Anfragebeantwortung zum Irak: Lage von Kurden in Kirkuk; Lage in der Autonomen Kurdenregion (insbesondere für Kurden) [a-11085]

19. September 2019

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Sicherheitslage in der Provinz Kirkuk (insbesondere in der Stadt Kirkuk)

Das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (European Asylum Support Office, EASO), eine Agentur der Europäischen Union zur Förderung der praktischen Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten im Asylbereich, hält in seinen Richtlinien zum Irak vom Juni 2019 fest, dass in der Provinz Kirkuk eine Reihe sicherheitsrelevanter Akteure vertreten seien, darunter die Armee, die Polizei, Anti-Terror-Einheiten, Volksmobilisierungseinheiten (Popular Mobilization Forces, PMF) und sunnitische Stammesmilizen. Die Gruppe Islamischer Staat (IS) habe in der Provinz kein Territorium unter ihrer Kontrolle, besitze jedoch weiterhin Rückzugsgebiete, insbesondere in Hawidscha und den Hamrin-Bergen. Permanent einsatzbereite Terrorzellen des IS seien weiterhin in Gebieten, die in der oder nahe der Provinz Kirkuk liegen, nämlich in Hawidscha, Raschad, Zab, Dibis und Ghaeda, präsent. Der IS habe Berichten zufolge Unterstützungszonen in Gebieten südlich der Stadt Kirkuk, unter anderem in den Bezirken Daquq, Hawidscha, Riyadh und Raschad, sowie in ländlichen Gebieten am Hamrin-See im Diyala-Flusstal aufgebaut. Es werde berichtet, dass der IS Bemühungen unternehme, sich neu zu gruppieren, und es würden laufend Aktivitäten stattfinden, die der Sicherung seiner Präsenz in dem Gebiet dienen würden.

Kirkuk sei während der meisten Zeit des Jahres 2018 als jene Provinz Iraks eingestuft worden, in der der IS die meisten Angriffe bzw. Anschläge durchgeführt habe, und regelmäßig sei es der Gruppe auch möglich gewesen, Anschläge in der Stadt Kirkuk zu verüben. Hawidscha und Daquq seien vom US-amerikanischen Think Tank Institute for the Study of War als IS-umkämpfte Distrikte eingestuft worden. Dies bedeute, dass der IS dort die Kontrolle der irakischen Sicherheitskräfte (ISF) anfechte, was durch die Aufgabe von Dörfern, die Zerstörung von Landwirtschaft und Infrastruktur, sowie durch wiederholte IS-Anschläge und Morde erkennbar sei. Die Taktik des IS umfasse Anschläge mit Kleinwaffen, gezielte Morde, Hinterhalte, Entführungen an gefälschten Checkpoints sowie Selbstmordanschläge:

„A number of security actors are present in the governorate, including the army, police, counterterrorism units, PMU [Popular Mobilization Forces], and Sunni tribal militias. ISIL [Islamic State in Iraq and the Levant] does not control any territory in the governorate, but retains pockets of fighters, especially in Hawija (Al-Hawiga) and the Hamreen mountains. ISIL retains permanently operating attack cells in Hawija, Rashad, Zab, Dibis, and Ghaeda, in or near Kirkuk province. It has reportedly established support zones in ‘areas south of Kirkuk city, including Daquq, Hawija, Riyadh, and Rashad districts, as well as rural areas around Lake Hamrin in the Diyala River Valley. ISIL is reported to be regrouping efforts and there are ongoing activities to retain a strong presence.

Kirkuk was assessed to be ISIL’s most prolific attack location in Iraq during the majority of 2018, and the insurgent group has been able to regularly hit Kirkuk city. Hawija and Daquq have been assessed by the ISW [Institute for the Study of War] to be ISIL-contested districts, where ISIL is contesting for control with the ISF, as indicated by abandonment of villages, destruction of agriculture and infrastructure, repeated ISIL raids, and assassinations of the local social hierarchy. ISIL tactics included small arms attacks, targeted killings, ambushes, abductions at fake checkpoints and suicide attacks.” (EASO, Juni 2019, S. 113-114)

