Anfragebeantwortung zu Pakistan: Situation von paschtunischen Musikern in der FATA, insbesondere in Nordwasiristan [a-10578]

9. Mai 2018

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Es konnten keine aktuellen Informationen zur Lage von Musikern in Nordwasiristan gefunden werden. Die folgenden Informationen beziehen sich auf die unter Bundesverwaltung stehenden Stammesgebiete (FATA) sowie auf Pakistan im Allgemeinen. Neben Informationen zur Lage von Musikern werden auch Informationen zur Gebietskontrolle dargestellt:

 

In einem Artikel von Al Jazeera vom Februar 2018 über Musiker in Südwasiristan (FATA) wird beschrieben, dass die pakistanischen Taliban Südwasiristan und Teile von benachbarten Distrikten mit eiserner Faust beherrscht und jegliche musikalische Betätigung als unislamisch verboten hätten. Ein 22‑jähriger Musiker wird mit der Aussage zitiert, dass damals die Menschen auf ihn herabgeschaut hätten, wenn sie erfahren hätten, dass er Sänger sei. Er hätte auch dafür getötet werden können. Musik sei zwanzig Jahre lang verboten gewesen, aber jetzt gebe es eine große Nachfrage danach, so der junge Sänger. Er habe einige große Konzerte in Dera Ismail Khan gegeben und sei in lokalen paschtunischen Fernsehsendern aufgetreten. Ein anderer Sänger wird mit der Aussage zitiert, dass er keinen Unterschied zwischen der Zeit der Talibanherrschaft und heute erkennen könne. Obwohl die Taliban besiegt worden seien, würden die in diesem Gebiet stark konservativen Wertvorstellungen immer noch dazu führen, dass auf Musiker herabgeblickt werde und Auftritte schwer zu organisieren seien. Ein Jahr zuvor seien vom Leiter des staatlich unterstützten lokalen Friedenskomitees Flugblätter verteilt worden, in denen Musik- und Tanzaufführungen in Südwasiristan verboten worden seien. Die Regierung habe dementiert, dass ein solches Verbot tatsächlich verhängt worden sei, Ortsansässige hätten jedoch beschrieben, dass der Vorfall eine Atmosphäre der Angst erzeugt habe. Laut dem Sänger sei das Verbot auch über die örtlichen Moscheen verlautbart worden. Laut BewohnerInnen von Südwasiristan hätten die Taliban ein komplettes Verbot durchgesetzt, während nun ähnliche Beschränkungen sozial durchgesetzt würden. Al Jazeera zitiert auch Mansur Khan Mehsud, den Leiter des FATA Research Centers, einer Forschungseinrichtung mit Sitz in Islamabad. Seinen Angaben zufolge sei Musik unter der Herrschaft der Taliban komplett verboten gewesen. Es gebe aber auch konservative Einstellungen, die dazu führen würden, dass die meisten Menschen Musizieren nicht als etwas Positives ansehen würden. Laut Mehsud werde die Bezeichnung „Musiker“ als Beleidigung verstanden. Auch der oben zitierte 22-jährige Musiker habe gegenüber Al Jazeera angemerkt, dass er zwar nicht mit Todesdrohungen konfrontiert sei, jedoch immensen sozialen Druck verspüre, mit der Musik aufzuhören:

„The Pakistani Taliban had ruled South Waziristan and parts of adjoining districts with an iron fist, banning all musical expression and even shutting down barbers who would shave men’s beards, deeming the practices un-Islamic. […]

‘If someone in our area heard that I was a singer, back then people would really look down on me, and I might even have been killed. That's how difficult it was,’ says Rehman, who is now 22 years old. […] The young musician has held several large concerts in Dera Ismail Khan, as well as making television appearances on local Pashto-language stations. His audience, he says, is mostly made up of young people. ‘Music was banned for 20 years, but now people are coming back towards this. There is a huge demand.’ […]

The Taliban, however, were not the only threat to performers from South Waziristan. ‘I don't see any difference in the time that the area was under the Taliban and today's situation,’ says Shaukat Wazir, 28, a musician from the town of Wana. […] Wazir says that while the Taliban have been defeated, strong conservative values amongst the people of the area still mean that musicians are looked down upon, and performances are difficult to arrange. Last year, the head of a local government-backed peace committee distributed pamphlets banning all musical and dance performances in South Waziristan. The government denies that such a ban was ever actually imposed, but locals say the event created an atmosphere of fear. ‘This ban was being propagated through the local mosques as well,’ says Wazir. Natives of South Waziristan say that where the Taliban enforced a complete ban, similar restrictions are now socially enforced.

