Anfragebeantwortung zum Irak: Lage von Waisenkindern (u.a.: Gibt es Auffangstrukturen?); Lage von Straßenkindern [a-9430-5 (9434)]

14. Dezember 2015

Das vorliegende Dokument beruht auf einer zeitlich begrenzten Recherche in öffentlich zugänglichen Dokumenten, die ACCORD derzeit zur Verfügung stehen sowie auf Expertenauskünften, und wurde in Übereinstimmung mit den Standards von ACCORD und den Common EU Guidelines for processing Country of Origin Information (COI) erstellt.

Diese Antwort stellt keine Meinung zum Inhalt eines Ansuchens um Asyl oder anderen internationalen Schutz dar. Alle Übersetzungen stellen Arbeitsübersetzungen dar, für die keine Gewähr übernommen werden kann.

Wir empfehlen, die verwendeten Materialien im Original durchzusehen. Originaldokumente, die nicht kostenfrei oder online abrufbar sind, können bei ACCORD eingesehen oder angefordert werden.

Lage von Waisenkindern (u.a.: Gibt es Auffangstrukturen?)

Der in Katar ansässige arabische Nachrichtensender Al Jazeera geht in einem Artikel vom November 2015 auf die Aktivitäten des Islamischen Staates (IS) im Nordirak ein und erwähnt, dass die lokale NGO CNS Foundation seit der Einnahme Mosuls durch IS-Kämpfer im Juni 2014 insgesamt 712 Waisenkinder identifiziert habe, die außerhalb offizieller Camps leben würden. Waisenkinder würden als Kinder definiert, die entweder ein oder beide Elternteile verloren hätten. Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) habe im Jahr 2015 insgesamt 588 Fälle „unbegleiteter“ Kinder dokumentiert, wobei damit Kinder gemeint seien, deren Eltern entweder tot seien oder vermisst würden. Der eingeschränkte humanitäre Zugang zu weiten Teilen des Landes bedeute allerdings, dass diese Zahlen wahrscheinlich zu niedrig veranschlagt seien.

Einem UNICEF-Mitarbeiter zufolge seien diese Kinder einem großen Risiko ausgesetzt. Wenn sie auf sich alleine gestellt seien, seien sie in viel größerem Ausmaß gefährdet, Opfer von Rekrutierungen oder sexueller Gewalt zu werden. Wenn es keine Familienangehörigen gebe, die sich um die verwaisten Kinder kümmern würden, würden diese in Pflege gegeben („placed in foster care“). Irakische Familien würden aber oftmals über große Verwandtschaftsnetzwerke verfügen, die verwaiste Kinder aufnehmen könnten, so der UNICEF-Mitarbeiter:

„Although there are no comprehensive statistics on the number of children who have been orphaned since the fall of Mosul in June 2014, CNS Foundation, a local NGO, has identified 712 orphans - defined as children who have lost one or both parents - living outside of official camps. The group did not have numbers for orphans living within the camps.

Meanwhile, UNICEF has documented 588 cases this year of ‘unaccompanied’ children, referring to children whose parents are either dead or missing. Restricted humanitarian access to much of the country means that these figures are likely underestimates.

These children are at great risk, said UNICEF communications specialist Karim Elkorany. ‘If they're alone, they're much more vulnerable to other dangers, such as recruitment and sexual violence,’ he told Al Jazeera. […]

If there are no family members available to take care of orphaned children, they are placed in foster care, explained UNICEF's Elkorany. But Iraqi families often have large kinship networks that can take in orphaned children, he noted.” (Al Jazeera, 21. November 2015)

In einem gemeinsamen Bericht der schwedischen Migrationsbehörde (Migrationsverket) und des norwegischen Herkunftsländerinformationszentrums Landinfo vom April 2014 wird angeführt, dass das Kinderfürsorge-Komitee in Bagdad (Child Welfare Committee in Baghdad, CWC), das zum Arbeits- und Sozialministerium gehöre, beauftragt sei, Eltern und Familienangehörige von unbegleiteten Minderjährigen, die in den Irak zurückkehren wollten, ausfindig zu machen. Basierend auf den Angaben von CWC-VertreterInnen erläutert der Bericht weiters, dass Versuche, Familienmitglieder, die in andere Teile des Landes gezogen seien, zu finden, normalerweise vergeblich seien. Wenn SachbearbeiterInnen nicht in der Lage seien, die Eltern des Minderjährigen ausfindig zu machen, könnten sie sich an andere Familienmitglieder wenden und diese um die Aufnahme des Minderjährigen bitten. Allerdings hätten sich solche Versuche ebenfalls als vergeblich herausgestellt. Familienmitglieder würden üblicherweise auf fehlende Finanzmittel oder ihre Unfähigkeit, für den Minderjährigen zu sorgen oder ihn zu unterstützen, als Hauptgründe für ihre Unwilligkeit, die Vormundschaft für das Kind zu übernehmen, verweisen. In diesen Fällen könnte das Arbeits- und Sozialministerium einen Platz in einem Waisenhaus oder einem Betreuungszentrum für Kinder („children’s care centre“) bereitstellen:

The Child Welfare Committee in Baghdad (CWC) within the Ministry of Labour and Social Affairs (MoLSA) is designated to tracing and locating parents and family members to unaccompanied minors wishing to return to Iraq.” (Migrationsverket / Landinfo, 10. April 2014, S. 10)

Attempts to trace family members who have relocated to other parts of the country are usually futile. [...] In the event the case workers are unable to locate the minors ́ parents they may turn to other family members asking them to receive the minors. However, such attempts have also proved futile. Family members commonly refer to lack of funds or to their inability to fend or support the minors as the main reasons for their reluctance to assume guardianship for the children upon return. In cases where family members are reluctant to receive the children the MoLSA may find a place for the children in an orphanage or a children’s care centre.” (Migrationsverket / Landinfo, 10. April 2014, S. 11-12)