In seinem Bericht zur Sicherheitslage im Iraq vom März 2019 schreibt das EASO unter Verweis auf verschiedene Quellen, dass für die Sicherheit in der Provinz Kirkuk seit 2018 eine Kombination zahlreicher Regierungskräfte zuständig sei, darunter PMF, die Bundespolizei, die Armee und die sogenannte Golden Division des Counter Terrorism Service (CTS). Die PMF würden tendenziell eher die Vororte und umliegenden Dörfer der Stadt Kirkuk einschließlich Tuz Khurmatu (Provinz Salahuddin) kontrollieren und Einreise und Sicherheitskontrollen nach Kirkuk abwickeln. Die Stadt Kirkuk selbst dagegen werde durch die örtliche Polizei und das CTS gesichert. Im Allgemeinen habe es Berichten zufolge um die Stadt Kirkuk herum weniger Checkpoints als im Jahr 2017 gegeben und sie hätten unter der Kontrolle der ISF gestanden:

A combination of numerous government forces reportedly handle security in Kirkuk as of 2018, including PMUs [Popular Mobilization Forces], Federal Police, the army, and the Golden Division of CTS [Counter Terrorism Service]. The PMUs tend to control the suburbs and surrounding villages of Kirkuk city, including Tuz Khurmatu [in Salah al-Din], and control entry and screening into Kirkuk; while the city of Kirkuk is secured by local police and the CTS. Generally, there were reportedly fewer checkpoints around Kirkuk than in October 2017 and were controlled by ISF [Iraqi Security Forces] forces.” (EASO, März 2019, S. 108)

Das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UN High Commissioner for Refugees, UNHCR) veröffentlicht im Mai 2019 Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Asylsuchenden aus dem Irak. Darin hält UNHCR unter Verweis auf verschiedene Quellen fest, dass der IS trotz seiner territorialen Verluste und seinem eingeschränkten Aktionsradius in den abgelegenen Wüstengebieten und ländlichen Gebieten verschiedener Provinzen, darunter auch Kirkuk, mit erheblicher Bewegungsfreiheit operiere. Insbesondere nachts seien viele dieser Gebiete unter der Kontrolle des IS.

Anschläge vonseiten des IS würden überwiegend in Gebieten erfolgen, die zuvor zum Kontrollgebiet der Gruppe gehört hätten, wobei es Berichten zufolge zu einer Zunahme der Anschläge in den umstrittenen Gebieten der Provinz Kirkuk und des Distrikts Khanaqin in der Provinz Diyala komme:

„Despite territorial losses and reduced capabilities, ISIS [Islamic State in Iraq and Syria] is reported to operate with considerable freedom of movement in remote desert and rural areas in Al-Anbar, Baghdad, Diyala, Kirkuk, Ninewa and Salah Al-Din Governorates, where the ISF maintain a limited presence outside urban centres. At night in particular, ISIS is said to control many of these areas. ISIS maintains the capacity to launch hit-and-run attacks as demonstrated by targeted assassinations, including of local leaders, kidnappings as well as improvised explosive devices (IED) attacks targeting civilians and security forces. The Center for Strategic and International Studies (CSIS) noted that ‘despite a decrease in the total number of Islamic State attacks across Iraq, attacks against government targets have increased from 2017 to 2018.’ Attacks by ISIS occur predominantly in areas previously held by the group, with a reported increase in attacks in the disputed areas of Kirkuk Governorate and Khanaqin District (Diyala Governorate).” (UNHCR, Mai 2019, S. 17)

In einem im September 2019 veröffentlichten Artikel hält der deutsche Nachrichtensender N-TV Folgendes zur Präsenz des IS im Irak fest:

„Der IS verfügt über kein eigenes Territorium mehr. Doch mit geschätzt 15.000 Kämpfern ist er heute zahlenmäßig stärker als vor seinem großen Aufbäumen. Sicherheitsexperten warnen: Die Kämpfer könnten sich neu organisieren, wenn sich ihnen der passende Raum bietet. Dieser Raum entwickelt sich in den Gouvernements Niniveh, Salah ad-Din, Diyala und Kirkuk, in dem Hawez Heimatdorf Palkana liegt. Die irakische Armee hat hier eine Serie von Operationen gestartet. Doch die Gegenden sind ein sicherheitspolitisches Niemandsland. Es ist umstritten, wer hier das Sagen hat.“ (N-TV, 7. September 2019)

