Document #1260671
ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (Author)
nach einer Recherche in unserer Länderdokumentation und im Internet können wir Ihnen zu oben genannter Fragestellung Materialien zur Verfügung stellen, die unter anderem folgende Informationen enthalten:
Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) bezieht sich in einem Artikel vom März 2002 über die Bosniaken des Sandzak noch auf die alten Volkszählungsdaten von 1991. Sie gibt dabei Zahlen für den gesamten Sandzak, also sowohl Serbien als auch Montenegro, an:
„Der Sandschak erstreckt sich über Südserbien und den Norden Montenegros auf einer Fläche von rund 8600 Quadratkilometern. [...] Laut der letzten Volkszählung von 1991 leben im Sandschak rund 420 000 Personen, etwas über die Hälfte von ihnen - einige Quellen sprechen vor drei Vierteln - sind Muslime und bezeichnen sich als Angehörige der bosnjakischen Nation. Die Bosnjaken sind Slawen, die während der osmanischen Herrschaft zum Islam übergetreten sind. Ihr Siedlungsgebiet erstreckt sich über Bosnien, Montenegro, Südserbien, Kosovo bis nach Mazedonien. Die Bosnjaken des Sandschaks waren während des Kriegs in Bosnien einer starken Repression des serbischen Regimes ausgesetzt. Erhebungen des Helsinki- Komitees zeichnen für die Zeit zwischen 1991 und 1995 ein düsteres Bild. 34 Bosnjaken wurden ermordet, 131 Personen entführt, 18 Dörfer angegriffen und zahlreiche Häuser zerstört. Als Folge der gewaltsamen Unterdrückung wählten viele Bosnjaken den Weg in die Emigration, laut unterschiedlichen Angaben zwischen 20 000 und 70 000. Das Helsinki-Komitee wirft den amtierenden Regierungen in Serbien und Montenegro vor, die Untersuchungen der an den Bosnjaken verübten Verbrechen im Sande verlaufen zu lassen.“ (NZZ, 5. März 2002; vgl. UK Home Office, April 2004, Absatz S.6.54.-S.6.55)
Das serbische Helsinki-Komitee (SHC) hat in seinem Jahresbericht für das Jahr 2003 eine ausführliche Beschreibung der Situation im Sandzak veröffentlicht. Laut Daten der letzten Volkszählung von März 2002 lebten von den 136.087 Bosniaken in Serbien alleine im Sandzak insgesamt 134.128. Sie bildeten damit die größte Bevölkerungsgruppe im Sandzak, von dessen insgesamt 235.567 Einwohnern sich 89.396 als Serben und 8.222 als Muslime deklarierten. Der Zensus von 2002 erlaubte die Selbstbezeichnung als „Bosniake“, ein Terminus, der aus politischen und historischen Gründen seit 1996 von allen bosniakischen Parteien und Vereinigungen angenommen wurde. Dennoch gebe es offensichtlich einige, die sich als MuslimInnen, und nicht als BosniakInnen identifizieren. Die Bosniaken stellten die Mehrheit in den Gemeinden Novi Pazar, Tutin and Sjenica, die Serben in Nova Varos, Priboj and Prijepolje.
