Anfragebeantwortung zum Irak: Lage von Konvertiten zum Christentum (Rechtslage bei Konversion, Schutz vor der Familie, Interne Fluchtalternative) [a-9867]

3. Oktober 2016

Das vorliegende Dokument beruht auf einer zeitlich begrenzten Recherche in öffentlich zugänglichen Dokumenten, die ACCORD derzeit zur Verfügung stehen sowie gegebenenfalls auf Expertenauskünften, und wurde in Übereinstimmung mit den Standards von ACCORD und den Common EU Guidelines for processing Country of Origin Information (COI) erstellt.

Diese Antwort stellt keine Meinung zum Inhalt eines Ansuchens um Asyl oder anderen internationalen Schutz dar. Alle Übersetzungen stellen Arbeitsübersetzungen dar, für die keine Gewähr übernommen werden kann.

Wir empfehlen, die verwendeten Materialien im Original durchzusehen. Originaldokumente, die nicht kostenfrei oder online abrufbar sind, können bei ACCORD eingesehen oder angefordert werden.

 

Das US-amerikanische Außenministerium (US Department of State, USDOS) schreibt in seinem Bericht zur Religionsfreiheit im Irak vom August 2016 (Berichtszeitraum: 2015), dass die irakische Verfassung vorsehe, dass Angehörige jeder Religion die Freiheit hätten, ihre religiösen Riten zu praktizieren und ihre religiösen Besitztümer und Einrichtungen zu verwalten. Sie garantiere außerdem Freiheit von religiösem Zwang und lege fest, dass alle Bürger vor dem Gesetz gleich seien, egal welcher Religion, welcher Sekte oder welchem Glauben sie angehören würden. Das Personenstandsrecht und die dazugehörigen Regelungen würden jedoch die Konversion eines Muslims zu einer anderen Religion verbieten und die Konversion minderjähriger Kinder zum Islam verlangen, wenn ein Elternteil zum Islam übertrete. Personalausweise würden die Religion ihres Besitzers angeben. Christlich, Sabäisch-Mandäisch, Yezidi und Muslimisch könnten unter Religionszugehörigkeit angegeben werden, wobei kein Unterschied zwischen sunnitischer und schiitischer Konfession gemacht werde. Personen anderer Glaubensrichtungen bekämen nur dann Personalausweise ausgestellt, wenn sie sich selber als muslimisch identifizieren würden. Ohne einen offiziellen Personalausweis könnten Nichtmuslime und Personen, die zu einer anderen Religion als dem Islam übergetreten seien, keine Ehen registrieren, Kinder an einer öffentlichen Schule anmelden, Pässe beantragen sowie diverse staatliche Dienste in Anspruch nehmen. Gemäß Berichten von NGOs seien mehrere Fälle in der Autonomen Region Kurdistan bekannt, in denen Familien vom Gesetz zur Konversion und der Registrierung der Religion auf Personalausweisen betroffen gewesen seien. Familien, die vom Islam zum Christentum konvertiert seien, hätten weder ihre Religionszugehörigkeit in ihrem Ausweisdokument ändern noch ihre Kinder als Christen registrieren können. In manchen Fällen seien Familien, die formal als Muslime registriert, jedoch in Wahrheit dem Christentum oder einer anderen Religion zugehörig seien, Berichten zufolge geflüchtet, um zu verhindern, dass ihr Kind als Muslim registriert werde oder ohne offizielle Dokumente bleibe:

The constitution states each individual has the right to freedom of thought, conscience, and belief, and followers of all religions are free to practice religious rites and manage religious endowment affairs, and religious institutions. The constitution guarantees freedom from religious coercion and states all citizens are equal before the law without regard to religion, sect, or belief. Personal status laws and regulations prohibit the conversion of Muslims to other religions and require conversion of minor children to Islam if either parent converts to Islam. […]

National identity cards denote the holder’s religion. The only religions which may be listed on the national identity card are Christian, Sabaean-Mandean, Yezidi, and Muslim, although there is no distinction between Shia and Sunni Muslim affiliation. Individuals practicing other faiths may only receive identity cards if they self-identify as Muslims. Without an official identity card, non-Muslims and those who convert to faiths other than Islam may not register their marriages, enroll their children in public school, acquire passports, or obtain some government services. Passports do not specify religion. […]

According to NGOs, in the IKR [Iraqi Kurdistan Region] there were several cases of families affected by the law on conversion and the registration of religion on identity cards, which applied to all religious minorities. Families who had converted to Christianity from Islam were unable to change their religious affiliation on their own identification documents or register their children as Christian. In some cases, families formally registered as Muslim, but actually practicing Christianity or another faith, reportedly fled to avoid being forced to register their child as a Muslim or to have the child remain undocumented.” (USDOS, 10. August 2016, Section 2)

In einem älteren Bericht zur Religionsfreiheit vom Juli 2012 (Berichtszeitraum: 2011) führt das USDOS an, dass Personen, die den muslimischen Glauben ablegen würden, oft mit starker sozialer Verfolgung konfrontiert seien, die bis zum Tod führen könne. Die Täter seien den Opfern häufig bekannt. Diese Information findet sich nicht mehr im aktuellsten USDOS-Bericht vom August 2016:

„Persons who leave Islam often faced severe social persecution, including death, often by assailants known to the victims.“ (USDOS, 30. Juli 2012, Section 3)

Das britische Innenministerium (UK Home Office) schreibt in seinem Bericht zu Herkunftsländerinformationen und Handlungsempfehlungen für britische Asylentscheider vom August 2016 zusammenfassend, dass die rechtliche Situation bezüglich der Konversion vom Islam zu einer anderen Religion unklar sei. Das Strafrecht verbiete die Konversion vom Islam nicht, das Personenstandsgesetz erkenne eine solche Konversion jedoch rechtlich nicht an. Eine Konversion könne Schwierigkeiten mit sich bringen, unter anderem, was die Beantragung von Dokumenten, Eheschließungen und die Anmeldung von Kindern an bestimmten Schulen anlange:

„The legal situation about conversion from Islam is unclear. The Penal Law does not prohibit conversion away from Islam but the Personal Status Law does not legally recognise any such conversion. Consequences of conversion may include difficulties in obtaining documents, getting married and in sending children to certain schools (UK Home Office, August 2016, S. 5)

Die dänische Einwanderungsbehörde (Danish Immigration Service, DIS) bemerkt in ihrem im April 2016 veröffentlichten Bericht zu einer Fact-Finding-Mission, die sie vom 26. September bis 6. Oktober 2015 in Beirut und in Erbil durchgeführt hat, dass das irakische Gesetz im Hinblick auf Konversion diskriminierend sei, da es Muslimen nicht erlaubt sei, zu konvertieren, man jedoch von anderen Religionen zum Islam übertreten dürfe. Laut DIS habe es Fälle gegeben, in denen Personen aufgrund ihrer Konversion getötet worden seien. Quellen hätten dazu den Fall des Priesters Abdullah angegeben, der drei Mal von Unbekannten beinahe getötet worden sei. Daraufhin hätten ihn die Asayish [Sicherheitskräfte in der Autonomen Region Kurdistan, Anm. ACCORD] festgenommen. Mittlerweile sei er Berichten zufolge nach Europa gegangen, um dort um Asyl anzusuchen. Kürzlich habe das irakische Parlament ein neues Gesetz zum Personalausweis verabschiedet, das den Islam für Kinder gemischter Ehen festlege. Unter vorangegangenen Regimen hätten sich Angehörige der Kakai [ethnisch-religiöse Gruppierung, Anm. ACCORD] als Muslime registriert, um sich selbst zu schützen. Nun dürften sie diese Registrierung nicht zugunsten ihrer eigentlichen Religion abändern:

„The law discriminates with regard to conversion, as Muslims are not allowed to convert, whereas it is possible to convert from other religions to Islam. There are cases of people being killed for converting. When asked about concrete examples of killings of converts, the sources mentioned the case of Priest Abdullah, who was attempted killed three times by unknown people. Then the Asayish arrested him. The last thing the sources heard about him, was that he had left for Europe to seek asylum. After the meeting with the delegation, the sources informed that this is a big issue right now in Iraq, especially during the last couple of weeks, as the Iraqi Parliament has passed a new law, part of the National Card law, that enforces Islamic religion on children of mixed marriages. Under past regimes, the Kakais have registered at the authorities as Muslims in order to protect themselves. Now they are not allowed to change back to their original religion.“ (DIS, 12. April 2016 S. 174)

Al-Monitor, eine auf Berichterstattung zum Nahen Osten spezialisierte Medienplattform, veröffentlicht im November 2015 einen Artikel zur rechtlichen Diskriminierung von Minderheiten im Irak. Laut dieses Artikels habe das irakische Parlament im Oktober 2015 ein Gesetz zum nationalen Personalausweis verabschiedet, das die Lage für Minderheiten im Iran zusätzlich erschwere. Artikel 26 dieses Gesetzes enthalte zwei Regelungen, die Minderheiten im Land diskriminieren würden. Und zwar dürfe ein Nichtmuslim seine Religion gemäß des Gesetzes ändern, und Minderjährige würden als Muslime registriert, wenn einer der beiden Eltern zum Islam konvertiert sei. Diese Regelung sehe vor, dass nur Nichtmuslime konvertieren könnten, Muslime aber nicht ihre Religion ändern dürften. Darüber hinaus sei ein Kind eines muslimischen und eines nichtmuslimischen Elternteils automatisch Muslim. Wenn ein Elternteil also zum Islam konvertieren würde, dann konvertiere auch gleichermaßen das Kind:

„Amid all the suffering they are already subject to, the minorities in Iraq now have to deal with a National Identity Card Law that systematizes infringement on their rights. This law, which parliament passed in late October, came after the numbers of Iraqi minorities dwindled, following the massacres and organized attacks that have caused the displacement of the vast majority of them. […]

Article 26 of this law includes two provisions that set the foundation for a systematic discrimination against minorities, which may end their presence in the country:

A non-Muslim may switch his religion according to the law.

A minor is registered as Muslim following a conversion of any of the parents to Islam.