Under the Taliban rule, it was banned outright, you could not perform at all,‘ says Mansur Khan Mehsud, the Islamabad-based director at the FATA Research Centre. ‘But there are also conservative values there, so most people do not consider it a good thing to do. It is considered an insult to call someone a musician.‘

Rehman agrees that while he does not face the kinds of threats to his life that Wazir once did, there is immense social pressure for him to stop making music. ‘In all Pashtun society, and particularly in Waziristan, singing and music is always enjoyed, but for some reason when the singer is from their own area or family, people look down upon that.’“ (Al Jazeera, 28. Februar 2018)

Das FATA Research Center (FRC) nimmt in einem Sammelband des Bundesministeriums für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom Juli 2016 Bezug auf einen Bericht aus dem Jahr 2014, in dem das Verbot von Musik unter Paschtunen durch die Taliban thematisiert wird:

„Nach der Zerstörung der alten Stammesordnung und der Einführung der neuen haben die Taliban viele traditionelle Aspekte der paschtunischen Gesellschaft pervertiert oder geändert, um sie gewaltsam ihrer konservativen Auslegung des Islam anzupassen. Am bekanntesten sind hierbei die Einschränkungen der Bewegungsfreiheit und der Bildungsmöglichkeiten von Mädchen und Frauen, das Verbot von Musik, CDs und Musikinstrumenten.” (FRC, Juli 2016, S. 49)

Die internationale Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) erwähnt in einem Bericht vom März 2017, dass die (später wieder vertriebenen) Taliban auch nach Erlangung der Kontrolle über das Swat-Tal in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa im Jahr 2009 unter anderem Musik und Filme verboten und CD- und DVD-Geschäfte zerstört hätten:

„By 2009, the TTP [Tehreek-i-Taliban Pakistan] had gained complete control over the Swat Valley, where they enforced their fundamentalist interpretation of Sharia (Islamic law). […] The Taliban imposed their authority in Swat (Khyber Pakhtunkhwa) and adjoining areas through summary executions, including beheadings, of state officials and political opponents. They also engaged in public whippings and large-scale intimidation of the population. […] Music and film were banned and stores trading in CDs and DVDs were destroyed.“ (HRW, 27. März 2017, S. 12)

Auch die englischsprachige pakistanische Tageszeitung The Express Tribune berichtet über die Übernahme des Swat-Tals durch die Taliban vor rund einem Jahrzehnt und die daraus resultierende Situation für Musiker. Musiker seien eines der ersten Ziele der Taliban gewesen. Viele seien vertrieben worden, andere hätten sich der strengen Auslegung der Religion fügen und sich von der Musik abwenden müssen:

„As the Taliban took hold in the valley around a decade ago, musicians were among their first target. Many were forced from the valley, others had to conform to the Taliban’s stringent interpretation of religion and abandon music.“ (The Express Tribune, 15. Jänner 2018)

Zur Präsenz terroristischer Gruppierungen in Datta Kehl (Nordwasiristan) schreibt die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), der unabhängige Dachverband der Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen in der Schweiz, unter Bezugnahme auf Mansur Khan Mesud, den Leiter des FATA Research Centers, im Mai 2016:

„Der Distrikt Datta Khel wurde im Februar 2016 als ‚letzte Bastion der Terroristen‘ beschrieben. Am 19. April 2016 gab die pakistanische Armee bekannt, der letzte Teil der Nordwasiristan-Operation, der im Shawal-Tal des Distrikts Datta Khel stattgefunden habe, sei erfolgreich beendet. Laut Email-Auskunft von Mansur Khan Mahsud, Direktor des FATA Research Centre, vom 21. April 2016 bleibt die Sicherheitslage im Distrikt Datta Khel jedoch prekär. Zwar seien die Mitglieder bewaffneter Oppositionsgruppen, die in Nordwasiristan ihre Basis hatten, infolge der Militäroperation Zarb-e-Azb mit Ausnahme einiger weniger Mitglieder in einigen Teilen des Shawal-Tals nicht mehr in Nordwasiristan präsent. Die meisten ihrer Mitglieder hätten sich aber lediglich über die Grenze nach Afghanistan zurückgezogen, von wo aus sie Angriffe auf Posten der pakistanischen Armee im Distrikt Datta Khel ausführten.“ (SFH, 2. Mai 2016, S. 4)

Laut einem von Thorsten Wojczewski, Politikwissenschaftler und Mitarbeiter am India Institute des King’s College London, verfassten Bericht für die deutsche Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) vom Dezember 2017 werde die Militäroffensive (2014-2016) gegen Extremisten in Wasiristan von der Regierung als höchst erfolgreich beschrieben. Allerdings sei es gleich zu Jahresbeginn 2017 wiederum zu einer Reihe schwerer Terroranschläge gekommen:

„Der 2014 beschlossene Aktionsplan gegen Terrorismus und eine (para-)militärische Großoffensive gegen Extremisten in Wasiristan und anderen Landesteilen haben derweil zu einer kurzzeitigen, jedoch nicht nachhaltigen Verbesserung der Sicherheitslage Pakistans beigetragen. […] In der Folge ist die Zahl der Terroranschläge in Pakistan auf den niedrigsten Wert seit 2008 gefallen. Während Regierung und Militär die Operation als vollen Erfolg einstuften und gar behaupteten, dass es nun keine Terror-Netzwerke mehr in Pakistan gäbe, kam es gleich zu Beginn des Jahres 2017 zu einer Reihe schwerer Terroranschläge, […].“ (bpb, 15. Dezember 2017)

