Konfliktporträt: Georgien

Mit der Eskalation der Grenzscharmützel zwischen Georgien und der abtrünnigen Provinz Südossetien zu einem Krieg (2008) hat sich der Konflikt weiter verhärtet. Russland hat mit der Anerkennung Südossetiens und Abchasiens Tatsachen geschaffen. Georgien sucht seinerseits Beistand bei NATO und EU. Mit ihrer Beobachtermission versucht die EU zur Stabilisierung der Lage beizutragen. 

Aktuelle Situation

Der seit Anfang der 1990er Jahre ungelöste Konflikt zwischen Georgien und der abtrünnigen Autonomen Region Südossetien eskalierte im August 2008 zum Krieg, in den auch Russland und die Autonome Republik Abchasien eingriffen. Der August-Krieg endete mit der Unterzeichnung eines durch die französische EU-Ratspräsidentschaft vermittelten Waffenstillstandsabkommens. Bis heute bleiben jedoch wichtige Punkte des Abkommens unerfüllt. Die russischen Truppenstärke in Abchasien und Südossetien wurde nicht, wie vorgesehen, auf das Niveau vor Ausbruch der Kampfhandlungen reduziert, und internationalen Beobachtern bleibt der Zugang zu beiden Regionen verwehrt. Die 2008 aus Südossetien vertriebenen ethnischen Georgier – insgesamt etwa 20.000 Menschen – können nicht in ihre Heimat zurückkehren.

Am 26.8.2008 erkannte Russland die staatliche Unabhängigkeit Abchasiens und Südossetiens an. Die russische Föderation finanziert seither das südossetische "Staatsbudget" fast zur Gänze und jenes von Abchasien zu ca. 50%. Mit beiden Regionen wurden Abkommen zur langfristigen Stationierung russischer Truppen (und Waffensysteme) geschlossen. Sowohl Abchasien als auch Südossetien haben den Schutz ihrer de facto-Grenzen an die russischen Streit- und Sicherheitskräfte delegiert.
Unter anderem durch die Einrichtung einer EU-Beobachtermission (EUMM) ist eine gewisse Entspannung der Sicherheitslage entlang der Verwaltungsgrenzen zu Georgien eingetreten. Jedoch ist die Zivilbevölkerung auf allen Seiten weiterhin durch Schusswechsel, Landminen und willkürliche Verhaftungen gefährdet.

Im Oktober 2008 begannen in Genf unter internationaler Vermittlung Gespräche der Konfliktparteien zur Stabilisierung der Lage in der Krisenregion. Es wurden jedoch bisher nur wenige konkrete Fortschritte erzielt. Zu den wichtigsten zählt die Einrichtung eines Mechanismus zur Prävention lokaler gewaltsamer Zwischenfälle an den Kontaktlinien zwischen Georgien und Abchasien bzw. Südossetien unter Aufsicht der EUMM. In insgesamt 16 Verhandlungsrunden wurde zu wichtigen Fragen wie der Rückkehr von Vertriebenen oder des zukünftigen politischen Status der beiden Regionen kein Durchbruch erzielt.
 

Ursachen und Hintergründe

Georgien ist ein multiethnischer Staat, der 1991 im Zuge des Zusammenbruchs der Sowjetunion seine Unabhängigkeit erlangte. Neben den ossetischen und abchasischen Minderheiten, die 1989 etwa 3% bzw. 1,8% der Bevölkerung stellten, leben in Georgien ethnische Armenier und Aseris (2006 jeweils ca. 6% der Bevölkerung) sowie weitere Volksgruppen.

Osseten und Abchasen verfügten in der UdSSR über eigene Autonomiegebiete innerhalb Georgiens. Der in den 1980er Jahren in der Sowjetunion einsetzende Reformprozess rief in Georgien eine nationalistische Unabhängigkeitsbewegung und Radikalisierung der Bevölkerung hervor. Die ethnischen Minderheiten der Autonomiegebiete fürchteten den Verlust ihres Status und unternahmen Schritte zur Loslösung von Georgien.