These provisions mean that only non-Muslims can convert their religion to Islam according to the law, while Muslims cannot convert their religion. Moreover, a child born within a marriage between a Muslim and non-Muslim shall take on the Muslim religion, regardless of the gender of the Muslim parent. This means that if one of the parents converts to Islam the child will automatically become a Muslim. (Al-Monitor, 19. November 2015)

Weitere Informationen zur Lage von Konvertiten entnehmen Sie bitte auch der folgenden Anfragebeantwortung vom 12. Februar 2016:

 

·      ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zum Irak: Bestrafung bei Abfall vom Islam und Konversion zum Christentum [a-9511-1], 12. Februar 2016 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/local_link/319330/458476_de.html

 

Es konnten keine weitere Informationen zur Bedrohung vonseiten der Familie im Fall einer Konversion und zum Schutz des Staates in solch einem Fall gefunden werden.

 

Das in der Autonomen Region Kurdistan (Irak) ansässige kurdische Mediennetzwerk Rudaw beschäftigt sich in einem Artikel vom Februar 2016 mit der sich wandelnden religiösen Demographie in der Autonomen Region Kurdistan. Laut Rudaw sei die kurdische Bevölkerung zu 94 Prozent dem Namen nach muslimisch. In letzter Zeit gebe es jedoch viele Berichte, dass Kurden vom Islam abkehren oder zu anderen Religionen konvertieren würden. Die zoroastrische Bewegung [altpersische Religion, Anm. ACCORD] habe behauptet, bis zu 100.000 Anhänger in Kurdistan zu haben. Laut christlichen Organisationen hätten sich tausende dem Christentum zugewandt, da sie die Art, in der die Gruppe Islamischer Staat (IS) den Islam interpretiere, ablehne. Es gebe auch Berichte über eine steigende Anzahl von Atheisten und Agnostikern. Diese Behauptungen hätten nicht vom Kurdischen Ministerium für Stiftungen und religiöse Angelegenheiten (Kurdish Ministry of Endowments and Religious Affairs) bestätigt werden können, deren Sprecher angegeben habe, dass das Ministerium keine Daten über Personen, die von einer Religion zu einer anderen übertreten würden, veröffentliche. Viele Menschen würden den IS für die Ablehnung des Islams verantwortlich machen:

„The Kurdish population is approximately 94% nominally Muslim. Recently, however, there have been many reports of Kurds leaving Islam or converting to other religions. The Zoroastrian movement claims to have as many as 100,000 followers in Iraqi Kurdistan. Christian organizations assert that thousands in the region have been seeking out Christianity as they reject ISIS’ interpretation of Islam. There are also reports of growing numbers of atheists and agnostics. These claims could not be confirmed by the Kurdish Ministry of Endowments and Religious Affairs. Mariwan Naqshbandi, the ministry spokesman said that they do not publish figures of people who convert from one religion to another. Many blame ISIS for this rejection of Islam.“ (Rudaw, 7. Februar 2016)

Weitere Informationen über die Situation von vom Islam Abgekehrten in der Autonomen Region Kurdistan entnehmen Sie bitte auch folgender Anfragebeantwortung der kanadischen Einwanderungsbehörde Immigration and Refugee Board (IRB):

 

·      IRB - Immigration and Refugee Board of Canada: Iraq: Information on the treatment of atheists and apostates by society and authorities in Erbil; state protection available (2013-September 2016) [IRQ105624.E], 2. September 2016 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/local_link/329716/470759_de.html

 

 

 

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Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 3. Oktober 2016)

·      ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zum Irak: Bestrafung bei Abfall vom Islam und Konversion zum Christentum [a-9511-1], 12. Februar 2016 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/local_link/319330/458476_de.html

·      Al-Monitor: How Iraq just legalized discrimination of minorities (Autor: Ali Mamouri), 19. November 2015
http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2015/11/iraq-law-id-discrimination-miniorities.html

·      DIS - Danish Immigration Service: The Kurdistan Region of Iraq (KRI); Access, Possibility of Protection, Security and Humanitarian Situation; Report from fact finding mission to Erbil, the Kurdistan Region of Iraq (KRI) and Beirut, Lebanon, 26 September to 6 October 2015, 12. April 2016 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1460710389_factfindingreportkurdistanregionofiraq11042016.pdf

·      IRB - Immigration and Refugee Board of Canada: Iraq: Information on the treatment of atheists and apostates by society and authorities in Erbil; state protection available (2013-September 2016) [IRQ105624.E], 2. September 2016 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/local_link/329716/470759_de.html

·      Rudaw: The changing face of Islam in Kurdistan, 7. Februar 2016
http://rudaw.net/english/kurdistan/07022016

·      UK Home Office: Country Information and Guidance Iraq: Religious minorities, August 2016 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1471438137_cig-iraq-religious-minorities.pdf

·      USDOS - US Department of State: 2011 International Religious Freedom Report - Iraq, 30. Juli 2012 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/local_link/223379/344997_de.html

·      USDOS - US Department of State: 2015 Report on International Religious Freedom - Iraq, 10. August 2016 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/local_link/328414/469193_de.html