Die folgende von EASO zusammengestellte Tabelle zeigt die von der UN-Unterstützungsmission für den Iraq (UNAMI) dokumentierten Zahlen der in der Provinz Kirkuk getöteten Zivilisten für die Jahre 2014-2018:

 

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(UNAMI-Zahlen, dargestellt von EASO, März 2019, S. 104)

Das Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED) ist ein Projekt Universität von Sussex zur Sammlung, Analyse und Kartierung von sicherheitsrelevanten Vorfällen. Im ACLED-Datensatz (mit Stand 9. September 2019) werden unter Verweis auf verschiedene Quellen für die erste Jahreshälfte 2019 für die Provinz Kirkuk 134 sicherheitsrelevante Vorfälle dokumentiert, im Zuge derer 311 Personen ums Leben gekommen seien. 52 dieser Vorfälle (mit 130 Todesopfern) hätten sich laut ACLED im Distrikt Kirkuk ereignet.

Für die Stadt Kirkuk werden für die erste Jahreshälfte 2019 unter anderem die folgenden Vorfälle dokumentiert: Am 16. Jänner hätten im Viertel al-Musala in der Stadt Kirkuk nicht identifizierte bewaffnete Männer Schüsse auf einen Führer der Demokratischen Partei Kurdistans (Kurdistan Democratic Party, KDP) abgefeuert und diesen dabei getötet. Am 17. Jänner sei über einen Vorfall berichtet worden, bei dem eine unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung (USBV) explodiert sei, mit der auf ein Fahrzeug abgezielt worden sei, das durch das Sabti-Viertel der Stadt Kirkuk gefahren sei. Dabei seien eine Frau getötet und zwei weitere Zivilisten verletzt worden. Am 25. Jänner habe eine vom IS auf der Straße Kirkuk-Tikrit platzierte USBV die Insassen eines Polizeifahrzeugs getötet oder verletzt (die Zahl der Todesopfer sei unbekannt). Wie am 25. April berichtet sei ein Betäubungsgerät vor dem Tor einer Wachanlage im Gebiet Ras al-Jisr im Zentrum der Stadt Kirkuk explodiert und habe zwei Zivilisten verletzt. Am 11. Juni 2019 sei berichtet worden, dass in der Stadt Kirkuk nicht identifizierte bewaffnete Männer einen Zivilisten erschossen hätten:

„On Jan 16, unidentified armed men fired shots towards a leader of the KDP [Kurdistan Democratic Party] in al Musala neighborhood in Kirkuk city, killing him. […]

As reported on Jan 17, an unidentified IED [improvised explosive device] exploded targeting a vehicle passing through Sabti neighborhood in Kirkuk city, killing 1 woman and injuring 2 other civilians. […]

On Jan 25, an IS planted IED exploded targeting a police vehicle on the Kirkuk-Tikrit road, destroying the vehicle and killing and injuring those on board (unknown fatalities coded as 10). […]

As reported on Apr 25, an unidentified stun device planted in front of a guard gate yard in Ras al Jisr area in central Kirkuk city, exploded injuring 2 civilians. […]

Reported on 11 06 2019, unidentified armed men shot and killed a civilian, in Kirkuk city.” (ACLED, Daten vom 9. September 2019)

In einem regionalen Überblick zur Sicherheitslage vom Juni 2019 hält ACLED fest, dass es in den Provinzen Salahuddin und Kirkuk zu einem Anstieg von Anschlägen des IS auf die Stammesmobilisierungstruppen (Tribal Mobilization Forces, TMF) und von Brandanschlägen auf zivile Agrarflächen gekommen sei. In Kirkuk seien Berichten zufolge sechs Bomben detoniert, die mutmaßlich vom IS platziert worden seien:

„Meanwhile, in Iraq there was also a rise in Islamic State (IS) attacks targeting the Tribal Mobilization Forces (TMF) and burning civilian agricultural areas in Sala al-Din and Kirkuk provinces. Six bombs were reported in Kirkuk that are suspected to have been planted by IS.” (ACLED, 5. Juni 2019, S. 2)