In der Gemeinde Priboj leben laut serbischem Helsinki-Komitee (unter Berufung auf den Zensus vom März 2002) 22.523 Serben, 5.567 BosniakInnen und 1.427 bekennende MuslimInnen. (SHC, 22. April 2004,. S. 375-377; vgl. SHC, 14. April 2003, S. 338-340)
Die Gemeinde Priboj (einschließlich der dazugehörigen Dörfer) soll während des Krieges in Bosnien - im Rahmen der Politik der „ethnischen Säuberung“ der Regierung Milosevic - von Übergriffen auf die bosniakische Minderheit seitens serbisch dominierten Militärs, paramilitärischen Verbänden und der Polizei betroffen gewesen sein. 22 BosniakInnen sollen in Priboj alleine getötet, 59 Häuser angezündet, und 124 Häuser geplündert worden sein. BosniakInnen wurden über Radio aufgefordert, ihre Häuser mit SerbInnen aus dem benachbarten Bosnien zu tauschen. Das serbische Helsinki-Komitee führt die Abwanderung von BosniakInnen aus dem Sandzak zwischen 1991 und 2002 auf diese Politik zurück. (SHC, 22. April 2004, S. 379)
Das UK Home Office kommt zur Einschätzung, dass sich seit dem Fall von Milosevic die Situation im Sandzak deutlich verbessert habe, die Beziehungen zwischen den Volksgruppen erschienen laut einem zitierten OSZE-Bericht harmonisch. Auch das serbische Helsinki-Komitee (SHC) wird zitiert, wonach der Sandzak im großen und ganzen ein ruhiges Jahr 2002 hinter sich habe, trotz einiger Zwischenfälle wie die Schlägereien serbischer und bosniakischer Hooligans nach dem Sieg des jugoslawischen Teams bei der Basketball-Weltmeisterschaft. In Geschichte-Schulbüchern würden Muslime im Zusammenhang mit den Kriegen der 1990er Jahre auf negative Weise dargestellt werden. In Folge der Anschläge vom 11. September 2001 habe es laut SHC Versuche von rechten Politikern und Medien gegeben, einen Zusammenhang zwischen Taliban, Mudschaheddin und den Muslimen der Region herzustellen. Dies habe auch zu einer Steigerung der Aktivitäten muslimischer Extremisten und einer Radikalisierung orthodoxer Serben geführt. Die Regierung habe laut Bericht des US Department of State 2002 auf die dreitägigen Provokationen Serben in Novi Pazar im September 2002 schnell reagiert und verstärkte Polizeieinheiten in die Region entsandt. Außerdem habe der Minister für ethnische und nationale Minderheiten, Rasim Ljajic, selbst ein Bosniake aus Novi Pazar, die Mediation des Konflikts übernommen. (UK Home Office, April 2004, Absatz S.6.56-S.6.58)
Der Prozess wegen einer Reihe von Verschleppungen bosniakischer Passagiere in Zügen und Bussen gegen Mitglieder der paramilitärischen Gruppierung „Osvetnici“ im Jahr 1993 habe zwar zu Verurteilungen geführt; die Familien der Opfer und deren Anwälte vermissten jedoch eine klare Schuldzuweisung an paramilitärische Verbände Serbiens und der Beitrag zu einer Versöhnung von SerbInnen und BosniakInnen sei laut serbischem Helsinki-Komitee zweifelhaft. (SHC, 22. April 2004, S. 380-381)
Am 29. September 2002 seien vier Angehörige der bosnisch-serbischen Armee und einer paramilitärischen Einheit wegen der Entführung, Folter und des Mordes an 16 Muslimen aus dem Sandzak in der serbischen Stadt Sjeverin im Jahre 1992 zu Gefängnisstrafen von 15 bzw. 20 Jahren verurteilt worden. (USDOS, 25. Feburar 2004, Abschnitt 1.e)
Die International Crisis Group (ICG) berichtet im März 2004, dass in Folge der Ausschreitungen gegen Serben im Kosovo Demonstranten in Belgrad am 17. März 2004 die Bajraklija-Moschee in Brand gesetzt hätten, während die Polizei untätig zusah. Dies habe zu beträchtlicher Nervosität unter den ethnischen Minderheiten, darunter auch im Sandzak geführt. Die Angst vor Racheakten durch Serben sei auch unter den Muslimen im Sandzak zum Ausdruck gebracht worden. (ICG, 26. März 2004, S. 2-3)
Das Institute for War and Peace Reporting (IWPR) berichtet im Juli 2002, dass immer mehr Serben den Sandzak verlassen würden. Dies sei neben ökonomischen Gründen auch auf Aktionen der muslimischen Party of Democratic Action (SDA) zurückzuführen, die sich früher für eine Sezession von Serbien und einen Anschluss an Bosnien stark gemacht hätte. Insbesondere ein Führer der Serbischen Radikalen Partei (SRS) habe diese Meinung vertreten. (IWPR 26. Juli 2002; vgl. UK Home Office, April 2004, S.5.59) Die ultranationalistische SRS unter Tomislav Nikolic habe laut einem ICG-Bericht unter anderem im Sandzak eine große Anhängerschaft unter den Serben. (ICG, 22. Juli 2004, S. 11)
