Anfragebeantwortung zu Äthiopien: Rolle der Clanzugehörigkeit für ethnisch somalische Rückkehrer in größeren Städten; systematische psychische oder physische Bedrohungen bzw. Übergriffe; Diskriminierungen; Clan der Gaadsen: Anzahl der Mitglieder in Jijiga und Addis Abeba [a-11426-v2]

22.12.2020

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Inhaltsverzeichnis

Rolle der Clanzugehörigkeit für ethnische Somalis in größeren Städten

Addis Abeba

Dire Dawa

Jijiga

Andere Städte

Somalis bei Rückkehr in größere Städte: systematische psychische oder physische Bedrohungen bzw. Übergriffe oder gesellschaftliche Diskriminierung

Clan der Gaadsen: Anzahl der Mitglieder in Jijiga und Addis Abeba

Quellen

Anhang: Quellenbeschreibungen, Ausschnitte mit Informationen aus ausgewählten Quellen

 

Rolle der Clanzugehörigkeit für ethnische Somalis in größeren Städten

ACCORD führte am 10. Dezember 2020 ein Gespräch mit einem Historiker und Sozialanthropologen, der Experte für die Region Horn von Afrika ist. Die Erlaubnis der Nennung des Namens des Experten liegt ACCORD nicht vor, daher wird dieser in Folge als „Experte für die Region Horn von Afrika“ oder kurz als „Experte“ bezeichnet. Im Laufe des Gesprächs erklärte dieser Experte, dass man grundsätzlich sagen könne, dass der soziale Kontext für Somalis generell sehr wichtig sei.

Unabhängig von ihrem Herkunftsclan sei es in Äthiopien für ethnische Somalis am ehesten möglich, sich in der Somali Region oder in städtischen Gebieten anzusiedeln, in denen es eine große oder relativ große somalische Community gebe. Es sei notwendig Arbeit zu finden, da es keine Grundversorgung gebe. Im Regelfall würde es bei Somalis an guter Ausbildung mangeln, diese sei im Durchschnitt schlechter als bei anderen ÄthiopierInnen. Der Großteil der Somalis würde im Handel und im Dienstleistungssektor arbeiten. Auch dort würde aber Startkapital notwendig sein und man müsse sich gegen Konkurrenz durchsetzen.

Somalis, die das Schulsystem nicht durchlaufen haben, würden nur sehr schlecht Amharisch sprechen, daher hätten sie kaum die Möglichkeit sich in anderen Teilen Äthiopiens niederzulassen. Es würden daher wahrscheinlich nur die Somali Region, Dire Dawa, Harar und Addis Abeba in Frage kommen. Es seien nur sehr wenige Somalis in Amhara, Tigray oder den meisten Gebieten Oromias zu finden.[1] Dort würden sie die Sprache nicht sprechen und es würde keine kulturellen Überschneidungen mit der übrigen Bevölkerung geben. (Experte, 10. Dezember 2020)

Addis Abeba

In einer Masterthesis im Fachbereich Sociology of Development & Change an der Universität Wageningen beschäftigte sich die Verfasserin Marre ten Holder mit Überlebensstrategien von Somalis im somalisch geprägten Stadtteil Bole Mikael in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba. Für diese Masterarbeit führte sie Gespräche und Interviews mit Somalis, die im Stadtteil Bole Mikael leben (Ten Holder, 6. Jänner 2019, S. 21, S. 34). In der Masterthesis beschreibt die Autorin, dass Somalis in Bole Mikael das uralte Clan-System nutzen würden, das die Grundlage für individuelle und kollektive Selbständigkeit biete. In ihrem Streben nach Selbständigkeit würden sie sich auf Werte und Traditionen ihres jeweiligen Clans stützen, um im städtischen Kontext von Addis Abeba zu überleben (Ten Holder, 6. Jänner 2019, S. 2). Die Autorin schreibt weiters, dass Somalis in Addis Abeba Vorteile und Verpflichtungen nutzen würden, die sich aus der Zugehörigkeit zu einem Clan-System ergeben. Dieses Clan-System fungiere als Sicherheitsnetz in Zeiten der Not. In einem Interview mit einer nach Addis Abeba migrierten Somalierin habe diese gesagt, dass man sich in der Heimat selbstverständlich auf das Clan-System habe verlassen können, während es in Addis Abeba etwas sei, das man aktiv betreiben müsse (Ten Holder, 6. Jänner 2019, S. 28). Viele SomalierInnen, die in Addis Abeba leben, seien wegen der Geschäftsmöglichkeiten in die Stadt gekommen, die sie im Vergleich zu anderen äthiopischen Städten biete und weil es bereits Verwandte gegeben habe, die dort lebten und arbeiteten. Selbst wenn sie keine direkten Verwandten gehabt hätten, an die sie sich bei Ankunft in Addis Abeba wenden konnten, hätten sie Kontakt zu anderen Somalis herstellen können, die ihnen helfen konnten, sich niederzulassen. Dies basiere alles auf dem Clan-System (Ten Holder, 6. Jänner 2019, S. 48). Der Erfolg von in Bole Mikael gegründeten Geschäften hänge eindeutig damit zusammen, dass Somalis davon profitieren würden, dass sie in ihre sozialen Netzwerke eingebettet seien, die entweder spezifisch aufgrund der Clanzugehörigkeit bestünden oder auch aufgrund desselben ethnischen oder religiösen Hintergrunds. Aufgrund dieser Netzwerke sei es überhaupt erst möglich ein Geschäft zu gründen und KundInnen, MitarbeiterInnen und Kapital zu generieren (Ten Holder, 6. Jänner 2019, S. 51).