Das kurdische Mediennetzwerk Rudaw veröffentlicht im Mai 2019 einen Artikel zu den oben bereits erwähnten sechs Bombenanschlägen, die laut Rudaw am 30. Mai 2019 in der Stadt Kirkuk verübt worden seien. Bei dem Anschlag seien drei Personen getötet und mindestens weitere 16 verletzt worden:

„A number of explosions hit Kirkuk city late on Thursday, killing three people and injuring at least 16 people. […] For nearly two months, Iraqi Security Forces have been conducting anti-ISIS clearing operations, primarily in southern Kirkuk. Improvised explosive devices (IEDs) and vehicle-borne improvised explosive devices (VBIED) detonated around 10 p.m. (local time). Rudaw's correspondent in Kirkuk said three people have died and 18 were wounded, including a high-ranking police officer. […] Iraqi Security Media Cell later confirmed the explosion in a statement that six IEDs exploded in Kirkuk and security forces “defused” two others. […] No group immediately claimed the attacks.” (Rudaw, 30. Mai 2019)

Auch das deutsche Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) berichtet in seinen Briefing Notes vom Juni 2019 über diesen Vorfall und spricht von mindestens drei Getöteten und 16 Verletzten. (BAMF, 3. Juni 2019, S. 2)

 

Nalia Radio and Television (NRT), ein laut eigenen Angaben unabhängiges und vom Bauunternehmen Nalia finanziertes Mediennetzwerk in der Autonomen Region Kurdistan, berichtet am 8. September 2019, dass gemäß Presseaussendung eines Polizeisprechers in den Vierteln Hezeiran 1 and Hay al-Khazira USBVs detoniert seien. Eine weitere Bombe sei von der Polizei entschärft worden. Laut anonymen Angaben einer Kontaktperson aus dem Allgemeinen Krankenhaus von Kirkuk seien dabei sechs Personen verletzt worden. Zu dem Anschlag habe sich unmittelbar danach keine Gruppe bekannt. Der Artikel merkt weiters an, dass Anschläge in der Stadt Kirkuk gelegentlich vorkämen, da verbliebene IS-Kämpfer in dem Gebiet nach wie vor aktiv seien. Üblicher seien solche Anschläge allerdings in der ländlichen Umgebung der Stadt:

„Spokesperson for the Kirkuk Police Directorate Afrasyaw Kamil said in a press release that improvised explosive devices went off in the First Hezeiran and Hay al-Khazira neighborhoods. ‘The police forces defused another bomb,’ Kamil said. A source from the Kirkuk General Hospital who spoke on condition of anonymity told NRT Digital Media that six people were wounded and were being treated at the hospital. No group immediately claimed responsibility. Attacks occasionally occur in Kirkuk city, as Islamic State remnants are still active in the area, but are more common in the surrounding rural areas.” (NRT, 8. September 2019)

Ethnisch-religiöse Spannungen, Bedrohung oder Diskriminierung von KurdInnen in Kirkuk

Das US-amerikanische Außenministerium (US Department of State, USDOS) schreibt in seinem im Juni 2019 veröffentlichten Bericht zur Religionsfreiheit (Berichtszeitraum 2018), dass Kurden, Turkmenen, Kaka'i, Christen und andere Minderheiten nach der Rückkehr zur zentralstaatlichen Kontrolle über Kirkuk Ende 2017 Diskriminierung, Vertreibung und in einigen Fällen Gewalt durch PMF und irakische Sicherheitskräfte ausgesetzt gewesen seien. Medien hätten in zahlreichen Berichten auf schiitische PMF-Gruppen aufmerksam gemacht, die in der Provinz Kirkuk in Häuser von Kurden, sunnitischen Turkmenen, sunnitischen Arabern und anderen ethnischen Minderheiten eingedrungen seien und die Häuser geplündert und in Brand gesteckt hätten:

„Following the return of central government control in Kirkuk in late 2017, Kurds, Turkomans, Kaka’i, Christians, and other minorities faced discrimination, displacement, and in some cases, violence from PMF and Iraqi security forces. […] Media outlets carried numerous reports of Shia PMF groups invading, looting, and burning the houses of Kurds, Sunni Turkomans, Sunni Arabs, and other ethnic minorities in Kirkuk Governorate.” (USDOS, 21. Juni 2019)

