Konfliktporträt: Zentralafrikanische Republik

Seit dem Sturz von Präsident Bozizé im März 2013 durch die Rebellenallianz SELEKA erlebt die seit ihrer Unabhängigkeit ohnehin nie wirklich befriedete Zentralafrikanische Republik eine Welle interreligiöser Gewalt. Staatliche Strukturen sind fast völlig verschwunden. Internationale Missionen versuchen seither, die Lage zu stabilisieren.
 

Aktuelle Konfliktsituation



Die Zentralafrikanische Republik (ZAR) erlebt eine humanitäre Katastrophe: Seit dem Sturz von Präsident François Bozizé durch die Rebellenallianz SELEKA unter der Führung von Michel Djotodia am 24. März 2013 versinkt das Land in einem Strudel von Gewalt. SELEKA bedeutet auf Sango, der Sprache der ZAR, "Koalition". Der Putsch wurde von Rebellengruppen aus dem Norden des Landes, wo die Mehrzahl der Muslime lebt, sowie von Söldnertruppen aus den Nachbarländern durchgeführt. Was als Putsch gegen die Regierung in Bangui begonnen hat, ist inzwischen in einen blutigen Konflikt zwischen Christen und Muslimen eskaliert, der die Existenz des zentralafrikanischen Staates bedroht. Als Reaktion auf die grausamen Übergriffe der SELEKA schlossen sich Christen zur Anti-Balaka ("Gegen die Macheten") zusammen, einer landesweit agierenden Miliz. Ihr Ziel scheint die Vertreibung der Muslime aus der ZAR zu sein, die eine Minderheit von ca. 15% stellen.

Christliche und muslimische Milizen stehen sich an Gräueltaten in nichts nach. Opfer der Gewalt und des Mordens ist die Zivilbevölkerung sowohl in der Hauptstadt Bangui als auch auf dem Land. Mehr als die Hälfte der knapp fünf Millionen zählenden Bevölkerung ist von humanitärer Hilfe abhängig, ein Viertel ist auf der Flucht vor Übergriffen und Vergeltungsanschlägen. Ca. 280.000 Menschen flohen in die Nachbarländer. Viele Muslime mit tschadischen Wurzeln wurden in Flüchtlingslager in den Tschad evakuiert, darunter auch bewaffnete Kämpfer der SELEKA. Über die Zahl der Toten gibt es nur Schätzungen.

Am 10. Januar 2014 wurde der SELEKA-Rebellenchef Michel Djotodia auf Betreiben Frankreichs und des Tschad in der tschadischen Hauptstadt N’Djamena seines Präsidentenamts enthoben. Der Nationale Übergangsrat wählte daraufhin die bisherige Bürgermeisterin von Bangui, Catherine Samba-Panza, zur Übergangspräsidentin. In der Übergangsregierung sind sowohl Angehörige der SELEKA wie auch der gestürzte Bozizé-Regierung vertreten. Sie soll zwischen den Konfliktparteien vermitteln, zur Eindämmung der Gewalt im Land beitragen und die für 2015 geplanten Neuwahlen vorbereiten.

Die beiden internationalen Missionen der Afrikanischen Union (MISCA: Mission internationale de soutien à la Centrafrique) mit 5.400 sowie Frankreichs (Operation Sangaris) mit 2.000 Militärs waren bisher nicht in der Lage, die ZAR zu stabilisieren. Eine EU-Mission (EUFOR RCA Bangui) mit 1.000 Soldaten ist für sechs Monate bis zum Eintreffen der UN-Blauhelmmission als Überbrückungsmission vorgesehen.

Im April 2014 zog der Tschad überraschend seine Truppen ab, die das größte Kontingent innerhalb der MISCA stellten. Zuvor hatten tschadische Militärs Zivilisten in Bangui getötet. Die noch im Land verbliebenen Muslime fürchten nach dem Rückzug ihrer "Schutzmacht" um ihr Leben und ihre Sicherheit. Inzwischen kam es schon mehrfach zu Gefechten zwischen Angehörigen der Anti-Balaka und der MISCA. Kämpfer der Miliz sind erbost darüber, dass die internationalen Missionen die Muslime schützen. Aus Bangui sind inzwischen fast alle Muslime geflohen oder evakuiert worden. Einheiten der "Operation Sangaris" und der MISCA folgten den sich in den Tschad zurückziehenden SELEKA-Milizen nach und weiten ihre Kontrolle schrittweise auch auf den Nordosten aus. Doch ist wegen der Fragmentierung der SELEKA wie auch der Anti-Balaka in lokale Rebellengruppen ohne zentrale Führung und Strukturen keine Stabilisierung der Lage in Sicht.
 

