Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Provinz Helmand: 1) Situation von Hazara, die bei den Taliban gekämpft haben und „desertiert" sind (Konsequenzen vonseiten des Staates und der Taliban); 2) Möglichkeit einer innerstaatlichen Schutzalternative [a-9898]

4. November 2016

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1) Situation von Hazara, die bei den Taliban gekämpft haben und „desertiert" sind (Konsequenzen vonseiten des Staates und der Taliban)

Thomas Ruttig, Kodirektor des Afghanistan Analysts Network (AAN), schrieb in einer E-Mail-Auskunft vom 4. November 2016, dass es bei den Taliban nur wenige Hazara gebe, weshalb er davon ausgehe, dass es sich bei dem vorliegenden Fall um eine Zwangsrekrutierung handle, zumal es vor allem auch eine Geschichte der Unterdrückung der Hazara durch die Paschtunen und durch die Taliban (während der Taliban-Herrschaft in den Jahren 1996 bis 2001) gebe. Es gebe Hazara-Enklaven im Norden der Provinz Helmand. Im Falle der Flucht eines von ihnen Zwangsrekrutierten könne man davon ausgehen, dass die Taliban dies nicht „durchgehen“ lassen würden und der Betreffende mit Repressalien zu rechnen habe. Ruttig seien diesbezüglich keine konkreten Fallbeispiele bekannt. Jedoch könnten solche Repressalien seiner Ansicht nach von Züchtigung (mit anschließender Wiederverwendung als Kämpfer) bis zu Hinrichtung alles umfassen und zudem möglicherweise auch die Familie betreffen. Wie Ruttig weiter bemerkt, befinde sich Helmand inzwischen fast vollständig unter der Kontrolle der Taliban, mit Ausnahme von einigen, im Wesentlichen von Taliban belagerten Regierungsenklaven (einschl. des unmittelbaren Stadtgebiets der Provinzhauptstadt Laschkargah; Taliban stehen auch in einigen Vororten); eine Rückkehr von Kabul aus führe in jedem Falle durch Taliban-Gebiet. Damit wäre die betreffende Person im Falle einer Rückkehr nach Helmand den Taliban ausgeliefert. Die Hand der Taliban reiche jedoch auch in andere Landesteile, und sie würden über (je nach Region und Zeit unterschiedlich effektive, aber zumindest latent anwesende) parallelstaatliche Strukturen sowie über ein ausgedehntes Unterstützer- und Informantennetzwerk verfügen. Wenn ihnen an dem betreffenden jungen Mann oder einem Exempel an ihm etwas liege, seien sie in der Lage, dieses auch zu statuieren. (Ruttig, 4. November 2016)

Das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (European Asylum Support Office, EASO), eine Agentur der Europäischen Union, deren Ziel es ist, die praktische Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten im Asylbereich zu fördern, zitiert in einem Bericht vom September 2016 eine Auskunft von Patricia Gossman, Afghanistan-Expertin bei der Human Rights Watch (HRW), der zufolge man nicht einfach die Taliban verlassen und dann erwarten könne, dass man in Sicherheit sei. Laut Borhan Osman, Analyst beim Afghanistan Analysts Network (AAN), hänge das Schicksal eines Deserteurs davon ab, warum er von den Aufständischen weggegangen sei. Das Verlassen der Taliban-Verbände dürfe nicht als Verrat angesehen werden. Daher würden Familien, die ihre Söhne von den Taliban frei bekommen, diese häufig ins Ausland schicken, damit sie dort Geschäftstätigkeiten oder einfacher Arbeit nachgingen. Auf diese Art würden sie einen (ehemaligen) Kämpfer komplett aus dem bisherigen Geschehen herausnehmen, um jeglichen Verdacht, dass dieser sich den Regierungskräften angeschlossen haben könnte, zu vermeiden. Je höherrangiger eine Person bei den Taliban gewesen sei, desto schwieriger sei es, bei den Taliban aufzuhören:

„Sources are divided on whether a child could refuse or avoid recruitment. Both Borhan Osman and Antonio Giustozzi mention the possibility of paying to avoid enrollment. However, there are sources that indicate that refusing is not an option (see section on Taliban, local Taliban fronts and consequences in case of refusal). Even when recruited on a more or less ‘voluntary’ basis, sources do not agree on whether it is possible for a minor to leave the ranks of the Taliban if he would wish. Of the 13 cases HRW documented in the north in 2015, all of the boys were brainwashed in the madrassas and joined the ranks of the Taliban ‘voluntarily’. However, in all these cases the family opposed to the recruitment of their sons. It was almost impossible for the families to retrieve their sons once they were recruited by the Taliban. HRW knew of only one case of a family securing a boy’s release. Apparently the family had found the situation for their released son so dangerous that they immediately sent him to Iran. Patricia Gossman of HRW said: ‘You can’t just leave the Taliban and expect that you will be safe’. However, Antonio Giustozzi and Ali Mohammad Ali examined several cases of recruitment through peers in high schools. In some cases, where the family firmly opposed the enrollment, teachers told the researchers that the family members forced the youngsters to leave the Taliban. Borhan Osman says the fate of a deserter can depend on the reason why he left the insurgents. Leaving the Taliban should not be seen as a betrayal. Therefore families who extricate their sons from the Taliban will often send them abroad for business or labour. In this way, they are taking the fighter completely out of the situation to avoid any suspicion that he may have joined government forces. The more senior or higher up in the ranks of the Taliban, the less easy it is to quit.” (EASO, September 2016, S. 44)

Das niederländische Außenministerium (Ministerie van Buitenlandse Zaken, BZ) schreibt in seinem Herkunftsländerbericht zu Afghanistan vom September 2014, dass nichts über die Situation von Personen bekannt sei, die nach ihrer Rekrutierung durch Aufständische desertiert seien. Es sei indes bekannt, dass Aufständische, die ihre Waffen niederlegen und sich dem Reintegrationsprogramm anschließen, Ziel von Angriffen und Bedrohungen werden könnten:

„Het is niet bekend wat de positie is van personen die na ronseling door opstandelingen gedeserteerd zijn. Wel is bekend dat opstandelingen die de wapens neerleggen en zich aansluiten bij het re-integratieprogramma te maken kunnen hebben met aanvallen en bedreigingen.“ (BZ, September 2014, S. 18-19)

Die internationale Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) erwähnt in einem im Februar 2016 veröffentlichten Bericht über Zwangsrekrutierung von Jugendlichen durch die Taliban in der nordafghanischen Provinz Kundus den Fall eines Vaters, dem es gelungen sei, seien von den Taliban zwangsweise rekrutierten Sohn frei zu bekommen. Danach habe der Vater ihn in den Iran geschickt, um ihn in Sicherheit zu bringen:

„Malek, 14, a student at a local madrasa, was recruited by his teacher, Commander E, one of the Taliban’s principal recruiters in Chahardara district. A relative said:

Before recruiting Malek, the Taliban took his cousin Esmat by force over his father’s objections. However, Esmat’s father succeeded in getting Esmat released and sent him to Iran to save him. Currently Qari Malek is tasked with carrying RPGs [rocket-propelled grenades] in Commander B’s unit.” (HRW, 17. Februar 2016)

Es konnten keine weiteren Informationen zu Konsequenzen für desertierte ehemalige Taliban-Kämpfer seitens der Taliban gefunden werden. Weiters konnten keine Informationen zu Konsequenzen seitens des afghanischen Staates für solche Personen gefunden werden. Es wurde daher ein Experte zu dieser Fragestellung kontaktiert. Sollte eine Antwort einlangen, werden wir Ihnen diese unverzüglich weiterleiten.

