Document #1332964
ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (Author)
9. Jänner 2015
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Das australische Außen- und Handelsministerium (Department of Foreign Affairs and Trade, DFAT) erwähnt in einem im Dezember 2013 veröffentlichten Bericht zur Lage der Schiiten in Pakistan (nicht behandelt wird die Lage schiitischer Hazara), dass die Bevölkerung Pakistans auf 180 bis 200 Millionen und die Zahl der Schiiten in Pakistan auf bis zu 40 Millionen geschätzt würden. Die Schiiten seien in ganz Pakistan verteilt, allerdings gebe es keine Provinz, in der die Schiiten in der Mehrheit seien. Die halbautonome Region Gilgit-Baltistan sei eines der wenigen Gebiete, in denen die Bevölkerung mehrheitlich schiitisch sei.
Landesweit seien schiitische und sunnitische Gemeinschaften im Allgemeinen integriert und würden im Alltag Seite an Seite leben. Eine bedeutende Anzahl an Schiiten lebe in Peschawar, Kohat, Hangu und Dera Ismail Khan in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa, in den Agencies Kurram und Orakzai, in und um Quetta und Makran in der Provinz Belutschistan, in Gebieten im Süden und Zentrum der Provinz Punjab, sowie in der Provinz Sindh. In vielen urbanen Zentren des Landes, darunter Karatschi, Lahore, Rawalpindi, Islamabad, Peschawar, Multan, Jhang und Sargodha, gebe es große schiitische Gemeinschaften. Wie das DAFT beobachtet habe, würden einige Schiiten in Enklaven in größeren Städten leben:
„Pakistan has not conducted a census since 1998, but the country’s population is estimated to be between 180 and 200 million. […] While data is not collected on sectarian affiliation, it is estimated that Pakistan is home to up to 40 million Shias (predominantly Twelvers). The Shia population is spread throughout Pakistan but there are no provinces where Shias constitute a majority. The semi-autonomous region of Gilgit–Baltistan is one of the few areas where Shias form a majority of the population.
[…] Across the country, Sunni and Shia communities are generally integrated and live side-by-side in their daily lives. Significant numbers of Shias can be found in Peshawar, Kohat, Hangu and Dera Ismail Khan in Khyber Pakhtunkhwa; Kurram and Orakzai Agencies in FATA; in and around Quetta and the Makran coastline in Balochistan; areas of southern and central Punjab; and throughout Sindh. Many urban centres in Pakistan, including Karachi, Lahore, Rawalpindi, Islamabad, Peshawar, Multan, Jhang and Sargodha, are home to large Shia communities. DFAT has observed that some Shias live in enclaves in major cities.” (DFAT, 18. Dezember 2013, S. 5)
Dem im Juli 2014 veröffentlichten Länderbericht zur Religionsfreiheit (Berichtszeitraum 2013) des US-amerikanischen Außenministeriums (US Department of State, USDOS) zufolge habe die US-amerikanische Regierung die Gesamtbevölkerung Pakistans im Juli 2013 auf 193,2 Millionen geschätzt. Laut der letzten Volkszählung von 1998 seien 95 Prozent der PakistanerInnen muslimisch, wobei 25 Prozent der muslimischen Bevölkerung offiziell als schiitisch gelistet sei:
„The U.S. government estimates the total population at 193.2 million (July 2013 estimate). According to the most recent census, conducted in 1998, 95 percent of the population is Muslim (75 percent of the Muslim population is listed officially as Sunni and the other 25 percent is listed officially as Shia).” (USDOS, 28. Juli 2014, Section 1)
Wie das DFAT erwähnt, seien pakistanische Schiiten (abgesehen von den Hazara) äußerlich, sprachlich und rechtlich nicht von pakistanischen Sunniten zu unterscheiden. So würden beispielsweise die computerbasierten Personalausweise („Computerised National Identity Cards, CNIC) nicht die Konfession der AusweisinhaberInnen anführen. Schiiten könnten jedoch manchmal durch gängige schiitische Namen wie Naqvi, Syed, Zaidi, Jafri und Hussain identifiziert werden. Auf ähnliche Weise könnten manchmal ethnische oder Stammesnamen wie Hazara oder Turi oder die Adresse einer Person Rückschlüsse auf die konfessionelle Zugehörigkeit ermöglichen:
„Pakistani Shias (apart from Hazaras) are not physically, linguistically or legally distinguishable from Sunni Pakistanis. For example, Pakistan’s National Database and Registration Authority (NADRA) issue Computerised National Identity Cards (CNIC) cards for identification purposes and for individuals to access all basic services. These CNIC cards do not identify Pakistanis by sect. However, Shias can sometimes be identified through common Shia names such as Naqvi, Syed, Zaidi, Jafri and Hussain. Similarly, ethnic and tribal names can sometimes identify sectarian affiliation such as Hazara or Turi, as can the person’s address when they are from predominantly Shia areas.” (DFAT, 18. Dezember 2013, S. 6)
Eine im Jänner 2014 veröffentlichte Anfragebeantwortung des kanadischen Immigration and Refugee Board (IRB) geht unter Bezugnahme auf verschiedene Quellen auf Unterschiede zwischen Schiiten und Sunniten und die Lage von Schiiten in Pakistan, insbesondere in Lahore und Multan, ein. Laut der Anfragebeantwortung würden Quellen berichten, dass Schiiten in Pakistan oftmals anhand ihrer Namen identifiziert werden könnten. Das Redaktionsteam des South Asian Studies Project am Middle East Media Research Institute (MEMRI), einer in den USA ansässigen Organisation zur Beobachtung islamischer Medien des Nahen Ostens, habe angegeben, dass unter anderem Jaffer, Rizvi, Ali, Hussain, Hasan und Abbas gängige schiitische Namen seien. Ein Vertreter der Asian Human Rights Commission (AHRC), einer in Hongkong ansässigen unabhängigen Menschenrechts-NGO, habe Sayyed, Raza, Naqvi, Jafery, Abbas, Hussain und die Namen der Freunde von Hussain, die bei der Schlacht von Kerbala ebenfalls getötet worden seien (bei der Schlacht von Kerbela im Jahr 680 wurde der Prophetenenkel Hussein getötet, der den Schiiten seitdem als Märtyrer gilt, Anm. ACCORD) als gängige schiitische Namen angeführt. Quellen würden darauf hinweisen, dass man Schiiten und Sunniten in Pakistan im Allgemeinen äußerlich nicht voneinander unterscheiden könne. Dem AHRC-Vertreter zufolge könne man Sunniten und Schiiten im Allgemeinen zwar nicht anhand ihrer Kleidung voneinander unterscheiden, jedoch würden viele Schiiten während des Monats Muharram schwarze Kleidung und „Zeichen des Grabs, des Pferdes und des Blutes von Hussein“ tragen:
„Sources indicate that Shia in Pakistan can often be distinguished by their names (MEMRI 17 Dec. 2013; AHRC 17 Dec. 2013; Jinnah Institute 16 Dec. 2013). In correspondence with the Research Directorate, the editorial team of the South Asian Studies Project of MEMRI, noted that common Shia names include Jaffer, Rizvi, Ali, Hussain, Hasan, and Abbas (MEMRI 17 Dec. 2013). The AHRC representative included Sayyed, Raza, Naqvi, Jafery, and Abbas as common Shia names, in conjunction with Hussain and the names of friends of Hussain who were also killed in the battle in Karbala (AHRC 17 Dec. 2013). Sources indicate that one cannot generally differentiate between Shia and Sunni people in Pakistan by appearance (AHRC 17 Dec. 2013; PhD Candidate 11 Dec. 2013; Jinnah Institute 16 Dec. 2013). The AHRC representative noted that while Sunni and Shia are generally not distinguishable by their dress, many Shia wear black clothes and ‘display signs of the grave, horse and blood of Hussein’ during the month of Muharram (AHRC 17 Dec. 2013).” (IRB, 9. Jänner 2014)
Im USDOS-Bericht vom Februar 2014 wird angeführt, dass religiöse Minderheiten der Regierung Untätigkeit oder Komplizenschaft bei mehreren Bombenanschlägen und Angriffen von Menschenmengen auf Gebetsstätten vorgeworfen hätten. Es habe allerdings Beispiele gegeben, wo eine Reihe von Anführern militanter Gruppen, die für konfessionell motivierte Angriffe auf Schiiten verantwortlich gewesen seien, festgenommen und inhaftiert worden seien.