Über die somalische Community in Addis Abeba berichtete der Experte für die Region Horn von Afrika im Gespräch vom 10. Dezember 2020 das Folgende:

Somalis würden in Addis Abeba in einem Stadtteil leben, der „Little Mogadishu“ genannt werde und sich in der Gegend der Botschaft von Ruanda und Bole Mikael befinde. Dort sei das Stadtbild sehr somalisch. Es gebe somalische Geschäfte, somalische Restaurants, die Somali Microfinance Institution[2] habe dort eine Zweigstelle, es gebe Hotels, die im Eigentum von Somalis stünden und auch nur von Somalis frequentiert würden. Man gehe laut Auskunft des Experten davon aus, dass in Addis Abeba circa 100.000 Somalis leben würden. Es habe seit 2007 keine Volkszählung mehr in Äthiopien gegeben. 2007 seien auch nur die ca. 10.000 gezählt worden, die offiziell und legal dort lebten. Die vielen Zehntausenden, die illegal dort gelebt hätten, seien laut Experte von der Volkszählung 2007 nicht erfasst worden.

Nach Auskunft des Experten für das Horn von Afrika würde das Clanwesen auch in Addis Abeba eine Rolle spielen und zwar in jedem Lebensbereich: in Geschäftsbeziehungen, beim Heiraten und auch in politischen Dingen (Experte, 10. Dezember 2020). Der Experte erläuterte anhand eines hypothetischen Beispiels, wie eine Person, die einem kleineren Clan angehört, im Beispiel der Clan der Gaadsen, im Falle eines Umzugs nach Addis Abeba vorgehen könnte, um bei einem Netzwerk anzuknüpfen:

„Es gibt in Addis Abeba vermutlich nicht viele Angehörige des Gaadsen-Clans. Da die Gaadsen sich aber den südlichen Dir [die Dir sind eine von vier Großclanfamilien, Anmerkung ACCORD] zuordnen, könnte eine solche Person aber durchaus Unterstützung von anderen Angehörigen südlicher Dir-Clans, die in Addis leben, finden. Wenn, hypothetisch, nicht genügend eigene Clan-Angehörige da wären, würde die Person Leute eines anderen Unterclans der Gaadsen suchen und, wenn sie mit dieser Suche auch nicht erfolgreich wäre, wieder hypothetisch, dann würde sie nach Mitgliedern eines anderen Clans der südlichen Dir suchen. Das funktioniert stufenweise. Aber man könnte immer noch auf die Solidarität von Mitgliedern südlicher Dir in Addis zählen. Es gibt genug südliche Dir in Addis, sodass die Person dort immer aufgefangen werde könnte. Südliche Dir sind in Addis organisiert.“ (Experte, 10. Dezember 2020)

Dasselbe würde auch für die Städte Dire Dawa oder Jijiga gelten. Aber nur in Fällen von sozialen oder wirtschaftlichen Gründen für die Migration. Wenn jemand aus politischen Gründen seine Heimat im Südwesten der Somali-Region oder Jijiga verlassen hätte, dann würde er nicht unbedingt auf diese Clansolidarität zählen können, weil die Clanstrukturen politisiert seien. Auch in Addis Abeba, in Jijiga und Dire Dawa könnten Politflüchtlinge aufgespürt werden (Experte, 10. Dezember 2020):

