Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Situation von Künstlern (Wahrnehmung, Gefährdung bei öffentlichen Auftritten, akzeptierte Kunstrichtungen, regionale Unterschiede, Rolle von religiösen Führern, Lage von TeilnehmerInnen an Castingshows) [a-10484]

15. Februar 2018

Das vorliegende Dokument beruht auf einer zeitlich begrenzten Recherche in öffentlich zugänglichen Dokumenten, die ACCORD derzeit zur Verfügung stehen sowie gegebenenfalls auf Expertenauskünften, und wurde in Übereinstimmung mit den Standards von ACCORD und den Common EU Guidelines for processing Country of Origin Information (COI) erstellt.

Diese Antwort stellt keine Meinung zum Inhalt eines Ansuchens um Asyl oder anderen internationalen Schutz dar. Alle Übersetzungen stellen Arbeitsübersetzungen dar, für die keine Gewähr übernommen werden kann.

Wir empfehlen, die verwendeten Materialien im Original durchzusehen. Originaldokumente, die nicht kostenfrei oder online abrufbar sind, können bei ACCORD eingesehen oder angefordert werden.

 

Informationen zur Lage speziell von Musikern entnehmen Sie bitte auch folgender ACCORD-Anfragebeantwortung vom Juli 2016:

·      ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage von MusikerInnen [a-9728-v2], 22. Juli 2016
https://www.ecoi.net/en/document/1397661.html

Wahrnehmung von Künstlern

Das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UN High Commissioner for Refugees, UNHCR) schreibt in seinen Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs Afghanischer Asylsuchender vom April 2016:

„Berichten zufolge werden Personen von regierungsfeindlichen Kräften angegriffen, die vermeintlich Werte und/oder ein Erscheinungsbild angenommen haben, die mit westlichen Ländern in Verbindung gebracht werden, und denen deshalb unterstellt wird, die Regierung und die internationale Gemeinschaft zu unterstützen. Es liegen Berichte über Personen vor, die aus westlichen Ländern nach Afghanistan zurückkehrten und von regierungsfeindlichen Gruppen als ‚Ausländer‘ oder vermeintliche für ein westliches Land tätige Spione gefoltert oder getötet wurden.“ (UNHCR, 19. April 2016, S. 47)

Der Hörfunk und das Fernsehen der französischen Gemeinschaft Belgiens (Radio Télévision Belge de la Communauté Française, RTBF) erwähnen in einem Artikel vom Februar 2018, dass Musik in Afghanistan als „entehrende Verfehlung“ angesehen werde, insbesondere was das Musizieren durch Frauen betreffe (RTBF, 9. Februar 2018).

 

Weitere Informationen zu dieser Teilfrage entnehmen Sie bitte den nachfolgenden Unterkapiteln.

Gefährdung von Künstlern bei öffentlichen Auftritten

Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet im Jänner 2017 über das im Jahr 2014 gegründete afghanische Frauenorchester „Zohra“. Viele der jungen Musikerinnen, darunter auch die beiden Dirigentinnen, hätten angegeben, sie seien gezwungen gewesen, ihre Musik vor Mitgliedern ihrer Heimatgemeinden zu verbergen, aus Angst davor, diese würden mit Gewalt reagieren, wenn sie davon erführen. Eine der Dirigentinnen, Negin Khpolwak, habe erklärt, sie sei sehr besorgt um ihre Sicherheit und würde befürchten, dass jemand sie töten könnte, wenn sie zu ihrem Heimatort in der Provinz Kunar zurückgehe. Aus ihrer Familie habe lediglich ihr Vater sie bei ihrem Unterfangen unterstützt, am Orchester teilzunehmen. Die andere Dirigentin, Zarifa Adiba, die aus der Provinz Ghazni stamme, habe erklärt, dass es ihre Verwandten nicht geschafft hätten, ihre konservative Haltung gegenüber Frauen, die in einem Orchester spielen, zu ändern:

„Global leaders who attend the annual World Economic Forum in Davos are used to discussing women’s rights on panels. On Thursday they got a chance to hear an all-female Afghan orchestra that has overcome Islamist death threats on its way to its first international performance in the elite ski resort.

