Document #2114183
ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (Author)
10. Juli 2024
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Art der Aktivitäten im Ausland, die zur Überwachung durch den iranischen Staat führen........ 1
Konsequenzen bei Rückkehr....................................................................................................... 4
Quellen........................................................................................................................................ 7
Anhang .................................................................................................................................... 10
Kurzbeschreibungen zu den in dieser Anfragebeantwortung verwendeten Quellen sowie Ausschnitte mit Informationen aus diesen Quellen finden Sie im Anhang.
Art der Aktivitäten im Ausland, die zur Überwachung durch den iranischen Staat führen
Kenneth Katzman, ein ehemaliger CIA-Analyst und Iranexperte beim Congressional Research Service, schreibt in einem Artikel vom Februar 2023, dass die iranischen Nachrichtendienste Dissident·innen im Exil überwachen („track“) würden, von denen einige über Netzwerke im Iran verfügen würden, die gegen die Regierung mobilisieren würden. Die Geheimdienste hätten ein breites Spektrum von Exil-Oppositionellen ins Visier genommen, darunter Monarchist·innen, kurdische Separatist·innengruppen, Dissident·innen, die von der islamischen Regierung übergelaufen seien, und die Mujahedeen-e Khalq (MEK), eine linksgerichtete islamistische Organisation (Katzman, 17. Februar 2023).
Die schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) veröffentlicht im November 2023 mehrere Anfragebeantwortungen zum Iran (SFH, 23. November 2023; SFH, 24. November 2023a; SFH, 24. November 2023b; SFH, 25. November 2023). Die SFH erwähnt, dass „der Kampf gegen die Opposition im Ausland“ für die iranischen Nachrichtendienste „eine der Hauptaufgaben mit hoher Priorität“ sei. Die iranischen Behörden würden die iranische Diaspora, die eine wichtige Rolle bei der Protestbewegung im Jahr 2022 gespielt habe, als Bedrohung sehen (SFH, 24. November 2023a, S. 5-6). In den Monaten nach dem Ausbruch der Proteste hätten „die iranischen Behörden ihre Versuche zur Überwachung und Kontrolle der oppositionellen Exilgemeinde“ verstärkt (SFH, 24. November 2023a, S. 9-10). Agent·innen der iranischen Regierung würden die iranische Diaspora seit „Mitte September 2022 deutlicher und offener überwachen“ (SFH, 24. November 2023b, S. 4-5). Die Behörden würden soziale Netzwerke überwachen. Da Instagram, Telegram und Twitter (beziehungsweise ‚X‘) aktuell populärer als Facebook seien, liege der Fokus stärker auf diesen Medien. Einer Kontaktperson der SFH zufolge werde „Twitter sehr stark überwacht und es werden viele Leute wegen Äusserungen auf Twitter verhaftet“ (SFH, 25. November 2023, S. 8). Hinsichtlich der Prioritäten der iranischen Behörden für die überwachten Gruppen wird von einer Kontaktperson gegenüber der SFH angeführt, dass „jegliche Form von politischer Organisation in der Diaspora in den Fokus der iranischen Behörden fällt“. Unter anderem Regierungegner·innen, Frauenrechts- und Studentenaktivist·innen, Dissident·innen, Jurist·innen, Menschenrechtsaktivist·innen, Angehörige religiöse Minderheiten, Oppositionsgruppen und ausländische Organisationen der Zivilgesellschaft würden dem SFH-Bericht zufolge zum Ziel von Cyberangriffen (SFH, 25. November 2023, S. 9-11). Von der SFH befragten Kontaktpersonen zufolge würden „die iranischen Behörden in der Regel Jagd auf Menschen machen, die aus ihrer Sicht Einfluss haben“. Wenn die „Person einen Trend oder eine Debatte über ein bestimmtes Thema auslösen könne“, würden die iranischen Behörden versuchen, die Person aufzuspüren. Einer Kontaktperson zufolge würde gegen Leute, die mehr öffentliche Reichweite haben, „strikter vorgegangen, da sie als sichtbare Feinde wahrgenommen“ würden (SFH, 25. November 2023, S. 12-13). Die SFH erwähnt zudem, dass die iranischen Behörden in der Lage seien, „im Ausland Informationen über die Zugehörigkeit einer Person zu einer christlichen Kirche zu sammeln.“ Einer Kontaktperson zufolge hätten iranische Geheimdienstagent·innen in westlichen Ländern „Netzwerke in der iranischen Diaspora aufgebaut und würden regelmässig Gruppen infiltrieren, Andersdenkende aufspüren und diese manchmal sogar ermorden“ (SFH, 23. November 2023, S. 25-26). Den in einer Anfragebeantwortung des kanadischen IRB vom März 2023 zu Wort kommenden Quellen zufolge, würden die iranischen Behörden manchmal Personen in Kanada unmittelbar bedrohen, um zu verhindern, dass diese gegen die iranische Regierung aktiv werden (IRB, 2. März 2023).
Ein im September 2023 veröffentlichter Artikel des Guardian erwähnt, dass die iranischen Behörden eine europaweite Kampagne der Belästigung, Überwachung, Entführung und Morddrohungen gegen politische Aktivist·innen, die gegen die Regierung protestieren, betreiben würden. Der Guardian habe mit 15 iranischen Aktivist·innen gesprochen, die in Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Spanien, der Schweiz und Schweden Ziel derartiger Repressionen geworden seien. In den meisten Fällen seien die Aktivist·innen von westlichen Polizei- oder Sicherheitsbehörden gewarnt worden, dass der Iran hinter glaubwürdigen Drohungen gegen ihr Leben als Vergeltung für ihren Aktivismus auf europäischem Boden stehe. Zu den Angriffen würden Hackerangriffe, Cyberattacken und Online-Belästigungen, die bis zu Tausenden an Morddrohungen innerhalb einer Woche umfassen könnten, zählen, sowie Drohungen in der „realen Welt“. Zwei Aktivist·innen in verschiedenen Ländern seien im letzten Jahr die Autoreifen aufgeschlitzt worden, was vermutlich durch iranische Agent·innen erfolgt sei. Mehrere Aktivist·innen würden berichten, dass sie von verdächtigen Männern nach Hause verfolgt worden seien. Ein iranischer Regierungssprecher habe alle Vorwürfe zurückgewiesen (The Guardian, 22. September 2023). Ein weiterer vom Guardian im Dezember 2023 veröffentlichter Artikel erwähnt ebenfalls Drohungen gegen Iraner·innen, die in Großbritannien an Protesten gegen die iranische Regierung teilgenommen hätten. Der Iran nehme zunehmend Menschen außerhalb seiner Grenzen ins Visier. Dies sei eine Taktik, die als transnationale Unterdrückung bekannt sei und darauf abziele, Debatten oder Kritik zu unterbinden (The Guardian, 18. Dezember 2023). Weitere Artikel bzw. Dokumente erwähnen ebenfalls Drohungen gegen Iraner·innen im Ausland wegen der Teilnahme an regierungsfeindlichen Protesten und Äußerung von Widerstand (Iran International, 1. Juli 2023), sowie das harte Durchgreifen („cracking down“) gegen Mitglieder der iranischen Diaspora, die außerhalb des Iran an Protesten teilgenommen hätten (Iran Wire, 20. Februar 2024) und die systematische Schikanierung bzw. Vorladung von Familienmitgliedern von arabischen politischen Aktivist·innen, die aus dem Iran geflohen seien (Iran Wire, 27. März 2024). Ein im Dezember 2022 veröffentlichter Artikel der Washington Post erwähnt, dass die iranische Regierung ihre Bemühungen verstärkt habe, Regierungsvertreter·innen, Aktivist·innen und Journalist·innen weltweit zu entführen und zu töten. Dies gehe aus Regierungsdokumenten und Interviews mit 15 Beamt·innen in Washington, Europa und dem Nahen Osten hervor, die diese Angaben anonym gemacht hätten (The Washington Post, 1. Dezember 2022).
Weitere Information über die Überwachung von Iraner·innen im Ausland durch den iranischen Staat finden Sie in den folgenden Berichten des norwegischen Herkunftsländerinformationszentrums Landinfo (auf Norwegisch) sowie der Rechercheabteilung des belgischen Generalkommissariats für Flüchtlinge und Staatenlose (CGRS) (auf Niederländisch):
· Landinfo – Norwegian Country of Origin Information Centre: Iran; Internett og sosiale medier, 9. November 2022
https://www.ecoi.net/en/file/local/2083376/Temanotat-Iran-Internett-og-sosiale-medier-09112022.pdf
· Landinfo – Norwegian Country of Origin Information Centre: Iran; Reaksjoner mot iranere i eksil, 28. November 2022
https://www.ecoi.net/en/file/local/2083379/Temanotat-Iran-Reaksjoner-mot-iranere-i-eksil-28112022.pdf
· CGRS-CEDOCA – Office of the Commissioner General for Refugees and Stateless Persons (Belgium), COI unit: Iran; Surveillance van de diaspora door de Iraanse autoriteiten, 10. Mai 2023
https://www.ecoi.net/en/file/local/2092670/coi_focus_iran._surveillance_van_de_diaspora_door_de_iraanse_autoriteiten_20230510.pdf
Etwas ältere Informationen über die Überwachung von Aktivitäten im Ausland (exilpolitische Aktivitäten, Konversion) finden Sie in folgender Anfragebeantwortung von ACCORD vom Juli 2019:
· ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zum Iran: Überwachung von Aktivitäten im Ausland (exilpolitische Aktivitäten, Konversion) [a-11025], 5. Juli 2019
https://www.ecoi.net/de/dokument/2012531.html
In einer Anfragebeantwortung des IRB vom Mai 2024 kommen verschiedene Quellen zu Wort. In einem Interview mit dem IRB habe ein pensionierter Professor der York University, der zum Iran publiziert habe, erklärt, dass regierungskritische Aktivist·innen, bei ihrer Rückkehr in den Iran „auf jeden Fall“ verhaftet würden, und dass dies in den meisten Fällen sofort nach ihrer Ankunft geschehen würde. Auf die Frage nach der Behandlung von regierungsfeindlichen Aktivist·innen, die in den Iran zurückkehren, habe ein Vertreter der Human Rights Activists News Agency (HRANA)[1] angegeben, dass unabhängig davon, ob es sich um politische Aktivist·innen, Student·innen oder ehemalige Flüchtlinge handle, die Behandlung einer Person nach ihrer Rückkehr davon abhängig sei, ob sie als Bedrohung für die Regierung wahrgenommen werde. Diese Einschätzung werde von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst, wie z. B. von den Aktivitäten der Person im Ausland, ihrem Staatsbürgerstatus und den Ländern, aus denen sie zurückkehren würde. Personen mit doppelter Staatsbürgerschaft, Personen, die aus sunnitischen Ländern mit Verbindungen zu religiösen Gruppen zurückkehren würden, und Personen, die aus westlichen Ländern aufgrund politischer Aktivitäten zurückkehren würden, würden besonders sorgfältig geprüft. Ein Assistenzprofessor für Politikwissenschaft an der University of Tennessee in Chattanooga, der sich mit autoritären Regimen befasse und zum Iran publiziere, habe gegenüber dem IRB erklärt, dass Personen, die an Protesten teilgenommen hätten und dann ins Ausland gegangen seien und im Ausland nicht politisch aktiv gewesen seien, bei ihrer Rückkehr keine Konsequenzen zu erwarten hätten, es sei denn, es gebe offene Akten und Anklagen oder Verurteilungen; in diesem Fall werde die Person verhaftet. Eine Person, die im Ausland politisch aktiv gewesen sei, aber anonym geblieben sei, könne zurückkehren. Für eine Person, die unter ihrem richtigen Namen politisch aktiv gewesen sei, gebe es jedoch keine Möglichkeit („there is no way“), zurückzukehren (IRB, 23. Mai 2024).
In einem Amtshilfeersuchen in Asyl- und Rückführungsangelegenheiten des deutschen Verwaltungsgerichts Oldenburg schreibt das deutsche Auswärtige Amt (AA) im November 2022 unter anderem Folgendes:
„Das Auswärtige Amt geht davon aus, dass exilpolitische Aktivitäten von Iranern im Ausland im Internet überwacht werden. Ob flächendeckend alle Tätigkeiten überwacht werden, ist nicht bekannt. […] Es ist nicht möglich, pauschal vorherzusagen, wie eine Person nach Rückkehr behandelt wird. Die Behandlung von Iranern, die sich regimekritisch geäußert haben, ist von Fall zu Fall verschieden. Das Auswärtige Amt kann nicht ausschließen, dass auch eine Person, die keine hohe Sichtbarkeit als Aktivist hat, bei Rückkehr für ihre politischen Aktivitäten verhaftet wird. […]
Das Auswärtige Amt geht davon aus, dass sowohl exilpolitische Betätigung im Internet als auch außerhalb des Internets Repressionen nach sich ziehen können. […] Wie oben dargestellt hängt die konkrete Behandlung durch die iranischen Behörden vom konkreten Fall ab. Es ist zumindest mit einer Befragung durch die iranischen Behörden zu rechnen, möglicherweise auch Vorladung, Inhaftierung bis hin zu einer Verurteilung, abhängig von der Bewertung der exilpolitischen Tätigkeiten durch die iranischen Behörden.“ (AA, 29. November 2021, S. 4-5)
Die SFH erwähnt im November 2023 zudem Folgendes zur Lage von Rückkehrer·innen:
„Iranische Behörden gehen zum Teil unvorhersehbar vor und auch eine unbekannte Person kann bei Rückkehr verhaftet werden. Kontaktperson G wies darauf hin, dass es nicht davon abhängen müsse, welche Äusserung eine Person in einem sozialen Medium teilt. Es sei sehr schwierig vorherzusagen, ob und wann eine Person zur Zielscheibe werde. Kontaktperson H wies darauf hin, dass das Vorgehen der iranischen Behörden nicht immer logisch sei. So könne alles auf ein hohes Risiko hindeuten, aber es könne sein, dass bei einer Rückkehr nichts passiert. Kontaktperson H kenne aber auch einige anders gelagerte Fälle. Dabei wurde ein zufälliger Beitrag in den sozialen Medien veröffentlicht und die Personen gerieten deswegen in Gefahr. Auch wenn eine Person kein ‚grosser Fisch‘ sei und nur einige hochrangige Mitglieder der Diaspora oder einige kritische Äusserungen in sozialen Medien geliked habe, könne es sein, dass die Behörden die Person verhaften, wenn sie zurückkehrt. Die iranischen Behörden könnten auch einen Fall ‚erfinden‘, um eine Person strafrechtlich zu belangen.“ (SFH, 25. November 2023, S. 13-14)
Laut der bereits zitierten Anfragebeantwortung des kanadischen IRB vom März 2023 habe eine Quelle angegeben, dass einige iranische Staatsbürger·innen, deren Aktivitäten im Ausland von den Behörden überwacht worden seien, bei ihrer Rückkehr in den Iran am Flughafen befragt würden. Bei einigen Rückkehrer·innen würde der Reisepass einbehalten und die Person würde angewiesen, für weitere Befragungen wiederzukommen (IRB, 2. März 2023).
In einem Urteil des Bundesverwaltungsgericht BVwG vom März 2024 werden folgende Informationen der BFA Staatendokumentation aus dem COI-CMS (Version 7 vom Jänner 2024) angeführt. Weitere Details entnehmen Sie bitte dem ungekürzten Originalzitat im Anhang dieser Anfragebeantwortung:
„An Personen, die seitens iranischer Sicherheitsbehörden als ernsthafte Regimegegner identifiziert wurden, besteht ein Verfolgungsinteresse (AA 30.11.2022).
