Anfragebeantwortung zum Irak: Lage von sunnitischen Turkmenen: Sicherheitslage, Ausstellung von ID-Dokumenten, Diskriminierung beim Eigentumserwerb, gesellschaftliche Diskriminierung, sprachliche Barrieren [a-10386]

16. November 2017

Das vorliegende Dokument beruht auf einer zeitlich begrenzten Recherche in öffentlich zugänglichen Dokumenten, die ACCORD derzeit zur Verfügung stehen sowie gegebenenfalls auf Expertenauskünften, und wurde in Übereinstimmung mit den Standards von ACCORD und den Common EU Guidelines for processing Country of Origin Information (COI) erstellt.

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Wir empfehlen, die verwendeten Materialien im Original durchzusehen. Originaldokumente, die nicht kostenfrei oder online abrufbar sind, können bei ACCORD eingesehen oder angefordert werden.

 

Allgemeine Informationen zur Lage von Turkmenen finden Sie auch in folgender Anfragebeantwortung vom Jänner 2016:

·      ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zum Irak: 1) Lage der Turkmenen; 2) Sicherheits- und sozioökonomische Lage in der Autonomen Region Kurdistan und in der Stadt Kirkuk; 3) Erreichbarkeit der Stadt Kirkuk [a-9470], 21. Jänner 2016 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/local_link/318300/457298_de.html

Sicherheitslage

In seiner Position zur Rückkehr in den Irak vom November 2016 erwähnt das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) Massenvergeltungsmaßnahmen gegen sunnitisch-arabische und turkmenische EinwohnerInnen und RückkehrerInnen aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermuteten Kollaboration oder Verbindung mit dem Islamischen Staat (ISIS), sowie mit Vergeltung in Verbindung stehende Gewaltausbrüche, Vertreibungen und Zerstörung von Häusern und Dörfern. Konkrete Vorfälle, auf die sich UNHCR bezieht, finden sich mit Quellenverweisen in den Fußnoten 80 bis 89 der Position zur Rückkehr:

„23. In den Gebieten, die von ISIS zurückerobert wurden, haben sich mit den PMU [Volksmobilisierungskräfte (Popular Mobilization Units)] verbündete Streitkräfte, Stammesgruppen und kurdische Sicherheitskräfte Berichten zufolge an Massenvergeltungsmaßnahmen gegen sunnitisch-arabische und turkmenische Einwohner und Rückkehrer aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermuteten Kollaboration oder Verbindung mit ISIS beteiligt. Zu den gemeldeten Rechtsverletzungen zählen willkürliche Verhaftung, Entführung, Verschwindenlassen von Personen, außergerichtliche Hinrichtung, Zwangsvertreibung, Plünderung, Inbrandsetzung und Zerstörung von Häusern, Geschäften und Moscheen und in einigen Fällen die vorsätzliche Zerstörung ganzer Dörfer. Im Distrikt Sinjar (Ninewa) beteiligten sich jesidische Selbstverteidigungsgruppen Berichten zufolge ebenfalls an Vergeltungsmaßnahmen gegenüber sunnitisch-arabischen Zivilpersonen, einschließlich Frauen und Kindern. […]

25. Es wurde berichtet, dass örtliche Behörden, Sicherheitskräfte und Stämme in mehreren Gebieten die Räumung und Vertreibung ganzer Familien aus ihren Heimatorten angeordnet haben, da die Betroffenen oder ihre Angehörigen tatsächlich oder vermeintlich mit ISIS in Verbindung standen. Darüber hinaus wurden einzelne Personen, Familien und Stämme, die im Verdacht einer Verbindung zu ISIS standen, an einer Rückkehr in ihre Herkunftsgebiete gehindert. In einigen Fällen wurden die kurdischen Sicherheitskräfte und die mit den PMU verbündeten Streitkräfte auch beschuldigt, sunnitisch-arabische und sunnitisch-turkmenische Dörfer vorsätzlich im Rahmen von Vergeltungsmaßnahmen und/oder zur Verhinderung einer Rückkehr zerstört zu haben, um ihre Kontrolle über das Gebiet zu konsolidieren.“ (UNHCR, 14. November 2016, S. 12-14)

BBC News erwähnt im September 2017, dass es im Irak 500.000 bis drei Millionen Turkmenen gebe, die entlang konfessioneller Linien gespalten seien. Als der Islamische Staat (IS) in der Gegend Tal Afar angekommen sei, habe er sunnitischen Turkmenen erlaubt, zu bleiben. Schiitische Turkmenen seien vertrieben worden:

„Meanwhile, Turkmen - of whom there are between 500,000 to 3 million - have been split along sectarian lines. When IS arrived in areas such as Tal Afar, Sunni Turkmen were allowed to stay while Shia Turkmen were expelled.“ (BBC, 23. September 2017)

Die international tätige Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) berichtet im Oktober 2017, dass bei einem unkontrollierten Schusswechsel zwischen Truppen der kurdischen Regionalregierung und Truppen der irakischen Regierung in einer Kleinstadt nahe Kirkuk mindestens 51 Personen verletzt und fünf Personen getötet worden seien. Irakische Regierungstruppen, die die Stadt Tuz Khurmatu kontrollieren würden, hätten Zivilisten nach den Auseinandersetzungen erlaubt, mindestens einen Tag lang Eigentum zu plündern, bevor sie eingeschritten seien. Tuz Khurmatu werde von Kurden, Turkmenen und Arabern bewohnt und liege in den umstrittenen Gebieten nahe Kirkuk. Die Stadt habe unter der gemeinsamen Kontrolle von Truppen der kurdischen Regionalregierung, Volksmobilisierungseinheiten und örtlicher Polizei gestanden. In den letzten drei Jahren sei es vereinzelt zu Zusammenstößen gekommen. Am 16. Oktober 2017 seien erneut Kämpfe ausgebrochen, nachdem Truppen der Zentralregierung ihre Kontrolle über Kirkuk und weitere umstrittene Gebiete durchgesetzt hätten:

„Apparently indiscriminate firing during fighting on October 16, 2017, in a town near Kirkuk involving the Kurdistan Regional Government’s Peshmerga forces and various Iraqi government forces left at least 51 civilians wounded and five dead, Human Rights Watch said today. Iraqi forces in control of the town, Tuz Khurmatu, subsequently let civilians loot property unimpeded for at least a full day before taking action. Iraqi and Kurdistan Regional Government forces should take all feasible steps to minimize civilian casualties and prevent looting. […]

Tuz Khurmatu, an ethnically mixed Kurdish, Turkmen, and Arab town in the disputed territories around Kirkuk, 65 kilometers south of the city, had been under the joint control of Kurdistan Regional Government (KRG) forces, the Popular Mobilization Forces (known as the PMF or Hashd al-Sha'abi,) and local police, and the scene of sporadic clashes over the last three years. Fighting again erupted on October 16, 2017, as Iraqi forces asserted control over the city of Kirkuk and other disputed areas. According to three medical workers at a Turkmen-run hospital, fighting on October 16 left five civilians dead, and 51 wounded.“ (HRW, 20. Oktober 2017)

Die in saudischem Besitz befindliche, in London herausgegebene Onlinezeitung Elaph berichtet im April 2017, dass turkmenische Parteien in der Provinz Kirkuk die internationale Gemeinschaft und die Zentralregierung zum Schutz der Turkmenen aufgerufen und den Provinzgouverneur beschuldigt hätten, Angriffe auf turkmenische Parteien vertuscht zu haben beziehungsweise eine Mitschuld daran zu tragen. Der Hauptsitz der Partei Turkmeneli im turkmenischen Ort Yehyava nahe Kirkuk sei angegriffen worden und in der Folge seien dort arbeitende Turkmenen von Beamten der kurdischen Sicherheitskräfte Asayisch verhaftet worden. Laut turkmenischen Vertretern seien die Verhaftungen ohne rechtliche Grundlage erfolgt, außerdem hätten die kurdischen Asayisch in der Provinz Kirkuk eigentlich keine Exekutivgewalt. (Elaph, 20. April 2017)

 

Die türkische Nachrichtenagentur Anadolu Agency (AA) meldet im September 2017, dass laut Irschad Salihi, dem Vorsitzenden der Irakisch-turkmenischen Front (ITF), ein Angriff auf das Gebäude der Partei „Turkmenische Nationalbewegung“ in Kirkuk durch kurdische Peschmerga-Truppen stattgefunden habe. Es sei zu einer bewaffneten Auseinandersetzung mit turkmenischen Sicherheitskräften des Parteigebäudes gekommen. Der stellvertretende Vorsitzende der „Turkmenischen Nationalbewegung“ Abbas Beyatli habe berichtet, dass ein Kurdisch sprechender Angreifer getötet und zwei weitere Personen verletzt worden seien:

„An attack was launched Monday on a Turkmen party building in Iraq`s Kirkuk, an Iraqi Turkmen leader said. Speaking to Anadolu Agency from Baghdad, Ershad Salihi, head of the Iraqi Turkmen Front (ITF), said the Turkmen National Movement Party’s headquarters was attacked by Kurdish Peshmerga forces. ‘A group of armed Kurdish Peshmerga carried out an attack while passing by the Turkmen National Movement Party’s office. When the Turkmen security guards in the party building responded, a conflict broke out and continued for a while,‘ Salihi said. Salihi said the situation in Kirkuk is ‘critical‘. Turkmen National Movement Party Deputy Abbas Beyatli said one attacker who spoke Kurdish was killed and two others were wounded. ‘We strongly condemn this attack,‘ Beyatli said, adding that these kinds of actions are aimed at setting people against each other in Kirkuk.“ (AA, 19. September 2017)

Kurdistan 24, ein in der Autonomen Region Kurdistan (Irak) ansässiger Nachrichtensender, berichtet im Oktober 2017, dass vom Iran unterstützte, schiitische Milizen zusammen mit der Irakisch-turkmenischen Front das Haus eines turkmenischen Parteiführers in Kirkuk gestürmt hätten, nachdem sie die Kontrolle über die Stadt übernommen hätten. Bei dem Parteiführer handle es sich um Irfan Kirkukli, den Generalsekretär der turkmenischen Volkspartei (Turkmen People’s Party). Das Haus von Kirkukli sowie das Parteibüro in Kirkuk seien von Mitgliedern der Miliz Asaib Ahl al-Haqq gestürmt und geplündert worden:

„On Tuesday, Iranian-backed Shiite militias and the Iraqi Turkmen front stormed the house of the Turkmen leader and his party in Kirkuk after taking control of the city, according the Turkmen party's spokesman. ’The militiamen of Asaib Ahl al-Haq, which is an armed group within the Hashd al-Shaabi, stormed and looted the house of the Secretary-General of the Turkmen People’s Party Irfan Kirkukli, and its party offices in Kirkuk,’ Mohammed Kirkukli, told Kurdistan 24.” (Kurdistan 24, 18. Oktober 2017)

Das in der Autonomen Region Kurdistan (Irak) ansässige kurdische Mediennetzwerk Rudaw meldet denselben Vorfall im Oktober 2017, berichtet aber, dass die turkmenische Front und Volksmobilisierungseinheiten der Badr-Miliz an der Plünderung des Parteibüros der turkmenischen Volkspartei beteiligt gewesen seien. (Rudaw, 17. Oktober 2017)

 

Raseef 22, eine in Beirut ansässige Onlinemedienplattform, die sich selbst als eine Seite beschreibt, die vom Arabischen Frühling inspiriert worden sei, und die versuche, durch für arabische Länder relevante Nachrichten eine kulturelle Lücke in der arabischen Medienlandschaft zu füllen, berichtet im Oktober 2017, dass die irakischen Turkmenen vorhätten, eine bewaffnete Truppe zu bilden, um ihre Siedlungsgebiete in der Provinz Kirkuk vor Angriffen zu schützen, insbesondere nachdem das Unabhängigkeitsreferendum der Region Kurdistan eine Krise ausgelöst habe. Dies sei nicht das erste Mal, dass Turkmenen über die Einführung einer solchen Truppe sprechen würden, die „Turkmenische Schutzeinheiten“ heißen sollten. Jedoch sehe es diesmal so aus, als ob die turkmenische Gemeinschaft ernsthaft die Umsetzung dieses Vorhabens anstrebe. Bei anderen Gemeinschaften in der Provinz Kirkuk, insbesondere bei den Kurden, habe dieses Vorhaben Bedenken ausgelöst, dass die neu aufgestellte Truppe von der Türkei unterstützt werden würde. Jedoch habe der Präsident der Irakisch-turkmenischen Front Irschad Al-Salihi diese Bedenken zu beschwichtigen versucht, indem er gegenüber Raseef 22 erklärt habe, dass die bewaffneten turkmenischen Truppen eine reine Verteidigungsfunktion zur Sicherung der Turkmenengebiete übernehmen werde. Laut Al-Salihi seien die irakischen Sicherheitskräfte nicht in der Lage gewesen, nach dem Referendum Angriffe auf Büros der turkmenischen Front in Kirkuk zu verhindern. Turkmenische Politiker hätten als Antwort auf die verstärkte militärische Präsenz der Kurden und deren Spannungen mit der Zentralregierung in Bagdad in Bezug auf die Provinz Kirkuk den Schritt zur Bildung eigener Truppen unternommen. Diese sollten nicht konfessionell ausgerichtet, sondern mit den turkmenischen Parteien verbunden sein. Laut Angaben von Turkmenen gebe es in ihren Siedlungsgebieten ein „Sicherheitsvakuum“, das zu Entführungen, Raubüberfällen auf Häuser und Geschäfte sowie gezielten Tötungen von Turkmenen führe. (Raseef 22, 25. Oktober 2017)