 

Folgende Berichte thematisieren die Behandlung von Personen, denen Unterstützung der Taliban vorgeworfen werde, vonseiten regierungsfreundlicher Kräfte:

 

Die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UN Assistance Mission in Afghanistan, UNAMA) schreibt in ihrem Mittjahresbericht vom Juli 2016 (Berichtszeitraum: Jänner bis Juni 2016), dass sie zwischen Jänner und Juni 2016 insgesamt 103 zivile Opfer (28 Tote und 75 Verletzte) dokumentiert habe, die durch regierungsfreundliche Kräfte verursacht worden seien, was einem Anstieg um 23 Prozent zum Vergleichszeitraum im Jahr 2015 entspreche. UNAMA hält weiters fest, dass es weiterhin Fälle gebe, in denen afghanische Sicherheitskräfte im Verband mit regierungsfreundlichen bewaffneten Gruppen operieren würden, obwohl es letzteren an entsprechender Ausbildung, Disziplin und klar definierten Berichtslinien und Verantwortlichkeiten fehle.

Ende Juni 2016 hätten afghanische Sicherheitskräfte und regierungsfreundliche bewaffnete Gruppen einen Militäreinsatz gegen eine Operationsbasis in der nordafghanischen Provinz Faryab durchgeführt, der sich vor allem auf das Gebiet Shordarya im Distrikt Dawlatabad konzentriert habe. Dabei hätten bewaffnete Gruppen unter Führung von sechs verschiedenen Kommandeuren Einsätze in mindestens vier Dörfern in dem Gebiet durchgeführt, in deren Zuge fünf ZivilistInnen getötet und zwölf weitere verletzt worden seien. Die regulären afghanischen Sicherheitskräfte seien in dem Gebiet geblieben, seien jedoch nicht in die Dörfer hinein gegangen. Im Dorf Sheshpar hätten regierungsfreundliche bewaffnete Gruppen mindestens drei ZivilistInnen erschossen, nachdem sie diese beschuldigt hätten, die Taliban zu unterstützen. Weitere 14 Personen seien schwer verprügelt worden, wobei zwei dieser Personen später an ihren Verletzungen verstorben seien.

Weiters habe UNAMA zehn Fälle von Bedrohung, Einschüchterung und Schikanierung dokumentiert, denen insgesamt 32 ZivilistInnen zum Opfer gefallen seien (zwei Tote und 30 Verletzte). Beispielsweise hätten im April 2016 Mitglieder einer regierungsfreundlichen bewaffneten Gruppe sechs Schafhirten (darunter einen Minderjährigen) im Distrikt Mardyan in der nordafghanischen Provinz Jawzjan verprügelt, denen sie vorgeworfen hätten, regierungsfeindliche Kräfte zu unterstützen. Kurz darauf hätten Mitglieder derselben Gruppe sechs Stammesälteste, die ihrer Meinung nach Taliban-Unterstützer gewesen seien, verprügelt und anschließend dem afghanischen Inlandsgeheimdienst, der Nationalen Sicherheitsdirektion (National Directorate of Security, NDS) übergeben, der die Ältesten dann freigelassen habe. UNAMA habe indes keine Hinweise darauf, dass die Behörden Bemühungen unternommen hätten, die Täter für diese Misshandlungen zur Rechenschaft zu ziehen.

Wie UNAMA festhält, habe es in den nördlichen Regionen Afghanistans die meisten Vorfälle mit zivilen Opfern gegeben, welche regierungsfreundlichen bewaffneten Gruppen zugerechnet werden könnten. 61 Prozent dieser Vorfälle hätten in der Provinz Faryab stattgefunden, der Rest verteile sich auf die Provinzen Jawzjan, Sari Pul, Samangan, Takhar, Kunduz, Khost, Balkh, und Ghazni:

„Between 1 January and 30 June 2016, UNAMA [UN Assistance Mission in Afghanistan] documented 103 civilian casualties (28 deaths and 75 injured) caused by pro-Government armed forces, a 23 per cent increase compared to the first six months of 2015. […]

UNAMA continued to document instances of regular Afghan security forces partnering with pro-Government armed groups during operations despite their lack of training, discipline, clear reporting lines, and accountability. […]

On 26 June, a combined force of regular Afghan security forces and pro-Government armed groups conducted a military operation against a Taliban operations base in Faryab province, with efforts focused on Shordarya area, Dawlatabad district (that also affected part of Qaram Qol district). […]