Es sei weiterhin zu konfessionell motivierter Gewalt zwischen sunnitischen und schiitischen Extremisten gekommen und mehrere Angehörige und Gemeinschaften religiöser Minderheiten seien landesweit zum Ziel religiöser Gewalt geworden. Es sei weiterhin zu Angriffen auf die schiitische Minderheit, insbesondere in Dera Ismail Khan, Quetta, Hangu, Kohat, Tank, Dera Ghazi Khan, Gilgit sowie in den Agencies Kurram und Orakzai, gekommen.
Einige sunnitische Gruppierungen hätten Literatur veröffentlicht, die zu Gewalt gegen Ahmadis, Schiiten, andere Sunniten und Hindus aufrufe:
„Minority religious groups accused the government of inaction or complicity in multiple cases of extremist bombings and mob attacks on places of worship during the year. There were examples, however, where the government arrested and jailed a number of militant leaders responsible for sectarian attacks targeting Shia.” (USDOS, 28. Juli 2014, Section 2)
„Sectarian violence between violent Sunni and Shia extremists continued, and several religious minority individuals and communities were the targets of religiously motivated violence across the country. Attacks on the Shia minority, particularly in Dera Ismail Khan, Quetta, Hangu, Kohat, Tank, Dera Ghazi Khan, Gilgit, and in Kurram and Orakzai agencies continued.” (USDOS, 28. Juli 2014, Section 3)
„Some Sunni groups published literature calling for violence against Ahmadis, Shias, other Sunnis, and Hindus.” (USDOS, 28. Juli 2014, Section 3)
Die internationale Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) schreibt in ihrem Jahresbericht vom Jänner 2014 (Berichtszeitraum 2013), dass sunnitische militante Gruppen, darunter die anscheinend verbotene Laschkar-e Jhangvi (LEJ), hunderte Schiiten, insbesondere schiitische Hazara, angegriffen und getötet und dabei weiterhin straffrei agiert hätten. Strafverfolgungsbehörden würden entweder weggesehen oder angesichts der Angriffe hilflos erscheinen.
Laut HRW seien im Jahr 2013 landesweit mehr als 400 Schiiten bei gezielten Angriffen getötet worden. In der Provinz Belutschistan seien mindestens 200 Schiiten, mehrheitlich schiitische Hazara, in und um Quetta getötet worden. Im März 2013 seien mindestens 47 Schiiten bei einem Bombenanschlag auf ein mehrheitlich von Schiiten bewohntes Viertel in Karatschi getötet und 135 weitere verletzt worden. Darüber hinaus seien rund 50 Wohnungen und zehn Geschäfte zerstört worden. Wie HRW anführt, seien im Jahr 2013 landesweit Dutzende weitere Schiiten angegriffen und getötet worden:
„Islamist militant groups continued to target and kill hundreds of Shia Muslims –particularly from the Hazara community – with impunity […]
Sunni militant groups such as the ostensibly banned Lashkar-e Jhangvi (LEJ), an Al-Qaeda affiliate, operate with virtual impunity across Pakistan, as law enforcement officials either turn a blind eye or appear helpless to prevent attacks.
