Anfragebeantwortung zum Libanon: Lage von Zeugen Jehovas [a-9247-3 (9249)]

29. Juni 2015

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Die Wachtturm Bibel- und Traktatgesellschaft der Zeugen Jehovas schreibt in ihrem Jahrbuch der Zeugen Jehovas 2015, dass es im Libanon 57 Gemeinden („Versammlungen“) mit 3.702 aktiven Mitgliedern („Verkündiger“) gebe, und dass im Berichtsjahr 2014 insgesamt 106 Taufen durchgeführt worden seien (Wachtturm Bibel- und Traktatgesellschaft der Zeugen Jehovas, Dezember 2014).

 

Die internationale NGO Minority Rights Group International (MRG), die sich für benachteiligte Minderheiten und indigene Völker einsetzt, schreibt in einem Bericht über religiöse Minderheiten im Libanon vom Dezember 2014, dass es neben den 18 anerkannten Religionsgemeinschaften im Libanon eine Reihe kleinerer religiöser Gruppen gebe, die nicht anerkannt seien und die daher auch aus verschiedenen Gründen unbekannt seien. Dazu würden unter anderem auch die Zeugen Jehovas gehören:

„Lebanon’s religious diversity in reality extends well beyond the 18 recognized faiths. For many years Lebanon has also hosted a number of small religious groups that are unrecognized and therefore remain for many reasons unknown, even to the country’s inhabitants. These include, but are not limited to, Bahá’i, Hindus, Buddhists, Jehovah’s Witnesses, members of the Church of Jesus Christ of the Latter-day Saints (locally known as Mormons) and various Protestant evangelical groups. The wars in Iraq and Syria have also resulted in a number of smaller minorities nding shelter in Lebanon, such as Zoroastrians, and even some displaced Yezidis.” (MGR, 10. Dezember 2014, S. 2-3)

MRG führt weiters aus, dass AnhängerInnen nicht registrierter Religionsgemeinschaften sich unter einer der anerkannten Gemeinschaften registrieren lassen könnten, um gleichen Zugang zu ihren Rechten zu erhalten. Sie könnten ihrem Glauben und ihren religiösen Praktiken frei nachgehen. Artikel 9 der Verfassung schütze die „absolute Gewissensfreiheit“ ohne Bezugnahme auf eine Registrierung. Weiters bestimme der Artikel, dass religiöse Riten frei ausgeübt werden können, solange die öffentliche Ordnung nicht gestört werde und garantiere, dass „der persönliche Status und die religiösen Interessen der Bevölkerung“ respektiert werden müssten, egal welcher Gemeinschaft sie angehören. Artikel 7 der Verfassung bestimme, dass alle LibanesInnen vor dem Gesetz gleich seien und dieselben bürgerlichen und politischen Rechte genießen würden.

Trotz dieser Garantien in der Verfassung seien die Gesetze im Libanon zugunsten der anerkannten Religionsgemeinschaften, insbesondere der dominanten unter ihnen, zugeschnitten. In der Praxis bedeute die Zugehörigkeit zu einer nicht registrierten Religionsgemeinschaft, dass man in manchen Lebensbereichen unsichtbar bleibe. Beispielsweise könnten sie keine Regierungspositionen einnehmen, für ein Amt kandidieren oder hohe öffentliche Ämter bekleiden. Außerdem müssten die meisten WählerInnen sich unter einer anerkannten Religionsgemeinschaft registrieren lassen, um an Wahlen teilzunehmen:

„For a religion in Lebanon to be ocially registered, it rst has to gain formal recognition by submitting a statement of doctrine and moral principles. Followers of an unrecognized religious community can register under one of the 18 recognized faith groups to secure equal access to their rights. Those who belong to minorities that are not recognized in Lebanon are also allowed to freely follow their beliefs and religious practices. Article 9 of the Lebanese Constitution protects ‘absolute freedom of conscience’ without any reference to recognition. It further protects ‘the free exercise of all religious rites provided that public order is not disturbed’ and guarantees that ‘the personal status and religious interests of the population, to whatever religious sect they belong, shall be respected’. Article 7 of the Constitution stipulates that ‘all Lebanese shall be equal before the law’ and enjoy the same civil and political rights.

Yet despite all the assurances present in the Constitution, Lebanon’s laws are tailored in favour of recognized religions, and specifically the dominant ones. In practice, belonging to an unrecognized religious group in Lebanon means its members are invisible in some areas of life. For example, in line with the country’s sectarian political system, members of unrecognized religious groups are not allowed to take governmental positions, run for oce or engage in higher public functions. Furthermore, most voters need to register under one of the recognized religions in order to access voting polls.” (MGR, 10. Dezember 2014, S. 3)

Da religiöse Gerichte für Personenstand und Familienrecht zuständig seien, würde die Ungleichheit auch ins Privatleben reichen, so MRG weiter. Angehörige nicht registrierter Religionsgemeinschaften könnten Eheschließungen, Scheidungen oder Erbangelegenheiten weder nach ihren eigenen Regeln durchführen noch gebe es zivile Gerichte für Personenstandsangelegenheiten. Zur Durchführung formaler Verfahren hätten sie also nur die Wahl, sich an ein Gericht einer anerkannten Religionsgemeinschaft zu wenden oder die Verfahren im Ausland durchzuführen:

„As religious courts control personal status and family law in Lebanon, these inequalities extend into the private sphere. Without ocial recognition, members of unregistered religions cannot marry, divorce or inherit according to their own rules, nor in a civil court since the latter does not exist for issues pertaining to personal status. To undertake formal proceedings, they must therefore resort to the courts of recognized groups or leave the country to access them elsewhere. Respondents mentioned marriage as one of the main areas where their dierence as a member of an unrecognized religious group was felt most sharply. Bahá’i who were interviewed mentioned that it had been a common practice for decades for members of their community to leave the country and go to Cyprus, for instance, in order to marry.” (MGR, 10. Dezember 2014, S. 3)

Im Zuge der Recherchen von MRG habe es einige Berichte gegeben, die nahelegen, dass nicht registrierte Religionsgemeinschaften Diskriminierungen oder Feindseligkeiten ausgesetzt sein könnten. Manche Gruppen wie zum Beispiel die Zeugen Jehovas scheinen dabei wegen ihrer Glaubensinhalte und ihrer Verbreitungsmethoden mehr soziale und religiöse Vorurteile auf sich zu ziehen als andere. So seien die Zeugen Jehovas Berichten zufolge mehrmals von einem Priester in seinem wöchentlichen Fernsehprogramm denunziert worden. Es habe auch Berichte gegeben, die nahelegen, dass Mitglieder nicht anerkannter Religionsgemeinschaften stärker von Schikanen durch Sicherheitskräfte betroffen seien. Obwohl manche der im Zuge der Studie interviewten Gesprächspartner von MRG Misstrauen gegenüber Sicherheitskräften und die Furcht, in Zukunft als nicht registrierte Minderheit verfolgt werden zu können, geäußert hätten, würde eine bedeutsame Anzahl der Befragten nicht glauben, dass sie diskriminiert würden und würden ihre Beziehung zu den Behörden als positiv einschätzen:

„In the course of MRG’s research, there were some reports suggesting that unrecognized religious minorities might be subjected to discrimination or hostility. Some religious groups, such as Jehovah’s Witnesses, seem to attract more social and religious prejudice than others because of their beliefs and preaching methods. For instance, the group was reportedly denounced on a number of occasions by a priest on his weekly television programme. There have also been reports suggesting that members may be more vulnerable to harassment from security forces. Nevertheless, though some interviewees expressed their mistrust of law enforcement agents and their fear as unrecognized minorities of potential persecution in future, a signicant number of respondents did not believe they were discriminated against and felt their relationship with the authorities was good. The sense of integration appeared to vary between dierent communities. Social recognition is clearly stronger for unrecognized communities that have been living with other religious communities for decades in areas outside of Beirut, where social linkages tend to be more developed.” (MGR, 10. Dezember 2014, S. 3)

MRG berichtet weiters, dass die rechtliche und behördliche Diskriminierung oft eher als Hürde denn als Bedrohung beschrieben werde und die Betroffenen am meisten unter der sozialen Diskriminierung leiden würden. Die Befragten hätten zwar keine spezifischen Angriffe oder Fälle physischer Gewalt erwähnt, es gebe aber Angaben über verbale Misshandlungen und Akte der Diskriminierung, die zuweilen ein Gefühl der Ausgeschlossenheit vermittelten:

„If legal and administrative discrimination seems often to be referred to as a hurdle rather than a threat, social discrimination appears to be taking the greatest toll on people’s lives. Although no respondents mentioned specic attacks or incidents of physical violence against them, there were accounts of verbal abuse and acts of discrimination that at times created a sense of exclusion. One interviewee, a Jehovah’s Witness, expressed her feeling of always being an outsider: ‘ We, Jehovah’s Witnesses, are seen as the Anti-Christ.… [People think] that we do not believe in Jesus or Mary. I think of myself as a Christian and a Jehovah’s Witness, but people see me as an outsider to Christianity, a heretic. They think of my religion as a bad religion, mostly because we actively proselytise … but also because of all the prejudice around our beliefs and practices.’” (MGR, 10. Dezember 2014, S. 3-4)

Obwohl viele GesprächspartnerInnen von MRG nicht glaubten, derzeit ernsthaft diskriminiert zu werden, gebe es doch das Gefühl, dass sich die Lage in Zukunft verschlechtern könnte. Viele Angehörige von Minderheiten würden ihren sozialen Raum angesichts des Aufstiegs von religiösem Fundamentalismus schwinden sehen und seien besorgt über ihre Zukunft in der Region:

„The continued exclusion of a signicant number of religious minorities, though currently manifesting in various forms of discrimination, could have more serious implications if the country witnessed another outbreak of sectarian violence. Should the recent rise of religious extremism lose its momentum, these minorities will still remain vulnerable until full recognition is achieved. While many respondents did not believe they faced serious discrimination at present, there was a denite sense that their situation could become worse in the future. During one interview, a member of an unrecognized religious group described the threat as common to all Lebanese, regardless of their religious identity. However, he added that ‘our small communities are of course the most vulnerable … because the threat is always greatest on the smallest’. Another interviewee described the state of fear by saying: ‘I presently wish to be invisible. The less we could be heard of, the better for our security.’ In response to the apparent rise of religious fundamentalism, many minority members now feel their social space shrinking and are concerned about their future in the region.” (MGR, 10. Dezember 2014, S. 5-6)