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Rückkehrer aufgrund der Protestbewegung ab September 2022 verstärkt von den Sicherheitsdiensten überprüft werden. Bereits vor den aktuellen Protesten ist es in Einzelfällen zu einer Befragung durch die Sicherheitsbehörden über den Auslandsaufenthalt gekommen, deren Ausgang sich zum Beispiel der Kenntnis des Auswärtigen Amts der Bundesrepublik Deutschland entzieht. Bisher ist dem Auswärtigen Amt kein Fall bekannt, in dem Zurückgeführte im Rahmen dieser Befragungen psychisch oder physisch gefoltert worden sind (AA 30.11.2022). Eine andere Quelle betont, dass aus Europa zurückkehrende Asylwerber gefährdet sind, von den iranischen Behörden befragt, verhaftet und in manchen Fällen auch gefoltert und getötet zu werden, wenn die Behörden sie mit politischem Aktivismus in Verbindung bringen (DIS 7.2.2020).
Es gibt leicht unterschiedliche Ansichten darüber, was das Interesse der Behörden an einem abgelehnten Asylwerber wecken könnte. Allgemein herrscht der Eindruck vor, dass diejenigen, die vor ihrer Ausreise aus Iran Gegenstand negativer behördlicher Aufmerksamkeit waren, bei ihrer Rückkehr mit Reaktionen rechnen müssen. Als weiterer Faktor wird die Art der Informationen genannt, welche Behörden über die Aktivitäten einer Person im Ausland erhalten haben, und ob diese Aktivitäten dem Regime schaden - oder ihm möglicherweise nützen - könnten (Landinfo 21.1.2021). Einer Quelle zufolge spielt der ethnische oder religiöse Hintergrund oder die sexuelle Orientierung eines Rückkehrers für sich genommen keine Rolle. Einer anderen Quelle zufolge können diese Faktoren eine kumulierende Wirkung haben (MBZ 31.5.2022; vgl. MBZ 9.2023).
Insbesondere in Fällen, in denen Iran illegal verlassen worden ist, muss mit einer Befragung gerechnet werden. Im Rahmen der Befragung wird der Reisepass regelmäßig einbehalten und eine Ausreisesperre ausgesprochen (AA 30.11.2022). […]
Iranreisende - sowohl iranische als auch z. B. deutsche Staatsangehörige - müssen seit einiger Zeit verstärkt damit rechnen, dort willkürlich verhaftet und möglicherweise auch angeklagt zu werden (BMIH/BfV 20.6.2023). Politische Aktivisten und andere, die als Bedrohung angesehen werden, werden beobachtet und haben das Gefühl, sich nicht frei bewegen zu können (MBZ 31.5.2022). Ferner häufen sich seit 2022 gezielte nachrichtendienstliche Ansprachen zum Zweck einer Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit iranischen Nachrichtendiensten. Dies gilt insbesondere für Personen, die durch iranische Stellen mit einer oppositionellen Gruppierung in Verbindung gebracht werden oder bei denen Kontakte zu Personen aus der oppositionellen Szene vermutet werden. Zudem besteht die Gefahr, dass Mobilfunkgeräte und Informations und Kommunikationshardware ausgelesen oder manipuliert werden (BMIH/BfV 20.6.2023). Es gibt auch Berichte, dass Einzelpersonen unter Druck gesetzt werden, die Passwörter ihrer Social-Media-Konten herauszugeben. Dadurch erhalten die Behörden Zugang zu sozialen Netzwerken innerhalb und außerhalb Irans (MBZ 9.2023). Eine Befragung von aus dem Ausland zurückkehrenden Iranerinnen und Iranern kann bei der Ankunft am Flughafen durch Geheimdienstmitarbeiter erfolgen (IRINTL 7.1.2022; vgl. MBZ 31.5.2022), oder zu einem späteren Zeitpunkt, in der Wohnung des Befragten und durch die lokalen Behörden (MBZ 31.5.2022). Ebenso kommt es vor, dass es Rückkehrern nach ihrer Ankunft am Flughafen erlaubt wird, nach Iran einzureisen, und sie dann zu einem späteren Zeitpunkt von den iranischen Behörden strafrechtlich verfolgt werden. Einer Quelle zufolge nehmen die Behörden Rückkehrer in der Regel nicht gleich bei der Ankunft am Flughafen fest, weil sie dort sichtbar sind und von den vielen anwesenden Personen mit ihren Handys gefilmt werden könnten. Den Rückkehrern wird dann am Flughafen zum Beispiel gesagt, dass etwas mit ihrem Pass nicht stimmt oder dass ein Bußgeld aussteht, und dass sie sich später an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit melden sollen (MBZ 9.2023).
Es gibt nur wenige Informationen über die Situation von Iranern, die nach Iran zurückkehren, im Allgemeinen und von zurückgekehrten Antragstellern auf internationalen Schutz im Besonderen (CGRS-CEDOCA 10.5.2023). Zum Thema Rückkehrer gibt es nach wie vor kein systematisches Monitoring, das allgemeine Rückschlüsse auf die Behandlung von Rückkehrern zulassen würde (ÖB Teheran 11.2021; vgl. CGRS-CEDOCA 10.5.2023). […]“ (BVwG, 19. März 2024, S. 28-30)
In einem oben bereits genannten Bericht der SFH werden Angaben des australischen Department of Foreign Affairs and Trade (DFAT) und von Kontaktpersonen zitiert. Der Bericht bezieht sich dabei aber hauptsächlich auf die Lage von Konvertierten bei einer Rückkehr in den Iran. Details dazu entnehmen sie bitte dem Originalzitat im Anhang (siehe SFH, 23. November 2023, S. 26-28).
Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 10. Juli 2024)
· AA – Auswärtiges Amt: Amtshilfeersuchen in Asyl- und Rückführungsangelegenheiten, Iran, Verwaltungsgericht Oldenburg, veröffentlicht von Frag Den Staat, 29. November 2021
https://fragdenstaat.de/dokumente/144498-aa-iran-vg-oldenburg/
· ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zum Iran: Überwachung von Aktivitäten im Ausland (exilpolitische Aktivitäten, Konversion) [a-11025], 5. Juli 2019
https://www.ecoi.net/de/dokument/2012531.html
· BVwG – Bundesverwaltungsgericht: Entscheidungstext W2312282455-1, 19. März 2024
https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Bvwg/BVWGT_20240319_W231_2282455_1_00/BVWGT_20240319_W231_2282455_1_00.pdf
· CGRS-CEDOCA – Office of the Commissioner General for Refugees and Stateless Persons (Belgium), COI unit: Iran; Surveillance van de diaspora door de Iraanse autoriteiten, 10. Mai 2023
https://www.ecoi.net/en/file/local/2092670/coi_focus_iran._surveillance_van_de_diaspora_door_de_iraanse_autoriteiten_20230510.pdf
· Guardian (The): Iranian activists across Europe are targets of threats and harassment, 22. September 2023
https://www.theguardian.com/world/2023/sep/22/iranian-activists-across-europe-are-targets-of-threats-and-harassment
· Guardian (The): ‘We live with a gun to our heads’: how Iran is targeting protesters in Britain, 18. Dezember 2023
https://www.theguardian.com/global-development/2023/dec/18/we-live-with-a-gun-to-our-heads-how-iran-is-targeting-protesters-in-britain
· Iran International: Iranian Regime Agents Threaten Dissident Expats In Europe, 1. Juli 2023
https://www.iranintl.com/en/202301063775
· Iran Wire: Crackdown on Diaspora Dissenters: Surge in Passport Seizures at Iranian Airports, 20. Februar 2024
https://iranwire.com/en/features/125545-crackdown-on-diaspora-dissenters-surge-in-passport-seizures-at-iranian-airports/
· Iran Wire: IranWire Exclusive: Iran Systematically Targets Families of Arab Activists Abroad, 27. März 2024
https://iranwire.com/en/features/126749-iranwire-exclusive-iran-systematically-targets-families-of-arab-activists-abroad/
· IRB – Immigration and Refugee Board of Canada: Iran: Monitoring of Iranian citizens outside of Iran, including political opponents and Christians, by Iranian authorities; monitoring of Iranian citizens in Canada; consequences upon return to Iran (2021–March 2023) [IRN201321.E], 2. März 2023
https://www.ecoi.net/de/dokument/2090343.html
· IRB - Immigration and Refugee Board of Canada: Iran: Treatment by the authorities of anti-government activists, including those returning from abroad; treatment of individuals critical of the state response to the 2020 Ukraine International Airlines (UIA) Flight 752 (PS752) downing (2022–March 2024) [IRN201806.E], 23. Mai 2024
https://www.ecoi.net/de/dokument/2112097.html
· Katzman, Kenneth: Explainer: Tactics of Iranian Intelligence, USIP (Hg.), 17. Februar 2023
https://iranprimer.usip.org/blog/2023/feb/17/explainer-how-iran%E2%80%99s-intelligence-agencies-work
· Landinfo – Norwegian Country of Origin Information Centre: Iran; Internett og sosiale medier, 9. November 2022
https://www.ecoi.net/en/file/local/2083376/Temanotat-Iran-Internett-og-sosiale-medier-09112022.pdf
· Landinfo – Norwegian Country of Origin Information Centre: Iran; Reaksjoner mot iranere i eksil, 28. November 2022
https://www.ecoi.net/en/file/local/2083379/Temanotat-Iran-Reaksjoner-mot-iranere-i-eksil-28112022.pdf
· SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe: Iran: Gefährdung von Konvertierten, 23. November 2023
https://www.ecoi.net/en/file/local/2106092/231123_IRN_Conversion_D_Version_final.pdf
· SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe: Iran: Überwachung der Diaspora, 24. November 2023a
https://www.ecoi.net/en/file/local/2106094/231124_IRN_UEberwachung_Diaspora.pdf
· SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe: Iran: Überwachung von Demonstrationen im Ausland, 24. November 2023b
https://www.ecoi.net/en/file/local/2106093/231124_IRN_Demonstrationen_Diaspora.pdf
· SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe: Iran: Überwachung der sozialen Medien im Ausland, 25. November 2023
https://www.ecoi.net/en/file/local/2106095/231125_IRN_UEberwachung_sozialeMedien_Diaspora.pdf
· Washington Post (The): Rise in Iranian assassination, kidnapping plots alarms Western officials, 1. Dezember 2022
https://www.washingtonpost.com/world/2022/12/01/iran-kidnapping-assassination-plots/
Anhang: Quellenbeschreibungen und Informationen aus ausgewählten Quellen
Das Auswärtige Amt (AA) ist das Ministerium der Bundesrepublik Deutschland, das für die Außen- und Europapolitik des Landes zuständig ist.
· AA – Auswärtiges Amt: Amtshilfeersuchen in Asyl- und Rückführungsangelegenheiten, Iran, Verwaltungsgericht Oldenburg, veröffentlicht von Frag Den Staat, 29. November 2021
https://fragdenstaat.de/dokumente/144498-aa-iran-vg-oldenburg/
„Nach Einschätzung des Auswärtigen Amts ist davon auszugehen, dass die iranischen Behörden auch im Ausland sehr aktiv sind in der Überwachung ihrer Staatsangehörigen. Es gibt Hinweise darauf, dass eine Bekanntmachung der Konversion zum Christentum auf Facebook im Ausland den iranischen Behörden nicht nur bekannt werden kann, sondern sehr wahrscheinlich auch zu einer Überwachung durch die Behörden führen kann.“ (AA, 29. November 2021, S. 2)
„Es ist nicht möglich, pauschal vorherzusagen, wie eine Person nach Rückkehr behandelt wird. Muslimen ist es nach iranischem Recht verboten zu konvertieren (‚Abfall vom Glauben‘). Der Abfall vom Islam (Apostasie) kann mit schwersten Sanktionen bis hin zur Todesstrafe geahndet werden. Allerdings ist es nach Kenntnis des Auswärtigen Amts in den letzten 20 Jahren zu keiner Hinrichtung aus diesem Grund gekommen. Auch für die Tatbestände Kampf gegen Gott (mohareb), Beleidigung oder Entweihung von heiligen Institutionen des Islam oder heiligen Personen (z.B. durch Missionstätigkeit) kann die Todesstrafe verhängt werden. Über Repressionen gegen muslimische Konvertiten in konkreten Fällen berichten u.a. Organisationen wie Articlel8 (https://articleeighteen.com), Mohabat News (https://mohabatnews.com), Open Doors Deutschland e.V. (https://opendoors.de), Schweizerische Flüchtlingshilfe (htttps://fluechtlingshilfe.ch). Auf den gemeinsamen Bericht der dänischen Einwanderungsbehörde Danish Immigration Service und dem Danish Refugee Council vom Februar 2018, der das Verhaftungsrisiko von Konvertiten einordnet und dabei auch die Rolle von sozialen Medien thematisiert, wird hingewiesen. ,If someone has announced his/her Christianity on Facebook while abroad, the person would probably be surveyed by the Iranian authorities. However, declaring your conversion on Facebook in itself does not mean that you will be persecuted but monitored, if retuming to Iran. If you are open about your activities, an arrest or interrogation by the govemment upon retum is not unlikely. But declaring you are a Christian when you retum to Iran, will cage you into a life of no rights, and put you at risk. Being a Christian is considered a political opposition to the regime.” (AA, 29. November 2021, S. 2-3)
„Das Auswärtige Amt geht davon aus, dass exilpolitische Aktivitäten von Iranern im Ausland im Internet überwacht werden. Ob flächendeckend alle Tätigkeiten überwacht werden, ist nicht bekannt. […]
Es ist nicht möglich, pauschal vorherzusagen, wie eine Person nach Rückkehr behandelt wird. Die Behandlung von Iranern, die sich regimekritisch geäußert haben, ist von Fall zu Fall verschieden. Das Auswärtige Amt kann nicht ausschließen, dass auch eine Person, die keine hohe Sichtbarkeit als Aktivist hat, bei Rückkehr für ihre politischen Aktivitäten verhaftet wird.“ (AA, 29. November 2021, S. 4)
„Das Auswärtige Amt geht davon aus, dass sowohl exilpolitische Betätigung im Internet als auch außerhalb des Internets Repressionen nach sich ziehen können. […]
Wie oben dargestellt hängt die konkrete Behandlung durch die iranischen Behörden vom konkreten Fall ab. Es ist zumindest mit einer Befragung durch die iranischen Behörden zu rechnen, möglicherweise auch Vorladung, Inhaftierung bis hin zu einer Verurteilung, abhängig von der Bewertung der exilpolitischen Tätigkeiten durch die iranischen Behörden.“ (AA, 29. November 2021, S. 5)
Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ist österreichweit die zentrale Anlaufstelle für Beschwerden gegen Behördenentscheidungen in Angelegenheiten der unmittelbaren Bundesverwaltung.
· BVwG – Bundesverwaltungsgericht: Entscheidungstext W2312282455-1, 19. März 2024
https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Bvwg/BVWGT_20240319_W231_2282455_1_00/BVWGT_20240319_W231_2282455_1_00.pdf
„Das Ansuchen um Asyl im Ausland ist an sich nicht strafbar und auch kein Grund, die iranische Staatsbürgerschaft zu verlieren (MBZ 31.5.2022). Allein der Umstand, dass eine Person einen Asylantrag gestellt hat, löst bei einer Rückkehr keine staatlichen Repressionen aus (AA 30.11.2022). Eine von der belgischen Herkunfstländerrechercheeinheit CEDOCA im Jänner 2023 durchgeführte Recherche zu diesbezüglichen Fällen blieb ergebnislos (CGRS-CEDOCA 10.5.2023). Im Allgemeinen schenken die Behörden abgelehnten Asylwerbern bei ihrer Rückkehr nach Iran wenig Beachtung. Das australische Außenministerium geht davon aus, dass ihre Aktivitäten (einschließlich Beiträgen in sozialen Medien über Aktivitäten vor Ort) von den Behörden nicht routinemäßig untersucht werden. Die Behörden können allerdings in den sozialen Medien einsehbare Aktivitäten von in Australien (oder anderswo) bekannten Iranern überprüfen (DFAT 24.7.2023) und laut einem von CEDOCA befragten Experten wird es immer üblicher, dass die Behörden Rückkehrer anweisen, ihre Konten in sozialen Netzwerken offenzulegen (CGRS-CEDOCA 10.5.2023). Einer vom niederländischen Außenministerium befragten Quelle zufolge befragen die Behörden fast jede Person, von der sie wissen, dass sie einen Asylantrag gestellt hat, um herauszufinden, was der Grund für den Asylantrag war und ob sich die Person nicht politisch oder religiös betätigt hat. Ob Rückkehrer im Ausland einen Asylantrag gestellt haben, können die Behörden beispielsweise durch Angehörige oder Freunde der Betroffenen erfahren, durch abgehörte Kommunikation oder aufgrund einer Durchsicht von Inhalten in den sozialen Medien (MBZ 9.2023). An Personen, die seitens iranischer Sicherheitsbehörden als ernsthafte Regimegegner identifiziert wurden, besteht ein Verfolgungsinteresse (AA 30.11.2022).