Auch das FATA Research Center (FRC) beschreibt die Sicherheitslage in den unter Bundesverwaltung stehenden Stammesgebieten (FATA) in seinem jährlichen Sicherheitsbericht für 2017 als unbeständig. Obwohl im gesamten Gebiet der FATA weiterhin Geheimdienstaktionen erfolgt seien, hätten Terroristen der Tehreek-e-Taliban Pakistan (TTP), Tehreek-e-Taliban Pakistan-Jamat–ul-Ahrar (TT-JuA), Wazir Taliban, Islamic State of Khorasan (IS-K) und Laskhar-e-Jhangvi (LeJ) ihre Aktivitäten im Jahr 2017 intensiviert. Dennoch sei im Jahr 2017 der Anteil der Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung höher als der Anteil terroristischer Anschläge geblieben:

„The security situation in FATA remained volatile from January to December of the year 2017. Although targeted and intelligence based operations (IBOs) continued all over FATA, terrorist belonging to the Tehreek-e-Taliban Pakistan (TTP), Tehreek-e-Taliban Pakistan-Jamat –ul-Ahrar (TTP-JuA), Wazir Taliban, Islamic State of Khorasan (IS-K), Laskhar-e-Jhangvi (LeJ) stepped up their activities in FATA during the reporting year. However, the ratio of counter terrorism (CT) operations remained higher in comparison to the terrorist attacks during the year 2017.“ (FRC, 13. Jänner 2018, S. 1)

Weitere Hintergrundinformationen zum Thema militante Gruppen und Musik, unter anderem in der FATA, finden Sie in folgendem aus dem Jahr 2012 stammenden Bericht von Freemuse, einer unabhängigen international tätigen Organisation, die sich für die Freiheit von Musikern einsetzt:

·      Freemuse: Music Freedom Report: Pakistan: Taliban losing their ‘war on music’, 3. März 2012
https://freemuse.org/wp-content/uploads/2012/02/MusicFreedomReport_Pakistan.pdf

 

Auf Pakistan im Allgemeinen bezogen schreibt das US-amerikanische Außenministerium (USDOS) in seinem Menschenrechtsbericht vom April 2018 (Berichtszeitraum 2017), dass die pakistanische Regierung kulturelle Veranstaltungen zensuriere. Unter anderem würden musikalische Veranstaltungen eine Unbedenklichkeitsbescheinigung der Regierung benötigen:

„The government […] censored cultural events. There was government interference with art exhibitions, musical, and cultural activities. All such events require a government-issued permit (a ’no objection certificate’) in order to be held.“ (USDOS, 20. April 2018, Section 2a)

Im Bericht des USDOS vom August 2017 zur Religionsfreiheit (Berichtszeitraum 2016) wird von der Ermordung von Amjad Sabri, einem Sufi-Musiker, im Juni 2016 berichtet. Die pakistanischen Taliban, die Sabri der Blasphemie bezichtigt hätten, hätten sich zur Tat bekannt. In Folge der Tat sei es zu zwei Festnahmen gekommen:

„In June Amjad Sabri, a singer of Sufi devotional music, was killed by an unknown assailant. The Pakistani Taliban claimed credit for the killing and declared Sabri a blasphemer. In November the police arrested two individuals in connection with the killing, who according to local media said they killed Sabri because he had committed blasphemy.“ (USDOS, 15. August 2017, Section 2)

In einem Artikel über ein Bombenattentat auf einen Sufi-Schrein in der Provinz Balutschistan im Oktober 2017, bei dem mindestens 18 Menschen ums Leben gekommen seien, berichtet Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL), dass der Sufismus von IS-Kämpfern und anderen Extremisten als ‚ketzerisch‘ abgelehnt werde:

„Sufism is a branch of Islam that espouses a mystical inner belief and incorporates music in its worship. It has been rejected as heretical by IS militants and other extremists, who hold a fundamentalist view of Islam.“ (RFE/RL, 5. Oktober 2017)

Qantara.de, ein Portal der deutschen Bundeszentrale für politische Bildung, der Deutschen Welle und des Goethe Instituts zur Förderung des Dialogs mit der islamischen Welt, schreibt im April 2018, dass die Musik der Sufis ums Überleben kämpfe. Grund dafür sei der Modernitätsdruck, aber auch die Angst vor den Konflikten zwischen den Konfessionen:

„Nearly two years after Pakistan’s foremost qawwali singer Amjad Sabri was gunned down in Karachi, the devotional music of Islam's Sufi mystical sect is struggling to survive, as fears of sectarianism and modern pressures slowly drown out its powerfully hypnotic strains.“ (qantara.de, 27. April 2018)

 

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Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 9. Mai 2018)