Das US-Außenministerium (US Department of State, USDOS) erwähnt in seinem im Juli 2014 veröffentlichten Bericht zur Religionsfreiheit 2013 nicht explizit die Zeugen Jehovas, der Bericht enthält jedoch Informationen zu nicht registrierten bzw. nicht anerkannten religiösen Gruppen. Die formale Anerkennung sei eine rechtliche Bedingung für die Ausübung der meisten religiösen Aktivitäten. Angehörige nicht anerkannter Gruppen könnten bestimmte Regierungspositionen nicht einnehmen, es sei ihnen aber erlaubt, ihre religiösen Bräuche frei auszuüben. In den meisten Fällen könnten anerkannte Religionsgemeinschaften ihre Personenstandsangelegenheiten selbst regeln. Es gebe keine formalen Verfahren für zivile Eheschließungen, es würden jedoch Ehen, die im Ausland geschlossen werden, anerkannt werden. Nicht anerkannte Gruppen könnten ohne Einmischung der Regierung Eigentum besitzen und sich zu Gottesdiensten versammeln. Sie könnten jedoch keine rechtlich anerkannten Eheschließungen oder Scheidungen durchführen und sie seien nicht in der Position Erbangelegenheiten zu bestimmen:

Formal recognition is a legal requirement for religious groups to conduct most religious activities. A group seeking official recognition must submit a statement of its doctrine and moral principles to the government, which evaluates whether the group’s principles are in accord with the government’s perception of popular values and the constitution. Alternatively, unrecognized religious groups may apply for recognition through recognized religious groups. In doing so, however, they are not recognized as separate groups, but as part of the group through which they applied. This process has the same requirements as registering through the government. Official recognition conveys certain benefits, such as tax-exempt status and the right to apply the religion’s codes to personal status matters.

The government does not officially recognize some religious groups such as Bahais, Buddhists, Hindus, and unregistered Protestant groups. Members of these groups do not qualify for certain government positions, but they are permitted to perform their religious rites freely. Government records list some members of unregistered religious groups as belonging to recognized religious groups.

In most cases the government permits recognized religious groups to administer their own family and personal status laws, in areas such as marriage, divorce, child custody, and inheritance. The ‘Twelver’ Shia, Sunni, Christian, and Druze groups have state-appointed, government-subsidized clerical courts to administer family and personal status law.

There are no formalized procedures for civil marriage. However, the government recognizes civil marriage ceremonies performed outside the country, irrespective of the religious affiliation of each individual. On April 25, the government registered for the first time a civil marriage conducted in Lebanon.

Unrecognized religious groups may own property and assemble for worship without government interference. However, they may not perform legally recognized marriage or divorce proceedings, and they have no standing to determine inheritance issues. An individual may change religions if the change is approved by the head of the religious group the person wishes to join.

The government permits the publication of religious materials of every religious group in different languages. The law, however, allows for censorship under a number of premises, including material that may incite sectarian discord or be deemed a threat to national security.” (USDOS, 28. Juli 2014, Section 2)

Weitere Informationen zur Lage von Zeugen Jehovas im Libanon finden sich in einer bereits aus dem Jahr 2013 stammenden Anfragebeantwortung der kanadischen Einwanderungsbehörde (Immigration and Refugee Board of Canada, IRB):

·      IRB - Immigration and Refugee Board of Canada: Lebanon: Situation of Jehovah’s Witnesses, including treatment by society and authorities; state protection available in cases of discrimination or mistreatment (2006-November 2013) [LBN104650.E], 12. November 2013 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/local_link/291228/425902_de.html

In den ACCORD derzeit zur Verfügung stehenden Quellen konnten im Rahmen der zeitlich begrenzten Recherche keine weiteren aktuellen Informationen zur Lage von Zeugen Jehovas im Libanon gefunden werden.

 

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Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 29. Juni 2015)

·      IRB - Immigration and Refugee Board of Canada: Lebanon: Situation of Jehovah’s Witnesses, including treatment by society and authorities; state protection available in cases of discrimination or mistreatment (2006-November 2013) [LBN104650.E], 12. November 2013 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/local_link/291228/425902_de.html

·      MRG - Minority Rights Group International: The leaves of one tree: Religious minorities in Lebanon, 10. Dezember 2014 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1422889613_mrg-briefing-religious-minorities-in-lebanon.pdf

·      USDOS - US Department of State: 2013 International Religious Freedom Report - Lebanon, 28. Juli 2014 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/local_link/281931/412287_de.html

·      Wachtturm Bibel- und Traktatgesellschaft der Zeugen Jehovas, e. V: Jahrbuch der Zeugen Jehovahs, Dezember 2014
http://download.jw.org/files/media_books/38/yb15_X.pdf