Der Middle East Monitor (MEMO), eine im Vereinigten Königreich ansässige unabhängige Medienforschungsorganisation, schreibt in einem Artikel vom Februar 2013, dass es laut UNICEF im Irak rund 800.000 Kinder ohne Mutter oder Vater gebe. Der Artikel erwähnt weiters einen Dokumentarfilm, der die Geschichte von 32 Waisenkindern zeige, die in einem unabhängigen, inoffiziellen Waisenhaus in Bagdad, das von einer Person namens Al Dhbe betrieben werde, aufgewachsen seien. Viele der Jungen in diesem Waisenhaus seien ursprünglich in staatlichen Waisenhäusern untergebracht gewesen, allerdings werde im Verlaufe des Films klar, warum Al Dhbe darauf bestehe, dass keines der Kinder dorthin zurückkehre. So sei einer der Jungen aufgrund seiner Erfahrungen derart verstört, dass er aufgehört habe zu sprechen. Er sei misshandelt („abused“), zum Betteln gezwungen und mit Zigaretten verbrannt worden. Ein anderer Junge beschreibe in dem Film, wie er mit Metallkabeln geschlagen worden sei.

Wie der Artikel weiters anführt, werde im Irak jedes dritte Kind in staatlichen Waisenhäusern Opfer von Misshandlungen. Gleichzeitig gebe es keine Kinderschutzgesetze, die die Kinder davor bewahren könnten. Die Kinder in den Waisenhäuser („homes“) seien ins Visier von Terrororganisationen geraten, die sie als „Kinder des Himmels“ rekrutieren würden.

In Al Dhbes Waisenhaus würden lediglich sechs Betreuungspersonen arbeiten, weshalb er dringend Hilfe benötige. Das inoffizielle Waisenhaus erhalte weder Geld vom Staat noch von Nichtregierungsorganisationen, außerdem hätten die Vereinten Nationen ihre versprochene finanzielle Unterstützung gestrichen:

According to UNICEF, there are around 800,000 children without a mother or father in Iraq today. 'In my mother's arms', a DocHouse presents event which will be shown at the Lexi theatre in London this Thursday, follows the story of 32 of these young orphans who grow up in an independent, unofficial orphanage, and their stoic patron Husham Al Dhbe, who steers them through life and away from state homes.

Many of the boys in Al Dhbe's orphanage were originally placed in state-run orphanages; as the story unfolds, it is clear why Al Dhbe is adamant they never go back. We meet Salah, who is so disturbed by his experience there that he no longer speaks; he was abused, made to beg and burnt with cigarettes. One boy describes how he was beaten with metal cables.

In fact one in three children in state orphanages in Iraq are subject to abuse, with no child protection laws to safeguard them. The homes have become targets for terrorist organisations that seek to recruit them as 'Children of Heaven.' ‘The last suicide attack was committed by an 11 year old’ Husham tells us in the film. With little opportunities and life choices, many become wrapped up in lives of crime. […]

With only six carers to look after them, Al Dhbe desperately needs help. When his landlord gives him two weeks notice to leave it is painful to watch him drive from shop to shop to ask people for money - the unofficial orphanage receives no state of non-governmental organisation funding - and to discover that the UN has cancelled promised funding.” (MEMO, 19. Februar 2013)

Al-Monitor, eine in den USA ansässige Online-Zeitung, die vor allem über den Nahen Osten berichtet, erwähnt in einem im September 2014 veröffentlichten Artikel ebenfalls die von UNICEF im Jahr 2011 geäußerte Schätzung der Zahl der Kinder im Irak, die entweder ein oder beide Elternteile verloren hätten. Diese Zahl, 800.000, sollte allerdings aufgrund des großen Gewaltausmaßes im Land während den letzten Jahren angestiegen sein.

Wie der Artikel weiters anführt, hätten zivilgesellschaftliche Organisationen auf Gesetzesmängel in Bezug auf die Gewährleistung der Rechte von Waisenkindern hingewiesen, außerdem fehle es an Kontrolle der ihre Pflichten vernachlässigenden Waisenhäuser. Das irakische Arbeits- und Sozialministerium habe auf 23 solcher Waisenhäuser hingewiesen, die den Waisenkindern nicht genügend Pflege und Bildung zukommen lassen würden. Diese Waisenkinder seien nicht in der Lage, sich nach Erreichen des arbeitsfähigen Alters in die Gesellschaft zu integrieren. Wenn diese Situation anhalte, würden diese Waisenkinder in die Arbeitslosigkeit gedrängt oder würden von Milizen rekrutiert:

In 2011, UNICEF estimated that 800,000 children in Iraq had lost either one or both parents. This figure must have increased due to the severe attacks suffered by Iraq during the past couple of years, especially 2013, which the United Nations Assistance Mission for Iraq (UNAMI) considered one of the bloodiest years Iraq has ever seen. […]

Civil organizations have pointed to flaws in legislation that guarantees orphans' rights and fail to oversee negligent orphanages. Iraq's Ministry of Labor and Social Affairs pointed to 23 such orphanages that were not providing ample care and education to orphans. These orphans were unable to integrate into society after reaching working age. This situation, if it continues, will push these orphans toward unemployment or their recruitment by militias.” (Al-Monitor, 17. September 2014)

International Media Support (IMS), eine internationale NGO, die lokale Medien in Ländern unterstützt, die von bewaffneten Konflikten, einer schlechten Sicherheitslage und politischer Transition betroffen sind, berichtet in einem Artikel vom Jänner 2013 über eine in Bagdad ansässige Journalistin namens Mayada Hasan, die zu den Herausforderungen recherchiert habe, mit denen obdachlose Kinder im Irak konfrontiert seien. Laut Mayada Hasan habe sie eine Obdachlosenunterkunft besucht, in denen sie erlebt habe, dass Kinder auf die Straße gesetzt worden seien. Das irakische Recht sehe vor, dass Waisenhäuser und Schutzunterkünfte ihre BewohnerInnen vor die Tür setzen müssten, wenn diese 18 Jahre alt würden. Diese Kinder hätten in Bagdad, einer der gefährlichsten Städte der Welt, keinen Ort, an den sie gehen könnten. Viele von ihnen würden über keine Fertigkeiten verfügen und einige seien gezwungen, sich dem organisierten Verbrechen oder Banden anzuschließen. Einige würden getötet, während andere spurlos verschwinden würden:

„Mayada Daoud Hasan has worked in journalism for eight years. She is based in Baghdad where attacks on and killings of journalists is widespread. […] Mayada Hasan investigated the challenges homeless children face in Iraq, highlighting the importance of providing them with safe places that offer them a sense of normalcy, and protection against harm: ‘I visited a homeless shelter where I saw children being evicted to the street.’ Iraqi law stipulates that orphanages and shelters must evict their residents once they turn 18. ‘These children have nowhere to go in one of the most dangerous cities in the world. Many of them do not have any skills. ‘Some are forced to join organised crime or gangs. Some are killed, and some disappear without a trace,’ says Mayada Hasan.” (IMS, 5. Jänner 2013)

Die Minority Rights Group International (MRG), eine internationale Menschenrechtsorganisation, die sich für die Rechte von ethnischen, religiösen und sprachlichen Minderheiten und indigenen Völkern weltweit einsetzt, und das Ceasefire Centre for Civilian Rights, eine Initiative zur Überwachung von Menschenrechtsverletzungen durch die Zivilgesellschaft, gehen in einem gemeinsamen Bericht vom Februar 2015 auf Gewalt gegen Frauen im Irak ein. Unter anderem zitiert der Bericht die Vorsitzende der Organization of Women’s Freedom in Iraq, laut der der Menschenhandel im Irak in alarmierender Weise zunehme. So wisse man mit Sicherheit, dass die sogenannte „Unterhaltungsindustrie“ in Bagdad in den vergangenen fünf Jahren stark gewachsen sei. In Bagdad, Arbil und Sulaymaniyah gebe es Dutzende sogenannter „Nachtclubs“, bei denen es sich um das Eingangstor zur riesigen Anzahl an Bordellen handle. Witwen und weiblichen Kriegswaisen bliebe nicht viel andere Wahl, als sich für diese Orte rekrutieren zu lassen. Die Art und Weise, wie sie dort behandelt würden, sei niederschmetternd:

According to the President of the Organization of Women’s Freedom in Iraq, the domestic trafficking industry has been growing at an alarming rate:

There is a huge trafficking industry, we know for sure that in the city of Baghdad, the so-called ‘entertainment industry’ has grown so strongly in the last five years. Tens of – they call them ‘night clubs’, but they are the gateway to the huge number of brothels – that are open in Baghdad and in Erbil and in Sulaymaniyah... And widows, and orphans, female orphans of war do not have much choice than to be recruited into these places. And the way they are treated is devastating.“ (Ceasefire Centre for Civilian Rights / MRG, 18. Februar 2015, S. 32)

Der US-amerikanische Fernsehsender CNN berichtet im Juli 2014 über das Al-Noor-Kinderzentrum in Bagdads schiitischer Enklave Sadr City. In dem heruntergekommenen Gebäude würden 300 verwaiste Kinder betreut, wobei die meisten von ihnen Waisenkinder im islamischen Sinne seien, was bedeute, dass ihre Familien den Ernährer verloren hätten. Die meisten Kinder hätten einen Ort, an dem sie bleiben könnten, entweder bei der Mutter oder einem entfernten Verwandten. Das Zentrum fungiere als Tagesstätte, in der die Kinder Essen, Kleidung und Bildung erhalten würden.

Wie CNN weiters berichtet, wisse niemand mit Sicherheit, wie viele irakische Kinder ein Elternteil bei der konfessionell motivierten Gewalt, die das Land nach der US-amerikanischen Invasion im Jahr 2003 ergriffen habe, verloren hätten. Laut der Iraqi Orphanage Foundation (einer im Vereinigten Königreich registrierte Non-Profit-Organisation, die sich für die Rechte irakischer Waisenkinder einsetzt, Anm. ACCORD) gehe die Zahl in die Millionen, während die Vereinten Nationen die Zahl auf mehrere Hunderttausend schätzen würden:

Why? It's a question likely asked by many at the Al Noor Children's Center in Baghdad's Sadr City, a Shiite enclave home to more than two million people. Here, inside a rundown, two-story building, Hajer is one of the more than 300 children who have been orphaned –most in the Islamic sense when a family loses its breadwinner. It's almost always the father. Most have a place to stay, with a mother or a distant relative. The center serves as day care center with a twist, a place where the children can go for food, clothing and education. […]

Nobody is sure just how many Iraqi children have lost a parent to the sectarian violence that gripped the country after the 2003 U.S.-led invasion. The Iraqi Orphanage Foundation puts the number in the millions, while the United Nations says it is hundreds of thousands.” (CNN, 9. Juli 2014)

In einem Artikel vom November 2012 erläutert BBC News, dass die schiere Anzahl irakischer Waisenkinder für eine soziale Krise in einem Land gesorgt habe, in dem es weniger als 200 SozialarbeiterInnen und PsychiaterInnen gebe und das über keine Kinderschutzgesetze verfüge. Der Artikel berichtet weiters über ein privat finanziertes Waisenhaus in Bagdad, in dem 32 Jungen betreut würden. Es gebe einen Kunstraum und einen Computerraum, außerdem werde den Jungen nähen und Haare schneiden beigebracht. Auf der anderen Seite der Stadt befinde sich das staatliche Dar-al-Waziriya-Waisenhaus für 12- bis 18-Jährige, in dem 52 Jungen untergebracht seien, und bei dem es sich um einen heruntergekommenen und trostlosen Ort handle:

„Beyond the individual tragedies, the sheer number of Iraqi orphans has created a social crisis in a country that has less than 200 social workers and psychiatrists put together, for a population of 30 million people. It has no child protection laws. […]