Thirty young women, each wearing a matching bright red hijab, took the stage and some played traditional Afghan instruments, like the rabab, similar to the Indian sitar.

Many of the musicians, including conductors Zarifa Adiba, 18, and Negin Khpolwak, 19, said they had been forced to hide their music from members of their community who they feared might react violently if they had known.

‘When I go home, somebody could come and kill me,’ said Khpolwak. ‘I am so worried about my security. I’m scared.’

She said only her father supported her participation in the orchestra back in her home province, Kunar, 230 km (140 miles) west of Kabul, where Islamist Taliban militants have resurfaced, claiming responsibility for suicide bombings and attacks.

Zohra was founded in 2014 with five original members as part of the Afghanistan National Institute of Music and has since faced death threats and intimidation.

Adiba, who lives in Ghazni in east-central Afghanistan, said that with music and the arts banned for an extended period under the Taliban’s 1996-2001 rule, her relatives couldn’t shake their conservative views on women performing in an orchestra.” (Reuters, 19. Jänner 2017)

Huck, eine Zeitschrift und Website, die sich unter anderem auf die Themen Skaten, Musik und Kunst spezialisiert, berichtet in einem Artikel vom September 2017, dass die oben genannte Dirigentin Negin Khpolwak vom Zohra-Orchester von ihrer Familie zu hören bekommen habe, dass sie ein „böses Mädchen“ sei und keine Musik machen solle, nachdem sie ihren Wunsch kundgetan habe, Musik studieren zu wollen. Nun studiere sie Musik am National Institute of Music (ANIM) in Kabul. Obwohl sie Unterstützung von ihrem Vater erhalten habe, habe sie ihr Heimatdorf in Kunar seit Jahren nicht mehr gesehen. Ihre Onkeln und Tanten hätten ihr verboten, zurückzukommen und ihr zu verstehen gegeben, dass sie nicht mehr ihre Nichte sei. Das Zohra-Orchester sei Anfang 2017 beim Weltwirtschaftsforum in Davos (Schweiz) aufgetreten, obwohl es im Vorfeld Morddrohungen gegeben habe. Khpolwak und eine weitere Schülerin am ANIM mit dem Vornamen Nazira hätten berichtet, dass alle Mitglieder des Zohra-Orchesters Probleme mit ihren Familien hätten. Wie Huck bemerkt, sei Musik ein gefährlicher Zeitvertreib in Afghanistan. So habe es im Jahr 2014 einen Selbstmordanschlag der Taliban auf ein Konzert in Kabul gegeben, bei dem der Direktor des ANIM, Ahmad Sarmast, schwer verletzt worden sei:

„When Negin told her family she wanted to study music, it wrenched her away from everything she knew. ‘They said that I was a bad girl and told me not to play,’ the 20-year-old tells me from her school in Kabul. Despite support from her father, she didn’t see her village in the northeastern district of Kunar for years. Her uncles and aunts forbade her from returning home; she wasn’t their niece anymore. ‘I lost every member of my family, except my father,’ Negin says matter-of-factly. ‘It was so hard for me, but I love music so I am continuing this way.’ There’s a pause before her voice sparkles with life. ‘Music is my dream,’ she adds.

It’s lunchtime in Afghanistan’s bustling capital and at the National Institute of Music (ANIM), two young pupils are Skyping me (in perfect English) about the hurdles they’re conquering to play the music they love. Negin and 19-year-old Nazira have sacrificed everything to join Zohra – an Afghan Women’s Orchestra that, earlier this year, defied death threats to perform in front of global leaders at the World Economic Forum at Davos. […]

When Negin grabs her conductor’s baton and Nazira lugs her cello case across Kabul’s dusty roads, they’re not just breaking taboos; both women are putting their lives at risk. As a consequence, they board at a Kabul orphanage in order to pursue their dream at ANIM. It’s a safe space for them. Negin and Nazira were under the age of 10 when they left their families behind, although they are quick to shrug off any notions of bravery. ‘All of our Zohra members have problems with their family,’ they reply. ‘We are all strong.’ […]