Following the initial engagements, pro-Government armed groups, led by six different commanders, conducted operations in at least four villages in the area, resulting in 17 additional civilian casualties (five deaths and 12 injured). Regular Afghan security forces remained in the area but did not enter the villages. In Sheshpar village, pro-Government armed groups shot and killed at least three civilian men on accusation of supporting Taliban and severely beat 14 other civilian men on similar accusations. Two of the 14 later died of their injuries (two deaths and 12 injured). UNAMA is also investigating reports that pro-Government armed groups looted and burned civilian homes in the Shordarya area. […]

UNAMA also documented ten incidents of threat, intimidation and harassment that resulted in 32 civilian casualties (two deaths and 30 injured). For example, on 22 April, members of a pro-Government armed group in Mardyan district, Jawzan province, beat six shepherds, including one boy, they accused of supporting Anti-Government Elements. The following day in the same area, on 23 April, members of the same pro-Government group beat six tribal elders they considered Taliban supporters as they returned home from a government meeting and handed them over to the NDS [National Directorate of Security], who then released the elders. UNAMA received no indications that authorities undertook any action to hold the perpetrators of these abuses accountable for their actions.

The majority of incidents causing civilian casualties attributed to pro-Government armed groups transpired in the northern region of Afghanistan, with 61 per cent of all civilian casualties nation-wide occurring in Faryab province as a result of inter-pro-Government armed group activities. Pro-Government armed group human rights abuses also took place in Jawzan, Sari Pul, Samangan, Takhar, Kunduz, Khost, Balkh, and Ghazni provinces.” (UNAMA, 25. Juli 2016, S. 84-86)

In Bezug auf den soeben genannten Fall der Tötung von fünf und Verletzung von zwölf ZivilistInnen Ende Juni 2016 durch Mitglieder einer regierungsfreundliche bewaffnete Gruppe schreibt HRW, dass es sich bei diesen laut Augenzeugenberichten um Mitglieder der Nationalen Islamischen Bewegung Afghanistans (Junbish-i-Milli Islami Afghanistan) gehandelt habe:

„On June 26, Afghan regular security forces, together with pro-government militia forces, conducted a military operation against Taliban forces in Faryab province, in which at least 4 civilians were killed and 20 wounded, according to the United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA). After Taliban forces left the area, the militia forces entered at least four villages, killing an additional five civilians and injuring 12. Witnesses interviewed by Human Rights Watch identified the militia forces as belonging to the Junbish faction, and said they had had assaulted the villagers, accusing them of supporting the Taliban.” (HRW, 31. Juli 2016)

2) Möglichkeit einer innerstaatlichen Schutzalternative in Kabul

Das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UN High Commissioner for Refugees, UNHCR) geht in seinen Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom April 2016 auf das Thema innerstaatliche Schutzalternative in Afghanistan ein:

 „Die Prüfung, ob eine interne Schutzalternative gegeben ist, erfordert eine Prüfung der Relevanz und der Zumutbarkeit der vorgeschlagenen internen Schutzalternative. Eine interne Schutzalternative ist nur dann relevant, wenn das für diesen Zweck vorgeschlagene Gebiet praktisch, sicher und legal erreichbar ist, und wenn die betreffende Person in diesem Gebiet nicht einem weiteren Risiko von Verfolgung oder ernsthaftem Schaden ausgesetzt ist. Bei der Prüfung der Relevanz einer internen Schutzalternative für afghanische Antragsteller müssen die folgenden Aspekte erwogen werden:

(i)            Der instabile, wenig vorhersehbare Charakter des bewaffneten Konflikts in Afghanistan hinsichtlich der Schwierigkeit, potenzielle Neuansiedlungsgebiete zu identifizieren, die dauerhaft sicher sind, und

(ii)           die konkreten Aussichten auf einen sicheren Zugang zum vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet unter Berücksichtigung von Risiken im Zusammenhang mit dem landesweit verbreiteten Einsatz von improvisierten Sprengkörpern und Landminen, Angriffen und Kämpfen auf Straßen und von regierungsfeindlichen Kräften auferlegte Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Zivilisten.