The orphanage in central Baghdad where Saif lives was set up by Hisham Hassan and funded by private donations. […] Among the 32 boys he looks after are brothers Mustafa and Mortada, aged 10 and 11. […] Hisham Hassan and his small staff have done their best to create a homely atmosphere at the orphanage. There is one room for the boys to create art, and a computer room where games are allowed once homework is done. And they are taught to sew and even cut hair. After the harrowing experiences of their past, they are being encouraged to prepare for a better future. […]

On the other side of the city, in a state-run orphanage for 12- to 18-year-olds, a desperate 17-year-old Mustafa is terrified about his own future. […] Mustafa was brought to Dar al-Waziriya orphanage after he lost both his parents in a bomb attack when he was 12 years old. […]

The orphanage, home to 52 boys, is a dilapidated and disconsolate place - the playground has fallen into disuse, there is no light in the downstairs toilet, and no sink in the bathroom upstairs. The steps to the boys' dormitories are crumbling and a broken door has not been fixed.” (BBC News, 28. November 2012)

Der in Dubai ansässige Nachrichtensender Al Arabiya führt im Februar 2012 an, dass es laut Schätzungen des Arbeits- und Sozialministeriums rund 4,5 Millionen verwaiste Kinder im Irak gebe, wovon fast 70 Prozent ihre Eltern seit der US-amerikanischen Invasion im Jahr 2003 und der anschließenden Gewalt verloren hätten. Rund 600.000 Kinder würden auf den Straßen des Landes ohne Nahrung oder Unterkunft leben und 700 Kinder seien in den 18 irakischen Waisenhäusern untergebracht, wo es ihnen an den elementarsten Dingen fehle:

„The Ministry of Labor and Social Affairs estimated that there are around 4.5 million orphaned children in Iraq, and nearly 70 percent of them had lost their parents since the 2003 invasion and the ensuing violence. About 600,000 children are living in the streets around Iraq without food or shelter and there are 700 children living in the 18 orphanages existing in the country, lacking their most essential needs.” (Al Arabiya, 22. Februar 2012)

Die deutsche NGO Rebuild and Relief International (RRI) berichtet in einem Artikel vom März 2012, dass ihre Tochter-NGO Rebuild Iraq Recruitment Program (RIRP), deren Schwerpunkt auf humanitärer Hilfe und Wiederaufbau im Irak liegt, zur Zeit der Veröffentlichung des Artikels Recherchen zu den Waisenhäusern in Bagdad durchführen, um auf die Bedürfnisse der Waisenkinder, und insbesondere der Waisenkinder mit Behinderungen im Waisenhaus Dar Al Hanan, eingehen zu können. Wie der Artikel anführt, würden die Waisenhäuser dringend neue Gebäude, Sanierungsarbeiten sowie Non-Food-Produkte benötigen. Zu Letzteren würden unter anderem Gesundheitsmatratzen, westliche Toiletten, Teppiche, Wassererhitzer, medizinische Betten und Dinge zur Stimulierung des Geistes der Kinder gehören.

Das Arbeits- und Sozialministerium sei verantwortlich für die Waisenhäuser im Irak und finanziere diese mit wöchentlich rund 4.000 US-Dollar. Dies sei gerade mal genug, um die Kinder zu ernähren und sie mit Kleidung auszustatten, allerdings bleibe nichts für die Ausstattung und Versorgung oder die Instandhaltung der Waisenhäuser übrig. Das 1982 eröffnete Waisenhaus Dar Al Hanan befinde sich in Al-Utaifiya und sei das einzige Waisenhaus, das sich um behinderte Kinder kümmere. Die restlichen Einrichtungen befänden sich an folgenden Orten: Dar Al-Tofola im Distrikt Al-Salhiya, Dar Al-Adhamiya im Distrikt Al-Adhamiya, Dar Al-Elwiya im Distrikt Al-Karada sowie Dar Al-Waziriya (das schlechteste Waisenhaus) im Distrikt Al-Waziriya.

Einige Waisenhäuser würden nur Kinder im Alter von sechs bis zwölf Jahren akzeptieren, während andere Kinder im Alter von zwölf bis 18 Jahren aufnehmen würden. Wenn die Kinder das Alter von 18 Jahren erreichen würden, dürften sie eine öffentliche Schule besuchen. Einige von ihnen würden Jobs im öffentlichen Dienst mit einem monatlichen Gehalt von rund 120 US-Dollar erhalten, außerdem gebe es einige, die zu ihren Verwandten und ihrer Familie zurückkehren würden. Das Waisenhaus Dar Al Hanan sei das beste in Bagdad und beherberge sowohl Jungen als auch Mädchen. Wenn die Jungen das Alter von 16 Jahren erreichen würden, würden sie allerdings in ein anderes Waisenhaus im Gouvernement Karbala gebracht, da es für sie in Bagdad kein zur Verfügung stehendes Gebäude gebe. Im Waisenhaus seien in acht Räumen mehr als 100 Waisenkinder mit Behinderungen untergebracht:

„RIRP is currently researching the orphanages located in Baghdad, Iraq, with the intention of addressing the needs of the orphans and especially the disabled orphans situated in Dar Al Hanan. The orphanages are in desperate need of new buildings, major rehabilitation work, non-food items (NFI’s), such as, medical mattresses, western style toilets, carpet, water heaters, vacuum cleaners, medical beds, and equipment and tools to help develop the minds of the children.

The Ministry of Labour and Social Affairs are responsible for the orphanages within Iraq, and they fund the running with weekly grants of approximately $4000, this is just enough to feed and clothe the children, but leave nothing for equipment and supplies or upkeep of the orphanage. The main orphanage Dar Al Hanan is located in Al-Utaifiya, Baghdad and this opened in 1982 and is the only orphanage dealing with disabled children. The remaining institutions are located in the following places:

1. Dar Al-Tofola- in Al-Salhiya district

2. Dar Al-Adhamiya for orphan in Al-Adhamiya district

3. Dar Al-Elwiya in Al-Karada district

4. Dar Al-Waziriya in Al-Waziriya district (the worst)

Some orphanages will only accept the 6-12 year old orphans, while others from 12-18 year old, they are allowed to attend public school when they reach 18 years old. Some of them get government work with a salary of approximately $120 per month and some return home to relatives and family.