Dr. Sarmast isn’t simply a witness to the challenges he speaks of. Music is a dangerous pastime in Afghanistan – as he experienced first-hand three years ago. In 2014, he was attending a concert in Kabul when a Taliban suicide bomber blew himself up in the audience. Sitting in the front row, Sarmast suffered severe injuries when eleven pieces of shrapnel lodged themselves in the back of his head. ‘These people [pro-Taliban and Daesh] are around and they’re not going to give up any opportunity to silence the people of Afghanistan once again and deprive them of their musical rights,’ he tells me. ANIM is such a visible symbol of freedom it will always be a target. ‘We’ve had to spend a lot of money to beef up security around the school,’ he explains. In dreams begin responsibility. Dr. Sarmast’s main objective isn’t simply education – it’s keeping their young musicians safe.” (Huck, 26. September 2017)

Über den soeben erwähnten Anschlag, der im Dezember 2014 stattfand, wurde unter anderem in folgenden Medienartikeln berichtet:

·      Guardian: He was the saviour of Afghan music. Then a Taliban bomb took his hearing, 25. Mai 2015
https://www.theguardian.com/world/2015/may/25/he-was-the-saviour-of-afghan-music-then-a-taliban-bomb-took-his-hearing

Der Spiegel: Mehrere Tote bei Terrorangriff auf französische Schule in Kabul, 11. Dezember 2014
http://www.spiegel.de/politik/ausland/afghanistan-tote-bei-terrorangriff-auf-schule-in-kabul-a-1007961.html

Die Zeit: Deutscher bei Anschlag in Schule getötet, 11. Dezember 2014
http://www.zeit.de/politik/ausland/2014-12/kabul-anschlag-schule-deutscher-getoetet

 

Die Los Angeles Times veröffentlicht im März 2016 ein Interview mit der afghanischen Graffiti-Künstlerin Shamsia Hassani, der zufolge es in Afghanistan „engstirnige“ Menschen gebe, die Kunst ablehnen würden, insbesondere, wenn Mädchen künstlerisch tätig würden. Hier seien sie sehr sensibel. Wenn sie selbst Straßenkunst mache, habe sie ständig Angst vor engstirnigen Menschen, die sie schikanieren könnten. Wenn sie ein Junge wäre, würde es ihr leichter fallen, auf der Straße zu malen, so Hassani:

„Now, the situation is not good. It’s very dangerous. There are bombings all the time; everywhere something might happen. Another thing is closed-minded people who don’t like art and think it’s not a good thing — specifically if girls do art — and they are very sensitive. In Afghanistan, when I do street art, all the time I’m scared because of the bad situation, because of facing closed-minded people who might harass me. If I was a boy, maybe I’d be more OK with painting in the street. Because no one would tell me anything if I was a boy. But because I’m a girl, even if I don’t do art, if I just walk in the street, I will hear a lot of words. And if I do art, then they will come to harass me.” (Los Angeles Times, 3. März 2016)

BBC News schreibt in einem Artikel vom August 2017, dass ein Auftritt der in England lebenden afghanischen Sängerin, Liedermacherin und TV-Persönlichkeit Aryana Sayeed auf einem Konzert in Afghanistan anlässlich des afghanischen Unabhängigkeitstags am 19. August geplant sei. Einige hätten dies begrüßt und ihr alles Gute dabei gewünscht und ihr ihre Unterstützung bekundet. Andere hingegen hätten ihr vorgeworfen, tausende Menschen in die Irre zu führen, von der Möglichkeit eines Selbstmordanschlags auf dem Konzert gesprochen bzw. ihr zu verstehen gegeben, dass sie „verhasst“ sei:

„Afghan singer, songwriter and TV personality Aryana Sayeed will perform at a concert celebrating Afghan Independence Day on 19 August, but not everyone is happy. […]

Some praised the singer and wished her good luck, whilst others have insulted her and alluded to ’explosions‘ at her concert.

’We support you. Your concert is a kick in the teeth to wrong-headed people,’ wrote Facebook user Omid Ahmadi.