In 2013, over 400 members of the Shia Muslim population were killed in targeted attacks that took place across Pakistan. In Balochistan province, at least 200 Shias, mostly from the Hazara community, were killed in and around the provincial capital, Quetta. In January, a suicide bomb killed 96 Hazaras and injured at least 150. In February, at least 84 were killed and over 160 injured when a bomb exploded in a vegetable market in Quetta’s Hazara town. The LEJ claimed responsibility for both attacks. In March, at least 47 Shias were killed and 135 injured in the port city of Karachi when a Shia-majority neighborhood was targeted in a bomb attack. Some 50 apartments and 10 shops were destroyed. Throughout the year, dozens of other Shia across Pakistan were targeted and killed.” (HRW, 21. Jänner 2014)
Die US Commission on International Religious Freedom (USCIRF), eine US-amerikanische Körperschaft zur Beobachtung des Zustands der Meinungs- und Gewissens-, sowie der Religions- und Glaubensfreiheit im Ausland, schreibt in ihrem Jahresbericht vom April 2014 (Berichtszeitraum 2013), dass Bewaffnete und terroristische Organisationen im Berichtszeitraum ungestraft schiitische Prozessionen, Moscheen und soziale Begegnungsorte angegriffen hätten. Bei dem Anschlag auf einen von Schiiten frequentierten Billardklub in Quetta im Jänner 2013 und dem im Jänner 2014 erfolgten Anschlag auf einen Bus schiitischer PilgerInnen, die aus dem Iran zurückgekehrt seien, habe es sich um besonders große Bombenanschläge gehandelt. Insgesamt würden Organisationen, die sich für die Interessen der Schiiten einsetzen würden, von landesweit rund 700 getöteten und mehr als 1.000 verletzten Schiiten im Jahr 2013 ausgehen. Die Reaktion der pakistanischen Regierung sei höchst unzureichend ausgefallen. Wenn sie vor Ort gewesen sei, sei die Polizei nicht willens gewesen, Angreifer zu stoppen. Darüber hinaus sei die Regierung nicht gegen Gruppen vorgegangen, die wiederholt Schiiten ins Visier nehmen würden:
„During the reporting period, militants and terrorist organizations targeted Shi’a processions and mosques, as well as social gathering places, with impunity. Particularly large bombings occurred at a pool hall frequented by Shi’a in Quetta in January 2013 and on a busload of Shi’a pilgrims returning from Iran in January 2014. Overall, advocacy organizations put the number of Shi’a killed across Pakistan during the past year at close to 700, with over 1000 wounded. The response by the Pakistani government has been grossly inadequate. Police, if present, have been unwilling to stop attackers before people are killed, and the government has not cracked down on the groups that repeatedly target Shi’a.” (USCIRF, 30. April 2014, S. 76)
Das Pak Institute for Peace Studies (PIPS), ein in Islamabad ansässiger unabhängiger Think Tank im Bereich nationale und internationale Sicherheit, schreibt in seinem im Jänner 2014 veröffentlichten Jahresbericht zur Sicherheitslage (Berichtszeitraum 2013), dass im Jahr 2013 insgesamt 220 Fälle konfessionell motivierter Gewalt (208 terroristische Anschläge und zwölf konfessionell motivierte Zusammenstöße) in Pakistan gemeldet worden seien. Dies seien sieben mehr als im Vorjahr. Bei den Vorfällen seien 687 Personen getötet und 1.319 weitere verletzt worden. Im Vergleich zum Vorjahr stelle dies einen 22-prozentigen bzw. 46-prozentigen Anstieg dar. Während Karatschi, Quetta und Peschawar im Jahr 2013 die größten konfessionellen Brennpunkte („main sectarian hotspots“) gewesen seien, seien auch aus Hangu, Parachinar, Rawalpindi und Islamabad eine erhebliche Anzahl an Fällen konfessionell motivierter Gewalt und dabei getöteten oder verletzten Personen gemeldet worden. Weitere konfessionelle Brennpunkte („sectarian flashpoints“) in Bezug auf die Anzahl konfessionell motivierter Angriffe/Zusammenstöße bzw. der dabei getöteten oder verletzten Personen seien Bolan in der Provinz Belutschistan sowie Bhakkar, Lahore und Gujrat in der Provinz Punjab gewesen.