„Wenn die Person in irgendeiner Weise mit regionalen Somali-Behörden über Kreuz geraten wäre und Probleme hatte, dann ist Addis Abeba auch kein sicherer Zufluchtsort. In der Somali-Community in Addis Abeba ist der Somali-Flügel der Prosperity Party präsent. Man könnte solche Personen dann durchaus aufspüren. Zum anderen sind die äthiopischen Security-Behörden sehr effizient. Sich in Addis Abeba zu verstecken ist heute nicht mehr so einfach.“ (Experte, 10. Dezember 2020)

ACCORD führte am 10. Dezember 2020 ein Gespräch mit Dr. Rony Emmenegger, Assistent und Post-Doc im Fachbereich Nachhaltigkeitsforschung der Universität Basel, der zwecks Forschung für seine Doktorarbeit zwischen 2011 und 2013 insgesamt acht Monate in Äthiopien, vor allem in Jijiga zu Stadtentwicklung und Clanverknüpfungen im lokalen Kontext geforscht hat. Emmenegger hält es für möglich, dass es gewisse städtische Knotenpunkte gebe, wie in Addis Abeba, wo es für ethnische Somalis unter Umständen eine Option sei, sich anzusiedeln und dort in der großen Somali-Community aufzugehen. Allerdings wirft er die Frage der Marginalisierung auf, da die Mietpreise horrend hoch seien, vor allem für jene in prekären Situationen. Eigentumserwerb dürfte aufgrund der Preise nicht möglich sein. Auch Emmenegger erwähnte, dass der äthiopische Überwachungsstaat auch innerhalb der somalischen Community in Addis Abeba sehr stark sei. (Emmenegger, 10. Dezember 2020)

Dire Dawa

Das Rift Valley Institute (RVI) befasste sich in einer Publikation vom Februar 2018 unter anderem auch mit der Rolle sozialer Netzwerke im Zusammenhang von Mobilität aus ländlichen in urbane Regionen. Dies wurde anhand der Migration in die Stadt Dire Dawa untersucht. Die meisten MigrantInnen aus ländlichen Gebieten nach Dire Dawa, so das Rift Valley Institute im Jahr 2018, hätten Freunde, Verwandte oder zumindest Bekannte in Dire Dawa, die als Kontaktpersonen dienen würden. Für BewohnerInnen eines Dorfes, das 7 Kilometer nordöstlich der Stadt gelegen sei, sei ihr Mangel an sozialen Netzwerken in Dire Dawa der Grund ihrer Immobilität, trotz des Wunsches aufgrund wiederkehrender Dürren nach Dire Dawa zu migrieren. Ein Dorfbewohner habe erklärt, dass man nicht einfach dorthin gehen könne, ohne Verwandte zu haben, die einen unterstützen würden Arbeit zu finden und Unterstützung leisten würden, bis man zu arbeiten beginnen könne. (RVI, Februar 2018, S. 35)

Auf diese Beschreibung des RVI angesprochen, erläutert Emmenegger das Folgende:

„Ja, das würde ich auch so sehen. Ich habe im Rahmen meiner Forschung in gewisser Weise die gegenteilige Konstellation untersucht, also die Frage wie diese Beziehung geknüpft werden, die dazu führen, dass man sich niederlassen kann. Aber das bedingt natürlich auch im Umgekehrten, dass dieser Ausschluss möglich ist. Und was in diesem Zusammenhang sehr spannend ist, ist, dass diese Clanidentitäten und -zugehörigkeiten nicht in Stein gemeißelt sind, nicht naturgegeben. Was eigentlich in diesen Prozessen genau abläuft, ist, dass man Clanbeziehungen herzustellen beginnt, das ist auch ein sozialer Prozess. Es dürfte in einigen Fällen wirklich so sein, dass man sagt, wir gehören zum selben Clan, und das erzeugt eine gewisse Solidarität. Die kann es geben, aber sie erfordert auch ein gegenseitiges Verständnis. Was aber in ganz vielen Fällen passieren kann ist, dass eine Person irgendwo hinkommt und dort andere Leute trifft und dann wird damit begonnen die ganze Geschichte der Clans neu zu interpretieren. Je nachdem beziehen sich gewisse Clans auf gemeinsame Vorfahren, das sind dann Stammbäume, die sich ergeben. Diese Stammbäume sind nicht fix, sondern Sie werden in diesen Momenten der Begegnung und der Aushandlung definiert. Das habe ich sehr oft erlebt, dass die Solidarität zwischen unterschiedlichen Personen dadurch zustande kommt, dass sie es schaffen, sich auf einen gemeinsamen Vorfahren zu beziehen. Das ist das Resultat der Aushandlung und Interpretation und es ist nicht so, dass der gemeinsame Vorfahre per se dazu führt, dass sie sich gegenseitig solidarisieren müssen. Das ist eine soziologische Herangehensweise und bedeutet auch, dass man bei der Beurteilung, ob diese Art von Solidarisierung zustande kommt, auch noch andere Aspekte miteinbeziehen muss. Dort spielt dann plötzlich die Politik wieder eine große Rolle. In Jijiga passiert das sehr häufig als Solidarisierung zwischen kleineren Clans, die sich eigentlich selbst organisieren müssen, um irgendwie durchzukommen. Und dann gibt es gewisse politische Gräben, die verhindern, dass diese Art von Solidarisierungen zustande kommen. Die können sehr viel politischerer Natur sein, als dass sie wirklich in diesen Clanidentitäten festgelegt würden – in anderen Worten: Clanidentitäten sind hier Ausdruck von politischen Beziehungen und nicht die Grundlage dafür. […] Diese Aushandlungen können wirklich sehr individuell passieren und dann auch kollektiv Konsequenzen haben. In Jijiga zum Beispiel gibt es viele Sultans. Das sind innerhalb der Familien oder Familienverbünde, Lineages und/oder Clans eine Art Älteste. Sie haben einen traditionellen Status als Autoritäten. Als Neuankömmling würde ich mir in Jijiga die Autorität suchen, bei der ich am besten anknüpfen kann. Das heißt, das funktioniert dort sehr stark auf individueller Ebene. Das kann dann aber dazu führen, dass das größere kollektive Wellen schlägt. Wenn der Sultan dann den Schutz für mich übernimmt, das ist ein bisschen plakativ gesagt, aber eine Beziehung mit mir eingeht, hat das auch Konsequenzen, wie die Geschichten über die Clanzusammengehörigkeiten dann erzählt werden, und das kann dann auch für das Kollektiv Konsequenzen haben, im Sinne eines kollektiven Bewusstseins. […] Gleichzeitig kann es aber auch sein, dass wirklich auf politischer Ebene gewisse Clanstreitigkeiten entstehen, die dann gewisse Muster schaffen, die es ermöglichen oder verunmöglichen, dass man auf individueller Ebene so einfach Brücken schlagen kann. Ich glaube, auf der einen Seite bestimmt die Politik relativ stark, wie die Clanbeziehungen funktionieren oder gelagert sind. Aber gleichzeitig hat man auf lokaler Ebene in den einzelnen konkreten Beziehungen immer auch noch die Möglichkeit, das auszuhandeln.“ (Emmenegger, 10. Dezember 2020)

Jijiga

Auf die Frage, ob es möglich sei, sich als ethnischer Somali in Jijiga anzusiedeln, wenn man dort über kein Netzwerk verfüge, antwortete Rony Emmenegger im Gespräch mit ACCORD am 10. Dezember 2020:

„Das halte ich für schwierig. Wo sollte man sich ansiedeln? Land ist umkämpft, ist teuer, es ist ein städtischer Landmarkt. Das heißt, man kann nicht irgendwo einfach seine Zelte aufschlagen. Dann die Unterkünfte: man kann sich einmieten, ich glaube das dürfte kein Problem sein, aber es ist teuer. Jijiga ist auch multiethnisch, es gibt viele Amharas und Oromos im Stadtzentrum. Die Frage ist, wie lange man bleiben will. Es sollte kein Problem sein, kurz abzusteigen, aber aus meiner Erfahrung wird Jijiga gefährlicher, je länger man da ist. Weil man dann immer mehr in die Netze reinkommt und seinen Aufenthalt rechtfertigen muss.“ (Emmenegger, 10. Dezember 2020)

