a-4600 (ACC-TUR-4600)

Nach einer Recherche in unserer Länderdokumentation und im Internet können wir Ihnen zu oben genannter Fragestellung Materialien zur Verfügung stellen, die unter anderem folgende Informationen enthalten:
Aleviten
Die Europäische Kommission erwähnt in ihrem letzten Fortschrittsbericht vom Oktober 2004, dass die Aleviten als Religionsgemeinschaft nicht offiziell anerkannt würden:
„Was die Lage nichtsunnitischer Muslimminderheiten betrifft, so hat sich deren Status nicht geändert. Die Aleviten [Fußnote: Schätzungsweise 12 bis 20 Mio. Anhänger] werden als Religionsgemeinschaft offiziell nicht anerkannt, stoßen bei der Eröffnung von Gebetsstätten oft auf Schwierigkeiten, und der religiöse Pflichtunterricht in den Schulen erkennt nichtsunnitische Bekenntnisse nicht an. Die Eltern eines alevitischen Kindes haben im Hinblick auf den obligatorischen Religionsunterricht ein Verfahren vor dem EGMR angestrengt. Die meisten Aleviten fordern, dass die Türkei als säkularer Staat alle Religionen gleichbehandeln und keine bestimmte Religion (die Sunniten) direkt unterstützen soll wie das gegenwärtig in der Diyanet [Anm.: Generaldirektion für religiöse Angelegenheiten] geschieht.“ (Europäische Kommission, 6. Oktober 2004, S. 45-46)
[Passage entfernt]
 
Das US Department of State (USDOS) schreibt in seinem letzten Bericht zur Religionsfreiheit vom September 2004, dass Aleviten ihren Glauben frei ausüben würden und Versammlungsstätten (sog. „Cem“-Häuser) errichteten. Viele Aleviten würden sich diskriminiert fühlen, unter anderem wegen der Ansicht der Diyanet, die Aleviten als kulturelle und nicht als religiöse Gemeinschaft betrachten würde. Premierminister Erdogan habe bei einem Interview gesagt, dass „Cem“-Häuser eher Kulturhäuser seien als „Tempel“:
“Alevis freely practice their beliefs and build “Cem houses” (places of gathering). Many Alevis allege discrimination in the Government’s failure to include any of their doctrines or beliefs in religious instruction classes in public schools, which reflect Sunni Muslim doctrines. They also charge a bias in the Diyanet, which views Alevis as a cultural rather than religious group; the Diyanet does not allocate specific funds for Alevi activities or religious leadership. During a September visit to Germany, Prime Minister Erdogan told reporters that “Alevism is not a religion” and said Alevi Cem houses are “culture houses” rather than “temples.”“ (USDOS, 15. September 2004)
Einen aus dem Jahr 2002 stammenden historischen Überblick zum Thema Aleviten in deutscher Sprache bietet der Wissenschaftler Udo Steinbach in seinem Beitrag „Islam in der Türkei“:
„Nach den sunnitischen Muslimen bilden die Aleviten die zahlenmäßig größte Religionsgemeinschaft, der jeder fünfte Bewohner der Türkei angehört. Die Aleviten bekennen sich zum Islam. Doch anders als die Sunniten beherzigen sie die „Fünf Säulen”, die grundlegenden Glaubensvorschriften des Islam (Ablegung des Glaubensbekenntnisses; fünfmaliges Gebet am Tag; Abgabe eines bestimmten Vermögensanteils; Fasten im Monat Ramadan; Wallfahrt nach Mekka) nicht. Den Koran legen die Aleviten nicht nach den Buchstaben aus, sondern deuten ihn mystisch. [...]. Die Republik Türkei brachte den Aleviten Glaubensfreiheit und die Anerkennung als gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger. Das erklärt, weshalb die Angehörigen der alevitischen Glaubensgemeinschaft politisch durchweg dem kemalistisch-laizistischen Lager zuzurechnen sind. Aleviten leben über das ganze Land verteilt, doch liegen ihre Siedlungsschwerpunkte im Osten Zentralanatoliens. Die alevitischen Zuwanderer, die in den sechziger und siebziger Jahren in die Großstädte gezogen waren, haben den sozialen Aufstieg meist geschafft. Es entstand eine alevitische Mittelschicht, die Anwälte, Ingenieure, Unternehmer, Journalisten