Laut dem PIPS seien Fälle konfessionell motivierter Gewalt aus 29 Distrikten in den vier pakistanischen Provinzen und den Stammesgebieten unter Bundesverwaltung berichtet worden. Dies bedeute, dass die geographische Verbreitung konfessionell motivierter Gewalt allmählich zunehme. Einige Regionen würden zu regelmäßigen Brennpunkten konfessionell motivierte Angriffe und Zusammenstöße:
„A total of 220 incidents of sectarian violence were reported in Pakistan in 2013, including 208 sectarian-related terrorist attacks and 12 sectarian clashes, seven more than such incidents reported in 2012. As many 687 people lost their lives in these incidents – a 22 percent increase in fatalities compared to 2012 – and another 1,319 were injured – 46 percent more than in 2012. While Karachi, Quetta and Peshawar were main sectarian hotspots in 2013, a considerable number of incidents of sectarian violence and consequent casualties were also reported from Hangu, Parachinar and twin cities of Rawalpindi and Islamabad. […] Other sectarian flashpoints in 2013 in terms of number of sectarian attacks/clashes or the casualties that resulted from such attacks/clashes in the year were Bolan in Balochistan, and Bhakkar, Lahore, and Gujrat in Punjab.
Incidents of sectarian violence were reported from 29 districts of Pakistan from across its four provinces and the Federally Administered Tribal Areas (FATA). That implies that the geographical spread of sectarian violence is gradually expanding with some regions becoming regular hotspots of sectarian-related attacks and clashes.” (PIPS, 1. Oktober 2014, S. 24)
Das American Enterprise Institute (AEI), ein konservativer US-amerikanischer Think Tank mit Schwerpunkt auf den Themen Wirtschaft, soziale Sicherheit und Außenpolitik, bemerkt in einem Artikel vom Juni 2014, dass konfessionell motivierte Auseinandersetzungen („sectarianism“) nicht auf abgelegene Regionen beschränkt seien. Gruppen wie die Sipah-e Sahaba Pakistan (SSP), LeJ und die Ahle Sunnat Wal Jammat hätten in den vergangenen Jahren in Karatschi ihr „Unwesen getrieben“ („wreaked havoc“). Laut einem Mitglied der Awami-Nationalpartei würden terroristische Gruppen rund 20 Prozent der Stadt kontrollieren. Obwohl die pakistanischen Sicherheitsbehörden diese Behauptung bestreiten würden, hätten sie eingeräumt, dass sich lokale kriminelle Gruppen mit den Taliban und konfessionellen Gruppen zusammengeschlossen hätten.
Aus Angst vor Ermordungen, Entführungen und Diskriminierung würden Schiiten zunehmend von mehrheitlich von Sunniten bewohnten Wohngegenden in schiitische Viertel ziehen. Einem Städteplaner zufolge sei der Multikulturalismus, der Karatschi einst ausgezeichnet habe, aus der Stadt verschwunden:
„Sectarianism […] is not confined to remote regions. Groups such as the SSP [Sipah-e-Sahaba Pakistan], LeJ, and Ahle Sunnat Wal Jammat have in recent years wreaked havoc on Karachi, home to 20 million people and responsible for half of Pakistan’s government revenue. According to Amanullah Mehsud, a member of the Awami National Party, terrorist groups control about 20 percent of the city. Although Pakistani security authorities deny the claim, they acknowledge that local criminal groups have for mutual interests teamed up with the Taliban and sectarian groups.