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Rückkehrer aufgrund der Protestbewegung ab September 2022 verstärkt von den Sicherheitsdiensten überprüft werden. Bereits vor den aktuellen Protesten ist es in Einzelfällen zu einer Befragung durch die Sicherheitsbehörden über den Auslandsaufenthalt gekommen, deren Ausgang sich zum Beispiel der Kenntnis des Auswärtigen Amts der Bundesrepublik Deutschland entzieht. Bisher ist dem Auswärtigen Amt kein Fall bekannt, in dem Zurückgeführte im Rahmen dieser Befragungen psychisch oder physisch gefoltert worden sind (AA 30.11.2022). Eine andere Quelle betont, dass aus Europa zurückkehrende Asylwerber gefährdet sind, von den iranischen Behörden befragt, verhaftet und in manchen Fällen auch gefoltert und getötet zu werden, wenn die Behörden sie mit politischem Aktivismus in Verbindung bringen (DIS 7.2.2020).
Es gibt leicht unterschiedliche Ansichten darüber, was das Interesse der Behörden an einem abgelehnten Asylwerber wecken könnte. Allgemein herrscht der Eindruck vor, dass diejenigen, die vor ihrer Ausreise aus Iran Gegenstand negativer behördlicher Aufmerksamkeit waren, bei ihrer Rückkehr mit Reaktionen rechnen müssen. Als weiterer Faktor wird die Art der Informationen genannt, welche Behörden über die Aktivitäten einer Person im Ausland erhalten haben, und ob diese Aktivitäten dem Regime schaden - oder ihm möglicherweise nützen - könnten (Landinfo 21.1.2021). Einer Quelle zufolge spielt der ethnische oder religiöse Hintergrund oder die sexuelle Orientierung eines Rückkehrers für sich genommen keine Rolle. Einer anderen Quelle zufolge können diese Faktoren eine kumulierende Wirkung haben (MBZ 31.5.2022; vgl. MBZ 9.2023).
Insbesondere in Fällen, in denen Iran illegal verlassen worden ist, muss mit einer Befragung gerechnet werden. Im Rahmen der Befragung wird der Reisepass regelmäßig einbehalten und eine Ausreisesperre ausgesprochen (AA 30.11.2022). Wenn Personen mit einem Laissez-Passer anstelle eines regulären Reisedokuments ins Land zurückkehren, kann dies zu Befragungen führen, da dies bedeuten könnte, dass die betroffenen Personen illegal ausgereist sind und/oder um internationalen Schutz im Ausland angesucht haben (CGRS-CEDOCA 10.5.2023; vgl. MBZ 9.2023). Eine juristische Quelle in Iran vom Dezember 2020 erklärte, dass im Falle einer illegalen Ausreise die häufigste Strafe eine Geldstrafe oder eine Gefängnisstrafe auf Bewährung ist, es sei denn, die Person wird zusätzlich anderer Straftaten verdächtigt. Wenn die Person Iran illegal verlassen hat, um einer strafrechtlichen Verfolgung zu entgehen, oder in kriminelle Aktivitäten wie Schmuggel, Menschenhandel oder Aktivitäten militanter Gruppen an der Grenze verwickelt ist, ist die Reaktion wesentlich schärfer (CGRS-CEDOCA 10.5.2023).
Einige Mitglieder der iranischen Diaspora kehren regelmäßig nach Iran zurück, zum Beispiel für einen Urlaub oder um Verwandte zu besuchen (MBZ 9.2023). Es hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, ob jemand nach der Rückkehr befragt wird. Oft wird erst im Laufe der Zeit klar, ob eine echte Bedrohung vorliegt (MBZ 31.5.2022). Iranreisende - sowohl iranische als auch z. B. deutsche Staatsangehörige - müssen seit einiger Zeit verstärkt damit rechnen, dort willkürlich verhaftet und möglicherweise auch angeklagt zu werden (BMIH/BfV 20.6.2023). Politische Aktivisten und andere, die als Bedrohung angesehen werden, werden beobachtet und haben das Gefühl, sich nicht frei bewegen zu können (MBZ 31.5.2022). Ferner häufen sich seit 2022 gezielte nachrichtendienstliche Ansprachen zum Zweck einer Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit iranischen Nachrichtendiensten. Dies gilt insbesondere für Personen, die durch iranische Stellen mit einer oppositionellen Gruppierung in Verbindung gebracht werden oder bei denen Kontakte zu Personen aus der oppositionellen Szene vermutet werden. Zudem besteht die Gefahr, dass Mobilfunkgeräte und Informations und Kommunikationshardware ausgelesen oder manipuliert werden (BMIH/BfV 20.6.2023). Es gibt auch Berichte, dass Einzelpersonen unter Druck gesetzt werden, die Passwörter ihrer Social-Media-Konten herauszugeben. Dadurch erhalten die Behörden Zugang zu sozialen Netzwerken innerhalb und außerhalb Irans (MBZ 9.2023). Eine Befragung von aus dem Ausland zurückkehrenden Iranerinnen und Iranern kann bei der Ankunft am Flughafen durch Geheimdienstmitarbeiter erfolgen (IRINTL 7.1.2022; vgl. MBZ 31.5.2022), oder zu einem späteren Zeitpunkt, in der Wohnung des Befragten und durch die lokalen Behörden (MBZ 31.5.2022). Ebenso kommt es vor, dass es Rückkehrern nach ihrer Ankunft am Flughafen erlaubt wird, nach Iran einzureisen, und sie dann zu einem späteren Zeitpunkt von den iranischen Behörden strafrechtlich verfolgt werden. Einer Quelle zufolge nehmen die Behörden Rückkehrer in der Regel nicht gleich bei der Ankunft am Flughafen fest, weil sie dort sichtbar sind und von den vielen anwesenden Personen mit ihren Handys gefilmt werden könnten. Den Rückkehrern wird dann am Flughafen zum Beispiel gesagt, dass etwas mit ihrem Pass nicht stimmt oder dass ein Bußgeld aussteht, und dass sie sich später an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit melden sollen (MBZ 9.2023).
Es gibt nur wenige Informationen über die Situation von Iranern, die nach Iran zurückkehren, im Allgemeinen und von zurückgekehrten Antragstellern auf internationalen Schutz im Besonderen (CGRS-CEDOCA 10.5.2023). Zum Thema Rückkehrer gibt es nach wie vor kein systematisches Monitoring, das allgemeine Rückschlüsse auf die Behandlung von Rückkehrern zulassen würde (ÖB Teheran 11.2021; vgl. CGRS-CEDOCA 10.5.2023). In Einzelfällen konnte im Falle von Rückkehrern aus Deutschland festgestellt werden, dass diese bei niederschwelligem Verhalten und beim Abstandnehmen von politischen Aktivitäten, mit Ausnahme von Einvernahmen durch die iranischen Behörden unmittelbar nach der Einreise, keine Repressalien zu gewärtigen hatten. Allerdings ist davon auszugehen, dass Rückkehrer keinen aktiven Botschaftskontakt pflegen, der ein seriöses Monitoring ihrer Situation zulassen würde. Auch IOM Iran, die in Iran Unterstützungsleistungen für freiwillige Rückkehrer im Rahmen des ERIN-Programms anbietet, unternimmt ein Monitoring nur hinsichtlich der wirtschaftlichen Wiedereingliederung der Rückkehrer, nicht jedoch im Hinblick auf die ursprünglich vorgebrachten Fluchtgründe und die Erfahrungen mit Behörden nach ihrer Rückkehr (ÖB Teheran 11.2021).
Das iranische Außenministerium hat im Dezember 2021 ein Webportal eingerichtet, auf dem Iraner, die sich im Ausland aufhalten und eine Rückkehr nach Iran erwägen, ihre Daten hochladen können, woraufhin ihnen mitgeteilt wird, ob sie sicher und ungehindert ein- und ausreisen können oder ob es offene Fälle gegen sie gibt. Allerdings ist nicht jeder in der iranischen Diaspora davon überzeugt, dass dieses System funktioniert und dass er oder sie ohne Bedenken nach Iran reisen kann. Ein Grund dafür ist, dass nicht alle iranischen Nachrichtendienste koordiniert zusammenarbeiten und daher immer die Möglichkeit besteht, dass Rückkehrer dennoch aufgegriffen werden (IRINTL 7.1.2022; vgl. MBZ 9.2023).“ (BVwG, 19. März 2024, S. 28-30)
The Guardian ist eine britische Tageszeitung.
· Guardian (The): Iranian activists across Europe are targets of threats and harassment, 22. September 2023
https://www.theguardian.com/world/2023/sep/22/iranian-activists-across-europe-are-targets-of-threats-and-harassment
„Iran and its agents appear to be orchestrating a Europe-wide campaign of harassment, surveillance, kidnap plots and death threats targeting political activists who are protesting against the regime. The Guardian has spoken to 15 Iranian campaigners who have been targeted in similar acts of repression across the UK, France, Germany, Spain, Switzerland and Sweden. In most of the cases, the activists have been warned by western police or security agencies that Iran is behind credible threats to their life in retribution for their activism on European soil. The attacks include hacking, cyber-attacks and online harassment that can include thousands of death threats sent over a week, and real-world threats. Two activists in different countries have had their car tyres slashed in the last year, which they suspect was done by Iranian agents. Several report having been followed home from meetings by suspicious men. An Iranian government spokesperson denied all accusations of wrongdoing. […]
Among those targeted are Maryam Banihashemi, the face of the Iranian women’s movement in Switzerland, where she has lived since 2016. She has grown used to receiving death threats on social media after publicly calling for regime change in Iran. She believes she has been followed home after attending political events, twice in Zurich and again after a meeting with a Swiss MP [Member of Parliament] in parliament in Berne. […]
Another recipient of a death threat was Farzane, an Iranian based in Spain who asked not to use her last name. In February, she received a threat via a Telegram account purporting to speak for the Iranian regime. Spanish police have been unable to identify the sender, who wrote: ‘We are going to look for you in Madrid and we are going to kill you. Just like the rest of your friends were arrested and executed in Iran, you too will be punished.’ Farzane reported being followed home from political meetings in Madrid after dark by someone she believes to be an Iranian agent. Spanish police inspected her house and opened an investigation but she says they closed it two months later. She continues organising protests but lives in a state of constant anxiety. She said: ‘I am paying taxes to the Spanish government, I expect to be protected. They know the situation, they don’t care.’ […]
Shadi Amin, an Iranian LGBTQ+ activist in Germany, was warned by the security services there that she was under threat from Iranian hackers and agents. The police came to her house to check the locks and bolts on the door, and spent weeks inspecting her digital devices, which she was later advised not to use due to the threat from Iran’s hackers. […] Another LGBTQ+ activist in Germany, Mina Khani, was provided with bodyguards by the state and warned by the German security services that her personal details were being circulated on Iranian hacker forums.
Suspected Iranian hackers have targeted activists in France with phishing attacks and in the UK with attempts to hijack their Google accounts. One sophisticated phishing campaign, detected by an NGO supporting Iranian activists, Miaan Group, targeted journalists and activists outside Iran who used Gmail, trying to trick them with fake Google Drive links. […]
When Alireza Akhondi, a Swedish MP of Iranian descent who has been a vocal critic of the Revolutionary Guards, travelled to Brussels earlier this year, Swedish security services advised him to wear a bulletproof vest. Police issued him with a personal alarm for emergencies. He said that when he first started receiving death threats over the phone, he did not take them seriously. Warnings from security agencies changed his stance. ‘Now I constantly watch my back, I take a different route home every day, I check under my car before getting in. I am constantly on the watch,’ Akhondi said.
In France, police have issued travel warnings to women organising protests against Iran’s regime, warning there is a risk they could be kidnapped by a country that has a long history of hostage-taking. They were specifically warned not to travel to Turkey or the UAE [United Arab Emirates]. ‘They explained to me that Iran’s target is people having a media impact, especially on public opinion,’ said Mona Jaffarian, who has led protests in France.
Where Iran has been unable to silence reformers overseas, the regime has targeted their family members in Iran.
Fariba Borhanzehi, a Baluchi activist living in London, testified against Iran’s government in the European parliament in April. Two months later, while attending a women’s leadership workshop for Iranian activists in London, she discovered that her son, a British resident, had been arrested on espionage charges while visiting Iran and accused of collaborating with British intelligence. Her son was released on bail in August but has had his UK residence permit confiscated and cannot travel back to London. […]
Mahmoud Maleki, a spokesperson for the Iranian embassy in London, said the accusations were unsubstantiated and lacking in evidence, and questioned the motives of those making them. He added: ‘We can categorically reject all those claims like harassment, surveillance, kidnap plots and death threats, as well as hacking, cyber-attacks and online harassment.’’ (The Guardian, 22. September 2023)
· Guardian (The): ‘We live with a gun to our heads’: how Iran is targeting protesters in Britain, 18. Dezember 2023
https://www.theguardian.com/global-development/2023/dec/18/we-live-with-a-gun-to-our-heads-how-iran-is-targeting-protesters-in-britain
„After helping to organise protests outside Manchester University and in St Peter’s Square, Soudabeh held a sit-in protest in front of the Islamic Centre in Manchester. This year, an MP [Member of Parliament] said in parliament that the Islamic Centre of England ‘is accused of having links to the Iranian regime’. Soon Soudabeh started receiving threats online and intimidation in person for her role in organising the protests. At one of the protests someone she didn’t recognise whispered to her the names of her family members. ‘They would tell us our address back home [in Iran] and then ask: ‘Do you want your sister to face the consequences of your actions here?’’ […] ‘None of us [who protested] can go back to Iran and we’re not safe in this country either unless the government takes steps to identify those threatening us on behalf of the Islamic Republic,’ she says.
The Guardian has spoken to a number of Iranians living in the UK who have taken part in or organised protests in the UK over the past year since Amini’s death and continue to fear for their lives. Iran is increasingly targeting people outside its borders in a tactic known as transnational repression, which aims to stifle debate or criticism. Last week, the foreign secretary, David Cameron, said the Iranian regime continued to ‘threaten people on UK soil’, and that there had been at least 15 credible threats to kill or kidnap British nationals and others living in the UK since the beginning of 2022. The regime has called publicly for the killing of these individuals and in some cases detained and harassed their families in Iran, a UK government statement said. BBC [British Broadcasting Corporation] staff in London told the Guardian this year that they fear walking outside alone after being harassed by the Iranian authorities, with family members based in Iran also being detained arbitrarily. A civil rights activist from the human rights group United for Mahsa says many activists have had to pause their activities or work anonymously due to the threats to their lives. ‘I look over my shoulder all the time ever since the diaspora started receiving online and offline threats from pro-regime individuals living inside this country,’ she says. ‘I don’t feel safe online or on the streets. The Islamic Republic runs a very strong online campaign to target dissidents in the west.’