Others agreed and wished her good luck, including Zenat Amiri's: ‘I hope, God willing, your concert passes safely and may God be with you.’

Sahil Seerat wrote: ‘This is in fact not a concert but a fight for freedom and justice, and against violence, despotism and obscurity.’ […]

However, some opponents of the singer accused her of ‘misleading thousands of people.’

Others spoke of the possibility of a suicide attack at the concert, while some told Ms Sayeed she was ‘hated,’ and to celebrate in another country. […].

Ms Sayeed, who has lived in Pakistan, Switzerland and now England, is known for her liberal views, western clothes and has 257,000 followers on Instagram, where she posts many photos of her clothing and make-up.” (BBC News, 17. August 2017)

Wie der deutsche Auslandsrundfunk Deutsche Welle (DW) am darauffolgenden Tag berichtet, sei das oben erwähnte, in Kabul geplante Konzert von Aryana Sayeed abgesagt worden. Der Ulema-Rat in Kabul (ein Rat von islamischen Rechtsgelehrten) habe sich gegen das Vorhaben ausgesprochen und es als „nicht förderlich“ bezeichnet. Eine Quelle im Umfeld der Sängerin habe angegeben, das Konzert sei wegen „Sicherheitsbedenken“ abgesagt worden. (DW, 18. August 2018)

 

BBC News berichtet in einer Reportage vom Juni 2017, dass in der Stadt Musa Qala (Provinz Helmand), der „De-facto-Hauptstadt“ der Taliban, das Filmen und das Spielen von Musikinstrumenten verboten sei. Ein junger Mann habe erzählt, er habe 40 Peitschenhiebe erhalten, weil er sich einen Bollywood-Film angesehen habe:

„Later we drove to Musa Qala, the Taliban's de facto capital. Just short of the town, we stopped at a travelling bazaar set up on a dry riverbed. […]

Some activities were limited. In Musa Qala, using mobile phones and the internet was banned for security and religious reasons - our Taliban media handlers communicated via walkie-talkies. Filming and playing musical instruments are also not allowed. One young man told me he was given 40 lashes for watching a Bollywood film.” (BBC News, 8. Juni 2017)

Tolo News zitiert in einem Artikel vom September 2016 die afghanische Filmemacherin Shahrbano Sadat mit der Aussage, dass es für sie aufgrund der vorherrschenden Unsicherheit nicht möglich sei, Filme innerhalb Afghanistans zu drehen:

Shahrbano Sadat, the young Afghan female film maker and director of Wolf and Sheep, which won a Cannes Film Festival prize earlier this year, has said that insecurity in the country was the reason she filmed the movie outside of the country.

She says that with every film she works on there are dozens of job opportunities for Afghans but because of insecurity she cannot afford to make movies in the country – and is therefore forced to hire foreigners.” (Tolo News, 1. September 2016)

Der deutsche öffentlich-rechtliche Radiosender Deutschlandfunk berichtet in einer Reportage vom März 2017 über den in Kabul tätigen Künstler Omaid Sharifi:

„Feinde hat Omaid viele, denn seine Bilder haben Botschaften. Da ist die Polizistin, eine Frau in Uniform, für Omaid eine Heldin – für Hardliner das Gegenteil. Einige Inschriften wenden sich gegen Korruption und treffen Politiker. Der Geheimdienst fand die beiden Augen auf seiner Außenmauer nicht lustig und ließ sie entfernen, aber Omaid drohte, daraus einen Skandal zu machen, und malte sie aufs Neue.

‚Jeder kann mich stoppen. Deswegen habe ich ständig Angst. Meine Familie hat Angst, meine Frau hat Angst. Wenn ich aus dem Haus gehe, weiß ich nicht, ob abends wieder zurück komme. Es gibt Anschläge, Entführungen, gezielte Morde. Aber wir wollen trotzdem ein Lächeln schenken, Hoffnung, ein Zeichen gegen diese dunklen Mächte setzen. Wir machen ganz bewusst weiter. Wir sehen uns als eine Art Widerstand.‘ […]

Manchmal malen die Bürgerinnen und Bürger Kabuls einfach mit. Omaid und die anderen Künstler führen dann Regie und weisen ihnen kleine Flächen des Gemäldes zu. Kunst, sagt Omaid, das war in Afghanistan bisher nur etwas für eine kleine, reiche Elite. Auch das will er ändern.