Fearing murder, kidnapping, and discrimination, Shi’ites are increasingly relocating from Sunni-majority residential areas to Shi’ite neighborhoods. ‘The multiculturalism that once defined Karachi . . . has simply disappeared from the city,’ said one urban planner.” (AEI, 11. Juni 2014)
In der deutschen Zusammenfassung seiner Richtlinien zur Beurteilung internationaler Schutzbedürftigkeit vom Mai 2012 schreibt das Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) Folgendes über konfessionell motivierte Gewalt gegen Schiiten:
„Schiiten stellen die größte muslimische Minderheit in Pakistan dar und sind Ziel von gewalttätigen Angriffen durch fundamentalistische sunnitische Gruppen im ganzen Land. Im letzten Jahr gab es Berichten zufolge weiterhin konfessionelle Gewalt, die sich gegen Schiiten richtete, u.a. durch Angriffe auf schiitische Prozessionen, religiöse Zusammenkünfte und Stätten. Solche Angriffe fanden maßgeblich im Nordwesten des Landes sowie in den städtischen Zentren im ganzen Land statt. Die Strafverfolgungsbehörden sind Berichten zufolge nicht in der Lage oder willens, die Mitglieder von religiösen Minderheiten, einschließlich Schiiten, zu schützen. Angesichts dieser Tatsachen ist UNHCR der Ansicht, dass Mitglieder der schiitischen Gemeinschaft, insbesondere in Gegenden, wo mit den Taliban verbundene Gruppen aktiv sind, wie beispielsweise im Nordwesten von Pakistan und in städtischen Zentren, abhängig von den Umständen des Einzelfalls, wegen ihrer Religionszugehörigkeit oder ihrer (vermeintlichen) politischen Meinung international schutzbedürftig sein können.“ (UNHCR, 14. Mai 2012, S. 11-12)
In einem im August 2014 von der US Commission on International Religious Freedom (USCIRF) veröffentlichten Factsheet zu Gewalt gegen Religionsgemeinschaften in Pakistan findet sich auf den Seiten 5 bis 15 eine Liste mit gegen Schiiten gerichteten Gewaltvorfällen im Zeitraum von Juli 2013 bis Juni 2014. Laut USCIRF basiere die Liste auf Informationen, die in öffentlich zugänglichen Berichten und Medienartikeln gefunden worden seien:
· USCIRF - US Commission on International Religious Freedom: Factsheet: Pakistan - Violence Towards Religious Communities in Pakistan, August 2014 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1410180802_pakistan-factsheet.pdf
Das vom Institut für Konfliktmanagement, einer in Neu-Delhi ansässigen Non-Profit-NGO, betriebene South Asia Terrorism Portal (SATP) stellt eine Chronologie zu konfessionell motivierter Gewalt in Pakistan seit 2010 (der letzte Eintrag datiert vom 27. Dezember 2014) zur Verfügung:
· SATP - South Asia Terrorism Portal: Pakistan: Data Sheets: Sectarian Violence in Pakistan, ohne Datum
http://www.satp.org/satporgtp/countries/pakistan/database/sect-killing.htm
Im Juni 2014 veröffentlicht HRW einen detaillierten Bericht zu Tötungen schiitischer Hazara durch sunnitische militante Gruppen in der Provinz Belutschistan:
· HRW - Human Rights Watch: "We are the Walking Dead"; Killings of Shia Hazara in Balochistan, Pakistan, 30. Juni 2014 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/1788_1404120417_pakistan0614-foruplaod.pdf
Der bereits zitierte USDOS-Bericht vom Juli 2014 erwähnt, dass sich die meisten religiösen Minderheiten, mit Ausnahme der Schiiten, über Diskriminierung bei der Besetzung staatlicher Stellen beschwert hätten:
„Most religious minority groups, with the exception of Shia, complained of discrimination in government hiring. While there was a 5 percent quota for hiring religious minorities at the federal and provincial levels, it was not consistently enforced.” (USDOS, 28. Juli 2014, Section 2)