Wenn Antragsteller eine begründete Furcht vor Verfolgung haben, die vom Staat oder seinen Akteuren ausgeht, so gilt die Vermutung, dass die Erwägung einer internen Schutzalternative für Gebiete unter staatlicher Kontrolle nicht relevant ist. Im Lichte der verfügbaren Informationen über schwerwiegende und weit verbreitete Menschenrechtsverletzungen durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) in von ihnen kontrollierten Gebieten sowie der Unfähigkeit des Staates, für Schutz gegen derartige Verletzungen in diesen Gebieten zu sorgen, ist nach Ansicht von UNHCR [UN High Commissioner for Refugees] eine interne Schutzalternative in Gebieten des Landes, die sich unter tatsächlicher Kontrolle regierungsfeindlicher Kräfte (AGEs) befinden, nicht gegeben; es sei denn in Ausnahmefällen, in denen Antragsteller über zuvor hergestellte Verbindungen zur Führung der regierungsfeindlichen Kräfte (AGEs) im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet verfügen.

UNHCR geht davon aus, dass eine interne Schutzalternative in den vom aktiven Konflikt betroffenen Gebieten unabhängig davon, von wem die Verfolgung ausgeht, nicht gegeben ist.

Wenn der Antragsteller eine begründete Furcht vor Verfolgung durch einen nichtstaatlichen Akteur hat, müssen die Möglichkeit des Akteurs, den Antragsteller auf dem vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet zu verfolgen, und die Fähigkeit des Staates, Schutz in diesem Gebiet zu bieten, geprüft werden. Wenn die Verfolgung von regierungsfeindlichen Kräften ausgeht, müssen Nachweise hinsichtlich der Fähigkeit dieses Akteurs, Angriffe in Gebieten außerhalb des von ihm kontrollierten Gebiets durchzuführen, berücksichtigt werden.

Bei Personen wie Frauen und Kinder, die unter bestimmten Bedingungen leben, und Personen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und/oder geschlechtlichen Identitäten, die aufgrund schädlicher traditioneller Bräuche und religiöser Normen mit Verfolgungshandlungscharakter Schaden befürchten, muss die Unterstützung derartiger Bräuche und Normen durch große Teile der Gesellschaft und durch mächtige konservative Elemente auf allen Ebenen des Staates als Faktor berücksichtigt werden, der der Relevanz einer internen Schutzalternative entgegensteht.

Ob eine interne Schutzalternative zumutbar ist, muss anhand einer Einzelfallprüfung unter vollständiger Berücksichtigung der Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage im voraussichtlichen Neuansiedlungsgebiet zum Zeitpunkt der Entscheidung festgestellt werden. Insbesondere stellen die schlechten Lebensbedingungen sowie die prekäre Menschenrechtssituation von Afghanen, die derzeit innerhalb des Landes vertrieben wurden, relevante Erwägungen dar, die bei der Prüfung der Zumutbarkeit einer vorgeschlagenen internen Schutzalternative berücksichtigt werden müssen. UNHCR ist der Auffassung, dass eine vorgeschlagene interne Schutzalternative nur dann zumutbar ist, wenn der Zugang zu (i) Unterkunft, (ii) grundlegender Versorgung wie sanitärer Infrastruktur, Gesundheitsdiensten und Bildung und zu (iii) Erwerbsmöglichkeiten gegeben ist. Ferner ist UNHCR der Auffassung, dass eine interne Schutzalternative nur dann zumutbar sein kann, wenn betroffene Personen Zugang zu einem traditionellen Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder durch Mitglieder ihrer größeren ethnischen Gruppe im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet haben und davon ausgegangen werden kann, dass diese willens und in der Lage sind, den Antragsteller tatsächlich zu unterstützen.