‚Am Anfang fanden die Leute es echt merkwürdig. Sie sprachen mich auf Englisch an, weil sie dachten, wir seien Ausländer. Als ich in ihrer Sprache antwortete und ihnen sagte, dass ich ein Kind dieser Stadt bin, waren sie überrascht. Und dann begannen sie, mitzumachen. Straßenkinder, Minister, Botschafter, alle.‘

Omaid ist derzeit vielleicht Afghanistans bekanntester Künstler. Jeden Tag wechselt er seine Routinen, seine Wege nach Hause und ins Atelier, um möglichen Feinden zu entkommen. Dieser Alltag, in den Omaid etwas Farbe bringen will, macht selbst ihn manchmal ein wenig müde.“ (Deutschlandfunk, 3. März 2017)

Akzeptierte Kunstrichtungen

Es konnten zu dieser Teilfrage keine Informationen gefunden werden.

Regionale Unterschiede

Huck zitiert Ahmad Sarmast, den Direktor des ANIM, in Zusammenhang mit Haltungen zu Musik in der Gesellschaft mit der Aussage, dass die Mullahs in Provinzen, die abseits großer Städte wie Kabul liegen und wo die Alphabetisierungsrate niedrig sei, religiöse Autoritäten wie Mullahs nach wie vor viel Macht und Einfluss hätten:

‘The Taliban brainwashed a generation,’ ANIM’s Director Dr. Ahmad Sarmast tells me after the girls run back to their classes. Their legacy lingers. In provinces outside of major cities such as Kabul, where levels of illiteracy are high, religious authorities – such as the Mullahs – still maintain their influence and power.” (Huck, 26. September 2017)

Das Afghan Journalists Safety Committee (AJSC) schreibt in seinem im Jänner 2018 veröffentlichten Halbjahresbericht (Berichtszeitraum: Juli bis Dezember 2017), dass die Gruppe „Islamischer Staat“ (hier als „Daesh“ bezeichnet) in den vergangenen beiden Monaten zwei Medieneinrichtungen und ein Kulturzentrum angegriffen habe. Dabei seien acht JournalistInnen und Medienmitarbeiter getötet worden. Einer der Gründe, weshalb Medieneinrichtungen zum Ziel von Anschlägen würden, sei, dass die vermittelten Inhalte nicht den strategischen Zielen dieser Gruppen entsprächen. So hätten die Taliban und die Gruppe „Islamischer Staat” Medieneinrichtungen in unsicheren Provinzen wie Ghazni, Logar und Paktia gezwungen, keine Inhalte wie Lieder, die von Frauen gesungen würden, per Rundfunk auszustrahlen bzw. darüber zu schreiben:

„An increase in direct attacks against journalists and the media, especially attacks by DAESH, is one of the main reasons for the violence spike against journalists. Within the past two months, DAESH has attacked two media outlets and a cultural center, killing eight journalists and media workers. According to AJSC’s analysis, terrorists attack media for several reasons.

First, when the media reject illegitimate demands by terrorist groups to broadcast their ideological and war messages, terrorists target the media. One example is the DAESH attack on Kilid Radio in Nangarhar in October 2015. Daesh repeatedly asked Radio Kilid to broadcast the news the group delivered. When they witnessed incompliance of the station, they attacked the station with explosives. Another reason is that the contents of broadcasts and print press do not serve the strategic intentions of terrorist groups. For example, Taliban and DAESH have forced the media in insecure provinces such as Ghazni, Logar and Pakitia to avoid broadcasting and printing contents that include female songs, music, promotional ads of security forces and ads related to the peace process.” (AJSC, 11. Jänner 2018, S. 4)