Diskriminierung (ID-Dokumente, Eigentumserwerb, gesellschaftliche Diskriminierung)

Es konnten keine Informationen zu Diskriminierung von Turkmenen in Hinblick auf Ausstellung von ID-Dokumenten beziehungsweise Eigentumserwerb gefunden werden. Gesucht wurde mittels ecoi.net, Refworld, Factiva, und Google nach einer Kombination aus folgenden Suchbegriffen: ID, personal documentation, turkmen ethnicity, issuance, restriction, discrimination, ownership property, acquisition, البطاقة الوطنية, اصدار, تركمان, تمييز, شراء, ممتلكات, عقار

 

Der in Doha ansässige arabische Nachrichtensender Al Jazeera stellt auf seiner Website eine undatierte Übersicht über die Lage und die Anliegen der turkmenischen Gemeinschaft im Irak zu Verfügung, die nach dem Unabhängigkeitsreferendum der Region Kurdistan im September 2017 aktualisiert wurde. Der Artikel beschreibt, wie unter dem Baath-Regime Turkmenen einer Arabisierung unterzogen worden seien, indem viele von ihnen gezwungen worden seien, ihre Volksgruppenzugehörigkeit zu „arabisch“ zu ändern. Außerdem habe das Regime darauf abgezielt, die Siedlungsgebiete der Turkmenen zu verändern, indem die demographische Struktur und die administrativen Einheiten verändert, sowie die Städte und Dörfer mit turkmenischen Namen umbenannt worden seien. Landbesitz von Turkmenen sei infolge einer Landreform konfisziert und an arabische Familien aus dem Süden des Irak vergeben worden. Auch nach dem Einmarsch der USA 2003 seien Turkmenen ausgegrenzt und marginalisiert worden. Die USA hätten zusammen mit den irakischen politischen Kräften die Turkmenen aus der Staatsverwaltung ausgeschlossen und ihre Rolle im politischen Prozess geschwächt. Die turkmenischen Gebiete seien erneut gezielt demographisch verändert worden unter dem Vorwand der Rückkehr der (unter dem Baath-Regime) deportierten Iraker. Turkmenen im Irak würden ihre vollen staatsbürgerlichen Rechte, die Teilhabe an der Staatsverwaltung sowie politische Ämter fordern. Sie würden sich auch für ein Ende der Marginalisierung und eine Beseitigung der Folgen der Politik der Arabisierung einsetzen, darunter zum Beispiel die Rückgabe ihres Landbesitzes und der Unterricht turkmenischer Kinder in ihrer Muttersprache. Darüber hinaus würden sie fordern, dass die von ihnen besiedelten größeren Distrikte Tel Afar, Tuz Khurmatu und Khanaqin in eigene Provinzen umgewandelt werden und keine erneuten Übergriffe auf ihr Land oder ihre Besitztümer stattfinden. (Al-Jazeera, ohne Datum)

 

Das US-amerikanische Außenministerium (US Department of State, USDOS) schreibt in seinem Bericht zur Religionsfreiheit vom August 2017 (Berichtszeitraum: 2016), dass die irakische Verfassung Minderheiten das Recht garantiere, Kinder in ihren jeweiligen Sprachen zu unterrichten. Während Arabisch und Kurdisch als offizielle Amtssprachen anerkannt seien, sei die Sprache der Turkmenen nur in den administrativen Einheiten offiziell anerkannt, in denen die Turkmenen verstärkt leben würden. Berichten von NGOs zufolge habe der IS weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten zwecks Erpressung von Lösegeld entführt. Laut Mitarbeitern einer turkmenischen Frauenorganisation halte der IS 500 turkmenische Frauen und Kinder aus Tel Afar und Mossul seit Juni 2014 gefangen:

The constitution guarantees minority groups the right to educate children in their own languages. While it establishes Arabic and Kurdish as official state languages, it makes Syriac, typically spoken by Christians within the country, and Turkmen official languages only in the administrative units in which those groups ‘constitute density populations.’ […]

NGOs reported ISIS continued to kidnap religious minorities for ransom. According to officials from a Turkmen Women’s Association, ISIS militants had kidnapped and held 500 Turkmen women and children from Tal Afar and Mosul since June 2014.“ (USDOS, 15. August 2017, Section 2)