In einem im September 2019 veröffentlichten Artikel hält der deutsche Nachrichtensender N-TV fest, dass der wieder erstarkende IS und möglicherweise auch andere Gruppen landwirtschaftliche Anbauflächen – darunter auch in Gebieten der Provinz Kirkuk befindliche - in Brand stecken würden und damit die Lebensgrundlage der Bauern zerstören würden. In dem Artikel wird die Frage aufgeworfen, ob nach der Machtübernahme durch die Zentralregierung womöglich eine erneute sich gegen die Kurden wendende Arabisierungswelle im Gange sei und ob die Ackerbrände möglicherweise den Versuch darstellen würden, den sich dagegen richtenden Widerstand zu brechen:

„Im Norden des Irak erstarkt der IS wieder. Mit Feuer zerstört er die Lebensgrundlage von Bauern. Doch die Dschihadisten sind womöglich nicht die Einzigen, die durch Brandstiftung Macht demonstrieren. […]

Die Armee der Zentralregierung und ihre Verbündeten griffen zu den Waffen. Sie vertrieben die kurdischen Streitkräfte aus Kirkuk. Das Gouvernement regiert seither ein von Bagdad entsandter Araber. Hawez [Farhad Anwar Hawez, ein Bauer der im Dorf Palkana nahe der Stadt Kirkuk lebt] erinnert lebhaft, was nach der Machtübernahme folgte: Am 27. Dezember 2017 seien mehr als 100 Autos in Palkana angekommen und mit ihnen 500 Männer - Araber und Militärs. Sie verteilten Flugblätter. Darauf wurden die Kurden aufgefordert, Palkana in 72 Stunden zu verlassen. Das Ultimatum haben ein Behördenvertreter und ein hochrangiger irakischer Militär unterzeichnet. Eine Kopie liegt n-tv.de vor. Die Authentizität der Dokumente, die uns die Dorfbewohner präsentieren, können wir allerdings nicht mit letzter Sicherheit prüfen. Ist das Ultimatum der Beweis dafür, dass eine neue Welle der Arabisierung im Gange ist? Und stellen die Ackerbrände den Versuch dar, den Widerstand dagegen zu brechen?“ (N-TV, 7. September 2019)

Der gesamte Artikel ist unter dem folgenden Link abrufbar:

 

Das BAMF hält in seinen Briefing Notes vom Mai 2019 Folgendes zur Lage in der Provinz Kirkuk fest:

„Lokalen, kurdischen Medienberichten zufolge kam es in der Provinz Kirkuk vermehrt zu Spannungen zwischen kurdisch- und arabischstämmigen Irakern. Den Berichten zufolge sollen Kurden gezwungen worden sein, ihre Häuser zu verlassen. Der Governeur von Kirkuk, Rakan Saeed, wurde beschuldigt, die Räumungsverordnungen zu billigen. Am 20.05.19 traf sich der irakische Premierminister Adel Abdul-Mahdi mit Vertretern der kurdischen Regionalregierung, um die Beziehungen der beiden Regierungen und die Lage in Kirkuk sowie die sichere Rückkehr von im Oktober 2017 vertriebenen Kurden zu besprechen.“ (BAMF, 27. Mai 2019, S. 3)

Das in der Autonomen Region Kurdistan (Irak) ansässige kurdische Mediennetzwerk Rudaw berichtet in einem im Juli 2019 erschienenen Artikel über Demonstrationen, die am 12. Juli stattgefunden hätten. Diese würden sich gegen die von den kurdischen Parteien KDP und PUK (Patriotic Union for Kurdistan) eingebrachte Nominierung eines kurdischen Kandidaten für das Amt des Provinzialgouverneurs richten.

