachtern – allen voran der UNO – bestätigt wurde. Der Präsident des ivorischen Verfassungsrates erklärte jedoch die Ergebnisse für nichtig und sah, wegen angeblich gefälschter Provinzergebnisse, Gbagbo mit 51,45 Prozent der Stimmen vorn.

Beide Kandidaten ließen sich vereidigen und setzten eigene Regierungen ein. Die Situation spitzte sich zu, und es kam vermehrt zu gewaltsamen Ausschreitungen. In den Kämpfen starben laut UN-Angaben bis zu 3.000 Menschen, wobei von beiden Seiten massive Menschenrechtsverletzungen begangen wurden. Das Patt schien unüberwindbar: Während Ouattara von internationaler und afrikanischer Seite breite Unterstützung erhielt, lehnte Gbagbo jede Verhandlungsofferte ab.

Die festgefahrene Situation änderte sich erst mit einer Militäroffensive der früheren Rebellen Forces Nouvelles, die Ouattara unterstützten. Die Rebellen nahmen schnell weite Teile des Südens unter Kontrolle, bis sie in heftige Straßenkämpfe in der gesellschaftlichen und ökonomischen Hauptstadt Abidjan verwickelt wurden. Die Entscheidung brachte das Eingreifen französischer UN-Hubschrauber im Kampf um den Präsidentenpalast und die Gefangennahme von Gbagbo. Von einer ruhigen Situation kann jedoch noch nicht gesprochen werden.

Präsident Ouattara hat mittlerweile die Kontrolle über den Regierungsapparat erlangt. Das ganze Land ist aber weiterhin von einer instabilen Sicherheitslage geprägt, die große Herausforderungen für die neue Regierung birgt. So müssen bis zu 11.000 ehemalige Rebellen und weite Teile der bisherigen Armee in eine gemeinsame nationale Armee integriert werden. Gleichzeitig ist noch nicht erkennbar, wie Gbagbos ehemaligen Milizen und Getreuen eingebunden werden können. Auch ist fraglich, wie stark Ouattara politisch von den ehemaligen Rebellen abhängig ist.

Ursachen und Hintergründe des Konflikts

In den 1980er Jahren führten eine Wirtschaftskrise, ausgelöst durch fallende Weltmarktpreise für Kakao und Kaffee, und das Strukturanpassungsprogramm der internationalen Geldgeber zu sozialen Verwerfungen. Die Perspektivlosigkeit der gut ausgebildeten Jugend in den Städten hatte eine Rückwanderung aufs Land zur Folge. Dies führte wiederum zu Landkonflikten mit Einwanderern aus den umliegenden Staaten, die bereits seit Jahren Land in der Elfenbeinküste bewirtschafteten und letztlich zu einer starken Zunahme der Fremdenfeindlichkeit.

Der Konflikt im ehemaligen Musterland Westafrikas entbrannte offen nach dem Tod (1993) des Gründungsvaters und langjährigen Präsidenten, Houphouët-Boigny, der kurz zuvor den demokratischen Umbruch eingeleitet hatte. In den folgenden Jahren spitzten sich die Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen politischen Lagern dramatisch zu. Um die gesellschaftlichen Konflikte für seine Ziele zu nutzen, ließ Präsident Bédié Mitte der 1990er Jahre ein Konzept der ivorischen Staatszugehörigkeit ausarbeiten. Die sog. "Ivoirité" (Das Wort leitet sich von der franz. Bezeichnung des Landes Côte d´Ivoire ab.) unterschied zwischen "Ivorern" (v.a. den ethnischen Gruppen im Süden) und "Hinzugezogenen" (v.a. die Gruppen im Norden). In dem vormals toleranten Land mit zahlreichen Einwanderern führte diese Unterscheidung zu massiven Diskriminierungen gegen aus dem Norden stammende "nicht-ivorische" Gruppen. Das politische Ziel von Bédié war, so den Ausschluss von Ouattara von den Wahlen zu erreichen, der mit seiner Wählerbasis im Norden als der stärkste Konkurrent galt.

Die ausgrenzende Identitätspolitik erfasste unter dem späteren Präsidenten Gbagbo 2002 auch die Streitkräfte. Aufgestachelt von Gerüchten, wonach das bevorstehende Demobilisierungsprogramm der Armee den Kriterien der Ivoirité folgen sollte, griffen im September 2002 ehemalige Soldaten, die davon betroffen waren, Städte im Norden und Süden des Landes an. Die Rebellen, die u.a. neue Wahlen ohne die Ivoirité-Gesetze forderten, scheiterten zwar bei der Einnahme von Abidjan, konnten aber schnell fast den gesamten Norden des Landes unter ihre Kontrolle bringen. Die Gesamtsituation wurde durch die Einmischung einiger Nachbarländer, wie Burkina Faso und Liberia, und der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich noch unübersichtlicher. Seitdem ist die Elfenbeinküste faktisch zweigeteilt: Der Norden ist Einflussgebiet der Rebellen, während die ivorische Regierung nur noch den Süden kontrolliert.
 

Bearbeitungs- und Lösungsansätze

Die faktische Zweiteilung des Landes konsolidierte sich durch die Stationierung von französischen und später von UN-Truppen. In den folgenden Jahren (2002-2004) nahmen die gewaltsamen Auseinandersetzungen ab und die Rebellen konnten eine quasi staatliche Administration in ihren Gebieten errichten.