Ursachen und Hintergründe



Die rohstoffreiche ZAR gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. Im Human Development Index der UN rangiert sie an 180. Stelle von 187 Staaten. Die Provinzen im Nordosten sind schwer erreichbar und von der Zentralregierung völlig vernachlässigt. Straßen, Krankenhäuser oder Schulen sind hier nicht zu finden – dafür aber Erdöl, Uran und Diamanten. Traditionell leben in der Provinz Vakaga muslimische Bevölkerungsgruppen, ihre Vorfahren sind aus dem benachbarten Tschad eingewandert. Viele sind traditionell als Viehnomaden oder als Händler tätig, der Kleinhandel im gesamten Land war in muslimischer Hand. Von der politischen Macht im Süden des Landes waren die Muslime bislang ausgeschlossen. Nach dem Putsch gegen Bozizé und seiner Machtübernahme war Michel Djotodia der erste muslimische Präsident der ZAR.

Der Eroberungsmarsch der SELEKA war von Gewaltexzessen begleitet, die in Bangui auch nach der Machtübernahme weitergingen. Als Widerstand gegen die Willkürherrschaft der muslimischen Rebellen formierten sich daraufhin christliche Bürgerwehren zu Anti-Balaka-Milizen. Sie beschuldigten alle Muslime, Mitglieder der SELEKA zu sein, und töteten ihrerseits brutal Muslime. Inzwischen kommt es auch zu Gewaltexzessen innerhalb der SELEKA und der Anti-Balaka.

Beobachter nennen u.a. die extreme Armut, ein permanentes Gefühl der Erniedrigung und auch das Fehlen eines staatlichen Gewaltmonopols als Auslöser für die Spirale der Gewalt. Insbesondere marginalisierte Jugendliche können von den Konfliktparteien leicht manipuliert werden. Es gibt aber auch eine historische Dimension: In der ZAR fanden schon in vorkolonialer Zeit Sklavenraubzüge arabisch-muslimischer Gruppen aus dem heutigen Sudan statt. Das ist tief im Gedächtnis der Bevölkerung verankert. Muslime gelten nach wie vor als Zuwanderer, auch wenn sie in zweiter oder dritter Generation in der ZAR leben. Der Handel war bis zuletzt in ihrer Hand. Auch schwelt ein traditioneller Konflikt zwischen den sesshaften (christlichen) Bauern und arabischstämmigen nomadisierenden Viehhirten, die bewaffnet sind und regelmäßig ihre Herden über die Felder der Bauern treiben. Gegenüber den wohlhabenderen Muslimen fühlt sich die Mehrheit der schwarzafrikanischen Bevölkerung des Südens zurückgesetzt und benachteiligt, die von der Subsistenzwirtschaft lebt. Dabei wird jedoch kaum wahrgenommen, dass sich die Familien der jeweiligen Präsidenten und die Elite des Südens jahrzehntelang durch den Ausverkauf der Rohstoffe bereichert hatten.

Zusammen mit der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich prägte der Tschad in den letzten Jahrzehnten entscheidend die politische Entwicklung der ZAR. Mit ihrer Unterstützung gelangten zunächst Ange-Félix Patassé (1993 bis 2003) und dann François Bozizé (2003 bis 2013) an die Macht. Ohne den Rückhalt in Paris verloren sie die Macht aber schnell wieder In der Geschichte des Landes hat es bislang noch keinen wirklich demokratischen Machtwechsel gegeben.