In dem Artikel wird zu den Hintergründen bezüglich der Situation in Kirkuk festgehalten, dass Kirkuk zu den umstrittenen Gebieten Iraks gehöre, das sowohl von der Kurdischen Regionalregierung als auch von der Zentralregierung in Bagdad beansprucht werde. Nach dem Aufstieg des IS im Jahr 2014 sei die Stadt Kirkuk unter die Kontrolle der Peschmerga geraten und sei von dem Kurden Najmaldin Karim verwaltet worden. Nach dem Unabhängigkeitsreferendum im Jahr 2017 sei die Stadt am 16. Oktober 2017 mit Unterstützung der überwiegend schiitischen PMF von zentralstaatlichen Truppen zurückerobert worden. Daraufhin habe der irakische Premierminister Haider al-Abadi dem Parlament die Entlassung von Karim und die Übergabe des Amtes an seinen Stellvertreter Jabouri empfohlen. Hochrangige regionale und nationale Politiker hätten friedliche und diplomatische Mittel gefordert, um die Spannungen in der Provinz abzubauen, Spannungen, die in jüngster Zeit von Gewalt geprägt gewesen seien, einschließlich Autobomben und massiven Fällen landwirtschaftlicher Brandstiftung:

Demonstrators took to the streets of Kirkuk on Friday, against the proposition of a Kurdish candidate for Kirkuk governor by the Patriotic Union for Kurdistan (PUK) and the Kurdistan Democratic Party (KDP) on Thursday. The predominantly Arab and Turkmen protestors held Iraqi flags and chanted in support of acting Governor and Kirkuk native Rakan Saeed Al-Jabouri, a Sunni Arab. […]

Kirkuk, a disputed territory claimed by both Erbil and Baghdad, came under Peshmerga control in 2014 after the rise of ISIS. Under Kurdish security force administration, the city was governed by Najmaldin Karim, a Kurd. Following the 2017 independence referendum, the city was retaken by federal troops, with the assistance of the predominantly Shiite Hashd al-Shaabi (Popular Mobilization Forces, PMF) on October 16, 2017. Then Iraqi Prime Minister Haider al-Abadi recommended the sacking of Karim to parliament and the handover of the position to his deputy, Jabouri. Senior regional and national political figures have called for peaceful and diplomatic means to dispel tensions in the province, which has recently been plagued with violence including car bombs and mass agricultural arson.” (Rudaw, 13. Juli 2019)

Kurdistan 24, ein in der Autonomen Region Kurdistan (Irak) ansässiger Nachrichtensender, berichtet im Mai 2019, dass irakische Sicherheitskräfte in der umstrittenen Stadt Kirkuk die Häuser von vier kurdischen Familien zerstört hätten. Laut den Einheimischen seien dies diskriminierende Maßnahmen, die dazu dienen würden, Kurden einzuschüchtern, damit sie die Region verlassen. Der Vorfall habe sich im Stadtteil Arafa, nordwestlich des Zentrums der Stadt ereignet. Die Sicherheitskräfte seien mit Bulldozern und anderen schweren Maschinen in das Gebiet gekommen und hätten ohne Vorwarnung die Mauern von vier Häusern niedergerissen, die den Familien von Peshmerga-Kämpfern gehört hätten, sowie einen kleinen Laden.

Der Artikel stellt den Bezug zur Arabisierungskampagne unter der Herrschaft Saddam Husseins her und hält fest, dass viele Kurden in Kirkuk eine erneute Hetzkampagne befürchten würden, die darauf abziele, die Position der Kurden in der Provinz noch weiter zu schwächen. Derartige Sorgen seien seit den Ereignissen im Oktober 2017 gewachsen, nachdem die Zentralregierung für die Provinz einen neuen Gouverneur eingesetzt habe:

„Iraqi security forces on Thursday demolished the homes of four Kurdish families in the disputed city of Kirkuk in what locals claim is discriminatory action meant to intimidate Kurds into leaving the region. The incident occurred in the Arafa neighborhood, northwest of Kirkuk, an ethnically diverse city long plagued by tensions with the province having undergone multiple systematic campaigns of demographic change to ‘Arabize’ the region and obstruct the Kurdistan Region’s claim to it. The security forces arrived in the area with bulldozers and other heavy machinery early Thursday, and without warning, brought down the walls of four homes, all of which belonged to Peshmerga families, along with a small store just down the street from them. One local told Kurdistan 24 that the officer in charge had said the reason behind the action was the houses were trespassing on property owned by Iraq’s North Oil Company, a public entity that operates in Kirkuk and is parented by the national ministry of oil. However, according to locals, members of other ethnicities, like Arabs and Turkmen, are guilty of the same infringements but the authorities have yet to crack down on the other groups as they have on the Kurds. Speaking with Kurdistan 24, one resident drew parallels between their woes today and those they experienced under the Ba’athist regime before 2003. During the reign of Saddam Hussein, the government forced many Kurds to leave Kirkuk and handed land deeds to ethnic Arabs in an aggressive campaign to ‘Arabize’ the province. After the fall of Hussein, many owners of such pieces of property were allowed to return to the region and resettle their rightful lands. However, the current situation has led many to fear another campaign aimed at weakening the Kurdish position in the province. The worries have only grown since the events of October 2017, when Baghdad installed a new governor in Kirkuk province.” (Kurdistan 24, 16. Mai 2019)