Der oben bereits zitierte, im Dezember 2013 veröffentlichte Bericht des DFAT führt an, das DFAT sei der Auffassung, dass es keine rechtlichen Einschränkungen der Religionsfreiheit von Schiiten in Pakistan gebe. Es gebe keine Gesetze oder staatliche Maßnahmen, die Schiiten diskriminieren würden (d.h. „offizielle“ Diskriminierung). Außerdem gebe es allgemein gesprochen nur wenige Vorurteile (d.h. gesellschaftliche Diskriminierung), die die Möglichkeiten von Schiiten im Alltag beschränken würden. Jeglicher Fall von Diskriminierung sei wahrscheinlich eher auf Vettern-, Günstlings- oder Klientelwirtschaft zurückzuführen denn ein Beweis für einen allgemeineren Trend gesellschaftlicher Einstellungen. Die größte Bedrohung für Schiiten in Pakistan, so das DFAT, seien Angriffe durch Bewaffnete oder konfessionell motivierte Zusammenstöße, die sich hin und wieder ereignen würden:
„DFAT assesses that there are no legal restrictions on freedom of religion for Shias in Pakistan. There are no laws or Government policies that discriminate against Shias (i.e. ‘official’ discrimination). Further, broadly speaking, there is little community prejudice (i.e. societal discrimination) that would limit opportunities for Shias in daily life. Any incidents of discrimination would likely be cases of local nepotism, favouritism or patronage rather than evidence of a broader trend of societal attitudes. The greatest threat for Shias in Pakistan is in the form of targeting by militants or, at times, sectarian clashes in the community (see ‘Violence’, below).” (DFAT, 18. Dezember 2013, S. 6)
Im Abschnitt zu „Hassreden, Diskriminierung und Bedrohungen“ bemerkt die weiter oben zitierte Anfragebeantwortung des IRB vom Jänner 2014, der Vertreter der Asian Human Rights Commission (AHRC) habe angegeben, dass es „Hass“ gegen und Diskriminierungen von Schiiten gebe. Laut dem Middle East Media Research Institute (MEMRI) würden viele sunnitische Geistliche Hass, Vorurteile und Gewalt gegen Schiiten predigen. Einige militante sunnitische Gruppen, und insbesondere die Laschkar-e Jhangvi (LeJ), würden soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter und YouTube nutzen, um Gewalt gegen Schiiten zu fördern. Dem AHRC-Vertreter zufolge sei Lahore das „Epizentrum“ der pakistanischen Taliban und der LeJ. Auch ein Vertreter des Jinnah Institute, einem in Pakistan ansässigen, laut eigenen Angaben unparteiischen Think Tank in den Bereichen Demokratie, Sicherheit und Grundrechte, habe angegeben, dass es in Lahore eine große Anzahl an Aufständischen („militants“) gebe. Es sei eine „alltägliche Erfahrung“ für Schiiten in Lahore und Multan, bedroht und/oder schikaniert zu werden. Anekdotische Informationen würden darauf hindeuten, dass Schiiten Drohungen in verschiedenen Formen erhalten hätten – Texte, Telefonanrufe, Briefe. Drohungen gegenüber Schiiten seien sowohl in Lahore als auch in Multan verbreitet und im Zunehmen begriffen und kämen recht häufig vor. Der AHRC-Vertreter habe dies untermauert und angegeben, dass es in Lahore und Multan „sehr üblich“ sei, dass Schiiten bedroht und beleidigt würden:
„The AHRC representative said there is ‘hatred’ of Shia and they face discrimination (17 Dec. 2013). According to MEMRI, many Sunni clerics preach hatred, prejudice and violence against Shia (MEMRI 25 Sept. 2012). MEMRI notes that some militant Sunni groups, particularly the Lashkar-e Jhangvi (LeJ), use social networking sites, such as Facebook, Twitter and YouTube to foster violence against Shia (ibid.). According to the AHRC representative, Lahore is the ‘epicentre’ of the Pakistani Taliban and the Lashkar-e Jhangvi (LeJ) (AHRC 17 Dec. 2013). Similarly, the Jinnah Institute representative said there is a large population of militants in Lahore (Jinnah Institute 16 Dec. 2013). According to the Jinnah Institute representative, it is an ‘everyday occurrence’ for Shia to receive threats and/or face harassment in these cities. He said: ‘Based on anecdotal evidence, Shia have been receiving threats in a variety of forms – texts, phone calls, letters. Threats against Shia are common, growing and quite frequent in both Lahore and Multan.’ (ibid.) The AHRC representative corroborated that it is ‘very common’ for Shia in Lahore and Multan to receive threats and to be subject to verbal abuse (17 Dec. 2013).” (IRB, 9. Jänner 2014)