Das Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen (UN High Commissioner for Refugees, UNHCR) schreibt in seinen Feststellungen zur Verfügbarkeit einer internen Fluchtalternative vom April 2017, dass es Berichte über von örtlichen Behörden verhängte Zugangs- und Wohnsitzbeschränkungen gebe, von denen unter anderem sunnitische Turkmenen aus Gebieten, die sich vormals unter Kontrolle der Gruppe Islamischer Staat (IS) befunden hätten, betroffen seien. Sie würden als Sicherheitsrisiko gelten und ihnen werde auf Basis diskriminierender Kriterien der Zugang zu oder der Wohnsitz in relativ sicheren Gebieten verwehrt. Eine Reise auf Straßen von einer in eine andere Provinz könne für Iraker bestimmter ethnischer oder religiöser Zugehörigkeit ein Risiko darstellen, diskriminierender Behandlung, darunter auch willkürliche Festnahmen, an Checkpoints ausgesetzt zu werden. Dies treffe insbesondere auf sunnitische Araber und sunnitische Turkmenen aus Gebieten, die vormals unter Kontrolle des IS gestanden hätten, zu. Sie würden verdächtigt, den IS unterstützt zu haben:

Access and residency restrictions imposed by local authorities are reported mostly to affect Sunni Arabs and Sunni Turkmen from (previously or currently) ISIS-held and conflict areas, who are reportedly considered a security threat and are often denied permission to access and/or residency in areas of relative safety on the basis of broad and discriminatory criteria. In contrast, Shi’ites, Kurds and members of religious/ethnic minority groups do generally not face specific access or residency requirements in any part of the country (with the exception of Erbil Governorate).

Road movements (e.g. from Baghdad Airport to Baghdad City, or between governorates) may expose Iraqis of certain ethnic or religious backgrounds to a risk of discriminatory treatment at checkpoints including arbitrary arrest, on the basis of broad and discriminatory profiling. This reportedly applies in particular to Sunni Arabs and Sunni Turkmen originating from (previously or currently) ISIS-held areas or areas affected by conflict, for reasons of their perceived support for ISIS.(UNHCR, 12. April 2017, S. 3)

HRW berichtet im Mai 2017, dass die Behörden der kurdischen Regionalregierung in Kirkuk sunnitisch-turkmenische Binnenflüchtlinge dazu gezwungen hätten, die Stadt zu verlassen. Betroffene Bewohner hätten berichtet, dass Sicherheitskräfte der Asayisch ihre Personalausweise und Karten für soziale Unterstützungsleistungen konfisziert hätten. Dies sei mit der Absicht geschehen, sie zur Rückkehr in Orte zu zwingen, die unter Kontrolle gewalttätiger schiitischer Milizen und Truppen der Volksmobilisierungseinheiten stehen würden. Laut Angaben von sunnitischen Turkmenen würden diese Übergriffe mit der Wahrnehmung der kurdischen Regionalregierung zusammenhängen, dass die turkmenischen Binnenflüchtlinge aus Gebieten kommen würden, in denen manche sunnitische Bewohner den IS unterstützt hätten. Im Februar 2017 habe HRW 14 Turkmenen, die nach Kirkuk geflohen seien, interviewt. Alle hätten sich wie verlangt bei den lokalen Behörden registriert. In manchen Fällen hätten Asayisch-Beamte ihre wichtigsten Dokumente beschlagnahmt und sie dazu aufgefordert, die Stadt zu verlassen, jedoch hätten sie erst vor kurzem begonnen, ihre Anordnungen umzusetzen. Die Betroffenen würden in Kirkuk im Verborgenen leben und seien Versuchen der Zwangsräumung entkommen. Die Turkmenen hätten angegeben, dass sie Angst davor hätten, in ihre Häuser zurückzukehren, da die Volksmobilisierungseinheiten, die ihre Heimatorte kontrollieren würden, sie aufgrund ihrer sunnitischen Religionszugehörigkeit ins Visier nehmen würden. Die befragten Turkmenen in Kirkuk hätten berichtet, dass laut Aussage der Asayisch-Beamten, die ihre Papiere konfisziert hätten, diese retourniert würden, sobald die Betroffenen die Stadt verlassen oder den Checkpoint Daquq an der Provinzgrenze erreichen würden. Einige Turkmenen hätten berichtet, dass sie von Mitgliedern der Asayisch willkürlich mehrere Stunden festgehalten und in manchen Fällen geschlagen worden seien, um sie zum Verlassen der Stadt zu zwingen. Laut HRW marginalisiere die Konfiszierung der Personaldokumente von Turkmenen eine bereits vulnerable Gruppe noch mehr. Der Personalausweise und die Karte für soziale Unterstützungsleistungen seien zwei von vier Dokumenten, die irakische Bürger regelmäßig bei Behördengängen vorzeigen müssten. Wenn man an einem Checkpoint keinen Personalausweis vorzeigen könne, könne das zu einer Festnahme führen. Ohne beide Ausweisdokumente könne man keine humanitäre Hilfe oder sonstige Unterstützungsleistungen in Anspruch nehmen. Ohne Personalausweis könne man keine Immobilien erwerben oder an Wahlen teilnehmen:

Kurdistan Regional Government (KRG) authorities in Kirkuk are forcing internally displaced Sunni Turkmen to leave the city, Human Rights Watch said today. Affected residents said that the regional government’s Asayish security forces confiscated their identity and benefits cards and otherwise harassed them. They said the intention was to compel them to return to towns under the control of abusive Shia units of the Iraqi government’s Popular Mobilization Forces (Hashd al-Sha’abi or PMF). The Sunni Turkmen said they thought the abuses were linked to the perception among KRG authorities that the Turkmen come from areas where some Sunni residents supported the Islamic State (also known as ISIS). […]

In February 2017, Human Rights Watch interviewed 14 Turkmen, including three women, who had been living in Kirkuk since 2014 because of insecurity elsewhere in Iraq. All had registered with local authorities as required. In some cases, Asayish officers had confiscated their essential documents then and told them to leave the city, but had not followed up until recently. In other cases, the Asayish had confiscated the documents in recent months and ordered them to leave Kirkuk. All were in hiding in Kirkuk and most had eluded attempts to force them to leave. Two of the Turkmen said Asayish tried to force them out in late 2016, two in January 2017, and eight in February. They said that they were afraid to return to their homes because PMF units that were controlling their towns would target them because they were Sunni.

People interviewed said that Asayish officers who confiscated the documents said they would be returned when the owners left the city or when they reached the Daquq checkpoint, 30 kilometers south of Kirkuk and the border of the governorate. Several Turkmen said that the Asayish arbitrarily detained them for several hours and, in some cases, beat them as part of efforts to compel them to leave the city.

Confiscating Turkmen families’ documents further marginalizes an already vulnerable group, Human Rights Watch said. These cards are two of four identification documents Iraqi citizens are regularly required to present when visiting government offices or institutions. A failure to present an ID when requested at a checkpoint can result in detention. Without both cards, individuals are not able to obtain humanitarian aid or other benefits. Without ID cards, they are unable to buy property, or vote in local or national elections.“ (HRW, 7. Mai 2017)

Der Bericht führt im Weiteren Zeugenaussagen von Turkmenen in der Provinz Kirkuk an, deren Dokumente konfisziert worden seien und die aufgrund mutmaßlicher Verbindungen zum IS Opfer von willkürlichen Festnahmen geworden seien. (HRW, 7. Mai 2017)

 

Die internationale NGO Minority Rights Group International (MRG), die sich für benachteiligte Minderheiten und indigene Völker einsetzt, schreibt in einem Bericht zur Lage von Minderheiten im Irak vom Juni 2017, dass während der Arabisierungskampagne unter Saddam Hussein Turkmenen aus ihren Siedlungsgebieten vertrieben worden und dort Araber aus anderen Gegenden des Irak angesiedelt worden seien. Nach 2003 seien Turkmenen langsam an ihre ursprünglichen Wohnorte zurückgekehrt, was zu Spannungen mit Arabern geführt habe, die insbesondere in umstrittenen Gebieten wie Kirkuk angesiedelt worden seien. Turkmenen seien, auch vor Juni 2014, von den zentralirakischen und von den kurdischen Behörden, sowie durch Milizen, aus religiösen und ethnischen Gründen und aufgrund ihrer Präsenz in umstrittenen Gebieten eingeschüchtert worden. Die turkmenische Gemeinschaft im Irak verfüge über enge Verbindungen zur Türkei und starken Rückhalt durch turkmenische Organisationen in der Diaspora:

Turkmen, the third largest ethnic group in Iraq, are estimated by some community representatives to number as many as 2.5 to 3 million, though international sources give a range of between 500,000 and 600,000. Though the majority are Shi’a or Sunni Muslims, there are reportedly some 30,000 Christian Turkmen as well. Most reside in the northern areas of Iraq, with the largest concentration based in Kirkuk, and south as far as Wassit governorate, south-east of Baghdad. During the Arabization campaign under the former Saddam Hussein regime, Turkmen, along with Kurds and Assyrians, were expelled from their lands and replaced by Arabs from other areas of Iraq. After 2003, Turkmen and Kurds began to return to their original areas, resulting in tension with the Arab communities that had been moved to contested areas in the north, particularly around Kirkuk. Even prior to June 2014, Turkmen were intimidated by Kurdish and central government authorities, as well as by extra-judicial militias, on religious and ethnic grounds as well as for their presence in the disputed territories. Iraq’s Turkmen community has close links to Turkey and strong support from Turkmen diaspora organizations such as the Europe Turkmen Friendships organization and other groups. Many Turkmen refugees from Iraq have travelled to neighbouring states but also to Europe, the United States and other Western nations.“ (MRG, 7. Juni 2017)