und ähnliche Berufe hervorbrachte. Ihnen fallen bei der Neuorganisation der Gemeinschaft heute Führungsaufgaben zu. Politisch bekennen sie sich überwiegend zur Sozialdemokratie und gemäßigten Linken. Auffallend ist aber zugleich der hohe Anteil von Aleviten in radikalen linken, teilweise militanten Organisationen. Heute bekennen sich zahlreiche Aleviten öffentlich zu ihrer Identität und zu ihrem lange geheim gehaltenen Glauben. Konservative und nationalistische Aleviten behaupten, das Alevitentum habe den „wahren” Islam der Türkei geschaffen, ihr Islam entspreche den Eigenheiten der Türken mehr als die den Arabern entlehnte Orthodoxie. In den neunziger Jahren kam es zu mehreren gewalttätigen Ausschreitungen zwischen politisch Konservativen der extremistischen Sunniten auf der einen und Angehörigen der alevitischen Glaubensgemeinschaft auf der anderen Seite. Die Auseinandersetzung um die eigene Identität ist in vollem Gange.“ (Steinbach, 2002)
Auch im Beitrag des Internationalen Katholischen Missionswerk missio zur Lage der Menschenrechte in der Türkei aus dem Jahr 2002 finden sich Informationen zu den Aleviten:
„Auch wenn die Lage der Aleviten in der Türkei heute weit entspannter ist, als es etwa in den 80er oder 90er Jahren der Fall war, ist doch festzustellen, dass noch viele Fragen offen sind. Diese beziehen sich nicht nur darauf, dass auch heute jederzeit neuerlich Ausbrüche von anti-alevitischer Gewalt zu befürchten sind, wie 1993 in Sivas, wo unter den Augen der durchweg türkisch-chauvinistisch orientierten Polizei islamisch-fundamentalistische und türkisch-chauvinistische Horden das Tagungshotel einer Konferenz der alevitischen „Pir Sultan Abdal-Vereinigung“ belagerten, es anzündeten und 37 Tagungsteilnehmer ermordeten, und auch nicht nur darauf, dass es in späteren Jahren wiederholt, so z.B. 1995 in den Istanbuler Stadtteilen Gaziosmanpas¸a und Ümraniye, zu blutigen Übergriffen islamisch-fundamentalistischer Banden auf Aleviten gekommen ist. Entscheidender ist, dass bis heute eigentlich keine der Forderungen der Aleviten, wie z.B. - nach offizieller staatlicher Anerkennung, - nach Einrichtung einer Alevitischen Abteilung im Präsidium für Religionsangelegenheiten, - nach offizieller Berücksichtigung der Aleviten bei der Vergabe von Staatsmitteln über das Präsidium oder andere Stellen, - nach Erteilung alevitischen Religionsunterrichts in den Schulen, - nach der Bereitstellung von Sendezeit bei Rundfunk und Fernsehen zur Bekanntmachung alevitischer Kultur erfüllt worden ist. Einige dieser Forderungen sind auch unter den Aleviten umstritten. So lehnen die Befürworter einer rigorosen Trennung von Religion und Staat natürlich den Fortbestand des Präsidiums für Religionsangelegenheiten und die staatliche Alimentierung ab. Unabhängig davon würden aber selbst die weniger weit reichenden Forderungen grundsätzliches Umdenken, und in der Konsequenz insbesondere die Abkehr vom Staatsideal des türkischen Nationalismus (Milliyetçilik), erfordern, das von den Staatsbürgern als „Türken” spricht und dabei jene meint, die türkischer Muttersprache und sunnitisch-islamischer Konfession sind. Im Februar 2002 hat der Kassationsgerichtshof indes alle Vereinigungen, Stiftungen und anderen Einrichtungen der Aleviten mit der Begründung verboten, sie stellten eine Bedrohung der nationalen Einheit dar.“ (missio, 2002, S. 13-16)
Das Canadian Immigration and Refugee Board (IRB) geht in einer Anfragebeantwortung vom April 2005 detailliert auf die Lage der Aleviten in der Türkei ein. Das IRB zitiert einen Professor der Universität Utrecht, wonach die Aleviten seit langem diskriminiert würden und sich als Bürger zweiter Klasse betrachten würden. Weiters zitiert das IRB David McDowall, der in einem Bericht einer fact-finding-mission im Jahr 2000 feststellte, dass die Aleviten zwar nicht als Bürger im vollen Wortsinn anerkannt worden seien, jedoch auch nicht verfolgt worden seien. IRB zitiert auch zwei weitere Quellen, wonach es seit 1995 keine offenen Gewalttaten gegen Aleviten mehr gegeben habe:
“In February 2002, Martin van Bruinessen, professor of Islamic studies at Utrecht University in The Netherlands, stated that Alevis “’ha[ve] long been discriminated against and ... [have had] a strong awareness of always having been second-rate citizens’” (RFE/RL 28 Feb. 2002). However, according a report by David McDowall, who was commissioned to conduct a fact-finding mission to Turkey in October 2000, even though Alevis have not been “wholeheartedly embraced as citizens in the fullest sense of the word ... broadly speaking, Alevi Turks have not been persecuted within the Republic” (McDowall Nov. 2002, 57). The 2002 Official General Report on Turkey, prepared by The Netherlands delegation to the Council of the European Union, indicated that since the incidents of violence directed at Alevis in 1978, 1993 and 1995, “[n]o further incidents overtly victimising Alevis are known to have occurred” as at January 2002 (15 Apr. 2002, 93). Similarly, the Istanbul-based daily newspaper Hurriyet reported that “there are no clashes anymore of right and left, nationalist and reformist, Sunni and Alevi” (20 Mar. 2004).j” (IRB, 14. April 2005; vgl. McDowall, November 2002)
Das IRB zitiert den islamischen Gelehrten Fethullah Gulen, dem zufolge die Aleviten an allen gesellschaftlichen Aktivitäten teilhaben würden und jeden Beruf ergreifen könnten. Ein von IRB genannter BBC-Artikel berichte hingegen von Beschwerden der Aleviten, dass sie keine höherrangigen Positionen in Regierung und Militär einnehmen könnten. Das IRB habe keine Quellen über Misshandlungen von Aleviten durch staatliche oder nicht-staatliche Akteure im Zeitraum Jänner 2002 bis April 2005 finden können:
“[...] Fethullah Gulen made the following statement regarding the situation of Alevis in Turkey : [t]he Alevis have not experienced any serious problem in Turkey so far. Some unpleasant events occurred and they were probably persecuted during the initial years of the Republic. Now, the Alevis take part in all social activities and practice any profession. They can establish political parties and become military officers and governors. ...They can carry out educational activities in accordance with the State’s laws (10 Jan. 2005). Conversely, a BBC news article reported in November 2004 that many Alevis “complain that none of the senior jobs in government or the military come their way, even at a provincial level” (19 Nov. 2004). [...] Reports of incidents of ill-treatment by state and/or non-state agents during the period of January 2002 to April 2005 could not be found among the sources consulted by the Research Directorate.” (IRB, 14. April 2005)
Mehrere Quellen berichten laut IRB, dass die Aleviten keine staatlichen Förderungen erhalten würden, da sie nicht als Religion, sondern als kulturelle Gemeinschaft betrachtet würden. Die Aleviten würden Steuern bezahlen, die den Sunniten zugute kommen würden. In alevitischen Dörfern würden sunnitische Gebetshäuser errichtet, weil das Präsidium für religiöse Angelegenheiten Aleviten als Sunniten betrachte, alevitische „Cem“-Häuser hingegen würden nicht als Gebetshäuser, sondern als Kulturzentren betrachtet:
“Alevis allege that by regarding Alevism as a culture rather than as a religion, the Directorate of Religious Affairs (also referred to as the Diyanet), which provides financial aid to religious establishments such as Sunni mosques, does not allocate any funding to them or Cem houses (Hurriyet 9 Aug. 2002; International Religious Freedom Report 2004 15 Sept. 2004, Sec. II; McDowall Nov. 2002, 58; The Economist 19 Mar. 2005, 11). Accordingly, Alevis pay taxes that ultimately benefit Sunnis (BBC 19 Nov. 2004; Turkish Daily News 10 Dec. 2004). In May 2004, “[when] a group of Alevi[s] in the Istanbul district of Kartal asked for land to be allocated for a cemevi [Alevi houses of worship], the local governor said they were Muslims and Kartal had enough mosques already. Indeed it has: almost 700 of them. But there is only one cemevi” (The Economist 19 Mar. 2005, 11). There is no Alevi representation within the Directorate of Religious Affairs (Milliyet 3 Mar. 2005; EU 2003, 36), which Alevis allege is “geared solely towards the Sunni faith” (CEU 15 Apr. 2002, 92; Country Reports 2004 28 Feb. 2005, Sec. 2.c). One example of this, according to Alevis, is the building of Sunni mosques by the Directorate, in Alevi villages, which the Alevi find very offensive (McDowall Nov. 2002, 58). [...]The International Religious Freedom Report 2004 states that “ Alevis freely ... build ‘Cem houses’” (15 Sept. 2004). However, an MRG report that was submitted to the European Union noted that on 15 July 2004, the Turkish government amended the Act on Construction so as to permit the establishment of places of worship (MRG July 2004, 26). The law, however, does not identify the types of places of worship that can be established, and so “applications for establishing cemevis have been rejected on the basis that they are cultural centres rather than places of worship” (ibid., 27).” (IRB, 14. April 2005)
In der Anfragebeantwortung des IRB wird auch die Zustimmung des Bildungsministers erwähnt, in den Lehrplan der Schulen auch den Alevismus aufzunehmen. Die Minority Rights Group International wird zitiert, wonach die Reformen zur Verbesserung der Lage von Minderheiten auf dem Papier eindrucksvoll aussehen würden, sie jedoch nicht umgesetzt würden:
„Following the election of the Justice Development (AK) Party on 3 November 2003, the Education Minister officially agreed to allow schools to teach about Alevism (Turkish Daily News 25 Feb. 2004). According to the Turkish Daily News, the government had begun to implement this initiative and approached the Religious Affairs Directorate for its assistance (ibid.). In late 2004, the government announced its intention to introduce Alevism into the school curriculum (Sabah 2 Dec. 2004). Instruction on Alevism will begin in grade eight and will form a part of the lessons on Tasawwuf, or Islamic mysticism, which identify Alevism as “a mystical movement” (ibid.). According to Sabah, “[t]he final unit of the eighth grade books on Religious Culture and Morality will carry a chapter called ‘Different Approaches in the Religion,’ which will cover Alevism (ibid.). The books are expected to be released in time for the 2005-2006 academic year (ibid.). In February 2005, Alevis “launch[ed] a campaign to eliminate the mandatory religious classes from school curricula and the entry of religion in identity cards, as well as to ensure legal guarantees for the cem houses” (Roj TV 20 Feb. 2005). [...] In an 11 August 2004 news article on minority rights in Turkey, Minority Rights Group International (MRG) declared that although reforms aimed at improving the treatment of minorities in Turkey “look progressive on paper,” in actuality they “remain unimplemented, due in part to an institutional inability to fully accept principles of minority rights.” MRG argued that what is necessary is “the very basic acceptance and recognition of minorities [and] the actual implementation of both the letter and the spirit of new laws that purport to allow rights including the practice of language and religion” (MRG 11 Aug. 2004).” (IRB, 14. April 2005)
In den ACCORD derzeit zur Verfügung stehenden Quellen konnten keine Informationen dazu gefunden werden, ob Kurden alevitischen Glaubens vermehrt Repressalien ausgesetzt sind.