In seinem Bericht vom 14. April 2003 berichtet das SHC, dass nicht in allen Gemeinden des Sandzak die Verpflichtung, Minderheitensprachen offiziell zu verwenden, umgesetzt worden sei. Außerdem seien Bosniaken in manchen wichtigen Institutionen, wie Justiz, Staatsanwaltschaft und Polizei, nicht entsprechend ihrem Bevölkerungsanteil vertreten. Es wird auch von einem Fall von Gewalt der Polizei gegen einen Bosniaken im Jänner 2002 berichtet. In diesem Zusammenhang wird auch erwähnt, dass viele Polizisten, die unter Milosevic systematisch an Schikanen der bosniakischen Bevölkerung beteiligt gewesen seien, ihre Jobs behalten hätten. Viele Bosniaken würden ihre Unzufriedenheit äußern, weil der Staat sie nicht als Bürger behandle, die wirtschaftliche, kulturelle und bildungspolitische Rückständigkeit des Sandzak werde der Politik der früheren und der jetzigen Regierung angelastet. In Novi Pazar habe sich im Jahr 2002 die Radikalisierung der Situation im Sandzak gezeigt: die lokalen bosniakischen Zuschauer eines Frauen-Handball-Länderspiels hätten Partei für die türkische Mannschaft gegen das jugoslawische Team ergriffen, dies habe laut bosniakischen Beobachtern zu einer „Dämonisierung“ der Bosniaken geführt. Auch in Folge des Gewinns der Goldmedaille durch die jugoslawische Mannschaft in der Basketball-Weltmeisterschaft sei es in Novi Pazar zu Zusammenstößen zwischen serbischen und bosniakischen Nationalisten gekommen, in weiterer Folge sei es sogar zu Straßensperren durch serbische Demonstranten gekommen. (SHC, 14. April 2003, S. 246-252)
Forum 18 veröffentlichte am 14. August 2003 eine chronologische Liste von 27 verbalen oder tätlichen Übergriffen auf religiöse Minderheiten, die in Serbien-Montenegro im Jahr 2002 stattgefunden haben sollen, darunter auch eine von der Muslim Sandzak Democratic Party scharf verurteilte Hassrede des serbisch-orthodoxen Bischofs Filaret bei einer Veranstaltung in Novi Priboj am 22. April 2002. (Forum 18, 14. August 2003)
Das SHC berichtet von Problemen im Schul- und Bildungswesen, so könnten aus Mangel an Plätzen nur sechs Prozent der Kinder einen Kindergarten besuchen, Bildungseinrichtungen würden nicht renoviert und Schulen würden die gesetzlich vorgeschriebenen Mindeststandards nicht einhalten. Überfüllte Klassen und Schichtbetrieb seien die Folge. Auch mit den Lehrplänen seinen viele Bosniaken unzufrieden, es fehle an Lehrinhalten über bosniakische Kultur, Kunst und Geschichte. Außerdem müssten die Schüler in der Schule die kyrillische Schrift verwenden, obwohl man in ihrer Sprache das lateinische Alphabet benutze. (SHC, 22. April 2004, S. 388-390) Im Justizwesen hätten sich seit dem Sturz von Milosevic für viele Bosniaken nur kosmetische Veränderungen ergeben, viele Beamten, die sich Menschenrechtsverletzungen zu Schulden kommen ließen, seien noch immer im Amt. Dennoch habe sich laut dem Präsidenten des Gemeindegerichts Novi Pazar das Vertrauen in die Justiz gesteigert, da swohl die Zahl der Fälle als auch der Richter angestiegen sei. Ermutigend sei auch, dass es keine Gerichtsfälle bezüglich interethnischer Auseinandersetzungen gegeben habe. Leider hätte die neue Regierung aber verabsäumt, den Apparat des früheren Regimes auszuschalten, Bosniaken im Sandzak fühlten sich daher noch immer benachteiligt und hätten neuerlich Angst vor der Verschlechterung der Beziehungen zwischen den Volksgruppen. (SHC, 22. April 2004, S. 393-394)
Das UK Home Office zitiert in seinem Bericht vom April 2004 den US Department of State (USDOS)-Bericht für 2002, wonach Bosniaken aus dem Sandzak manchmal mit Schikanen an den Grenzen bei der Wiedereinreise konfrontiert gewesen seien. Muslime seien 2002 besonders genau kontrolliert worden, diese Probleme seien aber laut USDOS-Bericht für 2003 nicht mehr aufgetreten. (UK Home Office, April 2004, S.6.35)
Bitte beachten Sie auch den Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) zur Situation der Minderheiten und intern Vertriebenen vom 26. Novemeber 2001 (siehe Quellenverzeichnis).
Diese Informationen beruhen auf einer zeitlich begrenzten Recherche in öffentlich zugänglichen Dokumenten, die ACCORD derzeit zur Verfügung stehen. Die Antwort stellt keine abschließende Meinung zur Glaubwürdigkeit eines bestimmten Asylansuchens dar.