Global Public Policy Institute (GPPI), eine in Deutschland ansässige NGO, schreibt in einem Lagebericht zu im Irak operierenden Sicherheitskräften vom August 2017, dass in der Distrikthauptstadt Tuz, über die sowohl die Volksmobilisierungskräfte als auch die kurdischen Truppen die Kontrolle beanspruchen würden, sunnitische Turkmenen an der Rückkehr in ihre Häuser gehindert worden seien:

„Tuz – PMF [Popular Mobilisation Forces] and Kurdish forces are locked in a stalemate in Salah ad-Din’s only Disputed Territory. Still under split control two years after ISIL’s ouster, the district capital is divided, while local Shi’a militias prevent Sunni Arabs and Sunni Turkmen from returning to their homes in their southern area of control.“ (GPPI, 21. August 2017)

Rudaw schreibt im Oktober 2017, dass das Koordinationsgremium der Turkmenen die Bildung einer hohen Kommission aus Vertretern verschiedener Ministerien gefordert habe, die Beschwerden von Personen, die seit April 2003 bis heute in den umstrittenen Gebieten geschädigt worden seien, entgegennehme. Laut einem Mitglied des Gremiums würden die Turkmenen bereits seit 14 Jahren eine gemeinsame Verwaltung der Region zusammen mit den anderen Volksgruppen durch Teilhabe sowie eine ausgeglichene Ämtervergabe und Sicherheitsmanagement anstreben, jedoch würden einige kurdische Fraktionen beabsichtigen, die von Turkmenen besiedelten Gebiete zu kurdisieren und sie der Region Kurdistan anzugliedern. Dies sei durch das Unabhängigkeitsreferendum sowie durch die demographische Veränderung klar geworden. Die Kurden hätten fehlende Präsenz des irakischen Staates und die Tatsache, dass dieser mit dem Kampf gegen den IS beschäftigt gewesen sei, ausgenutzt. Der Einfluss der Region Kurdistan auf einige politische Fraktionen in Kirkuk sowie die Polarisierung der einzelnen Lager habe dazu beigetragen, dass viele Kurden in vornehmlich turkmenische Gebiete gekommen seien, um sich dort niederzulassen. Ihnen gefolgt seien Peschmerga und kurdische Sicherheitskräfte, um dort die Kontrolle zu übernehmen. (Rudaw, 18. Oktober 2017)

 

Radio Nawa, ein Radiosender im Irak, der Programme auf Arabisch und Kurdisch ausstrahlt, berichtet in einem Artikel auf seiner Website vom Jänner 2017, dass die turkmenische Front in Kirkuk bestätigt habe, dass es wichtig sei, auf den Personalausweisen das Feld, das die Volkszugehörigkeit angebe, zu löschen, um „Konflikte einzudämmen“. Ein Sprecher der Turkmenen habe dabei von nationalen Konflikten gesprochen, die zu einem Streit über Sicherheit und Politik in der Provinz Kirkuk geführt hätten. (Radio Nawa, 27. Jänner 2017)

 

 

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Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 16. November 2017)

·      AA – Anadolu Agency: Kirkuk: Armed attack on Turkmen party building, 19. September 2017
http://aa.com.tr/en/middle-east/kirkuk-armed-attack-on-turkmen-party-building/913533

·      ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zum Irak: 1) Lage der Turkmenen; 2) Sicherheits- und sozioökonomische Lage in der Autonomen Region Kurdistan und in der Stadt Kirkuk; 3) Erreichbarkeit der Stadt Kirkuk [a-9470], 21. Jänner 2016 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/local_link/318300/457298_de.html

·      Al-Jazeera: al-turkuman…qawmiya ciraqiya caaradat istifta’ kurdistan [Turkmenen…ein irakisches Volk, das das Referendum über Kurdistan abgelehnt hat], ohne Datum
http://www.aljazeera.net/encyclopedia/movementsandparties/2016/11/8/%D8%AA%D8%B1%D9%83%D9%85%D8%A7%D9%86-%D8%A7%D9%84%D8%B9%D8%B1%D8%A7%D9%82-%D8%A7%D9%84%D9%82%D9%88%D9%85%D9%8A%D8%A9-%D8%A7%D9%84%D9%85%D9%87%D9%85%D8%B4%D8%A9