Dar Al Hanan orphanage is the best one in Baghdad, with mixed male and female residents, however, once the males reach 16 years old they are moved to another orphanage in Karbala governorate because there is no building for them in Baghdad. There are more than 100 disabled orphans distributed in 8 rooms.” (RRI, 28. März 2012)

Al Jazeera erwähnt in einem Artikel vom Mai 2011, dass der Irak voller Straßenkinder sei. Ein oder beide Elternteile dieser Kinder seien getötet worden, während einige der Kinder einfach verstoßen worden seien. Es gebe Schätzungen, wonach mehr als eine Million Waisenkinder im Irak leben würden. Allerdings gebe es lediglich vier kleine Waisenhäuser in Bagdad, von denen keines ausgelastet sei. Der irakischen Regierung zufolge würden Verwandte Kinder, die sie nicht versorgen könnten, eher verstoßen als die Schande auf sich zu laden, sie in ein Waisenhaus zu bringen:

„Iraq is full of street kids; children with one or both parents killed, or some who have merely been abandoned. It has been estimated that there are now more than one million orphans in the country. But there are just four small orphanages in the capital, Baghdad - none of them filled to capacity. The Iraqi government says that relatives would rather abandon children they are unable to take care of than bear the shame of bringing them to an orphanage.” (Al Jazeera, 10. Mai 2011)

In ihrem im November 2013 vom UNO-Ausschuss für die Rechte des Kindes (Committee on the Rights of the Child, CRC) veröffentlichten Staatenbericht über die Umsetzung des Fakultativprotokolls zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornografie geht die irakische Regierung auf den Seiten 28 bis 31 auf die Situation von Waisenkindern im Irak ein. Unter anderem wird dort angeführt, dass die Zahl der in Waisenhäusern untergebrachten Kinder relativ klein sei. Laut Zahlen aus dem Jahr 2006 seien rund 800 Waisenkinder in den staatlichen Waisenhäusern betreut worden. Der zunehmende wirtschaftliche Druck, der auf Familien laste, insbesondere dann, wenn die arbeitsfähigen erwachsenen Familienmitglieder weg seien, bedeute, dass Kinder in zunehmendem Maße eingesetzt würden, um das Haushaltseinkommen aufzubessern:

„The number of children in orphanages is relatively small. According to figures for 2006 provided by the Child Welfare Authority, some 800 orphans were being cared for in State-run orphanages. The growing economic pressures on families, particularly if the productive adult members are absent, means that children are increasingly relied on to supplement the household income. UNICEF reports indicate that 60 per cent of orphaned children are the family breadwinner.” (Irakische Regierung, 21. November 2013, S. 29)

Wie der Staatenbericht weiters anführt, gebe es in den verschiedenen irakischen Gouvernements 24 staatliche Waisenhäuser. Zu den großen Vorteilen der Unterbringung in einem staatlichen Waisenhaus zähle unter anderem die Bereitstellung von medizinischer Versorgung, der Zugang zu SozialarbeiterInnen, die Aufnahme in Schulen sowie die Nachbetreuung der Waisen nach dem Verlassen des Waisenhauses. Laut einem Bericht, in dem die Ergebnisse einer Beurteilung der irakischen Waisenhäuser in den Jahren 2007 und 2008 vorgestellt würden, sei die Mehrheit der Waisenhäuser nicht ausgelastet gewesen:

Institutional care for orphaned children is in the hands of government departments at the Ministry of Labour and Social Affairs, which include the Department of Welfare for Persons with Special Needs (State-run Homes Division). Located in the various governorates are 24 State-run orphanages taking in children who have lost a father, a mother or both, children from broken homes, displaced children, children with a sick or mentally disordered parent, an imprisoned parent or a parent with a disability who is unable to care for them, and children in poverty. The main benefits for orphans in State-run homes consist in:

-         The family atmosphere;

-         Food, clothing and a place to sleep;

-         Health care delivered in conjunction with the Ministry of Health, as each home has a medical room run by the Ministry’s health coordinator, as well as a visiting doctor, and hospital referrals are made, where necessary;

-         Access to social workers who deal with and resolve orphans’ social problems in a scientific manner;

-         Enrolment in Ministry of Education schools at the various levels, follow-up and supervision, and classes taught at the homes by female teachers, which is equivalent to tutoring;

-         Aftercare for orphans after they leave the home through job creation and provision of any needed assistance and facilities;

-         The intake capacity of each orphanage is between 20 and 100 children, with an average of between 35 and 40.

[…] The report on an assessment of Iraq’s orphanages carried out in 2007 and 2008 by UNICEF and the International Medical Group, in partnership with the Ministry of Labour and Social Affairs, stated that 17 orphanages (71 per cent) were operating below capacity and 3 (13 per cent) above capacity, with 1 exception. All girls’ orphanages were below capacity.” (Irakische Regierung, 21. November 2013, S. 30-31)

Der gesamte Staatenbericht ist unter folgendem Link verfügbar:

Irakische Regierung: Consideration of reports submitted by States parties under article 12, paragraph 1 of the Optional Protocol to the Convention on the Rights of the Child on the sale of children, child prostitution and child pornography; Reports of States parties due in 2010; Iraq [23 July 2013] [CRC/C/OPSC/IRQ/1], 21. November 2013 (veröffentlicht von CRC, verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/1930_1406796533_g1348928.pdf

 

Das Manara Network for Child Rights, ein Netzwerk von NGOs in mehreren arabischen Ländern, schreibt in einem im August 2011 veröffentlichten Länderprofil zum Irak, dass gemäß Scharia-Recht eine Person als Waise angesehen werde, wenn ihr Vater sterbe und sie noch nicht die Pubertät erreicht habe. Im irakischen Recht gebe es keine spezifische Definition des Begriffs „Waise“, allerdings gebe es Beschreibungen und Ersatzbegriffe.