Andere Städte

Nach Auskunft des Experten für die Region Horn von Afrika in dem im Dezember 2020 mit ACCORD geführten Gespräch, sei es für einen ethnischen Somali möglich dort zu überleben, wo es größere Somali-Gemeinschaften gibt. In Adama [eine Stadt in der Region Oromia, Anmerkung ACCORD] zum Beispiel, wo es größere Somali-Gemeinschaften gebe, hätte er die Unterstützung der Somali-Gemeinschaft, unabhängig vom Clan. Im städtischen Bereich, in den größeren Städten, wo es wirklich funktionierende Somali-Gemeinschaften gebe, da könne eine Person mit ethnisch somalischem Hintergrund überleben. Aber es gebe keine soziale Absicherung, Sozialhilfe oder ähnliches. (Experte, 10. Dezember 2020)

Auf die Frage von ACCORD zur Wichtigkeit des Clanwesens in größeren und großen Städten in Äthiopien im Vergleich zu ländlichen Gebieten, gab Emmenegger zur grundsätzlichen Rolle von Clanidentitäten in Städten am 10. Dezember 2020 im Gespräch mit ACCORD folgende Einschätzung:

„Das kann in beide Richtung gehen. Historisch gesehen hat man im afrikanischen Kontext die Situation, wie frühe Ethnologen beschrieben haben, dass Clan- oder ethnische Identitäten sich erst im städtischen Kontext überhaupt zu formieren beziehungsweise zu konsolidieren begannen. In gewissen Teilen Afrikas hing das sehr stark mit Minenarbeit zusammen und damit, dass sich Leute, die in Städten zusammenkamen, sich plötzlich identifizieren und voneinander abgrenzen mussten. In Bezug auf Identitätsformation kann vor diesem Hintergrund davon ausgegangen werden, dass sich das im städtischen Kontext eigentlich eher noch verstärkt. Wieso? Weil man die Frage nach der Herkunft umso deutlicher beantworten muss als im lokalen ländlichen Kontext. Und ich glaube, dass die Frage wer äthiopischer Somali oder somalischer Somali ist, genau in diesem Kontext von Addis Abeba plötzlich sehr zentral wird, um die Leute einordnen zu können. Und andererseits gibt es im städtischen Kontext natürlich sehr viele Möglichkeiten, Beziehungen zu knüpfen, die über diese Clannetzwerke hinaus gehen. Gerade in der Frage der wirtschaftlichen Verstrickungen würde ich annehmen, dass es dort sehr viel mehr Potential gibt, um über Clangrenzen hinaus Beziehungen zu knüpfen, wodurch man argumentieren könnte, dass sich in dem Bereich, die Relevanz der Clanidentitäten wieder reduziert. Was wiederum nicht heißt, dass sich wirtschaftliche Verstrickungen nicht auch oder ebenfalls entlang von Clanzugehörigkeiten formieren können.“ (Emmenegger, 10. Dezember 2020)

Somalis bei Rückkehr in größere Städte: systematische psychische oder physische Bedrohungen bzw. Übergriffe oder gesellschaftliche Diskriminierung

Allgemein zum Thema interne Mobilität und ethnischer Hintergrund schreibt das australische Außen- und Handelsministerium (Department of Foreign Affairs and Trade, DFAT) in einem Bericht zu Äthiopien vom September 2017, dass Ethnizität und unterschiedliche Sprachen Barrieren für interne Mobilität sein könnten. Amhara und Tigray würden über mehr Freiheit verfügen, sich innerhalb des Landes zu bewegen, da diese Gruppen in vielen Regionen präsent seien und Amharisch die offizielle Landessprache sei. (DFAT, 28. September 2017, S. 29)

Das Danish Immigration Service (DIS), die in Dänemark für Einwanderung, Einreise und Aufenthalt von AusländerInnen zuständige Behörde, veröffentlicht am 13. März 2020 einen Bericht zu Oppositionsgruppen in Äthiopien. Darin findet sich ein Auszug eines Interviews mit einer Person, die eine internationale Menschenrechtsorganisation repräsentiert, die, befragt nach der Behandlung von Mitgliedern der ONLF durch die äthiopischen Behörden, aussagt, dass ethnische Somalis in Addis Abeba oft mit Herausforderungen aufgrund von Diskriminierung konfrontiert sein würden. (DIS, 13. März 2020, S. 23)

Auf die Frage, ob ethnische Somalis bei einer Rückkehr aus dem Westen systematisch psychischen oder physischen Bedrohungen, Übergriffen oder gesellschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt seien, antwortete Rony Emmenegger im Gespräch mit ACCORD am 10. Dezember 2020:

„In Jijiga war das in der Zeit, als ich dort war [im Zeitraum 2011 bis 2013, Anmerkung ACCORD] auf jeden Fall möglich. Aus meiner Erfahrung hängt das oft damit zusammen, ob man und inwiefern man sich aus der Politik raushalten kann. Das ist nicht immer nur selbst gewählt. Also ja, das kann ich mir vorstellen.“ (Emmenegger, 10. Dezember 2020)

Dieselbe Frage beantwortete der Experte für die Region Horn von Afrika im Gespräch mit ACCORD am 10. Dezember 2020 mit folgender Einschätzung:

„In Addis Abeba sicherlich nicht, weil es dort eine große somalische Bevölkerung gibt, in der sie eintauchen könnten, solange keine politischen Probleme bestehen. [siehe oben und weiter unten]. Sich in anderen Gebieten [ohne somalische Community, Anmerkung ACCORD] niederzulassen ist sehr unattraktiv. Dort hätten Somalis keine Netzwerke und keine Unterstützung, die lokale Bevölkerung würde ihnen mit einer gewissen Abwehrhaltung begegnen. Nicht in übergriffiger Weise, aber Somalis passen einfach nicht in einen anderen lokalen Kontext. Die Person könnte sich sehr wahrscheinlich nicht richtig integrieren, würde sich nicht wohl fühlen und immer ein Außenseiter bleiben. Sie müsste nicht befürchten totgeschlagen zu werden, aber soziale Integration und die Erlangung einer wirtschaftlichen Existenz würden sehr schwierig.“ (Experte, 10. Dezember 2020)

„Abgesehen von den Sicherheitsbehörden: gesellschaftliche Diskriminierungen hätten sie dort zu fürchten, wo keine anderen größeren Gruppen von Somalis sind. Wo immer größere Gruppen von Somalis leben, wird er keine gesellschaftliche Diskriminierung erfahren, [sofern die Person] nicht zu den verachteten Clangruppen oder Bevölkerungsgruppen gehört. Gruppen, die Probleme hätten, sind Schmiede oder Lederarbeiter. Oder Leute, die von Bantu-Abstammung sind. Oder Personen, die ursprünglich persisch-arabischer Abstammung waren, die Ashraf zum Beispiel, haben Probleme, weil sie nicht in die Clanstruktur der Hirten-Samale[3] passen. […]

In einem nicht-Somali-Umfeld, würden sich auch konkurrierende und rivalisierende Clans untereinander helfen. Somali-Solidarität untereinander ist außerhalb der Somali-Region größer, weil regionale Rivalitäten in den Hintergrund treten. Aber in Großgemeinschaften wie in Addis blühen diese Rivalitäten munter weiter. In Adama oder einer anderen Stadt, wo nur ein paar 100 oder 1000 leben, überwiegt innerhalb der Somali-Gemeinschaft Somali-Solidarität.“ (Experte, 10. Dezember 2020)

Der Experte verwies im Zuge des Gesprächs auch bei dieser Frage darauf, dass die Situation anders einzuschätzen sei, wenn es sich bei der rückkehrenden Person um eine Person handle, die aufgrund politisch motivierter Probleme oder Schwierigkeiten ihren Heimatort verlassen habe:

„Wenn es sich um eine Person handelt, deren Asylantrag abgelehnt wurde und die sich entschlossen hat, um einer Abschiebung zuvorzukommen, freiwillig nach Äthiopien zurückzukehren, dann kommt bei der Überprüfung durch die Sicherheitsbehörden raus, wenn es sich um jemanden handelt, der mit den regionalen Behörden in der Somali-Region aneinandergeraten ist. Dann wird es für diese Person unangenehm. Die äthiopischen Behörden lassen manchmal Personen ins Land, um sie in die Finger zu kriegen.