·      BBC News: Iraq's minorities fear for their future, 23. September 2017
http://www.bbc.co.uk/news/world-middle-east-41277880

·      Elaph: turkuman al-ciraq yadcuna li-himaya duwaliya min al-ictida’at al-kurdiya [Turkmenen im Irak fordern internatialen Schutz vor kurdischen Übergriffen], 20. April 2017
http://elaph.com/Web/News/2017/4/1143560.html

·      GPPI - Global Public Policy Institute: Iraq after ISIL: An Analysis of Local, Hybrid, and Sub-State Security Forces, 21. August 2017 (veröffentlicht von ReliefWeb)
http://reliefweb.int/report/iraq/iraq-after-isil-analysis-local-hybrid-and-sub-state-security-forces

·      HRW - Human Rights Watch: Iraq: Kirkuk Security Forces Expel Displaced Turkmen, 7. Mai 2017 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/local_link/340329/483468_de.html

·      HRW - Human Rights Watch: Iraq: Fighting in Disputed Territories Kills Civilians, 20. Oktober 2017 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/local_link/348097/492209_de.html

·      Kurdistan 24: Turkmen party: Shiite militia, Iraqi Turkmen Front looted our offices in Kirkuk, 18. Oktober 2017
http://www.kurdistan24.net/en/news/83d006ae-9f14-4773-96f7-8ad7e535d3ed

·      MRG - Minority Rights Group International: Crossroads: The future of Iraq’s minorities after ISIS, 7. Juni 2017 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1497948627_mrg-rep-iraq-eng-may17-final2.pdf

·      Radio Nawa: al-jabha al-turkmaniya fi Kirkuk tu’ayyid taghyir ism al-muhafazha fi-l-bitaqa al-wataniya [Turkmenische Front in Kirkuk unterstützt die Änderung des Provinznamens auf dem Personalausweis], 27. Jänner 2017
http://www.radionawa.com/arabic/view.aspx?n_=96611&m_=21

·      Raseef 22: tajathabahum al-shica wa-l-sunna li-sanawat…turkuman al-ciraq yushakkiluna quwwa musallaha li-himayat manatiqihim [Schiiten und Sunniten haben jahrelang um sie gerungen… jetzt bilden die Turkmenen im Irak eine bewaffnete Truppe, um ihre Gebiete zu schützen], 25. Oktober 2017
https://raseef22.com/politics/2017/10/25/%D8%AA%D8%AC%D8%A7%D8%B0%D8%A8%D9%87%D9%85-%D8%A7%D9%84%D8%B4%D9%8A%D8%B9%D8%A9-%D9%88%D8%A7%D9%84%D8%B3%D9%86%D8%A9-%D9%84%D8%B3%D9%86%D9%88%D8%A7%D8%AA-%D8%AA%D8%B1%D9%83%D9%85%D8%A7%D9%86-%D8%A7/

·      Rudaw: al-hashd al-schacbi yanhab muhtawiyat maqarr hizb al-schacb al-turkmani fi Kirkuk [Volksmobilisierungseinheiten plündern Sitz der turkmenischen Volkspartei in Kirkuk], 17. Oktober 2017
http://www.rudaw.net/arabic/kurdistan/1710201712

·      Rudaw: al-turkuman yutalibuna bi-tashkil lajna culya li-shakawa al-mutadarririn fi-l-manatiq al-mutanaziccalayha [Turkmenen fordern Bildung einer hohen Kommission für Beschwerden der Geschädigten in den umstrittenen Gebieten], 18. Oktober 2017
http://www.rudaw.net/arabic/kurdistan/1810201722

·      UNHCR - UN High Commissioner for Refugees: UNHCR Position on Returns to Iraq, 14. November 2016 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/1930_1485247972_opendocpdf.pdf

·      UNHCR - UN High Commissioner for Refugees: Iraq: Relevant COI for Assessments on the Availability of an Internal Flight or Relocation Alternative (IFA/IRA); Ability of Persons Originating from (Previously or Currently) ISIS-Held or Conflict Areas to Legally Access and Remain in Proposed Areas of Relocation, 12. April 2017 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/1930_1492501398_58ee2f5d4.pdf

·      USDOS - US Department of State: 2016 Report on International Religious Freedom - Iraq, 15. August 2017 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/local_link/345221/489014_de.html