Es gebe keine genauen Statistiken zur Anzahl an Waisenkindern im Irak. Allerdings würden Schätzungen von einer Zahl zwischen 2,5 Millionen und fünf Millionen ausgehen. Dem Ministerium für Planung und Entwicklungszusammenarbeit zufolge liege die Zahl bei rund 4,5 Millionen und das Ministerium für Menschenrechte rechne mit einem Anstieg der Zahl.

Der Irak verfüge über 19 Waisenhäuser, davon vier in Bagdad, so das Länderprofil weiters. In diesen Waisenhäusern seien rund 500 Waisenkinder registriert, eine sehr kleine Zahl verglichen mit der großen Gesamtzahl von Waisenkindern. Waisen seien gefährdet, Opfer von Menschenhandel zu werden, betteln oder Kinderarbeit verrichten zu müssen, die Schule abzubrechen und von Organisationen des organisierten Verbrechens rekrutiert zu werden. Da eine medizinische Versorgung von Waisenkindern durch Gesundheitseinrichtungen größtenteils nicht gegeben sei, leide die Mehrheit der Waisen an Krankheiten. Im Jahr 2007 habe UNICEF eine Studie durchgeführt, wonach ein Drittel dieser Kinder nicht zur Schule gehen würden, schon in jungem Alter einer Arbeit nachgehen würden und die Erfüllung ihrer grundlegendsten Bedürfnisse verweigert bekämen.

Wie das Länderprofil weiters anführt, unterhalte das Arbeits- und Sozialministerium ein Programm zum sozialen Schutz, im Rahmen dessen verschiedene Personenkategorien, darunter Waisen, monatlich rund 55 bis 125 US-Dollar als Unterstützungszahlung erhalten würden. Zivilgesellschaftliche Organisationen würden Waisen außerdem Nahrungsmittel, Kleidung und andere materielle Hilfe zur Verfügung stellen. Einige Organisationen würden finanzielle und medizinische Unterstützung, Schuluniformen und Schreibmaterialien für die Schule zur Verfügung stellen. Neben diesen Initiativen würden einige Organisationen Waisenkindern Freizeitaktivitäten anbieten.

Dem Länderprofil zufolge würden unbegleitete Kinder von der Polizei in Obhut genommen („taken charge of“). Wenn ein Kind aufgefunden werde, sei es die Aufgabe der Polizei, durch öffentliche Informationskampagnen die Familie ausfindig zu machen. Allerdings hätten die meisten Gesprächspartner, die zwecks Erstellung des Berichts kontaktiert worden seien, angegeben, dass dies sehr selten passiere:

„According to Sharia law, a person is considered an orphan when his/her father dies and he/she has not reached puberty. There is no specific definition of the word ‘orphan’ in Iraqi law but there are descriptions and substitutes for the word.

The Minors Care Law No. 78 of the year 1980 and its amendments state in Article 34 that the father has the right to assign a caretaker to manage his child or embryo’s affairs, but the mother has the prerogative of caretaking. This procedure is to be established by the court. In case no caretaker is found in the extended family, the Minor Care Office will be the caretaker for the child until the court assigns someone to be the caretaker.

Since Islamic Sharia prohibits adoption, there is no reference to adoption in Iraqi legislation. 300 Children are sometimes abandoned by their families due to violence and poverty. In most cases, these children have serious illnesses and their families abandon them because they cannot afford treatment.

There are no accurate statistics on the number of orphans in Iraq, however, the number is estimated at between 2.5 million to five million. Statistics from the Ministry of Planning and Development Cooperation are similar, with the number of orphans reported at about 4.5 million. The Ministry of Human Rights estimate that the number of orphans is increasing.

Iraq has 19 orphanages, four of them in Baghdad and the rest in other provinces. These orphanages have registered about 500 orphans – a very small number compared to the large number of orphans. Orphans are vulnerable to trafficking, begging, child labour, dropping out of school, and recruitment by organised crime organisations. Because health institutions are largely absent in providing health care for orphans, the majority of orphans suffer from disease. UNICEF concluded a study in 2007 that showed that one-third of these children did not go to school, are engaged in work at an early age, and are denied most basic needs.

The Ministry of Labour and Social Affairs has a programme of social protection that provides monthly assistance of about USD 55 to USD 125 to single woman-headed households, orphans, the elderly and people living with a disability who cannot work. Civil society organisations also supply food, clothes and other material assistance for orphans. Some organisations offer financial support, medical support, school uniforms, and school stationary.

Besides these initiatives, some organisations offer opportunities for orphans to have leisure activities. In 2005, a summer camp opened for 600 orphans and provided them with assistance. In May 2005, Public Aid Organization set up a camp for 50 orphans, who also received assistance.

Unaccompanied children are taken charge of by the police. When a child is found, the police are in charge of investigating and locating the family through public information campaigns. However, most interlocutors met in the course of this research stated that this instance is very rare.” (Manara Network for Child Rights, August 2011, S. 50-51)

In einem Entscheidungstext des österreichischen Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom 29. Juli 2014 finden sich folgende Informationen aus dem Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak des deutschen Auswärtigen Amtes (AA) vom Oktober 2013:

„Die Vereinten Nationen vor Ort beklagten im Juni 2013, dass viele Kinder wegen Mangelernährung unter Wachstumsstörungen leiden. Landesweit soll es ca. 800.000 Waisenkinder geben, für die kaum ausreichende Mittel oder Einrichtungen zur Verfügung stehen. Waisenkinder haben einen Anspruch auf eine - sehr geringe - staatliche Unterstützung, der sich allerdings wegen Korruption und Verwaltungsversagens nicht immer durchsetzen lässt. […]

Quelle: Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, 07.10.2013 “ (BVwG, 29. Juli 2014)

Lage von Straßenkindern

Über die oben bereits enthaltenen Informationen hinaus wurden folgende Informationen zur Fragestellung gefunden:

 