Für Frankreich ist die ZAR vor allem von sicherheitspolitischer und wirtschaftlicher Bedeutung. Die beiden Militärbasen Bouar und Bangui dienten der französischen Armee lange für Auslandseinsätze. Sie wurden erst 1998 aufgegeben. Die bilateralen Beziehungen werden bis heute durch die sogenannte Politik des Francafrique – die enge Verflechtung von Wirtschaft, Politik und Militär beider Länder – geprägt. Wirtschaftlich bedeutsam ist der Export von Rohstoffen, insbesondere Diamanten,

Die tschadische Regierung unter dem Präsidenten Idriss Déby-Itno sah und sieht in einem engen Verhältnis zum südlichen Nachbarland die Garantie dafür, dass sich Rebellengruppen, die gegen die tschadische Regierung kämpfen, nicht ungehindert im schwer zugänglichen Grenzgebiet zwischen beiden Ländern bewegen können. Das Gebiet ist von besonderem strategischen Interesse, weil es an die sudanesische Krisenregion Darfur grenzt. Außerdem befinden sich im Südwesten des Tschad, nahe der Grenze zur ZAR, die strategisch und wirtschaftlich wichtigen Ölfelder, die der tschadischen Regierung den Aufstieg zur Regionalmacht ermöglicht haben und daher nicht durch einen regionalen Konflikt gefährdet werden sollen. Kurz: Für den tschadischen Präsidenten ist die Kontrolle der Regierung in Bangui von geostrategischer Bedeutung.
 

Bearbeitungs- und Lösungsansätze



Im Januar 2013 unterzeichneten die damaligen Konfliktparteien – die Regierung Bozizé und Führer der Rebellenbewegung SELEKA – unter der Ägide der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) in Gabun den Vertrag von Libreville. Vereinbart wurden: ein Waffenstillstand, der Rückzug der SELEKA aus den besetzten Gebieten sowie die Schaffung einer Regierung der Nationalen Einheit. Bozizé sollte bis zum Ende seines Mandats und den Wahlen 2016 im Amt bleiben, der Premierminister von der Opposition gestellt werden. Bozizé berief am 17. Januar 2013 den renommierten Anwalt und Politiker Nicolas Tiangaye zum Premierminister, der auch unter der Präsidentschaft Djotodias im Amt blieb. Drei Monate später warf die Rebellenallianz SELEKA Bozizé jedoch vor, den Vertrag von Libreville nicht eingehalten zu haben und marschierte in die Hauptstadt Bangui ein. Bozizé floh, und Djotodia rief sich zum neuen Präsidenten aus. Die "Erklärung von N’Djamena" vom 18. April 2013, eine "Roadmap" der Mitgliedsländer der ECOWAS für die ZAR, legte die Zusammensetzung eines Nationalen Übergangsrats sowie den Weg zu Neuwahlen fest. Der Nationale Übergangsrat verabschiedete am 18. Juli 2013 eine Übergangscharta.

Nach der Absetzung Djotodias am 10. Januar 2014 auf internationalen Druck und der massiven Gewalteskalation im Land stimmte der UN-Sicherheitsrat am 10. April 2014 einstimmig für die Entsendung einer Blauhelm-Mission. Die Resolution 2149 (2014) war von Frankreich eingereicht worden und sieht die Entsendung von 10.000 Militärs und 1.800 Polizisten im Rahmen der Mission multidimensionnelle intégrée de stabilisation des Nations Unies en République Centrafricaine (MINUSCA) vor. Sie soll am 15. September 2014 sowohl die französische Mission Sangaris als auch die Mission der Afrikanischen Union (MISCA) ablösen. Zu den Aufgaben der MINUSCA gehören u.a. der Schutz von Zivilisten, die Unterstützung der Übergangsregierung bei der Organisation von Neuwahlen, der Polizei- und Justizreform sowie bei der Entwaffnung, Demobilisierung, Wiedereingliederung und Repartierung der Angehörigen der Milizen. Afrikanische Staaten werden den größten Teil des Kontingents stellen. Sowohl für die Übergangsregierung unter Samba-Panza als auch für die UN-Mission sind die Herstellung staatlicher Strukturen, des staatlichen Gewaltmonopols und damit die Sicherheit der Zivilbevölkerung aller Konfessionen, auch in entlegenen Regionen der ZAR, die größte Herausforderung. Als Grundlage gelten weiterhin der Vertrag von Libreville, die Erklärung von N’Djamena und die Übergangscharta.

Neben dem Einsatz von Politik und Militär sind auch die religiösen Führer des Landes im In- und Ausland aktiv. Sie fördern den Dialog und die Aussöhnung zwischen den Mitgliedern der verschiedenen Religionsgemeinschaften und versuchen zu verhindern, dass sich der politische Konflikt als Religionskrieg verstetigt.
 