Die einzigen Ausnahmen von dieser Anforderung der externen Unterstützung stellen nach Auffassung von UNHCR alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf dar. Diese Personen können unter bestimmten Umständen ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semi-urbanen Umgebungen leben, die die notwendige Infrastruktur sowie Erwerbsmöglichkeiten zur Sicherung der Grundversorgung bieten und unter tatsächlicher staatlicher Kontrolle stehen. Angesichts des Zusammenbruchs des traditionellen sozialen Gefüges der Gesellschaft aufgrund jahrzehntelang währender Kriege, der massiven Flüchtlingsströme und der internen Vertreibung ist gleichwohl eine einzelfallbezogene Analyse notwendig.

Im Hinblick auf unbegleitete oder von ihren Eltern getrennte Kinder aus Afghanistan ist UNHCR der Auffassung, dass über die sinnvolle Unterstützung des Kindes durch seine (erweiterte) Familie oder größere ethnische Gemeinschaft im Gebiet der voraussichtlichen Neuansiedlung hinaus die Neuansiedlung nachweislich dem Kindeswohl dienen muss.“ (UNHCR, 19. April 2016, S. 9-11)

Auf das Thema innerstaatliche Schutzalternative geht weiters auch ein im August veröffentlichter Bericht der deutschen Nichtregierungsorganisation Pro Asyl ein (siehe Seiten 11-13):

·      Pro Asyl: Afghanistan: Kein sicheres Land für Flüchtlinge, August 2016, S. 11-13 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/6_1474367026_1607-proasyl-afghanistan-broschuere.pdf

 

Informationen zur Sicherheitslage in Kabul entnehmen Sie bitte dem Themendossier „Allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan & Chronologie für Kabul“ auf unserer Herkunftsländerinformationsdatenbank www.ecoi.net:

·      Ecoi.net: Allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan & Chronologie für Kabul, 30. September 2016
http://www.ecoi.net/news/188769::afghanistan/101.allgemeine-sicherheitslage-in-afghanistan-chronologie-fuer-kabul.htm

 

Es konnten keine weiteren Informationen zu dieser Frage gefunden werden.

 

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Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 4. November 2016)

·      ACCORD: Allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan & Chronologie für Kabul, 30. September 2016
http://www.ecoi.net/news/188769::afghanistan/101.allgemeine-sicherheitslage-in-afghanistan-chronologie-fuer-kabul.htm

·      BZ - Ministerie van Buitenlandse Zaken (Niederlande): Algemeen Ambtsbericht Afghanistan, September 2014
http://www.rijksoverheid.nl/bestanden/documenten-en-publicaties/ambtsberichten/2014/09/17/afghanistan/aab-afghanistan-september-2014.pdf

·      EASO - European Asylum Support Office: Afghanistan; Recruitment by armed groups, September 2016 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/90_1474353951_2019-09-easo-afghanistan-recruitment.pdf

·      HRW - Human Rights Watch: Afghanistan: Taliban Child Soldier Recruitment Surges, 17. Februar 2016
https://www.hrw.org/news/2016/02/17/afghanistan-taliban-child-soldier-recruitment-surges

·      HRW - Human Rights Watch: Forces Linked to Vice President Terrorize Villagers, 31. Juli 2016 (verfügbar auf ecoi.net)
https://www.ecoi.net/local_link/327847/468567_de.html

·      Pro Asyl: Afghanistan: Kein sicheres Land für Flüchtlinge, August 2016 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/6_1474367026_1607-proasyl-afghanistan-broschuere.pdf

·      Ruttig, Thomas: E-Mail-Auskunft, 4. November 2016

·      UNAMA - United Nations Assistance Mission in Afghanistan: Afghanistan Midyear Report 2016; Protection of Civilians in Armed Conflict, 25. Juli 2016 (verfügbar auf ecoi.net)
https://www.ecoi.net/file_upload/1226_1470819956_protectionciviliansarmedconflict2016.pdf

·      UNHCR - UN High Commissioner for Refugees: UNHCR Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Afghanistan, 19. April 2016 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/6_1463127413_unhcr-afghanistan-eligibility-guidelines-memo-19-april-2016-dt.pdf