In ihrem weiter oben bereits zitierten, vom UNO-Ausschuss für die Rechte des Kindes (Committee on the Rights of the Child, CRC) im November 2013 veröffentlichten Staatenbericht schreibt die irakische Regierung, dass es genauen Zahlen zum Problem der Straßenkinder im Irak gebe. Ein Bild des Problemumfangs könne sich allerdings durch das Sichten von bettelnden und umherstreunenden Kindern, durch von NGOs bereitgestellte Beispiele und Schätzungen sowie durch von bestimmten Fürsorgeheimen für Jugendliche („juvenile welfare homes“) durchgeführte Untersuchungen ergeben. Ohne Übertreibung lasse sich sagen, dass alleine viele Hundert Straßenkinder in weiten Teilen Bagdads verstreut leben würden, obwohl es soziale Einrichtungen gebe, die ihnen Obdach und andere Dienste zur Verfügung stellen sollten:

For all these reasons, there are no explicit figures showing the size of the problem of street children in Iraq. A picture of its extent can nonetheless be drawn from the sight of the child beggars and vagrants in the streets and markets, from examples and estimates provided by NGOs and from investigations conducted by certain juvenile welfare homes. It would be no exaggeration to say, however, that there are many hundreds of them scattered across much of Baghdad alone, despite the social institutions designed to offer them shelter and other facilities.” (Irakische Regierung, 21. November 2013, S. 31)

Al-Monitor schreibt in einem Artikel vom November 2013, dass es im Irak eine steigende Anzahl an obdachlosen Kindern gebe. Statistiken zufolge gehöre jedes achte irakische Kind zur Gruppe der Vertriebenen. Diese Kinder würden üblicherweise ausgebeutet oder zum Betteln auf die Straße geschickt, müssten unter harten Bedingungen arbeiten und würden manchmal sogar als Prostituierte eingesetzt. Sie seien oftmals körperlicher Misshandlung oder sexuellem Missbrauch ausgesetzt, außerdem seien Fälle berichtet worden, in denen sie eingesetzt worden seien, um terroristische Handlungen auszuführen. Wenn Kinder, die an terroristischen Handlungen beteiligt gewesen seien, festgenommen würden, würde das irakische Recht ihre spezifische Situation nicht berücksichtigen. Sie würden mit Strafen belegt, die ähnlich zu denen seien, die gegen Erwachsene verhängt würden.

Darüber hinaus hätten einige Studien gezeigt, dass die arbeitende Bevölkerung des Irak fast 100.000 Kinder umfasse. Außerdem würden 83 Prozent der irakischen Kinder dauerhaft für ihre Familien arbeiten, ohne dafür entlohnt zu werden. Kinder würden üblicherweise unter schlimmen und gesundheitsgefährdenden Bedingungen arbeiten, etwa in der Abfallentsorgung, in Ziegelwerken, in Stahlfabriken und in der Landwirtschaft. Allerdings spezifiziere Artikel 29.b.3 der irakischen Verfassung, dass die wirtschaftliche Ausbeutung von Kindern vollständig verboten sein solle und der Staat die nötigen Maßnahmen ergreifen solle, um die Kinder zu schützen. Die staatlichen Einrichtungen würden die Kinderarbeit jedoch aus vielen Gründen nicht wirksam bekämpfen, so der Artikel weiters. Zu diesen Gründen zähle, dass der Staat mit der Aufrechterhaltung der Sicherheit und der Bekämpfung des Terrorismus beschäftigt sei. Außerdem sei das Auftreten weitverbreiteter Kinderarbeit im Irak ein Problem, das äußerst kompliziert sei. In vielen Fällen seien Kinder die Ernährer ihrer jüngeren Geschwister und hätten niemanden, der sie unterstütze:

„In addition to this, there are an increasing number of homeless children in Iraq. According to statistics, one out of every eight Iraqi children is displaced. They are usually exploited and sent to beg in the streets or to work under harsh conditions and sometimes even used as prostitutes. They are often exposed to physical or sexual abuse, and cases have been reported where they have been exploited to carry out terrorist acts. When children involved in terrorist acts are arrested, Iraqi law does not take into consideration their special situation. They are punished with sentences similar to those passed on adults, which often entail many years of imprisonment.

On another note, high rates of child labor in Iraq have been registered and some studies have shown that there are nearly 100,000 children in the Iraqi workforce. Moreover, 83% of Iraqi children have worked for their families on a permanent basis, without receiving any wage. Children usually work under dire and harmful conditions such as in garbage collection, brick and steel factories and farming. However, Article 29.b.3 of the Iraqi Constitution specifies that ‘economic exploitation of children shall be completely prohibited. The state shall take the necessary measures to protect them.’ Yet, state institutions are not efficiently combating this phenomenon for many reasons, including the preoccupation by the government with issues of maintaining security and fighting terrorism. The emergence of widespread child labor in Iraq is furthermore an issue of utmost difficulty to deal with. In many cases, children are the breadwinners for their younger siblings and have no one else to rely on.” (Al-Monitor, 6. November 2013)

Das Büro des Hohen Kommissars für Menschenrechte (Office of the High Commissioner for Human Rights, OHCHR) berichtet im Jänner 2015 über ein Treffen zwischen ExpertInnen des UNO-Ausschusses für die Rechte des Kindes (Committee on the Rights of the Child, CRC) und einer irakischen Delegation, die VertreterInnen verschiedener Ministerien sowie der Ständigen Vertretung des Irak bei den Vereinten Nationen in Genf umfasst habe. Einem/r ExpertIn zufolge verfüge der Irak über eine sehr gute Gesetzgebung in Bezug auf Kinderarbeit, allerdings fehle es an der Umsetzung der Bestimmungen, insbesondere im Falle von Straßenkindern.

Der Delegation zufolge würden Straßenkinder, die von der Jugendpolizei aufgefunden und einem Richter vorgeführt würden, in einem Wiedereingliederungszentrum („rehabilitation centre“) untergebracht. Dort würden die Kinder getestet und behandelt und erhielten die notwendige Beratung. Jedes Kind habe eine Akte und werde dazu ermutigt, sich um Bildung zu bemühen. Kinder, deren Eltern unbekannt seien, würden durch eine gerichtliche Anordnung bis zum Erreichen des Erwachsenenalters in sozialen Einrichtungen untergebracht. Diese Kinder würden vor Vollendung des sechsten Lebensjahrs die irakische Staatsbürgerschaft erhalten, damit sie die Schule besuchen könnten. Sie würden solange betreut, bis sie 18 Jahre alt würden.