British-Iranian activist and former political prisoner Vahid Beheshti has been staging an ongoing protest outside the Foreign Office in London calling for Iran’s Revolutionary Guards to be labelled as a terror group. He says a fatwa had been issued against him and he was recently threatened by someone who told him: ‘I am going to cut your neck today.’ Beheshti says the man was later arrested by the police, who told him a knife was found during the arrest. ‘This is what we are living through here every day. We Iranians are living with a gun pointed at our heads. I told the police here that every day I feel like it’s my last day.’
Some of the activists interviewed by the Guardian say they have also been victims of stalking, online doxing and character assassinations led by those supporting the regime in the UK.
‘My very first understanding of going to protests in London was that I’d wear sunglasses, a mask and a hat to avoid being identified, not because of repercussions potentially on myself, but for repercussions on my family, if I was identified,’ says Donya, 23, who also wanted to be identified only by her first name. In October 2022 Donya started a social media campaign, Be Iran’s Voice, publishing content about protests happening inside Iran and across the world. She says she has been heavily harassed on social media since starting the campaign, including having her full name posted online. ‘I strongly believe these are deterrents created by the regime and then deployed by undercover members of the regime to try to dismantle and sway public opinion of potentially influential women or figures in the community and try to disempower them and try to discredit them for what they are doing,’ she says. Donya revealed she’s now careful about what she posts online, makes sure someone walks with her to the station when she’s in London for a protest, and ensures that someone has her location and knows her time schedule.” (The Guardian, 18. Dezember 2023)
Iran International ist ein Nachrichtensender mit Hauptsitz in London.
· Iran International: Iranian Regime Agents Threaten Dissident Expats In Europe, 1. Juli 2023
https://www.iranintl.com/en/202301063775
„An audio file shared on social media has revealed that the regime threatens Iranians abroad for taking part in anti-government protests and expressing opposition. In the audio file published by the VOA [Voice of America] Farsi service on Thursday, a security agent of the Islamic Republic, who introduces himself as an agent of the intelligence ministry, threatens ‘Massi Kamri’, an Iranian activist living in France, saying if she does not stop acting against the regime, they will imprison her parents and family members in Iran. Apparently, she participated in rallies against the Islamic Republic’s bloody crackdown on antigovernment protests that have engulfed Iran following the death in custody of 22-year-old Mahsa Amini. Using an insulting tone, the agent tells Kamri if she cares about her family and does not want them to be taken to the notorious Evin prison in Tehran she should not engage in anti-Islamic Republic activities. The agent also says she must stop sharing Instagram stories and posts that encourage people in Iran to chant slogans and hold protests. In another part of the recording, Kamri says her Instagram page is private and no one except her followers could see her posts, but the person from the intelligence ministry claims he has access to her page, saying ‘it’s right now open in front of me!’” (Iran International, 1. Juli 2023)
IranWire ist laut eigenen Angaben eine gemeinschaftliche Nachrichten-Website, die von iranischen Journalist·innen in der Diaspora und Bürgerjournalist·innen im Iran betrieben wird.
· Iran Wire: Crackdown on Diaspora Dissenters: Surge in Passport Seizures at Iranian Airports, 20. Februar 2024
https://iranwire.com/en/features/125545-crackdown-on-diaspora-dissenters-surge-in-passport-seizures-at-iranian-airports/
„The Islamic Republic's authorities have been cracking down on members of the Iranian diaspora who participate in protest rallies outside Iran, IranWire reveals. Since Mahsa Amini's death numerous incidents have emerged, including arrests on espionage charges, interrogations at airports, confiscation and examination of mobile phones and laptops, passport seizures, and reports of Iranians living abroad being approached for espionage. However, recent developments suggest that security institutions have shifted their focus to individuals who participated in an anti-Islamic Republic rally in Berlin on October 22, 2022.
IranWire has conducted interviews with 17 individuals whose passports and electronic devices were confiscated at various Iranian airports over the past fortnight. Despite the rhetoric of various Iranian officials welcoming the return of Iranians residing abroad, Iranians who participated in the Berlin rally have had their passports, mobile phones, laptops, and other electronic devices confiscated at Tehran Airport. In exchange, they received a receipt containing the date when the seizures occurred and the address of the General Passport Office.
On October 22, 2022, a large rally was organized in Berlin at the invitation of Hamed Esmaeilion, the former spokesperson of the Association of Families of Flight PS752 Victims, with an estimated 80,000 participants. ‘Upon passing passport control, I was escorted to a dimly lit room by several individuals,’ one individual subjected to multiple interrogations in recent weeks recounted to IranWire. ‘They rudely confiscated my passport, mobile phone and laptop, issuing a receipt instructing me to visit the General Passport Office in 10 days,’ the individual said. Another person who went through a similar experience at Shiraz's Dastgheib airport stated: ‘They seized my passport, mobile phone and iPad without inquiry, giving me a form to visit the passport office. The appointment was set two months later, despite my three-week trip to Iran.’
The number of Iranian diaspora members facing passport confiscation at various airports is immeasurable. However, it's evident that in recent weeks, security institutions have intensified pressure on this group, with IranWire receiving reports of dozens of Iranians effectively being detained in the country every week.
One individual recounted being subjected to prolonged interrogation, spending hours with eyes blindfolded, after visiting the General Passport Office in Tehran. During an interview with IranWire, he disclosed that the majority of the interrogation focused on the Berlin rally. Interrogators pressed him to confess that the People's Mojahedin Organization of Iran had funded his trip to Berlin. Another person revealed that he underwent three interrogation sessions at his local passport office. Apart from questioning his involvement in the Berlin rally, interrogators pressured him to admit ties with Israeli spy agencies. An indictment has been submitted to the prosecutor's office against Iranian diaspora members, charging them with ‘gathering and collusion against national security,’ and in some instances, ‘propaganda against the Islamic Republic.’” (Iran Wire, 20. Februar 2024)
· Iran Wire: IranWire Exclusive: Iran Systematically Targets Families of Arab Activists Abroad, 27. März 2024
https://iranwire.com/en/features/126749-iranwire-exclusive-iran-systematically-targets-families-of-arab-activists-abroad/
„IranWire has obtained information and documents revealing a systematic and premeditated campaign by security forces of the Islamic Republic to persecute the families of Arab political activists who have fled Iran. This is being done to thwart their activities. Several of these activists disclosed to IranWire that not only were their immediate family members, including elderly parents, spouses, and children, subjected to repeated harassment and summonses, but also extended family members, such as uncles and cousins, were targeted and sometimes coerced to relocate to Turkey.” (Iran Wire, 27. März 2024)
Das Immigration and Refugee Board of Canada (IRB) ist ein unabhängiges Verwaltungstribunal, das für Entscheidungen in Asyl- und Einwanderungsverfahren zuständig ist.
· IRB – Immigration and Refugee Board of Canada: Iran: Monitoring of Iranian citizens outside of Iran, including political opponents and Christians, by Iranian authorities; monitoring of Iranian citizens in Canada; consequences upon return to Iran (2021–March 2023) [IRN201321.E], 2. März 2023
https://www.ecoi.net/de/dokument/2090343.html
„For information on the treatment by authorities of anti-government activists, including those returning from abroad, and on the overseas monitoring capabilities of the government, see Response to Information Request IRN200457 of February 2021. […]
1.1 Iranian Authorities' Monitoring of Iranian Citizens in Canada
The lawyer stated that they are aware of cases in which individuals suspect they are being physically monitored in Canada by Iranian authorities (2023-02-07). The same source noted the example of an Iranian activist in Canada whose family in Iran was visited by authorities; authorities provided the family members with information indicating that they were aware of the activist's day-to-day activities in Canada—information that authorities ‘could only know if they were closely physically monitoring’ the activist in Canada (Lawyer 2023-02-07). In an interview with the Research Directorate, a retired professor at York University who has published books and articles on the leftist movement in Iran, diaspora, religious fundamentalism, secularism and multiculturalism, stated that Iranian authorities ‘want to put pressure’ on the families of those abroad ‘who are doing things they disagree with’ (Retired professor 2023-02-01).
In an interview with the Research Directorate, a cybersecurity analyst at a US-based human rights organization focused on Iran and the Middle East—who is also a women's rights activist and was imprisoned in Iran for protesting the mandatory hijab, before fleeing to Canada—indicated that [in 2022], her brother in Iran was ‘arrested’ and ‘interrogat[ed]’ by authorities for 10 hours, during which time authorities asked him how the analyst had fled Iran and where she was now employed abroad (Cybersecurity analyst 2023-02-01). The same source added that her brother was also terminated from his employment at that time (Cybersecurity analyst 2023-02-01). The cybersecurity analyst stated that two months [before her interview with the Research Directorate in February 2023], as a result of her work in Canada, her brother was again ‘arrested’ in Iran, and her family was ‘forced to block’ her on all social media telecommunications networks in order to secure the brother's release (2023-02-01).
The retired professor stated that authorities will also sometimes directly ‘threaten’ people in Canada, as they want to stop these people from being ‘active against the regime’ (2023-02-01). The cybersecurity analyst indicated that one month [prior to her interview with the Research Directorate], she received ‘threat[s]’ through social media, including ‘threats against [her] life,’ from accounts operating on behalf of Iranian authorities; some of the accounts were ‘real accounts’ belonging to state agents, including members of the IRGC [Islamic Revolutionary Guard Corps] Basij Paramilitary Force, and others were ‘bots commissioned by the Iranian military’ (2023-02-01). According to the same source, she also once received a Persian-language telephone call from an anonymous caller who told her that they were aware of her physical location in Canada, and who referenced her daughter ‘in a threatening way’ (Cybersecurity analyst 2023-02-01).
The retired professor noted that sometimes those monitoring Iranian citizens abroad on behalf of the Iranian regime are students or businesspeople who are asked to monitor their peers (2023-02-01). The same source stated that authorities are mainly interested in knowing what kinds of things these people are doing abroad (Retired professor 2023-02-01).
According to the cybersecurity analyst, to monitor its citizens in Canada, Iranian authorities use ‘phishing attacks’ to gain information about a person (2023-02-01). The source described an incident in which she was contacted via the professional networking site Linked·in by ‘Iranian agents’ who had ‘hacked’ the account of an acquaintance and who then sent the analyst a weblink which ‘hacked’ her email account and gained access to her passwords (Cybersecurity analyst 2023-02-01).
The information in the following paragraph was provided by the lawyer:
Iranian authorities monitor their citizens' participation in events or protests in Canada. Authorities also monitor the ‘television and online activities’ of its citizens abroad. Some individuals in Canada have had their family in Iran visited by authorities after they had participated in televised or online interviews; the lawyer reported having experienced this first-hand. Those monitored in Canada by Iranian authorities ‘certainly’ include people who are ‘very politically active,’ but can also include ordinary people ‘who might not engage in politics every day but may do so from time to time’ (Lawyer 2023-02-07).
The retired professor stated that because Iran does not recognize dual citizenship, even after a citizen has acquired Canadian citizenship or residency, the regime still considers them to be Iranian and will continue monitoring people of interest (2023-02-01).
According to a CBC [Canadian Broadcasting Corporation] article, family members in Canada of victims of Ukraine International Airlines Flight 752 (Flight PS752) have reported to the RCMP [Royal Canadian Mounted Police] that they have ‘been targeted for threats and intimidation by Tehran’ (2022-11-18). According to a 2021 article by the Canadian Press, a spokesperson for Global Affairs Canada indicated that the RCMP [Royal Canadian Mounted Police] are 'aware of reports' regarding family members of the flight's victims 'experiencing threats, harassment and intimidation' from Iranian authorities (2021-05-28). In its public report for 2021, the Canadian Security and Intelligence Service (CSIS) indicates that it ‘continues to investigate credible reports of several Canada-based relatives of Flight PS752 victims having experienced harassment and intimidation from threat actors linked to proxies of the Islamic Republic of Iran’ (Canada 2022-03, 18). The retired professor noted that the family members' spokesperson has received ‘many threats from Iranian authorities’ (2023-02-01).
In a statement provided to CBC, CSIS noted that it is investigating ‘multiple 'credible' death threats’ from Iran against people in Canada (2022-11-18). CSIS further stated that it is ‘aware of state actors from [Iran] monitoring and intimidating people inside Canada to silence those who speak out publicly against the regime’ (CBC 2022-11-18). […]
2. Consequences Upon Return to Iran
The lawyer indicated that upon their return to Iran, ‘some’ citizens whose activities abroad have been monitored by authorities are questioned on arrival at the airport (2023-02-07). The same source added that for ‘some’ returnees, authorities will retain the passport of the individual and will instruct them to return for additional questioning (Lawyer 2023-02-07). Further and corroborating information could not be found among the sources consulted by the Research Directorate within the time constraints of this Response.“ (IRB, 2. März 2023)
· IRB - Immigration and Refugee Board of Canada: Iran: Treatment by the authorities of anti-government activists, including those returning from abroad; treatment of individuals critical of the state response to the 2020 Ukraine International Airlines (UIA) Flight 752 (PS752) downing (2022–March 2024) [IRN201806.E], 23. Mai 2024
https://www.ecoi.net/de/dokument/2112097.html
„In an interview with the Research Directorate, a retired professor from York University, who has published books and articles in English and Persian on the leftist movement in Iran, religious fundamentalism, secularism, multiculturalism, and the diaspora, stated that anti-government activists would ‘definitely’ be detained when they return to Iran, and that ‘in most cases,’ this would happen ‘immediately’ upon their arrival (Retired Professor 2024-02-26). When asked the same question about the treatment of anti-government activists who return to Iran, the HRANA representative [a representative of the Human Rights Activists News Agency (HRANA)] indicated that regardless of whether they were political activists, students, or former refugees, an individual's treatment upon their return is ‘determined by their perceived threat to the regime,’ and this assessment is ‘influenced by a variety of factors,’ such as their activities abroad, their citizenship status, and which countries they are returning from (2024-03-01). The same source added that ‘particular scrutiny’ occurs for those with dual citizenship, individuals returning from ‘Sunni countries with connections to religious groups,’ and those returning from ‘Western countries due to political activities’ (HRANA 2024-03-01). […]
In a telephone interview with the Research Directorate, an assistant professor of political science at the University of Tennessee at Chattanooga, who studies authoritarian regimes with a focus on the Middle East and North Africa and has written about Iran, stated that people who attended protests and then went abroad and were not politically active while abroad will not face ‘consequences’ when they return unless there are ‘open files’ and charges or sentences; if there are ‘open files’ and charges or sentences, though, the person will be arrested (2021-01-23). The same source indicated that a person who was politically active abroad but stayed anonymous can return; however, ‘there is no way’ for a person who was politically active under their real name to return (Assistant Professor 2021-01-23).” (IRB, 23. Mai 2024)
“Human Rights Activists News Agency (HRANA) is a non-profit news organization established by a group of Iranian human rights activists that reports ‘daily news of human rights violations in Iran,’ and which receives funding from various non ‘political’ sources, including ‘donations’ from the National Endowment for Democracy (NED) (HRANA n.d.). The NED is a US nongovernmental ‘nonprofit foundation’ that is ‘largely’ funded by the US Congress (NED n.d.)” (IRB, 23. Mai 2024)
Kenneth Katzman ist ehemaliger CIA-Analyst und führender Iranspezialist beim Congressional Research Service. Das United States Institute of Peace (USIP) ist eine US-amerikanische Bundeseinrichtung zur Erforschung und Verhinderung gewaltsamer Konflikte.
· Katzman, Kenneth: Explainer: Tactics of Iranian Intelligence, USIP (Hg.), 17. Februar 2023
https://iranprimer.usip.org/blog/2023/feb/17/explainer-how-iran%E2%80%99s-intelligence-agencies-work
„Kenneth Katzman, a former CIA [Central Intelligence Agency] analyst and lead Iran specialist at the Congressional Research Service, is now a senior advisor at the Soufan Group. […]
In Europe and abroad, the [intelligence] agencies track dissidents in exile, some of whom have networks in Iran that agitate against the government. Intelligence agencies have targeted a broad range of exiled oppositionists, including monarchists, Kurdish separatist groups, dissidents who defected from the Islamic regime, and the Mujahedeen-e Khalq (MEK), a left-wing Islamist organization.“ (Katzman, 17. Februar 2023)
Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) ist ein Dachverband von Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen, die unter anderem Dienste zur Recherche über Herkunftsländerinformationen zur Verfügung stellen.
· SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe: Iran: Gefährdung von Konvertierten, 23. November 2023
https://www.ecoi.net/en/file/local/2106092/231123_IRN_Conversion_D_Version_final.pdf
„8.1 Überwachung im Ausland
Überwachung der Online-Aktivitäten von im Ausland aktiven Exil-Iraner*innen. Überwachung konzentriert sich mutmasslich vor allem auf vorrangige und einflussreiche Ziele, wie Journalist*innen und Aktivist*innen ethnischer Minderheiten. Es ist jedoch möglich, dass auch weniger bekannte Aktivist*innen, darunter auch Christ*innen, überwacht werden. Laut Cedoca, der Rechercheabteilung für Herkunftsländerinformationen des belgischen Office of the Commissioner General for Refugees and Stateless Persons (CGRS-Cedoca), die den Atlantic Council zitiert, beruhen die nachrichtendienstlichen Fähigkeiten des Iran vor allem darauf, dass eine grosse Anzahl von Personen für sie arbeitet und Online Veröffentlichungen überwacht. Ein auf den Iran spezialisierter Cybersicherheitsexperte, der von Cedoca befragt wurde, berichtet, dass die iranischen Behörden Aktivist*innen im Ausland überwachen, sich aber aufgrund fehlender Mittel auf vorrangige Ziele konzentrieren, darunter Journalist*innen und Aktivist*innen ethnischer Minderheiten. Auch Umweltaktivist*innen würden überwacht. Eine physische Überwachung sei möglich, aber seltener. Für die Online-Überwachung nutzen die Behörden vor allem öffentlich zugängliche Informationen aus dem Internet und greifen auf Cyberspionage-Tools wie Phishing und Identitätsdiebstahl der Zielperson oder einer nahestehenden Person zurück. Es komme auch vor, dass die Behörden Personen in Iran verhaften, um an die E-Mails von Zielpersonen im Ausland zu gelangen. Dem Experten zufolge entscheide der Grad des Einflusses einer Person darüber, ob eine Person zur Zielscheibe des Regimes werde. Dieser Einfluss könne zum Beispiel an der Anzahl der Follower in sozialen Netzwerken wie Twitter oder Instagram gemessen werden. Ein anderer iranischer Experte für Cybersicherheit, der von Cedoca befragt wurde, gab an, dass das Regime seine Überwachungsmethoden je nach Zielperson anpasse. Dissident*innen in der Diaspora, die ein hohes Profil hätten, würden mit Malware ins Visier genommen. Weniger bekannte Dissident*innen können in sozialen Netzwerken überwacht und ihre öffentlichen Nachrichten gelesen werden. Vor allem Anführende und Organisierende sowie diejenigen, die ein grosses Publikum hätten, würden überwacht. Laut dem Carnegie Endowment for International Peace, einem in den USA ansässigen Think Tank, zielen die iranischen Cyber-Operationen auch auf Christ*innen ab, insbesondere auf Evangelikale, deren Netzwerke sie mit Malware zu infiltrieren versuchen.“ (SFH, 23. November 2023, S. 24-25)
„Die iranischen Behörden sind in der Lage, im Ausland Informationen über die Zugehörigkeit einer Person zu einer christlichen Kirche zu sammeln. Wiederholte Berichte in Deutschland über Personen, die Fotos von iranischen Gläubigen in Kirchen machen. Laut Kontaktperson A haben die iranischen Behörden zweifellos die Fähigkeit, Informationen über iranische Diasporamitglieder in Europa und ihre mögliche Mitgliedschaft in einer christlichen Kirche zu sammeln. Auch Kontaktperson C hält es durchaus für möglich, dass die iranischen Behörden Informationen über iranische Diasporamitglieder in Europa und ihre mögliche Mitgliedschaft in einer christlichen Kirche sammeln können. Diese Quelle gibt an, dass der Iran über Geheimdienstagent*innen in westlichen Ländern verfügt, die sehr gut ausgebildet sind und die über erhebliche Ressourcen verfügen. Diese Agent*innen hätten auch Netzwerke in der iranischen Diaspora aufgebaut und würden regelmässig Gruppen infiltrieren, Andersdenkende aufspüren und diese manchmal sogar ermorden. Laut der Kontaktperson D hätten in den letzten Jahren mehrere deutsche Kirchen, die iranische Christ*innen aufnehmen, berichtet, dass Personen dabei erwischt wurden, wie sie während des Gottesdienstes Fotos von iranischen Gläubigen machten. Für diese Quelle ist es nicht verwunderlich, dass die iranischen Behörden versuchen, Informationen über iranische Christ*innen in Deutschland oder anderswo zu sammeln und die iranische Gemeinschaft, die die Kirchen besucht, zu infiltrieren. Die so gesammelten Informationen können dann verwendet werden, um Druck auf konvertierte Christ*innen und/oder ihre in Iran verbliebenen Familien auszuüben. In ihrem im Juni 2018 veröffentlichten Bericht berichtete die SFH, dass in Deutschland mehrere Fälle von Spionage durch iranische MOIS [Ministry of Intelligence and Security]-Agent*innen bekannt wurden und dass im Juli 2016 und März 2017 zwei Personen gerichtlich zu Haftstrafen verurteilt wurden, weil sie als Geheimagent*innen für den Iran tätig waren und die iranische Opposition im Exil ausspioniert hatten.“ (SFH, 23. November 2023, S. 25-26)
„8.2 Risiko für Verhaftung und Verhöre bei der Rückkehr in den Iran
Geringes Risiko einer Verhaftung bei der Rückkehr für eine Person, die vor ihrer Abreise nicht im Visier der Behörden war und ‚sich unauffällig verhält‘. Widersprüchliche Informationen über die Risiken, die mit der Online-Veröffentlichung von Informationen über eine Konversion verbunden sind. Laut IRB [Immigration and Refugee Board of Canada], das sich auf Informationen eines Menschenrechtsanwalts stützt, können iranische Staatsangehörige, deren Aktivitäten im Ausland von den Behörden überwacht wurden, bei ihrer Rückkehr verhört werden, wenn sie am Flughafen ankommen. Anderen können auch ihre Pässe abgenommen werden und sie müssen sich einer zusätzlichen Befragung unterziehen. Vom DFAT [Department of Foreign Affairs and Trade] befragten Quellen zufolge haben Iran-Rückkehrende, die vor ihrer Ausreise kein Aktivist*innenprofil hatten, bei ihrer Rückkehr nur ein geringes Risiko, die Aufmerksamkeit der Behörden auf sich zu ziehen, wenn sie sich ‚unauffällig verhalten‘. Dieser Umstand würde auch nicht durch mögliche Veröffentlichungen dieser Personen in sozialen Netzwerken über ihre Konversion zum Christentum während ihres Aufenthalts in einem westlichen Land beeinträchtigt. Kontaktperson A ist hingegen der Ansicht, dass die Online-Kommunikation über ihre Konversion für eine betroffen Person riskant ist und bei der Rückkehr zu einer Verhaftung führen kann. Diese Quelle führt das Beispiel eines iranisch-britischen Paares an, das in Grossbritannien zum Christentum konvertierte und dies online bekannt gab. Das Paar wurde bei einem Besuch in Iran festgenommen, inhaftiert und angeklagt. Es konnte schliesslich aus dem Land fliehen, nachdem es vorübergehend freigelassen wurde. In ihrem Bericht vom Juni 2018 wies die SFH darauf hin, dass verschiedene Quellen berichtet hatten, dass die Bekanntgabe einer Konversion im Ausland auf Facebook wahrscheinlich zu einer genaueren Überwachung durch die iranischen Behörden führen würde. Eine Quelle berichtete unter anderem, dass zwei Konvertierte unmittelbar nach ihrer Rückkehr aus Norwegen in den Iran verhört und festgenommen wurden und dass die Polizei offenbar sehr gut über ihre Aktivitäten in sozialen Netzwerken informiert war.“ (SFH, 23. November 2023, S. 26)
„Keine unterschiedliche Behandlung einer Person, die in Iran oder im Ausland konvertiert ist. Höheres Verfolgungsrisiko, wenn die Konversion der Person bekannt wird oder sie öffentlich über ihren Glauben spricht oder beschliesst, ihn in Iran offen zu praktizieren. In ihrem Bericht vom Juni 2018 berichtete die SFH, dass mehrere Quellen darauf hinwiesen, dass es keinen Unterschied in der Behandlung durch die Behörden gibt, ob eine Person in Iran oder im Ausland getauft wurde. Auch Kontaktperson B gab an, dass es keinen Unterschied in der Behandlung einer christlichen Person durch die Behörden gibt, die in Iran oder im Ausland konvertiert ist. Sie vermutete, dass dies vielmehr von der Aktivität der Person abhänge. Die Behörden fürchten sich vor allem vor ‚Werbung‘ und ‚Anwerbung‘. Wenn eine Person ihren Freund*innen von ihrer Religion und ihren Überzeugungen erzählt, könne dies bereits als eine Art der ‚Werbung‘ angesehen werden. In dieser Logik würde eine Person, die ausserhalb des Iran zum Christentum konvertiert und nicht öffentlich darüber spricht, vermutlich keine Bedrohung für die iranische Ideologie darstellen. Kontaktperson D ist der Ansicht, dass die Konversion einer Person im Ausland für die iranischen Behörden nicht unbedingt leicht zu erkennen ist, sondern dass es vielmehr die Schritte nach dem Glaubensübertritt sind, wie zum Beispiel das Erzählen in der Öffentlichkeit und die Kommunikation mit anderen Christ*innen, die Konvertierte gefährden. Für die Behörden sei dieser Aspekt der kollektiven und öffentlichen Manifestation des Glaubens nämlich am heikelsten. Das DFAT ist ausserdem der Ansicht, dass im Ausland konvertierte Personen, die sich dafür entscheiden, ihre Religion in Iran weiterhin auszuüben, mit einem hohen Mass an Diskriminierung und in einigen Fällen mit der Todesstrafe zu rechnen haben. In ihrem Bericht vom Juni 2018 wies die SFH darauf hin, dass mehrere Quellen berichtet hätten, dass Konvertierte, die in den Iran zurückgekehrt seien, Gefahr liefen, strafrechtlich verfolgt zu werden, wenn ihre Konversion offengelegt oder entdeckt würde, zum Beispiel durch den Besuch einer Hauskirche. Andere Quellen berichteten, dass Konvertierte ihren Glauben geheim halten müssen und daher ihren Glauben nicht frei ausüben können. Die meisten lebten in ständiger Angst, dass ihre Konversion entdeckt werde.“ (SFH, 23. November 2023, S. 26-27)
„Gefahr der Verhaftung und Schikanierung von Personen, die zwangsweise in den Iran zurückgeschickt werden. Zwischen 2012 und 2019 sollen fünf christliche Konvertierte, die aus Europa in den Iran zurückgeschickt wurden, bei ihrer Rückkehr festgenommen worden sein Laut Kontaktperson A wird jede iranische Person, die in ihr Heimatland zurückkehrt, wahrscheinlich einer Hintergrundüberprüfung in Bezug auf ihre Aktivitäten im Ausland, einschliesslich ihrer religiösen Aktivitäten, unterzogen. Nach Ansicht dieser Quelle ist es möglich, dass Iraner*innen, die im Ausland konvertiert sind, bei ihrer Rückkehr in den Iran festgenommen werden. Sofern diese Festnahmen nicht zu einer Inhaftierung oder Gefängnisstrafe führen und die festgenommene Person anschliessend aus dem Land flieht, würden solche Fälle in der Regel nicht gemeldet. Laut dieser Quelle gab es Berichte über Personen, die in den Iran zurückgeschickt wurden und bei ihrer Rückkehr von den Behörden befragt wurden, aus welchen Gründen sie Asyl beantragt hatten. Einige dieser Personen wurden erst nach mehreren Tagen oder Wochen freigelassen und gerieten dann in der Regel ins Visier der Behörden. Andere Personen wurden gezwungen, an islamischen Umerziehungskursen teilzunehmen, da ihnen sonst eine Inhaftierung drohte. Kontaktperson D berichtet, dass es nicht veröffentlichte Fälle von Festnahmen, Verhören und Inhaftierungen von Christ*innen gibt, die im Ausland aktiv waren. Aber nur diejenigen, bei denen nachgewiesen werden konnte, dass sie einer Hauskirche angehörten oder sich aktiv an einem christlichen Gottesdienst (auch online) beteiligten, seien mit Gefängnis oder Geldstrafen bestraft worden. Laut dem norwegischen Country of Origin Information Centre Landinfo, das die Iran-Expertin Anna Enayat zitiert, die im November 2019 in einem Fall über konvertierte Christ*innen ausgesagt hat, wird sich eine Person, die in einem europäischen Land zum Christentum konvertiert ist, in einer ähnlichen Situation befinden wie eine Person, die dies in Iran getan hat. Sie könnte verhaftet und gezwungen werden, eine Erklärung zu unterschreiben, in der sie sich verpflichte, ihre religiösen Aktivitäten nicht fortzusetzen. Sie könnte auch kontrolliert werden, um sicherzustellen, dass sie ihre Verpflichtungen einhält. Anna Enayat zitiert fünf Fälle, in denen christliche Konvertierte, die zwischen 2012 und 2019 zwangsweise aus Europa zurückgeschickt wurden, nach ihrer Rückkehr von den Behörden für einen mehr oder weniger langen Zeitraum inhaftiert worden seien. Von diesen Fällen betrafen vier Rückführungen aus Norwegen und eine aus Deutschland. Landinfo beruft sich auf die deutschen Migrationsbehörden (BAMF), wonach den westlichen Botschaften in Teheran in den letzten zehn Jahren keine Fälle bekannt geworden seien, bei welchen konvertierte Christ*innen bei ihrer Rückkehr in den Iran festgenommen wurden.“ (SFH, 23. November 2023, S. 27-28)
· SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe: Iran: Überwachung der Diaspora, 24. November 2023a
https://www.ecoi.net/en/file/local/2106094/231124_IRN_UEberwachung_Diaspora.pdf
„2.2 Ziele der Überwachung
Kampf gegen die Opposition im Ausland eine der Hauptaufgaben mit hoher Priorität. Eine der Hauptaufgaben der iranischen Nachrichtendienste ist der Kampf gegen die Opposition im Ausland. Diese habe nach Einschätzung von Claude Moniquet durchweg hohe Priorität. Weil das iranische Regime seit mehr als zehn Jahren regelmässig von inneren Krisen erschüttert werde und sich die Jugend dagegen auflehne, fürchte das Regime den Einfluss, den die Opposition im Exil auf seine Bevölkerung haben kann.
Die iranischen Behörden sehen die iranische Diaspora als Bedrohung. Diese hat eine wichtige Rolle bei der Protestbewegung im Jahr 2022 gespielt. Nach Angaben des Washington Institute for Near East Policy schätzt das iranische Regime die Mehrheit der Iraner*innen, die im Ausland in der Wissenschaft, bei NGOs, bei Medien in persischer Sprache und in anderen Institutionen arbeiten, als eine grosse Sicherheitsbedrohung ein. Nach Einschätzung von Landinfo besteht kaum ein Zweifel daran, dass die iranischen Behörden die Aktivitäten der oppositionellen Exil-Iraner*innen als Bedrohung ansehen. Dies, weil sie die Lage in Iran beeinflussen und den Druck von aussen auf den Staat erhöhen könnten. Laut Landinfo hat die Diaspora eine wichtige Rolle in der jüngsten Protestbewegung gespielt, aber nicht als Initiatorin und Organisatorin der Proteste, sondern durch die Beeinflussung der westlichen Politik und die Schaffung von Bewusstsein und Unterstützung für die Anliegen der Protestbewegung in Iran. Dank ihrer Fähigkeit, auf breiter Ebene international zu kommunizieren, hätten iranische Diasporamitglieder die Botschaft aus dem Land herausgetragen, was von entscheidender Bedeutung gewesen sei, als der iranische Staat Internetbeschränkungen verhängte. Zahlreiche iranische Diasporamitglieder haben auch an Protesten und Solidaritätsmärschen in aller Welt teilgenommen. Darüber hinaus hätten Medien in persischer Sprache im Ausland mit ihren guten Kontakten zur iranischen Zivilgesellschaft ihrem Publikum im Iran eine alternative Berichterstattung über die Ereignisse geboten.