Kurdistan 24 berichtet im Mai 2019, dass am 14. Mai 2019 Berichten zufolge etwa 200 arabische Sunniten nach Sargaran, einem Subdistrikt der Stadt Kirkuk, gekommen seien, um sich dort niederzulassen und Grundstücke zu besetzen. Gerechtfertigt hätten sie dies mit dem Besitz von illegalen Dokumenten aus der Zeit Saddam Husseins, während der mehrere Arabisierungskampagnen in der Region stattgefunden hätten. Im Zuge des Vorfalls sei es zu Zusammenstößen zwischen kurdischen Dorfbewohnern und den Ankömmlingen gekommen, bei denen auch mehrere Militärfahrzeuge vor Ort gesehen worden seien, die versucht hätten, die Situation unter Kontrolle zu bekommen:

„On Tuesday, around 200 Arab Sunni citizens reportedly arrived in Kirkuk’s Sargaran sub-district to settle and occupy properties using unlawful documents from Saddam’s era, under whom several Arabization campaigns took place in the area as part of a systematic demographic change in the disputed territory. Footages sent to Kurdistan 24 shows dozens of cars carrying what were described as Arab citizens parked in the Palkana village of Sargaran. Clashes erupted between Kurdish villagers and the newly-arrived individuals, with several military vehicles seen on site in attempts to control the situation.” (Kurdistan 24, 14. Mai 2019)

Kurdistan 24 berichtet im Jänner 2019, dass der amtierende, von der Zentralregierung eingesetzte Gouverneur der Provinz Kirkuk, Rakan al-Jabouri, am 8. Jänner 2019 Sicherheitskräfte auf den Straßen seiner Hauptstadt mobilisiert habe, um eine Versammlung von Kurden zu zerstreuen, die die Entscheidung einer politischen Partei gefeiert hätten, die kurdische Flagge über ihren Bürogebäuden zusammen mit der irakischen zu hissen. In dem Artikel heißt es weiterhin, dass die Politik von al-Jabouri als Mittel zur Schwächung der kurdischen Position in der Stadt betrachtet werde. Die Art, in der er sein Amt ausübe, werde von vielen als repressiv und martialisch angesehen. Dazu gehöre etwa auch das Verbot der kurdischen Flagge:

„Kirkuk Province’s acting governor on Tuesday mobilized security forces to the streets of its main city to disperse Kurds celebrating a political party’s decision to raise the Kurdistan flag over their office buildings along with the Iraqi one. […] The acting governor has since enacted policies that are seen as a means to weaken the Kurdish position in the city. His rule is seen by many as oppressive and military in nature. This includes a firm ban on the Kurdistan flag.” (Kurdistan 24, 9. Jänner 2019)

Lage in der Autonomen Kurdenregion (insbesondere für Kurden)