Bitte berücksichtigen Sie auch die in folgender ACCORD-Anfragebeantwortung enthaltenen Informationen:
· ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zu Pakistan: Lage der Turi (allg. Informationen und aktuelle Lage) [a-8967-1], 9. Jänner 2015 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/local_link/294224/431495_de.html
Eine etwas ältere ACCORD-Anfragebeantwortung vom August 2013 beinhaltet darüber hinaus einige wenige Informationen zur Lage von Schiiten aus den Stammesgebieten unter Bundesverwaltung in anderen Landesteilen:
· ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zu Pakistan: 1) Sicherheitslage für Schiiten in Parachinar/Morakhel/Kurram seit 2007; 2) Sicherheitslage für Schiiten aus Parachinar/Kurram im Rest des Landes [a-8473-1], 2. August 2013 (siehe Kopie im Anhang)
Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 9. Jänner 2015)
· ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zu Pakistan: 1) Sicherheitslage für Schiiten in Parachinar/Morakhel/Kurram seit 2007; 2) Sicherheitslage für Schiiten aus Parachinar/Kurram im Rest des Landes [a-8473-1], 2. August 2013 (siehe Kopie im Anhang)
· ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zu Pakistan: Lage der Turi (allg. Informationen und aktuelle Lage) [a-8967-1], 9. Jänner 2015 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/local_link/294224/431495_de.html
· AEI - American Enterprise Institute: The Shi’ites of Pakistan: A minority under siege, 11. Juni 2014
http://www.aei.org/publication/the-shiites-of-pakistan-a-minority-under-siege/
· DFAT - Department of Foreign Affairs and Trade (Australia): DFAT Thematic Report: Shias in Pakistan, 18. Dezember 2013
http://www.immi-gv-au.net/media/publications/pdf/dfat-tir-pakistan.pdf
· HRW - Human Rights Watch: World Report 2014 - Pakistan, 21. Jänner 2014 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/local_link/267806/395161_de.html
· HRW - Human Rights Watch: "We are the Walking Dead"; Killings of Shia Hazara in Balochistan, Pakistan, 30. Juni 2014 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/1788_1404120417_pakistan0614-foruplaod.pdf
· IRB - Immigration and Refugee Board of Canada: Pakistan: How Shia Muslims differ from Sunnis; treatment of Shias, particularly in Lahore and Multan; government response to violence against Shia Muslims (2010-December 2013) [PAK104713.E], 9. Jänner 2014 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/local_link/268528/396498_de.html
· PIPS - Pak Institute for Peace Studies: Pakistan Security Report 2013, 4. Jänner 2014
http://san-pips.com/download.php?f=240.pdf
· SATP - South Asia Terrorism Portal: Pakistan: Data Sheets: Sectarian Violence in Pakistan, ohne Datum
http://www.satp.org/satporgtp/countries/pakistan/database/sect-killing.htm
· UNHCR - UN High Commissioner for Refugees: UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Angehörigen religiöser Minderheiten aus Pakistan, 14. Mai 2012 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/1930_1350388653_121010-pak-gl-zsfassung-de.pdf
· USCIRF - US Commission on International Religious Freedom: United States Commission on International Religious Freedom - Annual Report 2014 - 15th Anniversary Retrospective: Renewing the Commitment, 30. April 2014
http://www.uscirf.gov/sites/default/files/USCIRF 2014 Annual Report PDF.pdf
· USCIRF - US Commission on International Religious Freedom: Factsheet: Pakistan - Violence Towards Religious Communities in Pakistan, August 2014 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1410180802_pakistan-factsheet.pdf
· USDOS - US Department of State: 2013 International Religious Freedom Report - Pakistan, 28. Juli 2014 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/local_link/281968/412326_de.html