Ziele sind Kontrolle der Diaspora, Verhindern öffentlicher Aufmerksamkeit und Kappen der Kontakte in den Iran. Marcus Michaelsen, der am Citizen Lab an der Universität Toronto zu transnationaler Repression und digitaler Überwachung autoritärer Staaten forscht, weist in einer Studie aus dem Jahr 2020 darauf hin, dass ein Ziel der Geheimdienstoperationen darin bestehe, Aktivist*innen daran zu hindern, öffentliche Aufmerksamkeit und Zugang zu Kontakten im Heimatland zu erlangen. Laut einer weiteren Studie von Michaelsen versuchten die Behörden zum einen, ihre Macht ausserhalb der Landesgrenzen auszuüben, indem sie Dissident*innen im Exil unter die Kontrolle zu bringen. Zum andern versuchten sie, die Verbindungen zwischen den Aktivist*innen und ihren Kontakten in Iran zu unterbrechen. Auch der Schweizer Nachrichtendienst des Bundes (NDB) geht davon aus, dass es der iranischen Führung wichtig sei, im In- und Ausland Personen zu identifizieren und zu kontrollieren, die aus ihrer Sicht das Regime gefährden könnten.“ (SFH, 24. November 2023a, S. 5-6)
„2.4 Veränderung seit September 2022
Aktivitäten des MOIS [Ministry of Intelligence and Security] gegen die Opposition im Ausland nahmen schon in den Jahren vor 2022 zu. Verschiedene Quellen gehen davon aus, dass der Iran seine Kampagne gegen die Opposition im Ausland bereits in den Jahren 2021 und 2022 intensiviert hat, vielleicht wegen der wahrgenommenen Instabilität des Regimes oder der Bedrohung im eigenen Land und des Erfolgs einiger Dissident*innengruppen.
Verstärkung der Überwachung der Diaspora nach Protesten. Laut Expert*innen und westlichen Geheimdiensten haben die iranischen Behörden ihre Versuche zur Überwachung und Kontrolle der oppositionellen Exilgemeinde in den Monaten nach Ausbruch der Proteste verstärkt. Landinfo geht im Juli 2023 davon aus, dass die iranischen Behörden aktuell ihre Wachsamkeit gegenüber Exilgemeinden im Westen aufrechterhalten und die Drohungen gegen bestimmte Gruppen verschärft haben. Gemäss Kontaktperson H hat sich die Situation seit Sommer 2022 deutlich verändert und die iranischen Behörden gehen viel aggressiver als zuvor vor, indem iranische Agent*innen zum Beispiel Personen in sozialen Medien offen bedrohen. Die Strassenproteste haben einem auf den Iran spezialisierten Cybersicherheitsexperte X zufolge die Art und Weise verändert, wie die iranischen Behörden Iraner*innen im Ausland überwachen. Das Regime wolle der Opposition zeigen, dass sie nirgendwo sicher sei, so die Quelle. Nach Einschätzung von Kontaktperson H und Cybersicherheitsexperten X hat sich die Überwachung verstärkt. Human Rights Watch (HRW) und Amnesty International deckten im Dezember 2022 auf, dass Charming Kitten zwei HRW-Mitarbeiter und mindestens 18 weitere hochrangige Aktivist*innen, Journalist*innen, Forschende und Politiker*innen, die an regionalen Themen arbeiten, mit fortlaufenden Social-Engineering- und Phishing-Kampagnen angriff. Diese Angriffe wurden über WhatsApp-Links durchgeführt, die zwischen September und November 2022 verschickt wurden.“ (SFH, 24. November 2023a, S. 9-10)
„2.5 Iranischer Geheimdienst in Deutschland
Iranische Oppositionelle in Deutschland stehen im Fokus der iranischen Behörden. Ausspähungen, Drohungen, Übergriffe. Die deutsche Regierung geht davon aus, dass iranische Oppositionelle in Deutschland im Fokus der iranischen Behörden stehen. Die iranische Opposition werde durch das iranische Regime als Gefahr für den eigenen Machterhalt wahrgenommen und es bestehe eine ‚abstrakte‘ Gefährdung, etwa durch nachrichtendienstliche Ausspähungen oder Einschüchterungsversuche für in Deutschland lebende iranische Oppositionelle. Kontaktperson E geht davon aus, dass die iranischen Behörden in Deutschland aufgrund der dort ansässigen grossen Zahl von Exiliraner*innen eine besonders intensive Überwachung durchführen. Laut Kontaktperson B stehen im Fokus der Überwachung kulturelle, künstlerische, wissenschaftliche oder politische Aktivitäten der Diaspora.
MOIS [Ministry of Intelligence and Security] und iranische Revolutionsgarde in Deutschland aktiv. Hauptakteur der gegen Deutschland gerichteten Aktivitäten ist das MOIS. In seinem Fokus stehen insbesondere die in Deutschland aktiven iranischen Oppositionsgruppen. Neben dem MOIS ist auch die geheimdienstlich agierende Quds Force der IRGC [Islamic Revolutionary Guard Corps] in Deutschland aktiv. Ihre umfangreichen Ausspähungsaktivitäten richten sich insbesondere gegen (pro-)israelische beziehungsweise (pro-)jüdische Ziele. Dem Bundesamt für Verfassungsschutz liegen von 160 Personen mit Bezug zu Deutschland Hinweise auf Verbindungen zu den IRGC vor. Dabei ist nicht bei jeder Person bekannt, ob sie sich im Februar 2023 in Deutschland aufgehalten hat. Hinsichtlich des Nachrichtendienstes der IRGC liegen dem deutschen Bundesamt für Verfassungsschutz bisher nur nicht verifizierte Einzelhinweise zu Aktivitäten in Deutschland in der jüngeren Vergangenheit vor.“ (SFH, 24. November 2023a, S. 11)
„Seit Beginn der Proteste mehr Ausspähungen. Seit Beginn der Proteste im Jahr 2022 beobachtet das Bundesamt für Verfassungsschutz vermehrt Hinweise auf mögliche Ausspähungen von Veranstaltungen und Einzelpersonen aus dem oppositionellen Bereich. Die Kontaktperson E gab der SFH an, dass die Überwachung seit September 2022 intensiver und quantitativ angestiegen sei. Kontaktperson C gab an, dass nach ihrer Einschätzung seit Anfang 2023 mehr Aggressivität bei der Überwachung zu beobachten sei. Sie selbst habe seither deutlich mehr Drohungen erhalten. Kontaktperson I gab der SFH an, dass der genaue Umfang der Überwachung in Deutschland nicht bekannt sei. Es gehe dabei aber auch um eine gewisse einschüchternde Wirkung, weswegen von einer umfassenden Überwachung auszugehen sei. Die Überwachung diene vermutlich der Nachforschung, ob ‚Zielpersonen‘ sich in deutschen Medien, Kampagnen, sozialen Medien äussern oder an Demonstrationen teilnehmen. Die iranischen Behörden würden dabei auch ‚klassische und analoge Methoden‘ anwenden. So würden beispielsweise Regimeleute bei Demonstrationen mitlaufen oder diese ganz gezielt auf Veranstaltungen geschickt.“ (SFH, 24. November 2023a, S. 12-13)
„Drohungen und Übergriffe gegen Exil-Iraner*innen. The Guardian berichtet, dass Shadi Amin, eine iranische LGBTQ+-Aktivistin in Deutschland, von den deutschen Behörden gewarnt wurde, dass sie von iranischen Hacker*innen und Agent*innen bedroht sei. Die Polizei kam zu ihr nach Hause, um die Schlösser und Riegel an der Tür zu überprüfen, und untersuchte wochenlang ihre digitalen Geräte, von denen ihr später geraten wurde, sie wegen der Bedrohung durch iranische Hacker*innen nicht zu benutzen. Eine andere LGBTQ+-Aktivistin in Deutschland, Mina Khani, wurde vom Staat mit Leibwächter*innen ausgestattet und von den deutschen Sicherheitsdiensten gewarnt, dass ihre persönlichen Daten in iranischen Hackerforen in Umlauf gebracht wurden. Kontaktperson C gab der SFH an, dass sie sehr viele Morddrohungen erhalten habe. Der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) und die Tageszeitung (TAZ) berichteten von unterschiedlichen Drohungen und Übergriffen gegen Exil-Iraner*innen, die an Kundgebungen teilnehmen oder sich anderweitig kritisch gegen die iranische Regierung äussern. So wurden iranische Protestierende physisch bedroht. Laut der TAZ brachen iranische Geheimdienste mutmasslich in die Wohnung eines politisch aktiven Diasporamitglieds ein, welches eine Kundgebung in Berlin organisiert hatte. Während des Einbruchs wurde der Passwortschutz des Computers aufgehoben und aus Chat- und anderen Programmen der betroffenen Person mutmasslich Informationen gesammelt. Bekannte der Person, die sich in Iran befinden, wurden bedroht. Die TAZ berichtet zudem von Drohungen gegen eine seit Jahren in Deutschland politisch aktive Iranerin. Zuletzt seien die Androhungen noch ernster geworden. Eine Todesdrohung im September 2022 habe auf Wissen basiert, das nicht aus einer einfachen Internetsuche stammen könne: Fast zeitgleich bekamen Bekannte der Regierungskritikerin Anrufe – in London, Stockholm, Oslo und Deutschland. Ein Mann übermittelte jeweils auf Farsi die Nachricht, dass die Betroffene um ihr Leben fürchten müsse. MDR wies auf einen weiteren Fall hin, wonach ein iranischer Regierungskritiker in Deutschland telefonisch bedroht wurde, weil er Videos und Fotos über Verstösse der iranischen Regierung in soziale Medien publizierte.“ (SFH, 24. November 2023a, S. 14)
„The Guardian berichtet von der in der Schweiz wohnhaften iranischen Aktivistin Maryam Banihashemi, die in sozialen Medien regelmässig Todesdrohungen erhält, seit sie sich öffentlich für einen Regierungswechsel in Iran eingesetzt hat. Banihashemi glaubt, dass sie nach dem Besuch politischer Veranstaltungen nach Hause verfolgt wurde, zweimal in Zürich und ein weiteres Mal nach einem Treffen mit einem Schweizer Abgeordneten im Parlament in Bern. Im Juni 2023 wurde Banihashemi von einer Person, die für die IRGC [Islamic Revolutionary Guard Corps] arbeitet, mitgeteilt, dass ihr Leben in Gefahr sei. Die Schweizer Polizei habe Banihashemi daraufhin geraten, ihren Namen und ihre Adresse zu ändern und eine private Leibwache zu engagieren, was sie sich nach eigenen Angaben nicht leisten kann. Laut den Recherchen von SRF werden Iraner*innen in der Schweiz, die sich öffentlich politisch äussern, durch den iranischen Geheimdienst eingeschüchtert, bespitzelt und ihre Familienangehörigen bedroht. Eine Betroffene, die aufgrund der aktuellen Proteste in Iran auf sozialen Medien und an Kundgebungen in der Schweiz aktiv sei, berichtete so SRF, dass sie an den Kundgebungen in verschieden en Schweizer Städten immer wieder Leute beobachte, die gezielt Fotos und Videos von den Protestierenden machten. Die Befürchtung sei dabei, dass die Bilder bei der iranischen Regierung landen. Am 24. Januar 2023 berichtete der Westschweizer Sender RTS [Radio Télévision Suisse], dass die Einschüchterungen von Mitgliedern der iranischen Diaspora in der Schweiz stark zugenommen hätten.“ (SFH, 24. November 2023a, S. 17)
· SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe: Iran: Überwachung von Demonstrationen im Ausland, 24. November 2023b
https://www.ecoi.net/en/file/local/2106093/231124_IRN_Demonstrationen_Diaspora.pdf
„‚Erfahrungsgemässe‘ Überwachung von Demonstrationen, aber ‚unklar, inwieweit‘. Der Schweizer Nachrichtendienst des Bundes gab im Juni 2022 an, dass manche Demonstrationen von Gruppierungen, die in ihrer Heimat unterdrückt werden, erfahrungsgemäss von ausländischen Nachrichtendiensten überwacht werden. In seinem Bericht vom März 2022 schrieb das UK Home Office, es sei unklar, inwieweit die iranischen Behörden regierungsfeindliche und pro-kurdische Demonstrationen in Grossbritannien überwachen.“ (SFH, 24. November 2023b, S. 4)
„Seit Ausbruch der Proteste im Jahr 2022 deutlichere und offenere Überwachung der Diaspora. Eine iranische Menschenrechtsexpertin und Forscherin, die für eine internationale NGO arbeitet, gab der Rechercheabteilung für Herkunftsländerinformationen des belgischen Office of the Commissioner General for Refugees and Stateless Persons (CGRS-Cedoca) am 23. November 2022 an, dass Agent*innen des Regimes die iranische Diaspora seit dem Ausbruch der Strassenproteste Mitte September 2022 deutlicher und offener überwachen.“ (SFH, 24. November 2023b, S. 4-5)
„Überwachung von Demonstrationen in Deutschland. Laut den Kontaktpersonen E und I finde auf jeden Fall Überwachung durch die iranischen Behörden an Demonstrationen statt. Die Kontaktperson C betonte, dass Mitarbeitende der iranischen Geheimdienste an Demonstrationen teilnehmen. So habe Kontaktperson C Mitglieder der iranischen Behörden bei Demonstrationen entdeckt. Der Westdeutsche Rundfunk berichtete im Oktober 2022 ebenfalls unter Berufung auf mehrere Quellen, dass Mitarbeitende des iranischen Geheimdiensts an Demonstrationen teilnehmen. Auch Kontaktperson B gab der SFH an, dass der iranische Geheimdienst seit jeher regimefeindlichen Demonstrationen in Deutschland überwache. Laut Kontaktperson E laufen so teilweise Regimeleute bei Demonstrationen mit oder werden ganz gezielt auf Veranstaltungen geschickt. Laut Kontaktperson I umfasse die Überwachung vermutlich unter anderem, ob ‚Zielpersonen‘ in Deutschland an Demonstrationen teilnehmen.