Freemuse, eine Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Kopenhagen, die sich für das Recht auf freie Meinungsäußerung für Musikerinnen und Musiker in aller Welt einsetzt, schreibt in ihrer Jahresstatistik zu Zensur und Angriffen auf die Freiheit der Kunst, dass der Gesang von Frauen in vielen Regionen Afghanistans als unerwünscht angesehen werde. So habe das örtliche Ministerium für Information und Kultur in der Provinz Kandahar die Ausstrahlung von Liedern, die von Frauen gesungen würden, durch die lokalen Medien verboten und den betreffenden Radiosendern rechtliche Schritte angedroht, sollten sie ihre Programme nicht ändern:

„Although music has slowly returned to Afghanistan after the all-out ban imposed by the Taliban during their rule has lifted, women’s voices are still considered undesirable in many regions. In May, local Ministry of Information and Culture authorities in the southern Kandahar province of Afghanistan banned women’s songs from being broadcast across local media, directly affecting the 11 radio stations in operation in the area. Kandahar’s Information and Culture Director Hazrat Wali Hotak said that ‘programmes on many of the province’s radio stations are unacceptable and have warned the stations to change their programming or else they will be faced with legal action’.” (Freemuse, Februar 2017, S. 17)

Zu dieser Teilfrage konnten keine weiteren Informationen gefunden werden.

Rolle von religiösen Führern

Der oben zitierte Artikel von Huck vom September 2017 berichtet unter Berufung auf die beiden oben genannten Musikschülerinnen Negin Khpolwak und Nazira, dass die Mullahs ihnen das Leben erschweren würden, indem sie Musik als „haram“ (d.h. etwas „Verbotenes“) bezeichnen würden. In den ländlichen Dörfern, aus denen die beiden Frauen stammen, würden Nachbarn sie häufig als „böse Mädchen“ bezeichnen, da sie auf ihren Instrumenten spielen würden. Sie würden sagen: „Warum spielst du Musik: Du bist doch ein Mädchen. Du solltest zu Hause bleiben und putzen“.

Nazira and Negin tell me that the Mullahs (senior Islamic clerics) make things difficult for them, accusing music of being ‘haram’ – an Islamic term meaning ‘forbidden.’ In the rural villages that both women grew up in, neighbours regularly called them ’bad girls‘ for playing their instruments. ‘They said, ‘why are you playing music? You’re a girl. You should stay home and clean,‘ Negin says. […]

Toward the end of last year, Meena went missing after she told the school she was visiting her family’s village in the province of Jalālābād. She never returned. When I ask about Meena’s whereabouts, Dr. Sarmast tells me that she finally called a few days ago to let them know that she’s was okay and ready to return. Does this happen a lot? ‘From time to time we experience challenges,’ he replies. ‘Most of the girls come from the provinces where girl’s education doesn’t have strong support. The fathers of the families are generally very supportive of their kids but they are giving in to pressure from the religious leader of their village or a member of their clan.’ When this happens, there’s very little Dr. Sarmast can do. It’s not uncommon to lose girls like Meena.” (Huck, 26. September 2017)

Es konnten keine weiteren Informationen zu dieser Teilfrage gefunden werden.

Lage von TeilnehmerInnen an Castingshows

Die Wiener Zeitung berichtet in einem Artikel vom März 2017 über die afghanische Castingshow „Afghan Star“:

“[D]ie zwölfte Staffel von ‚Afghan Star‘, dem afghanischen Äquivalent zu ‚American Idol‘ im größten afghanischen Privatsender Tolo TV, bescherte dem konservativen Land Überraschungen, denen seine Bewohner mit Staunen folgten. Erstmals standen nicht wie in den vergangenen Staffeln zwei Sänger einander im Finale gegenüber, sondern eine Sängerin und ein Rapper. […]