Der gewaltsame Ausbruch der Konflikte mit Südossetien Anfang 1991 und mit Abchasien 1992 wurde besonders durch die Schwäche des georgischen Staates nach der Unabhängigkeit im April 1991 begünstigt. Die Regierung unter Georgiens erstem Präsidenten Swiad Gamsachurdia war mit einer radikalen Oppositionsbewegung konfrontiert und sah sich außer Stande, die rechtlichen und politischen Streitfragen mit den Autonomiegebieten gütlich zu lösen. Die politische Oppositionsbewegung gipfelte schließlich in einem Bürgerkrieg zwischen Anhängern und Gegnern des Ende 1991 gestürzten Gamsachurdia. In beide Kriege griff Russland auf Seiten der sich abspaltenden Regionen ein, wobei das tatsächliche Ausmaß der russischen Beteiligung bis heute nicht geklärt ist.

Bearbeitungs- und Lösungsansätze

Der gewaltsame Konflikt zwischen Georgien und Südossetien wurde im Juni 1992 unter russischer Vermittlung durch ein Waffenstillstandsabkommen beendet. Dieses sah die Einrichtung eines ossetisch-georgisch-russischen Peacekeeping-Kontingents unter russischer Führung vor. Gespräche zur Beilegung des Konflikts fanden im Rahmen der Gemeinsamen Kontrollkommission (GKK) statt, in der Südossetien, die russische Teilrepublik Nordossetien, die Russische Föderation und Georgien vertreten waren.

Die Kampfhandlungen in Abchasien wurden ebenfalls unter russischer Vermittlung beendet. Das Moskau-Abkommen vom Mai 1994 sah die Stationierung einer Friedenssicherungstruppe der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) sowie die Einrichtung einer UN-Beobachtermission (UNOMIG) vor. Die Verhandlungen zur Beilegung des politischen Konflikts wurden für Abchasien unter der Schirmherrschaft der UNO geführt. Eine besondere Rolle nahm dabei die "Gruppe der Freunde des UN-Generalsekretärs" (Deutschland, Frankreich, Russland, USA) ein.

Im Frühjahr 2008 trat Georgien aus der GKK für Südossetien aus und forderte einen neuen Mechanismus der Friedenssicherung in Abchasien durch ein internationales Peacekeeping-Kontingent. Nach dem Augustkrieg 2008 wurden auf Betreiben Russlands die Beobachtermissionen der Vereinten Nationen (UNOMIG) sowie der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zur Lage der Konflikte in Georgien beendet. Die Europäische Union entsandte im Herbst 2008 zweihundert unbewaffnete zivile Beobachter. Allerdings erhielt die EU-Mission dieses Mandat nur für das georgische Kernland. Verhandlungen zur Stabilisierung der politischen Lage werden seit Ende 2008 im Rahmen des "Genfer Prozesses" unter Vermittlung der EU, Vereinten Nationen und OSZE geführt.

Geschichte des Konflikts

Georgien wurde nach einer kurzen Periode der staatlichen Unabhängigkeit (1918-1921) von Truppen der Roten Armee besetzt und Teil der Sowjetunion. Wie in anderen Unionsrepubliken wurden auch in Georgien Autonomiegebiete für ethnische Minderheiten eingerichtet. Südossetien erhielt den Status eines Autonomen Gebiets, Abchasien den einer Autonomen Republik. Beide waren Teil der Georgischen Sowjetrepublik und verfügten über eigene politisch-administrative Institutionen. Die Ethnien lebten großteils friedlich zusammen; allerdings beklagten die Eliten der Autonomiegebiete wiederholt die politische und wirtschaftliche Diskriminierung ihrer Regionen.

Die von Michail Gorbatschow eingeleiteten Prozesse von Glasnost und Perestroika (ab 1986) führten in der UdSSR zu einer teilweisen Demokratisierung des politischen Systems und in den Unionsrepubliken, besonders auch in Georgien, zu Forderungen nach nationaler Unabhängigkeit. Die autonomen Gebiete fürchteten, in einem unabhängigen Georgien ihren Status und damit ihre Privilegien einzubüßen. Parallel zur georgischen Unabhängigkeitsbewegung entstanden daher ossetische und abchasische nationalistische Gruppierungen. Einigungsversuche scheiterten angesichts der fehlenden Erfahrung aller Seiten in der friedlichen Beilegung politischer Konflikte. Hinzu kam der Verlust des Gewaltmonopols des georgischen Staats: Paramilitärische Gruppen standen häufig nur noch nominell unter der Kontrolle staatlicher Institutionen.