Im Irak gebe es ein gesetzlich festgeschriebenes Arbeitsmindestalter, außerdem werde den Arbeitgebern eine Reihe von Verpflichtungen auferlegt. In Bereichen, in denen Kinderarbeit verbreitet gewesen sei, seien Kontrollen durchgeführt worden. Zudem führe das Arbeitsministerium Projekte durch, um Kinderarbeit zu bekämpfen und die informelle Bildung in ländlichen Gebieten zu verbessern. Mehr als 500 InspektorInnen würden jeden Gesetzesverstoß jeden Fall, in dem Kinder unter 15 Jahren beschäftigt würden, kontrollieren:

Questions from the Experts

[…]

Iraq had a very good legislation concerning child labour, an Expert said, but implementation was lacking, particularly for street children. […]

Response by the Delegation

Once street children were found by the juvenile police and referred to a judge, they were placed in a rehabilitation centre, a delegate said. There, children were tested, treated and provided with the necessary counselling. Each child had a file and was encouraged to seek education. Children of unknown parentage were hosted by social institutions in Bagdad by court order until they reached adulthood. These children received the Iraqi nationality before the age of six so that they could attend education. Care continued to be provided to them until they reached the age of 18.

As for child labour, Iraq’s legislation set the minimum age for labour and set a number of obligations for employers. Inspections were carried out in areas where child labour was prevalent. The Ministry of Labour was implementing projects to combat child labour and improve informal education in rural areas. More than 500 inspectors monitored any violations of the law and cases of children under 15 being employed.” (OHCHR, 22. Jänner 2015)

Ein älterer, im Februar 2007 veröffentlichter Artikel des Integrated Regional Information Network (IRIN), einer Nachrichtenagentur, die sich auf humanitäre Themen fokussiert, und bis Jänner 2015 ein Projekt des Amtes der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs, UN OCHA) gewesen ist, geht ebenfalls auf die Lage irakischer Straßenkinder ein:

IRIN - Integrated Regional Information Network: Children lured into drugs and prostitution, 12. Februar 2007
http://www.IRINnews.org/report.asp?ReportID=57594

 

 

image001.gif 

 

Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 14. Dezember 2015)

·      Al Arabiya: Iraqis in the diaspora keen to lessen their home country’s woes, 22. Februar 2012
https://english.alarabiya.net/articles/2012/02/22/196339.html

·      Al Jazeera: Iraq’s abandoned children, 10. Mai 2011
http://www.aljazeera.com/video/middleeast/2011/05/201151041017174884.html

·      Al Jazeera: The orphans of ISIL, 21. November 2015
http://www.aljazeera.com/news/2015/11/orphans-isil-151120115859233.html

·      Al-Monitor: Iraqi children face poverty, violence, exploitation, 6. November 2013
http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2013/11/iraq-children-torn-instability.html#

·      Al-Monitor: Number of Iraqi orphans, widows rising with conflict, 17. September 2014
http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2014/09/anbar-bombing-widows-orphans-iraq-security.html#

·      BBC News: Iraq conflict: Crisis of an orphaned generation, 28. November 2012
http://www.bbc.com/news/world-middle-east-20461110

·      BVwG - Bundesverwaltungsgericht (Österreich): Entscheidungstext L501 1433077-1, 29. Juli 2014
https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Bvwg/BVWGT_20140729_L501_1433077_1_00/BVWGT_20140729_L501_1433077_1_00.html

Ceasefire Centre for Civilian Rights / MRG - Minority Rights Group International: No Place to Turn: Violence against women in the Iraq conflict, 18. Februar 2015 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1425308981_ceasefire-report-no-place-to-turn.pdf

·      CNN: Iraq’s orphans left to ask: ‘Why do these people kill other people?’, 9. Juli 2014
http://edition.cnn.com/2014/07/07/world/meast/iraq-baghdad-orphans/

·      IMS - International Media Support: Investigative journalism gains ground in Iraq, 5. Jänner 2013
http://www.mediasupport.org/investigative-journalism-gains-ground-in-iraq/

·      Irakische Regierung: Consideration of reports submitted by States parties under article 12, paragraph 1 of the Optional Protocol to the Convention on the Rights of the Child on the sale of children, child prostitution and child pornography; Reports of States parties due in 2010; Iraq [23 July 2013] [CRC/C/OPSC/IRQ/1], 21. November 2013 (veröffentlicht von CRC, verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/1930_1406796533_g1348928.pdf

·      IRIN - Integrated Regional Information Network: Children lured into drugs and prostitution, 12. Februar 2007
http://www.IRINnews.org/report.asp?ReportID=57594

·      Manara Network for Child Rights: Country Profile of Iraq; A Review of the Implementation of the UN Convention on the Rights of the Child, August 2011
http://www.ibcr.org/images/contenu/publications/Profil-national-de-Irak-en.pdf

·      MEMO - Middle East Monitor: ‘In My Mother’s Arms,’ the story of Iraq’s orphans, 19. Februar 2013
https://www.middleeastmonitor.com/blogs/culture/5272-in-my-mothers-arms-the-story-of-iraqs-orphans

·      Migrationsverket / Landinfo: The Situation of Children in Iraq and Returning Unaccompanied Minors, 10. April 2014 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/1788_1402397198_2873-1.pdf

·      OHCHR - Office of the High Commissioner for Human Rights: Committee on Rights of Child examines reports of Iraq under Convention, on children in armed conflict and sale of children, 22. Jänner 2015
http://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=15503&LangID=E

·      RRI - Rebuild and Relief International: RIRP Nes Dar Al-Hanan orphanage and disability centre, 28. März 2012
http://www.rirp.org/rirp-nes-dar-al-hanan-orphanage-and-disability-centre