Das größere Staunen löste der Erfolg von Zulala Hashemi aus. Die 16-Jährige aus dem erzkonservativen ostafghanischen Jalalabad hatte von klein auf immer zuhause gesungen. Als sie zu ihrer eigenen Überraschung bei den Vorausscheidungen einen Platz in der Show erhielt, zog sie mit ihrer Mutter Mermen nach Kabul. Die Witwe, die von vielen Seiten als äußerst resolut beschrieben wird, hatte Zulala und ihre acht Geschwister alleine großgezogen. Trotz weit verbreiteter negativer Vorurteile gegenüber Frauen, die öffentlich singen, unterstützte Mermen ihre Tochter vom ersten Moment an, nähte und bestickte Zulalas Kleider für die Auftritte von Hand, bis sie ab den Top 5 von einem lokalen Designer ausgestattet wurde. Zulala sagte in einem Interview, sie mache sich Sorgen, dass ihre Brüder, ihre Lehrer oder Klassenkollegen böse auf sie sein könnten, weil sie im Fernsehen auftritt. Ihre Mutter richtete indes ihrem Stamm aus, sie habe nie etwas von jemandem bekommen, sei niemandem etwas schuldig und entscheide über ihre Kinder selbst. Drohungen erhielten sie dennoch.“ (Wiener Zeitung, 22. März 2017)

Die Deutsche Welle (DW) berichtet in einem Videobeitrag vom Mai 2017, dass das Auftreten einer jungen Sängerin in der Öffentlichkeit für viele Afghanen eine große Provokation darstelle. Laut dem Produzenten der Castingshow „Afghan Star“ sei Zulala Hashemi (siehe oben) einer ernsthaften Gefahr ausgesetzt. Jalalabad, die Heimatstadt der Sängerin, gelte als Hochburg der Fundamentalisten. Hashemi sei nach dem Finale bei Afghan Star dorthin zurückgekehrt und sei rasch untergetaucht, so die DW. Ein Interviewpartner gibt gegenüber DW an: „Wenn eine Frau wie Zulala in der Öffentlichkeit auftritt, wird jeder sie hassen. Und Allah wird sie bestrafen“. Ein weiterer Interviewpartner meint: „die ganze Show ist unmoralisch und sollte verboten werden. Sie zeigt ein falsches Bild von Frauen und verführt die Leute“. Seit Ende März 2017 sei Zulala Hashemi nicht mehr in der Nähe ihres Hauses gesichtet worden. Es heiße, sie und ihre Mutter seien zu Freunden auf das Land gezogen und wollten dort abwarten, bis sich der Unmut gelegt habe. Auch ihre Verwandten hätten sich gegen Hashemi gerichtet. So erklärte ein Cousin gegenüber der DW: „Wenn sie weiterhin singt, werden wir eine Familienversammlung haben, und ihr (das Singen) verbieten. Ihre Auftritte haben Schande über unsere Familie gebracht. Eine Frau gehört ins Haus, sonst nirgendwo hin. Ins Haus oder ins Grab”:

„But for many Afghans, a young woman who sings and does so in public is a major provocation. The show’s producer is well aware of such attitudes. He lives dangerously. Last year the Taliban attacked his television station, killing seven employees. He says Zulala faces a serious threat.

(Producer) ’If I say right now, there is no risk for her, I would be lying. Because going back to Jalalabad […]. If you go to the city of Jalalabad, you don’t see much women. So being a singer performing on a stage, performing on a big stage like Afghan Star is not out of danger.’

Jalalabad in the east of the country is considered a fundamentalist stronghold. Zulala returned to her home here after the final, and quickly went into hiding. She lives with her widowed mother, who encouraged her to take part in the show. But now she is refusing all contact with the media. Talking to locals, it’s easy to understand why.

 ‘When a woman performs in public like Zulala, everyone will hate her. And Allah will punish her.’

’The whole show is immoral and should be forbidden. It shows the wrong image of a woman and seduces people.’

’This is where Zulala normally lives with her mother. But since the final at the end of March, she hasn’t been seen. It’s said they went to friends in the countryside, and wanted to wait there until the discontent subsided. Even her own relatives turned against her. A cousin appears and gives his opinion’

(Cousin) ’If she continues to sing, we’ll have a family meeting and forbid it. Her performance has brought shame on our family. A woman belongs in a home, nowhere else. In the home, or the grave.‘” (DW, 26. Mai 2017)

Weitere Informationen zu dieser Teilfrage entnehmen Sie bitte unserer Anfragebeantwortung a-9728-v2 vom Juli 2016.