Nach Beendigung der gewaltsamen Phase beider Konflikte wurde zwar der Waffenstillstand eingehalten, ein Friedensschluss wurde jedoch nicht erreicht. Südossetien und Abchasien blieben weiterhin de jure Bestandteil des georgischen Staatsgebiets. De facto entwickeln sich seitdem jedoch eigenständige Staaten, die sich stark nach Russland orientieren.

Diese Entwicklung führte ab 2004 zu einer Verschlechterung der russisch-georgischen Beziehungen. Die georgische Seite betrachtete die Russische Föderation nicht als neutrale Vermittlerin, sondern als Konfliktpartei, konnte jedoch die angestrebte Internationalisierung der Verhandlungsformate und Mechanismen zur Friedenssicherung nicht durchsetzen. Die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo im Februar 2008, durch die sich die Sezessionisten gestärkt fühlen, und Georgiens intensives Streben nach einer NATO-Mitgliedschaft verschärften die Spannungen zwischen Georgien und den beiden Gebieten und führten mehrfach zu militärischen Zwischenfällen zwischen Russland und Georgien.

Im August 2008 reagierte Georgien auf Provokationen südossetischer Milizen mit einem großangelegten nächtlichen Angriff auf Zchinwali, die Hauptstadt Südossetiens. Russland griff mit der Begründung, seine Staatsbürger in Südossetien zu schützen, in die Kampfhandlungen ein. Russische Truppen marschierten in Südossetien und Abchasien ein und besetzten Teile des georgischen Kernlands, wo sie wichtige Teile der militärischen Infrastruktur zerstörten. Die 5-tägigen Kampfhandlungen forderten insgesamt 850 Menschenleben und führten zur Flucht von mehr als 130.000 Menschen.

Literatur

Beissinger, Mark R. (2002): Nationalist Mobilization and the Collapse of the Soviet State, Cambridge: Cambridge University Press.

Cheterian, Vicken (2008): War and Peace in the Caucasus. Russia´s Troubled Frontier, London: Hurst & Company.

Cornell, Svante E. (2001): Small Nations and Great Powers. A Study of Ethnopolitical Conflict in the Caucasus, Richmond (Surrey, UK): Curzon Press.

Cornell, Svante E. / Starr, Frederick S. (Hrsg.) (2009): The Guns of August 2008. Russia´s War in Georgia. Studies of Central Asia and the Caucasus, New York: M. E. Sharpe.

Reiter, Erich (Hrsg.) (2009): Die Sezessionskonflikte in Georgien, Wien: Böhlau Verlag.

Zürcher, Christoph (2007): The Post-Soviet Wars. Rebellion, Ethnic Conflict, and Nationhood in the Caucasus, New York: New York University Press.

Links

»Coppieters, Bruno (2004): The Georgian-Abkhaz Conflict, in: Journal of Ethnic Politics and Minority Issues in Europe, No. 1/2004, Europeanization and Conflict Resolution: Case Studies from the European Periphery.«

»Bericht der Internationalen Untersuchungskommission zum Konflikt in Georgien«

»Texte und Analysen der International Crisis Group«

»Artikel des Institute for War and Peace Reporting«

»Artikel und Analysen von Radio Free Europe/ Radio Liberty«
 
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Zur Person

Marion Kipiani

Marion Kipiani, geb. 1981, hat internationale Wirtschaftswissenschaften studiert und bereitet ihre Abschlussarbeit zur Master of Peace Studies an der FernUniversität in Hagen vor. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektkoordinatorin des Ludwig Boltzmann Instituts für Menschenrechte in Wien, mit Arbeitsschwerpunkten Demokratisierung und Friedensaufbau in den GUS-Staaten und der Kaukasusregion.