Das norwegische Herkunftsländerinformationszentrum Landinfo ist ein unabhängiges Organ der norwegischen Migrationsbehörden, das verschiedenen AkteurInnen innerhalb der Migrationsbehörden Herkunftsländerinformationen zur Verfügung stellt. Unter Verweis auf verschiedene Quellen schreibt Landinfo in einem Bericht vom November 2018, dass Kurden aus Kirkuk ihren Aufenthaltsstatus nicht ändern müssten und keine speziellen Dokumente benötigen würden, um in das autonome Kurdengebiet einzureisen. Im Allgemeinen würden kurdische Bevölkerungsgruppen, unabhängig davon, woher sie im Irak kommen würden, in der autonomen Kurdenregion keine besonderen Genehmigungen irgendeiner Art benötigen. Für Kurden, die in Kirkuk registriert seien, sei es allerdings nicht möglich, ihre Registrierung auf Erbil zu ändern, ohne Bestechungsgelder zu zahlen und ohne die richtigen Kontakte zu haben. Es sei eine Herausforderung für andernorts registrierte Kurden, wichtige Ausweispapiere erneuern zu lassen, da sie für die Ausstellung von Dokumenten in ihre Herkunftsprovinz zurückkehren müssten. Bei der Übernahme von Kirkuk durch die irakischen Sicherheitskräfte im Oktober 2017 hätten die Kurden aus Kirkuk Zugang zu Erbil erhalten und sie hätten keine Aufenthaltserlaubnis benötigt. Sowohl sunnitische als auch schiitische Araber würden eine solche Aufenthaltserlaubnis benötigen, um in Erbil bleiben zu können:

Kurds from Kirkuk do not need to change their residence status, and require no special documents to enter KRI [Kurdistan Region Iraq]. In general, Kurdish populations, regardless of where in Iraq they come from, do not need special permissions of any kind in KRI. It is impossible for Kurds who are registered in Kirkuk to change registration to Erbil without paying bribes and having the right contacts. It is a challenge for Kurds registered elsewhere to renew important identity documents, because they have to return to their governorate of origin, to have the documents issued. During the takeover of Kirkuk by the Iraqi security forces in October 2017, Kurds from Kirkuk were given access to Erbil and they were not requested a residence permit. Sunni as well as Shia Arabs need a residence permit to stay in Erbil.” (Landinfo, November 2018, S. 39)

In seinen im Mai 2019 veröffentlichten Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Asylsuchenden aus dem Irak hält der UNHCR unter Verweis auf verschiedene Quellen fest, dass die Sicherheitslage in der autonomen Kurdenregion relativ stabil sei, wenngleich das Risiko von IS-Anschlägen weiterhin bestehe. Die Sicherheitskräfte seien wachsam angesichts der gemeldeten Präsenz lokaler Schläferzellen des IS und anderer bewaffneter Gruppen, sowie angesichts gemeldeter IS-Operationen in den benachbarten Provinzen Kirkuk und Diyala:

The security situation in the KR-I [Kurdistan Region Iraq] remains relatively stable, although the risk of ISIS [Islamic State in Iraq and Syria] attacks persists. However, security forces are vigilant in light of the reported presence of homegrown sleeper cells of ISIS and other armed groups, as well as ISIS operations in neighbouring Kirkuk and Diyala Governorates.” (UNHCR, Mai 2019, S. 22)

Informationen zur Sicherheitslage im autonomen Kurdengebiet finden sich auch in der folgenden Anfragebeantwortung von ACCORD:

  • ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zum Irak: Autonome Region Kurdistan: Lage alleinstehender Frauen; Sicherheitslage [a-11064], 12. August 2019
    https://www.ecoi.net/de/dokument/2014734.html

 

Informationen zur Lage im Autonomen Kurdengebiet bezüglich der Themen Wohnraum, Kosten, Arbeitslosenrate, Erwerbsrestriktionen, Sozialsystem und Schwierigkeiten für RückkehrerInnen aus Europa finden sich in der folgenden Anfragebeantwortung von ACCORD:

  • ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zum Irak: Autonome Region Kurdistan: Lage von RückkehrerInnen aus dem Ausland: Schikanen, Diskriminierungen, Wohnraum, Kosten, Arbeitslosenrate, Erwerbsrestriktionen; Sozialsystem; Schwierigkeiten für RückkehrerInnen aus Europa [a-10882-3 (10884)], 21.Februar 2019
    https://www.ecoi.net/de/dokument/1458101.html

 

Anbei wird die folgende ACCORD-Anfragebeantwortung zur Menschenrechtslage im autonomen Kurdengebiet mitgesendet:

  • ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Autonome Region Kurdistan: Menschenrechtslage, insbesondere für sunnitische Kurden (Aktualisierung von a-10541-2), 21.Februar 2019

 

 

Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 19. September 2019)