 

image001.gif 


Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 15. Februar 2018)

·      ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage von MusikerInnen [a-9728-v2], 22. Juli 2016
https://www.ecoi.net/en/document/1397661.html

·      AJSC - Afghan Journalists Safety Committee: Afghanistan: Six Months Report, Jul - Dec 2017, 11. Jänner 2018 (veröffentlicht auf ReliefWeb)
https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Six-Month-Report-July-Dec-2017-AJSC-English.pdf

·      BBC News: Taliban territory: Life in Afghanistan under the militants, 8. Juni 2017
http://www.bbc.com/news/world-asia-40171379

·      BBC News: Afghan female singer's video draws threats and praise, 17. August 2017
http://www.bbc.com/news/blogs-trending-40960963

Der Spiegel: Mehrere Tote bei Terrorangriff auf französische Schule in Kabul, 11. Dezember 2014
http://www.spiegel.de/politik/ausland/afghanistan-tote-bei-terrorangriff-auf-schule-in-kabul-a-1007961.html

·      Deutschlandfunk: Artlords statt Warlords, 3. März 2017
http://www.deutschlandfunk.de/kunst-in-afghanistan-artlords-statt-warlords.1773.de.html?dram:article_id=380345

Die Zeit: Deutscher bei Anschlag in Schule getötet, 11. Dezember 2014
http://www.zeit.de/politik/ausland/2014-12/kabul-anschlag-schule-deutscher-getoetet

·      DW - Deutsche Welle: Afghanistan: talent show stars in danger, 26. Mai 2017
http://www.dw.com/en/afghanistan-talent-show-stars-in-danger/av-39001659

·      DW - Deutsche Welle: Why is singer Aryana Sayeed seen as a threat to Afghan conservatism?, 18. August 2017
http://www.dw.com/en/why-is-singer-aryana-sayeed-seen-as-a-threat-to-afghan-conservatism/a-40149324

·      Freemuse: Art Under Threat, Februar 2017
http://en.unesco.org/creativity/sites/creativity/files/freemuse-annual-statistics-art-under-threat-2016.pdf

·      Guardian: He was the saviour of Afghan music. Then a Taliban bomb took his hearing, 25. Mai 2015
https://www.theguardian.com/world/2015/may/25/he-was-the-saviour-of-afghan-music-then-a-taliban-bomb-took-his-hearing

·      Huck: The Afghan girls defying death threats to pursue their passion, 26. September 2017
http://www.huckmagazine.com/art-and-culture/music-2/afghanistan-orchestra-zohra/

·      Los Angeles Times: See how graffiti artist Shamsia Hassani is giving Afghan women a voice despite the danger, 3. März 2016
http://www.latimes.com/entertainment/arts/museums/la-et-cm-afghan-graffiti-artist-shamsia-hassani-20160301-html-snap-htmlstory.html

·      Reuters: Afghan orchestra puts women's rights center stage at Davos, 19. Jänner 2017
https://www.reuters.com/article/us-davos-meeting-orchestra/afghan-orchestra-puts-womens-rights-center-stage-at-davos-idUSKBN1532N2

·      RTBF - Radio Télévision Belge de la Communauté Française: L'orchestre féminin de Kaboul "Zohra" primé en France, 9. Februar 2018
https://www.rtbf.be/culture/musique/detail_l-orchestre-feminin-de-kaboul-zohra-prime-en-france?id=9835372

·      Tolo News: Award-Winning Afghan Movie Director Forced To Film Abroad, 1. September 2016
http://www.tolonews.com/afghanistan/award-winning-afghan-movie-director-forced-film-abroad

·      UNHCR – UN High Commissioner for Refugees: UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs Afghanischer Asylsuchender, 19. April 2016 https://www.ecoi.net/en/file/local/1057039/90_1471846055_unhcr-20160419-afg-richtlinien-de.pdf

·      Wiener Zeitung: Ein Funken Hoffnung, 22. März 2017
http://www.wienerzeitung.at/nachrichten/kultur/medien/881151_Ein-Funken-Hoffnung.html