Geschichte des Konflikts



Seit der Unabhängigkeit von Frankreich im Jahr 1960 sind gewaltsame Machtwechsel in der ZAR die Regel. Präsident Patassé wurde 2003 von seinem Generalstabschef Bozizé mit tschadischer Unterstützung gestürzt. Bozizés Herrschaft beschränkte sich auf den Großraum Bangui. Sie war gekennzeichnet durch die Begünstigung seiner Familie und seines Clans; er gehört zur größten ethnischen Gruppe der Gbaya. Seine Anhänger besetzten die wichtigsten Posten in Wirtschaft und Politik. Wegen dieser Zustände gab es immer wieder Aufstände. Noch 2007 hatten französische und tschadische Militärs zentralafrikanische Rebellen aus Birao, im Nordosten, vertrieben. Aber 2012, als die SELEKA Richtung Bangui marschierte, reagierten Paris und N’Djamena abweisend auf den Hilferuf Bozizés. Paris wollte sich nicht in innere Angelegenheiten des Landes einmischen, so der französische Präsident Hollande.

Die Beziehungen zwischen Déby und Bozizé waren schon länger angespannt. Bozizé hatte seine vom Tschad gestellte Leibwache zurückgeschickt sowie Schürfrechte an Südafrika und Erdölkonzessionen an China verkauft. Unter den verschiedenen Gruppen, die sich zur SELEKA zusammenschlossen, fanden sich auch tschadische Söldner und Rebellen aus Darfur sowie Anhänger des ehemaligen Präsidenten Patassé, die Union des forces démocratiques pour le rassemblement (UFDR) und ihr Anführer Djotodia. Nach dem Einmarsch in Bangui und der Flucht Bozizés erklärte sich Djotodia am 24. März 2013 zum Präsidenten, setzte die Verfassung außer Kraft und ernannte einen Übergangsrat, an dem auch Mitglieder der alten Regierung und Opposition beteiligt waren. Mit der Zunahme der Gewalt wurde deutlich, dass Djotodia weder im Übergangsrat noch in der SELEKA ausreichenden Rückhalt hatte. Im September 2013 ordnete er erfolglos die Auflösung der SELEKA an, bevor er im Januar 2014 selbst abgesetzt wurde.
 

Literatur



Berg, Patrick (2008): Conflict Dynamics in the Sudan, Chad, and Central African Republic tri-border Area, in: Internationale Politik und Gesellschaft, Heft 4, S.72-86.

Engelhardt, Marc (2014): Zentralafrikanische Republik: Völkermord ohne Ankündigung, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 3, S. 17-20.

Handy, Paul-Simon (2009): Tschad – Sudan – Zentralafrikanische Republik: Innen- und regionalpolitische Perspektiven eines Konfliktsystems, in: Feichtinger, Walter (Hrsg.)(2009): Krisenmanagement in Afrika : Erwartungen, Möglichkeiten, Grenzen. Wien u.a.: Böhlau, S. 73-83.

Lombard, Louisa (2012): Rébellion et les limites de la consolidation de la paix en Centrafrique, in: Politique Africaine, 125, S. 189-208.

Mehler, Andreas (2011): Rebels and parties, the impact of armed insurgency on representation in the Central African Republic, in: Journal of Modern African Studies, Heft 1, S. 115-139.

Tull, Denis/ Kayser, Christiane (2003): Friedensschlüsse und kein Ende der Gewalt in Sicht, Der Krieg in Zentralafrika, in: Rolf Hofmeier (Hrsg.): Afrika-Jahrbuch 2002. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in Afrika südlich der Sahara. Opladen: Leske und Budrich, S. 44-56.
 

Links



»International Crisis Group (2013): Central African Republic: Better Late Than Never.«

»Mehler, Andreas (2013): Erneut gewaltsamer Regimewechsel in der Zentralafrikanischen Republik, in: GIGA Focus Afrika 1, S. 1-8.«

»Weber, Annette/ Kaim, Markus (2014): Die Zentralafrikanische Republik in der Krise, in: SWP-Aktuell 10.«

 
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Der Name des Autors/Rechteinhabers soll wie folgt genannt werden: by-nc-nd/3.0/de/ Autor: Helga Dickow für bpb.de