Kontaktpersonen vermuten, dass Grösse, Ort und erhaltene Aufmerksamkeit einer Demonstration eine Rolle spielen, ob eine Überwachung stattfindet. Nach Einschätzung der Kontaktpersonen E und I komme es vermutlich auf die Grösse an, ob die iranischen Behörden eine Demonstration der Diaspora überwachen. Auch der Ort, wie zum Beispiel grössere Städte, können nach Einschätzung von Kontaktperson I eine Rolle spielen. Auch Kontaktperson C geht davon aus, dass Demonstrationen von einer gewissen Grösse ‚sicherlich‘ überwacht werden. Dagegen würden kleinere Veranstaltungen nach Einschätzung von Kontaktperson C vermutlich eher nicht überwacht, da die Teilnehmenden eine kleine geschlossene Gruppe seien, wodurch die Teilnahme von Geheimdienstmitarbeitenden schnell entdeckt würde. Auch sei nicht davon auszugehen, dass Demonstrationen immer überwacht werden. Vermutlich würden diese aber ‚häufig‘ oder ‚regelmässig‘ überwacht. Wieviel Aufmerksamkeit eine Demonstration erhält, spielt nach Einschätzung von Kontaktperson E ebenfalls eine Rolle.“ (SFH, 24. November 2023b, S. 5)
„Organisierende, Redner*innen und zuvor aufgefallene Teilnehmende vermutlich stärker im Fokus der Behörden. Nach Einschätzung von Kontaktperson C geraten Personen, die bereits zuvor aufgefallen seien, Organisierende von Demonstrationen und Redner*innen stärker in den Fokus der iranischen Behörden. Auch Kontaktperson E wies darauf hin, dass Organisierende und Redner*innen stärker überwacht würden. Die grosse Demonstration in Berlin im Jahr 2022 hatte laut Kontaktperson E sehr viele Nachwirkungen für die Organisator*innen. Diese seien damals ins Visier der iranischen Behörden geraten. Das kanadische Immigration and Refugee Board of Canada (IRB) zitiert in einem Bericht vom Februar 2021 einen Assistenzprofessor für Politikwissenschaft mit der Aussage, dass sich die iranischen Behörden bei der Überwachung politischer Gegner im Ausland gewöhnlich auf Schlüsselpersonen konzentrieren. Nach Einschätzung von Kontaktperson C sei es ‚sehr gefährlich‘, wenn eine Person an einer Demonstration eine Rede halte und sehr aktiv sei. Auch Kontaktperson I geht davon aus, dass relevant sein könne, ob eine Person zuvor aufgefallen sei oder ob sie Organisierende oder Redner*in bei einem Protest sei. Dabei geht es darum, ob die betroffenen Regierungskritiker*innen das Potential für eine Mobilisierung weiterer Personenkreise hätten. Darauf reagierten die iranischen Behörden laut Kontaktperson I empfindlich.“ (SFH, 24. November 2023b, S. 7-8)
„Auch ‚einfache‘ Teilnehmende können überwacht und unter Druck gesetzt werden. Kontaktperson C betonte, dass aber auch ‚gewöhnliche‘ Menschen, die an Demonstrationen teilnehmen, unter Druck gesetzt würden. Kontaktperson C habe Kenntnis von zahlreichen einfachen Teilnehmenden, die im Ausland Drohanrufe oder -nachrichten via Telegram oder WhatsApp aus Iran erhielten. Die meisten Personen, die an den Protesten teilnehmen, werden Kontaktperson B zufolge überwacht, und wenn sie in den Iran zurückkehren, würden sie ‚wahrscheinlich festgenommen‘. Kontaktperson E wies darauf hin, dass auch wenn Organisierende und Redner*innen stärker im Fokus stehen würden, auch ‚einfache Teilnehmende‘ überwacht werden können. Zu beachten sei auch, dass die Organisierenden der jüngsten Proteste im Ausland keine ‚berühmten Leute‘ waren, sondern ‚einfache Aktivist*innen‘. Diese würden nun sehr stark unter Druck gesetzt. Laut des auf Cybersicherheit spezialisierten iranischen Experten Y, sei es unwahrscheinlich, dass die iranischen Behörden Personen, die lediglich an Demonstrationen im Ausland teilnehmen, als hochrangige Ziele betrachten. Shiva Mahbobi, Sprecherin der Campaign to Free Political Prisoners in Iran, gab Cedoca dagegen an, dass das iranische Regime auch ‚einfache‘ und ‚unbekannte‘ Aktivist*innen, die im Ausland an Demonstrationen teilnehmen, überwache und bedrohe. Mahbobi verwies auf einen Vorfall im Oktober 2022 in Berlin, bei dem drei Unbekannte vier Demonstrierende vor der iranischen Botschaft mit einer Pistole schlugen und bedrohten. Laut Kontaktperson E sei es schwierig vorherzusagen, wie die iranischen Behörden agieren würden und welche Personen in ihren Fokus geraten würden. Die iranischen Nachrichtendienste entscheiden nach Angaben von Kontaktperson B auf der Grundlage der von ihnen festgelegten Szenarien, welche ‚Rolle‘ sie der betroffenen Person zuweisen. Eine der kürzlich festgenommenen Personen aus Deutschland sei beispielsweise Reza Shari, der Inhaber eines Friseursalons. Doch in dem ‚Propaganda-Video‘ der iranischen Behörden, welches auf Grundlage erzwungener Geständnisse erstellt wurde, sei der Betroffene laut Kontaktperson B als Inhaber eines grossen deutschen Unternehmens in der Schönheitsindustrie vorgestellt worden. Die iranischen Behörden hätten dabei dem Beruf der betroffenen Person weitere Dimensionen hinzugefügt, um ihn als wichtige Persönlichkeit und Führer darzustellen, der das iranische Regime zu stürzen versuchte. Reza Shari war im Juni 2023 beruflich in den Iran gereist und wurde kurz nach seiner Einreise verhaftet. Ihm wurde vorgeworfen, die iranische Regierung kritisiert zu haben und angeblich Anführer regimekritischer Proteste gewesen zu sein. Zuvor hatte er sich in Deutschland an Protesten beteiligt. Nach eigenen Angaben war Shari für einen Monat im berüchtigten Evin-Gefängnis in Teheran inhaftiert. Im Oktober 2023 habe ihn ein iranisches Gericht zu einer Freiheitsstrafe von insgesamt fast viereinhalb Jahren verurteilt. Shari kam auf Kaution frei und konnte nach eigenen Angaben aus Iran zurück nach Deutschland flüchten.“ (SFH, 24. November 2023b, S. 8-9)
· SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe: Iran: Überwachung der sozialen Medien im Ausland, 25. November 2023
https://www.ecoi.net/en/file/local/2106095/231125_IRN_UEberwachung_sozialeMedien_Diaspora.pdf
„Nutzer*innenverhalten gibt Ausschlag, welche sozialen Medien überwacht werden. Das Nutzer*innenverhalten in Iran gibt nach übereinstimmender Einschätzung der Kontaktpersonen H und I Ausschlag, welches soziales Medium von den Behörden stärker überwacht wird. Instagram, Telegram und Twitter (beziehungsweise ‚X‘) seien aktuell populärer als Facebook. Entsprechend liegt der Fokus stärker auf diesen Medien. Überwachung kann man aber grundsätzlich bei keinem sozialen Medium ausschliessen. Cybersicherheitsexperte X gab ebenfalls an, dass Twitter, Instagram und Telegram wichtige soziale Medien seien, um ein iranisches Publikum zu erreichen. Twitter und Instagram seien die wichtigsten sozialen Medien für Iraner*innen. Laut Cybersicherheitsexperte X und Kontaktperson H ist Twitter eine sehr politische Plattform, während es bei Instagram eher um Unterhaltung geht. Laut Kontaktperson H wird Twitter sehr stark überwacht und es werden viele Leute wegen Äusserungen auf Twitter verhaftet. Telegram habe unter den Iraner*innen sehr hohe Nutzer*innenzahlen – fast die Hälfte der Bevölkerung Irans –und sei entsprechend ebenfalls sehr interessant für die iranischen Behörden. Die iranischen Behörden verfügen aufgrund verschiedener Leaks von Kontodaten in der Vergangenheit bereits über sehr viele Daten von iranischen TelegramNutzer*innen und würden aktiv mit gefälschten Anmeldeseiten oder mit Nachahmer-Apps die Daten von weiteren Iraner*innen erhalten. Blogs und Facebook sind laut Cybersicherheitsexperte X in Iran nicht mehr populär und entsprechend für die iranischen Behörden weniger interessant.
3 Risikogruppen
Prioritäten der iranischen Behörden für die überwachten Gruppen können sich ändern. Laut dem auf den Iran spezialisierten Cybersicherheitsexperten X überwachen die iranischen Behörden Aktivist*innen im Exil. Sie hätten aber nicht die Kapazität, alle Aktivist*innen im Exil zu überwachen. Dabei setze das Regime Prioritäten auf der Grundlage seiner Interessen, und diese Prioritäten könnten sich ändern.“ (SFH, 25. November 2023, S. 8)
„Diaspora-Netzwerke und jede Form politischer Organisation im Fokus der iranischen Behörden. Kontaktperson I gab der SFH an, dass jegliche Form von politischer Organisation in der Diaspora in den Fokus der iranischen Behörden fällt. Diaspora-Netzwerke würden sicherlich überwacht. Sobald es um Diaspora-Organisationen und -Netzwerke geht, die sich im Internet bilden, muss laut Kontaktperson I auf jeden Fall davon ausgegangen werden, dass die iranischen Behörden die Aktivitäten auf sozialen Medien überwachen.
Landinfo weist darauf hin, dass Überwachung und Cyberangriffe eine breite Gruppe von Iraner*innen im Exil betreffen können. Im Folgenden werden verschiedene Profile aufgeführt, die in Quellen genannt werden:
• Opfer von Cyber-Attacken sind Regime-Gegner*innen des Iran. Laut Jadran Mesic, dem Leiter des Bereichs Cyberabwehr vom Bundesamt für Verfassungsschutz werden in Deutschland ‚offensichtlich‘ Regime-Gegner*innen des Iran, die diese Meinung ganz offen kommunizieren und deshalb den iranischen Behörden Iran bekannt sind, Opfer von Cyber-Attacken. Darüber hinaus würden auch ‚enge Anbindungen an entsprechende Organisationen, die sich zum Beispiel für Menschenrechte im Iran einsetzen‘, bestehen. Auch Shiva Mahbobi, Sprecherin der Campaign to Free Political Prisoners in Iran geht davon aus, dass regierungskritische Aktivist*innen überwacht werden.
• Journalist*innen. Verschiedene Quellen berichten, dass Journalist*innen, auch solche, die für reformorientierte Medien oder ausländische Medien arbeiten, zum Ziel von Cyberangriffen oder Überwachung werden können.
• Gonabadi-Derwische, aserbaidschanische Dissident*innen, Frauenrechts- und Studentenaktivist*innen. Zu den Opfern von Malware-Angriffen mit dem Ziel, bestimmte Gruppen innerhalb und ausserhalb des Landes anzugreifen und private Informationen zu sammeln, gehören auch Gonabadi-Derwische, aserbaidschanische Dissident*innen, Frauenrechts- und Studentenaktivist*innen.
• Dissidentenorganisationen, Jurist*innen und Menschenrechtsaktivist*innen. Im Jahr 2022 berichteten mehrere IT-Sicherheitsdienstleister über die Gruppierung Charming Kitten, die an der Ausforschung von iranischen Oppositionellen und Exil-Iraner*innen beteiligt sein soll. Die Cyberangriffe richteten sich vor allem gegen Dissidentenorganisationen und Einzelpersonen wie Jurist*innen oder Menschenrechtsaktivist*innen innerhalb und ausserhalb des Iran. Laut Kontaktperson G können Personen, die Informationen über Menschenrechtsverletzungen in Iran sammeln, zum Ziel der digitalen Überwachung werden.
• Aktivist*innen ethnischer Minderheiten und Umweltaktivist*innen. Der Cybersicherheitsexperte X gab Cedoca an, dass unter anderem Aktivist*innen ethnischer Minderheiten und Umweltaktivist*innen Opfer von Hackerangriffen werden.
• Iranische Regierungsbeamte und ‚reformorientierte‘ Politiker*innen, wie Mitglieder der Regierung des ehemaligen Präsidenten Hassan Rohani und Mahmud Ahmadineschād.
• Religiöse Minderheiten, darunter Mitglieder des Baha'i-Glaubens, aber auch christliche, jüdische, zoroastrische oder sunnitisch muslimische Einzelpersonen und Institutionen.
• Kulturelle Persönlichkeiten wie Künstler*innen, Musiker*innen, Karikaturist*innen und Satiriker*innen.
• Oppositionsgruppen, terroristische Organisationen, ethnische Separatistengruppen und ausländische Organisationen der Zivilgesellschaft.
Personen aus dem sozialen Umfeld der Zielpersonen. Datenangriffe, die versuchen, an die Anmeldedaten der Opfer für E-Mail- und Social-Media-Konten zu gelangen, zielen häufig auf grössere Gruppen oder Netzwerke von Einzelpersonen ab. Dies erhöhe die Wahrscheinlichkeit, dass sie an mindestens einem Ort erfolgreich sind und somit Zugang erhalten, um das gesamte Netzwerk zu gefährden. Der iranische Geheimdienst kann auch an allen Formen von Informationen interessiert sein, die dazu verwendet werden können, Druck auf Einzelpersonen auszuüben, wie Informationen über Alkoholkonsum oder sexuelle Beziehungen. Dies bedeutet, dass auch Personen aus dem sozialen Umfeld der Zielpersonen von den Geheimdiensten überwacht werden können.
Cyber-Attacken eher gegen Dissident*innen mit hohem Profil, Überwachung aber auch gegen Personen mit niedrigem Profil. Laut dem auf Cybersicherheit spezialisierten iranischen Experten Y hängt die Art und Weise, wie iranische Behörden Iraner*innen im Ausland überwachen, vom Ziel ab. Die iranischen Behörden zielten mit Malware auf einige Dissident*innen in der Diaspora mit hohem Profil ab. Das Regime könnte hochrangige politische Aktivist*innen als Bedrohung ansehen und ausgeklügelte Cybersicherheitsangriffe gegen sie starten. Es sei laut Experte Y eher unwahrscheinlich, dass die iranischen Behörden Personen, die lediglich an Demonstrationen im Ausland teilnehmen, als hochrangige Ziele für solche ausgeklügelte Cybersicherheitsangriffe betrachten. Auch Kontaktperson H wies darauf hin, dass die iranischen Behörden es bei Operationen wie Phishing und Hacking von Mails nur auf Personen mit niedrigem Profil abgesehen hätten, wenn diese Teil eines grösseren Netzwerks seien. Es ist aber laut Experte Y gut möglich, dass die Social-Media-Profile von Personen, die keine hochrangigen Dissident*innen sind, überwacht werden. So können die iranischen Behörden beispielsweise lesen, worüber jemand twittert, oder sehen, wer im Netzwerk einer Person ist. Experte Y stellte klar, dass die iranischen Behörden hierfür öffentlich zugängliche Informationen verwenden und nicht private Konten überwachen würden.“ (SFH, 25. November 2023, S. 9-11)
„3.1 Anführen einer Gruppe
Behörden fokussieren eher auf Anführende und politische Aktivist*innen. Kontaktperson G gab der SFH an, dass die Intensität der Überwachung der Aktivitäten auf sozialen Medien davon abhänge, wer die Zielperson sei. Wenn die Regierung die betroffene Person als Zielperson einschätzt, werde sie möglicherweise überwacht. Wenn sie nur eine einfache Teilnehmende an einer Demonstration im Ausland sei und von den iranischen Behörden nicht als einflussreich wahrgenommen werde, würde die Regierung vermutlich ihre Aktivitäten in den sozialen Medien nicht überwachen. Nach Einschätzung von Kontaktperson G gehen die iranischen Behörden eher gegen Menschen vor, die Proteste anführen oder oppositionelle Aktivist*innen sind. Der auf Cybersicherheit spezialisierte iranische Experte Y gab an, dass es die iranischen Behörden bei der Überwachung der iranischen Diaspora auf Führungspersönlichkeiten und Organisator*innen abgesehen haben, das heisst auf Personen, die eine Gruppe oder Partei anführen oder auf Personen, deren Aktivitäten von einer Gruppe von Menschen wahrgenommen werden.