Internationale Bemühungen um einen Verhandlungsfrieden zwischen den Konfliktparteien misslangen regelmäßig, so z.B. das von Frankreich verhandelte Abkommen von Linas-Marcoussis im Jahr 2003. Erst das vom burkinischen Staatspräsidenten Compoaré vermittelte Abkommen von Ouagadougou (2007) war erfolgreich. Darin einigten sich die beiden Hauptparteien – die Regierung Gbagbos und die Rebellen unter Guillaume Soro – auf eine politische und territoriale Machtteilung.

Die politischen Eliten fanden sich relativ schnell in der fragilen Situation zurecht. Allein die anstehenden Wahlen bedrohten die fragile Ruhe zwischen den Parteien. Im Abkommen von Ouagadougou war Gbagbo von der Ivoirité abgerückt und hatte somit einer möglichen Lösung des Problems der Staatszugehörigkeit den Weg geebnet. Die Wählerregistrierung wurde zwar in die Wege geleitet, war jedoch zwischen allen Seiten heftig umstritten. Alle politischen Parteien befürchteten potenzielle Benachteiligungen. Unter erneuter Vermittlung des Staatspräsidenten Burkina Fasos akzeptierten schließlich Anfang September 2010 die wichtigsten politischen Gruppen des Landes das neue Wählerregister. Die Frage nach der Wahlberechtigung der verschiedenen Bevölkerungsgruppen war damit geklärt. Die gewaltsame Eskalation nach den Wahlen zeigt jedoch, dass dies allein für eine Befriedung nicht ausreicht.

Für die künftige Stabilität des Landes wird z.B. die Aufarbeitung der Verbrechen der jüngsten Vergangenheit entscheidend sein; sie steckt indes noch in den Kinderschuhen. Die nationale Gerichtsbarkeit soll sich mit den Wirtschafts- und Gewaltverbrechen beschäftigen, und auch der Internationale Strafgerichtshof wurde von Präsident Ouattara hinzugezogen. Ob tatsächlich eine unabhängige Aufarbeitung der Verbrechen aller politischen Lager erfolgt, erscheint zum gegenwärtigen Zeitpunkt eher fraglich. Vonseiten der neuen Administration gibt es zwiespältige Zeichen. Zwar wurde kürzlich eine Versöhnungskommission von Ouattara eingesetzt, doch gilt diese bereits vor ihrer endgültigen Zusammenstellung und der Bestimmung ihrer Befugnisse als parteiisch.

Geschichte des Konflikts

Nach dem Tod von Houphouët-Boigny wurden die Wahlen 1995 und 2000 jeweils von Gewalt und Boykottaufrufen von Teilen der Opposition überschattet. Der Hauptgrund hierfür waren jeweils Veränderungen im Wahlrecht, die Teile der Opposition und ihre Wählerbasis ausschlossen.

Der "Weihnachtsputsch" 1999 von General Guéi stellte die demokratische Entwicklung als solche in Frage. Auf starken nationalen und internationalen Druck wurden bereits im Jahr 2000 Wahlen abgehalten. Die Versprechungen, insbesondere die Abschaffung des Prinzips der Ivoirité, wurden jedoch nicht eingelöst. Gbagbo gewann 2000 die Wahlen gegen Guéi, der sich noch einige Tage gewaltsam an der Macht halten konnte. Nach Ausschreitungen zwischen Anhängern Gbagbos und Ouattaras, der wie zuvor von den Wahlen ausgeschlossen worden war, setzte ein zaghafter Annäherungsprozess zwischen den verfeindeten Lagern ein. Dieser wurde jedoch nach den Wahlsieg der RDR, der Partei Ouattaras, bei den Lokalwahlen 2001 wieder zunichte gemacht.

Als Reaktion auf die angeblich gefälschte Wahl kehrte Gbagbo zur Ivoirité zurück und ließ eine umstrittene Erfassung der gesamten Bevölkerung durchführen. Sie wurde von Übergriffen auf angebliche Hinzugezogene und Ausländer begleitet, die anhand ihrer Namen ausgemacht wurden. Die Aussichtslosigkeit, ihr Bürger- und Wahlrecht auf politischem Wege zu erlangen, ließ die Bevölkerungsgruppen im Norden zu den Waffen greifen. Der Bürgerkrieg begann.

Literatur

Bah, Abu Bakarr (2010): Democracy and Civil War. Citizenship and Peacemaking in Côte d´Ivoire, in: African Affairs, Vol. 109, No. 437, S. 597-615.

Cutolo, Armando (2010): Modernity, Autochthony and the Ivorian Nation. The End of a Century in Côte d´Ivoire, in: Africa, Vol. 80, No. 4, S. 527-552.

Mehler, Andreas /Zanker, Franzisca (2011): Intervention in der Côte d'Ivoire: A Recipe for Disaster, in: Johannsen, Margret/ Schoch, Bruno/ Hauswedell, Corinna/ Debiel, Tobias/ Fröhlich, Christiane (Hrsg.): Friedensgutachten 2011, Berlin: LIT Verlag, S. 248-261.

Links

»International Crisis Group (2011): A Critical Period for Ensuring Stability in Côte d´Ivoire, Africa Report No 176.«

»Weitere Berichte der International Crisis Group zur Elfenbeinküste:«
 
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Zur Person

Johannes Vüllers

Johannes Vüllers, geb. 1982, ist seit Dezember 2008 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Afrika-Studien am GIGA German Institute of Global and Area Studies. Er studierte in Bochum Geschichte und Politikwissenschaft (BA) und in Tübingen Friedensforschung und Internationale Politik (MA). Im Rahmen eines Projekts zur ambivalenten Rolle von Religion in Gewaltkonflikten war er u.a. Anfang 2010 zur Feldforschung in der Elfenbeinküste.