Fis-Akt
In zwei Gutachten von Amnesty International (AI) aus den Jahren 2002 und 2000 wird auf so genannte Fis-Datenblätter Bezug genommen:
„Vorliegenden Berichten zufolge sollen türkische Geheimdienste, Polizei und Gendarmerie vertrauliche Datenblätter, so genannte „Fis“, über auffällig gewordene Personen führen (vgl. Einzelentscheider-Brief 10/98 des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, S. 3, beigefügt als Anlage). In diesen Datenblättern können Angaben über Verfahren, die mit einem Freispruch endeten, über Vorstrafen trotz Löschung im Strafregister oder über Angehörige von Mitgliedern einer Terrororganisation aufgezeichnet werden. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass polizeiliche Dienststellen Vernehmungen und sonstige bedeutsame Vorgänge registrieren. Nach Einschätzung unserer Organisation ist davon auszugehen, dass Festnahmen, in deren Verlauf die festgenommene Person zu Spitzeldiensten aufgefordert wurde, von der türkischen Polizei in entsprechenden Registern bzw. in so genannten „Fis“ aufgenommen werden. In ähnlicher Weise äußerten sich türkische Rechtsanwälte über die Registrierung auffällig gewordener Personen in einem Informationsaustausch mit dem Verwaltungsgericht Berlin, 36. Kammer, am 26. Oktober 1999 [...]. Über die Dauer der Speicherung solcher Daten in den so genannten „Fis“ liegen keine gesicherten Erkenntnisse vor. Nach Einschätzung des Bundesamtes (vgl. Einzelentscheider-Brief) kann nicht ausgeschlossen werden, dass in der Türkei die erlangten Daten möglichst lange aufgehoben werden. Eine ähnliche Vermutung legen auch die Äußerungen von Rechtsanwalt Özevin im Rahmen des Informationsaustausches nahe. Seinen Angaben zufolge stünden auch Personen, die freigesprochen wurden und in einem Register aufgenommen wurden, unter einer gewissen Überwachung. Er führt weiter aus, dass bei einem Personalwechsel bei der Polizei Fotos von registrierten Personen an die neuen Polizisten weitergegeben würden oder neue Fotos würden von den registrierten Personen beschafft werden. [...] Wenn das Vorliegen eines so genannten „Fis“ bei der Einreise bekannt wird, ist davon auszugehen, dass eine Überstellung in Polizeigewahrsam zu weiteren Verhören erfolgt.“ (AI, 23. November 2000; vgl. AI, 14. August 2002)
In den ACCORD derzeit zur Verfügung stehenden Quellen konnten keine weiteren bzw. aktuelleren Informationen zum Thema fis-Akt gefunden werden.
Korruption
Laut dem von Transparency International erstellten Corruption Perception Index rangiert die Türkei im Jahr 2004 an 77. Stelle von 146 untersuchten Ländern. Die Türkei erreichte auf einer Skala von 10 (nicht korrupt) bis 0 (sehr korrupt) einen Wert von 3,2. (Transparency International, 20. Oktober 2004). Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) erwähnt das Thema Korruption in ihrem Bericht vom Mai 2005 an zwei Stellen:
„Korruption stellt nach wie vor in nahezu allen Bereichen der Wirtschaft und in öffentlichen Angelegenheiten ein grosses Problem dar. Die von der Regierung erlassenen Anti-Korruptionsmassnahmen haben bis jetzt keine spürbaren Verhaltensänderungen bewirkt.“ (SFH, 18. Mai 2005, S. 18)
„Das türkische Justizsystem operiert nach wie vor nicht vollständig unabhängig von der Politik und gilt als nicht frei von Korruption.“(SFH, 18. Mai 2005, S. 4)
Im Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission vom Oktober 2004 werden Maßnahmen zur Bekämpfung der Korruption erwähnt:
„Was die Bekämpfung von Betrug und Korruption anbelangt, so hat die Türkei im Dezember 2003 das UN-Antikorruptionsübereinkommen unterzeichnet. Im August 2004 hat das Untersekretariat für Zollangelegenheiten einen Verhaltenskodex in Bezug auf Bestechung beschlossen. Am 29. März 2004 hat die Türkei das Strafrechtsübereinkommen des Europarates über Korruption ratifiziert und gehört seit dem 1. Januar 2004 der Gruppe von Staaten gegen Korruption (GRECO) an, die die Einhaltung der Antikorruptionsstandards des Europarats beobachtet. Im Februar 2003 schloss die OECD-Arbeitsgruppe zum Thema Korruption die erste Phase ihrer Bewertung der türkischen Maßnahmen zur Durchführung des OECD-Übereinkommens über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr ab und stellte fest, dass die einschlägigen Vorschriften den Standards des Übereinkommens entsprechen. Allerdings wurde bemängelt, dass die Definition des Begriffs „ausländischer Amtsträger“ nicht weit genug gefasst sei. Im Juli 2004 trat das Gesetz über elektronische Signaturen in Kraft, das mit dem einschlägigen Besitzstand in Einklang steht. Das im Mai 2004 verabschiedete und im Juni 2004 in Kraft getretene Gesetz über die Schaffung eines Ethikrats für den öffentlichen Dienst sieht neben der Schaffung eines solchen Rates eine Aufsicht über die Besitz- und Vermögensverhältnisse der Angehörigen des öffentlichen Dienstes vor. Im November 2003 erörterte das Parlament den im Juli 2003 vorgelegten Bericht seines Antikorruptionsausschusses. In diesem Bericht wird die Korruption in allen Bereichen des türkischen Staates und der Gesellschaft eingehend analysiert. Der Ausschuss schlug eine parlamentarische Untersuchung der Aktivitäten von 25 ehemaligen Ministern vor, und im Juli 2004 beschloss das Parlament, den Obersten Gerichtshof zur Einleitung von Verfahren gegen vier frühere Minister zu ermächtigen. In der Frage von Änderungen hinsichtlich des Geltungsbereichs der parlamentarischen Immunität ist keine Entwicklung zu vermelden. Insgesamt sind 27 Fälle vor Gericht anhängig, in denen es um Personen geht, die über die Immunität verfügen. In 13 dieser Fälle geht es um Korruption. (Siehe auch Abschnitt B.1.2. Demokratie und Rechtsstaatlichkeit) Im Oktober 2004 wurde das Gesetz über den Zugang zu Informationen verabschiedet, das ein allgemeines Recht auf Zugang zu öffentlichen Informationen einführt und damit einen großen Schritt zur Verbesserung der Transparenz der öffentlichen Verwaltung darstellt. Gegen mehrere Richter wurden Ermittlungsverfahren wegen Korruptionsverdacht durchgeführt. Im Januar 2004 enthob der Hohe Rat der Richter und Staatsanwälte drei Richter ihres Amtes. Im Juli 2004 beantragte die Disziplinarstelle des Justizministeriums gegen elf Richter Disziplinarstrafen und aufgrund neuer Ermittlungen die Versetzung von vier Richtern. Nach offiziellen Angaben wurden im Jahre 2003 insgesamt 20675 einschlägige Verfahren eingeleitet: 3005 Verfahren wegen Unterschlagung, Erpressung und Bestechung; 17562 Verfahren wegen Urkundenfälschung; 56 Verfahren im Zusammenhang mit der Offenlegung von Vermögen und der Bekämpfung von Bestechung und Korruption; 52 Verfahren wegen Geldwäsche. Zum Vergleich: im Jahre 2002 wurden wegen dieser Vergehen insgesamt 20281 Verfahren eingeleitet. 2003 wurden 18526 Verfahren wegen Betrugs und Korruption abgeschlossen, von denen 12454 mit einer Verurteilung endeten.“ (Europäische Kommission, 6. Oktober 2004, S. 146-147)
Diese Informationen beruhen auf einer zeitlich begrenzten Recherche in öffentlich zugänglichen Dokumenten, die ACCORD derzeit zur Verfügung stehen. Die Antwort stellt keine abschließende Meinung zur Glaubwürdigkeit eines bestimmten Asylansuchens dar.

Quellen:

Aleviten
Fis-Akt
Korruption