Es sind Ausnahmen möglich und unbekannte Personen können zufällig oder fälschlicherweise ins Visier geraten. Kontaktperson G betonte aber, dass es Ausnahmen geben könne, je nachdem, was die Person in den sozialen Medien oder anderweitig gemacht habe. Kontaktperson G wies darauf hin, dass die iranischen Sicherheitsdienste sich beispielsweise in ihrer Einschätzung irren könnten. So könnten sie eine Person fälschlicherweise für eine Anführerin halten, und sie ins Visier nehmen. Kontaktperson G wies als Beispiel auf den Fall einer iranischen Studentin in den USA hin. Sie sei in keiner Hinsicht eine relevante Oppositionsfigur gewesen, aber sie sei im Zusammenhang mit den jüngsten Diaspora-Protesten zu einer Fernsehsendung von Iran International eingeladen worden. Danach sei sie zum Ziel der iranischen Sicherheitsdienste geworden. Kontaktperson H gab an, dass die iranischen Nachrichtendienste es gelegentlich auf unbekannte Personen abgesehen haben: ‚Niemand, weiss, wer sie sind, aber, aus welchen Gründen auch immer, haben die iranischen Behörden ein Interesse daran, sie zu verfolgen‘. Die Behörden können zudem eine Person zufällig entdecken, weil sie an einer Diskussion teilgenommen hat, die bereits im Fokus der Behörden war.
Personen, die Gruppen von beispielsweise fünf Menschen anführen, können bereits ins Visier der Behörden geraten. Es müssen keine ‚wichtigen Anführer*innen‘ sein. Kontaktperson G wies auf Recherchen der Miaan Group hin, welche Fälle von digitaler Überwachung dokumentiert hatte. Die Personen, die ins Visier der iranischen Geheimdienste gerieten, führten dabei eine Gruppe an, die nicht gross sein muss. Fünf Personen waren so zum Beispiel ausreichend, um in den Fokus der Behörden zu geraten. Kontaktperson G betonte, dass es sich um keine ‚wichtigen Anführer*innen‘ handeln müsse. Die Zielpersonen können auch beliebige Personen in den sozialen Medien sein, die nur durch Zufall in den Fokus der Behörden geraten sind. Grundsätzlich könne man aber davon ausgehen, dass eine Person mit vielen Follower*innen in den sozialen Medien eher zum Ziel werde.
Personen mit ‚grossem Bekanntheitsgrad‘, Anführende einer Gruppe und Personen mit Einfluss werden systematisch überwacht. Kontaktperson G wies darauf hin, dass eine Person, welche in den sozialen Medien einen ‚grossen Bekanntheitsgrad‘ habe, überwacht wird. Dabei spiele es keine Rolle, ob die verbreiteten Inhalte einen grossen Wahrheitsgehalt hätten. Es gebe Leute, die ‚Müll veröffentlichen‘ und verfolgt werden, weil die Leute sich für diese Themen interessieren und sie automatisch zu einer Person mit Einfluss werden. Es spiele keine Rolle, was man sage und mache. Wenn man sich nicht im Interesse des Irans verhalte, könne man zum Ziel werden. Wenn eine Person einen ‚grossen Bekanntheitsgrad‘ habe, eine Gruppe anführe oder eine Person mit Einfluss sei, werde sie rund um die Uhr und systematisch überwacht.“ (SFH, 25. November 2023, S. 11-12)
„3.2 Reichweite
Einfluss definiert sich aus iranischer Sicht nicht nur durch die Anzahl Follower*innen, sondern, ob eine Person einen Trend oder eine Debatte auslösen könnte. Kontaktperson H wies darauf hin, dass die iranischen Behörden in der Regel Jagd auf Menschen machen, die aus ihrer Sicht Einfluss haben. Zu beachten sei aber, dass in Iran die Definition des Begriffs Influencer*in völlig anders sei als in den USA oder in Europa. Influencer*in bedeute in Iran nicht, dass man 10'000 Follower*innen habe. Stattdessen sei relevant, dass die Person einen Trend oder eine Debatte über ein bestimmtes Thema auslösen könne. Wenn eine Person in diese Kategorie falle, werden die iranischen Behörden versuchen, die Person aufzuspüren. Auch Cybersicherheitsexperte X weist darauf hin, dass der Einfluss, den eine Person habe, entscheidend sei, ob diese das Interesse der iranischen Behörden wecke. Dies könne beispielsweise eine Person sein, die auf Fernsehsendern wie Iran International oder VOA [Voice of America] zu sehen ist. Cybersicherheitsexperte X geht im Gegensatz zu Kontaktperson H davon aus, das der beste Massstab, um den Einfluss zu messen, die Zahl der Follower*innen sein könne. Allerdings gebe es keine einfache Formel, um den Einfluss zu messen. So könnten in einem Fall 10’000 Follower*innen nicht viel sein, 50'000 oder 100'000 dagegen schon. Man müsse dabei auch bedenken, dass Follower*innen gekauft werden können. Wenn eine Person nur wenige Follower*innen habe, aber ein Beitrag von 500 Personen retweetet werde, sei das bedeutend. Wenn alle Tweets einer Person 100-mal retweetet werden, dann sei die Person beispielsweise ein*e Influencer*in. Wenn die Person die Berichterstattung beeinflussen könne, werde sie für die iranischen Behörden interessant. Es gehe darum, wie man ein Narrativ vorantreiben kann, das sei der wichtige Faktor. Die iranischen Behörden verfolgten Personen, deren ‚Stimme gehört werde‘. Kontaktperson H wies zudem darauf hin, dass die Zahl der Aufrufe eines Beitrags ein wichtiger Faktor sein könne, um die Aufmerksamkeit der Behörden zu wecken. Auch wenn eine weitere Person einen Diskurs teile und verstärke, werden die Behörden diese Person laut Kontaktperson H bemerken und ins Visier nehmen.
Mehr Reichweite führt vermutlich zu mehr Repression. Laut Kontaktperson I wird gegen Leute, die mehr öffentliche Reichweite haben, strikter vorgegangen, da sie als sichtbare Feinde wahrgenommen werden. Diese werden online bedroht, auch ihre Familien in Iran werden bedroht. Auch Kontaktperson G geht davon aus, dass die Behörden repressiver vorgehen, wenn eine betroffene Person mehr Follower*innen hat.
Neben Reichweite und Anführen einer Gruppe kann eine Verbindung oder Kommunikation zu einer Gruppe ein Faktor sein. Neben den Hauptelementen Reichweite und Anführen einer Gruppe, die zu einer Überwachung führen können, würden die weiteren Kriterien laut Kontaktperson G vom jeweiligen Fall abhängen. Dabei gehe es darum, ob die Person mit einer anderen Gruppe in Verbindung stehe oder ob sie mit einer anderen Gruppe kommuniziere. Die Behörden würden zudem weitere Recherchen durchführen, um herausfinden zu können, ob sie eine Person ins Visier nehmen wollen.“ (SFH, 25. November 2023, S. 12-13)
„3.3 Äusserungen
‚Rote Linien‘ der Inhalte können jederzeit ändern. Marcus Michaelsen hat in einer Studie zahlreiche Diaspora-Aktivist*innen zur digitalen Überwachung autoritärer Staaten befragt. In den Interviews mit den Befragten wurden einige der Grenzen aufgezeigt, deren Überschreitung eine Reaktion der staatlichen Stellen hervorrufen könnte. Zu den Themen gehörten Persönlichkeiten des Regimes, Sicherheitsorgane, politische Gefangene, Folter, Korruption, wirtschaftliche Probleme sowie ethnische und religiöse Minderheiten. Mehrere Befragte wiesen darauf hin, dass ‚alles eine rote Linie‘ sein könne und es besser wäre, ‚sich gar nicht zu äussern‘. Bemerkenswert war laut Michaelsen, dass sich diese ‚roten Linien‘ je nach Situation und Kontext jederzeit ändern konnten. Diese willkürliche Machtausübung sei ein inhärentes Merkmal autoritärer Herrschaft und fördere Angst und Selbstzensur unter den Bürger*innen auch über die Grenzen hinweg.
Häufung der Kritik vermutlich kein wesentlicher Faktor. Laut Cybersicherheitsexperte X sei die Quantität an Kritik, die eine Person am Regime übt, kein wesentlicher Faktor, der das Risiko für eine Überwachung erhöhe. Stattdessen sei der ‚Einfluss‘ der betroffenen Person ausschlaggebend.
Vermutlich nicht relevant, ob eigene Äusserungen oder Beiträge Dritter geteilt werden. Nach Einschätzung der Kontaktpersonen H und I sei es nicht relevant, ob eine Person eigene Äusserungen oder Inhalte Dritter teile. Im Zweifelsfall können die iranischen Behörden alles gegen die Person verwenden. Entsprechend sei schwierig einzuschätzen, was bei Behörden Aufmerksamkeit erregt. Wenn eine Person etwas geteilt habe, könne dies gegen sie verwendet werden, um sie unter Druck zu setzen, für die Geheimdienste zu arbeiten. Laut Kontaktperson G lässt sich nicht mit uneingeschränkter Gewissheit sagen, ob die Repressionsmassnahmen Irans sich unterscheiden, wenn eine Person eigene Beiträge oder Inhalte Dritter teilt.
Nach den Erfahrungen der Organisation von Kontaktperson G und den ihnen vorliegenden Informationen führe das blosse Teilen einer Äusserung in der Regel nicht dazu, dass man ins Visier der iranischen Sicherheitsdienste gerät. Kontaktperson G gab aber an, dass dies nicht mit abschliessender Sicherheit zu bestimmen sei. Laut Kontaktperson H sei vermutlich entscheidender, ob die Person ein*e Influencer*in nach iranischer Definition sei. Kontaktperson G betonte jedoch, dass auch eine Person, die nicht als Influencer*in gelte und nur einen Inhalt Dritter teilt, trotzdem ins Visier des iranischen Geheimdienstes geraten könne.
Iranische Behörden gehen zum Teil unvorhersehbar vor und auch eine unbekannte Person kann bei Rückkehr verhaftet werden. Kontaktperson G wies darauf hin, dass es nicht davon abhängen müsse, welche Äusserung eine Person in einem sozialen Medium teilt. Es sei sehr schwierig vorherzusagen, ob und wann eine Person zur Zielscheibe werde. Kontaktperson H wies darauf hin, dass das Vorgehen der iranischen Behörden nicht immer logisch sei. So könne alles auf ein hohes Risiko hindeuten, aber es könne sein, dass bei einer Rückkehr nichts passiert. Kontaktperson H kenne aber auch einige anders gelagerte Fälle. Dabei wurde ein zufälliger Beitrag in den sozialen Medien veröffentlicht und die Personen gerieten deswegen in Gefahr. Auch wenn eine Person kein ‚grosser Fisch‘ sei und nur einige hochrangige Mitglieder der Diaspora oder einige kritische Äusserungen in sozialen Medien geliked habe, könne es sein, dass die Behörden die Person verhaften, wenn sie zurückkehrt. Die iranischen Behörden könnten auch einen Fall ‚erfinden‘, um eine Person strafrechtlich zu belangen.“ (SFH, 25. November 2023, S. 13-14)
Die Washington Post ist eine US-amerikanische Tageszeitung.
· Washington Post (The): Rise in Iranian assassination, kidnapping plots alarms Western officials, 1. Dezember 2022
https://www.washingtonpost.com/world/2022/12/01/iran-kidnapping-assassination-plots/
„In the summer of 2021, officers from the Canadian Security Intelligence Service showed up at the Vancouver home of Ramin Seyed Emami, an Iranian Canadian musician and performer who hosts a popular Persian-language podcast. Seyed Emami often features guests from inside Iran and delves into topics that are taboo in conservative Iranian culture, such as sex, mental health and losing religious faith. One of the officers explained that the government of Iran had developed a list of people living abroad whom it deemed a threat to the regime, Seyed Emami said in an interview. The officer didn’t say whether the 41-year-old podcaster’s name was on it, but the implication was clear, and he was told to take security precautions.
The Iranian government has stepped up its efforts to kidnap and kill government officials, activists and journalists around the world, including in the United States, according to government documents and interviews with 15 officials in Washington, Europe and the Middle East, who spoke on the condition of anonymity to discuss sensitive information. Tehran has targeted former senior U.S. government officials; dissidents who have fled the country for the United States, Britain, Canada, Turkey and Europe; media organizations critical of the regime; and Jewish civilians or those with links to Israel, according to the officials and government documents. […]
The intensity of the Iranian campaign is reflected in its global reach, officials said. Just since last year, Western security and law enforcement agencies said they have disrupted an attempt to assassinate former national security adviser John Bolton in Washington and one to kidnap an Iranian American journalist, Masih Alinejad, in New York City; multiple attempts to kill British nationals and others living in the United Kingdom; an operation using an Iranian drug dealer to murder French journalist Bernard-Henri Lévy in Paris; attempts to kill Israeli business people in Cyprus, including one allegedly overseen by a Russian Azerbaijani citizen that involved a surveillance team made up of Pakistani nationals; and a plan to use assassins recruited in a prison in Dubai to kill Israeli business people in Colombia.
Multiple calls and emails to Iranian officials and diplomats requesting comment went unanswered. The FBI [Federal Bureau of Investigation] declined to comment.
Iran’s plotting appears motivated by a number of factors, officials said. Lévy was targeted by a unit of the Quds Force, the special operations branch of the Islamic Revolutionary Guard Corps (IRGC), probably because of his international prominence as a public intellectual who has been critical of the country’s leadership. Intelligence officials said the Quds Force tapped an Iranian drug dealer, who recruited others to help in the slaying, and paid him $150,000. In a text message, Lévy declined to comment.
The plan to kidnap Alinejad from her home in Brooklyn is illustrative of a global effort to intimidate exiled Iranians by showing they aren’t safe anywhere outside Iran. Last year, the Justice Department indicted four alleged Iranian intelligence officials and agents in the plot, saying they targeted Alinejad because she was ‘mobilizing public opinion in Iran and around the world to bring about changes to the regime’s laws and practices.’ […]
Sometimes, rather than attack its targets abroad, Iran has constructed deception operations to lure dissidents and critics to countries friendly with Tehran, where they are kidnapped or turned over by local authorities, officials said.
In October 2019, Ruhollah Zam, a prominent Iranian journalist living in exile in France, went to Iraq believing that he had been granted an interview with Grand Ayatollah Ali Sistani, Iraq’s leading Shiite Muslim religious authority. Zam, who had been jailed in Iran and was accused of inciting protests in 2017 and 2018, ran Amad news, a popular anti-government website, which had more than 1 million followers on Telegram. Once in Iraq, Zam was arrested by local authorities and extradited to Iran, according to public reporting and officials familiar with Zam’s case. The promise of an interview with Sistani was a ruse orchestrated by the IRGC. Sistani’s representatives have denied that the religious leader had any planned meeting with Zam. The IRGC publicly boasted of its own deception, portraying Zam’s capture as a triumph for the Iranian security services, which had outfoxed their Western adversaries. Zam was tried and sentenced to death for ‘corruption on Earth.’ He was hanged on Dec. 12, 2020, at the age of 42.
Other activists have been captured while traveling abroad. In August 2020, Jamshid Sharmahd, a 67-year-old California resident and German Iranian citizen, was kidnapped allegedly by agents for Iran’s Ministry of Intelligence during a flight layover in Dubai and spirited to Iran. Iran accuses Sharmahd of leading a ‘terrorist’ group trying to overthrow the government, which he denied during a trial that human rights activists denounced as a sham. Sharmahd’s family fear he will be sentenced to death.
Activists and dissidents who have fled Iran have faced relentless harassment from Tehran.
Mehdi Hajati, a former Shiraz city councilman who had spoken out against corruption in Iran and defended the rights of Bahais, a harshly persecuted religious minority, hoped he might find sanctuary in Turkey. But almost as soon as he arrived in the fall of 2021, he began to receive threats.” (The Washington Post, 1. Dezember 2022)
[1] Das IRB erwähnt in einer Fußnote Folgendes zur HRANA: Die Human Rights Activists News Agency (HRANA) sei eine von einer Gruppe iranischer MenschenrechtsaktivistInnen gegründete gemeinnützige Nachrichtenorganisation, die über Menschenrechtsverletzungen im Iran berichte und aus verschiedenen Quellen finanziert werde, darunter Spenden der National Endowment for Democracy (NED). Die NED sei eine US-amerikanische nichtstaatliche gemeinnützige Stiftung, die größtenteils vom US-Kongress finanziert werde (IRB, 23. Mai 2024).