Bis sie sicher sind, dass die Person keine Unruhe stiftet, würde sie beobachtet werden. Die äthiopischen Sicherheitsdienste sind eines der effizientesten Staatsorgane in Äthiopien. Eines der am besten ausgestatteten Staatsorgane. Sie verfügen über ein riesiges Archiv, das alle Personen umfasst, die irgendwie mit der Polizei oder für die Security auffällig wurden. Wenn jemand verhaftet wird, werden Fingerabdrücke genommen und das wandert in eine Datenbank. In Äthiopien gibt es eine ausgezeichnete elektronische Datenbank, in der die Hälfte der Bevölkerung erfasst ist, auch Studenten zum Beispiel. Die elektronische Ausstattung zur Datenspeicherung etc. ist sehr gut. Seit 1998 wurden auch alle Dokumente der früheren Regierung digitalisiert.“ (Experte, 10. Dezember 2020)

Clan der Gaadsen: Anzahl der Mitglieder in Jijiga und Addis Abeba

Zum Clan der Gaadsen befragt, gab der Experte für die Region Horn von Afrika im Gespräch mit ACCORD am 10. Dezember 2020 folgende Auskunft, die auch eine Schätzung der Anzahl der Mitglieder des Gaadsen-Clans in drei Städten beinhaltet:

„Gaadsen sind eine von den sehr kleinen Gruppen, die heute zu den Dir gezählt werden, genauer gesagt den südlichen Dir, einer Gruppe von kleineren Clans im Süden des somalischen Siedlungsgebiets. Sie ordneten sich erst in den letzten Jahrzehnten dem Dir Großclan zu. Sie verfügen über keinen politischen Einfluss. Nur die großen Clans haben politischen Einfluss. Die kleinen Gruppen verändern häufig ihre Wohnsitze. Sie wurden ursprünglich als Vor-Hawiye oder Prä-Hawiye bezeichnet. Hierbei handelt es sich um eine Gruppe von kleinen Clans im Süden des somalischen Siedlungsgebiets, in der Nähe der Flüsse. Als kleine Gruppen fühlten sie sich hilflos und diese kleinen Clans im Süden haben sich dann im Verlauf der letzten 50 Jahre dem Dir-Clan zugeordnet, der im Norden beheimatet ist. Die Dir sitzen in Somaliland, in Äthiopien und bei Dire Dawa. Die südlichen kleinen Clans haben sich den Dir zugeordnet, weil das ein Großclan war, der ihnen nicht bedrohlich werden konnte, weil der über fast 1.000 Kilometer entfernt von ihnen lebte. Sie konnten sich problemlos den Dir zuordnen, ohne sich vor ihnen fürchten zu müssen, weil die sehr weit im Norden leben. Gaadsen sind einer dieser kleinen Clans, der eine größere Clanzugehörigkeit annahm.

Die nördlichen Dir nahmen die Verstärkung durch die jetzt südliche Dir genannten Gruppen gerne an, weil ihnen das erlaubte im innerpolitischen Gerangel um Macht und Einfluss, bei der Verteilung der Sitze im Parlament in Mogadishu oder bei der Besetzung von Positionen in der äthiopischen Somali-Region größere Anteile einzufordern.

Wie viele Clanangehörige der Gaadsen es gibt und wo sie in welcher Zahl leben, kann man nicht sagen, das wird nicht erfasst. Die Gaadsen leben hauptsächlich in der Liben-Zone im Südosten von Äthiopien, in einer der südwestlichen Zone der Somali-Region. Das Gebiet ist nicht dicht besiedelt, insgesamt gibt es vielleicht ein paar Tausend Gaadsen. Aus diesem Gebiet gehen relativ wenig Somalis auf Wanderschaft in die großen Städte. Die Zahl der Gaadsen in Dire Dawa oder in Jijiga und Addis Abeba dürfte sich jeweils auf nicht mehr als ein paar Hundert belaufen. Vielleicht in Jijiga etwas mehr als in Addis Abeba, weil sie in Jijiga Interessen haben und dort eine gewisse Präsenz haben müssen. In Jijiga geht es darum, in der Regionalregierung verankert zu sein.

[…] Die Gaadsen sind ein kleiner Clan, der sich aber mit den Dir eine respektable Zuordnung verschafft hat.“ (Experte, 10. Dezember 2020)

Es gibt weitere Quellen, in denen die Gaadsen Erwähnung finden, sie als Subclan der Dir beschreiben (IRB, 14. Dezember 2017; ACCORD, 26. November 2015) und sie neben Somalia auch in Äthiopien verorten (IRB, 14. Dezember 2017). Zu ihrer Anzahl finden sich auch dort keine Informationen.


Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 22.12.2020)

·      ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zu Somalia: Informationen zum Clan der Dir [a-9404-1], 26. November 2015
https://www.ecoi.net/en/document/1280644.html

·      CSA – Central Statistical Agency of Ethiopia: National Population and Housing Census, 2007
http://www.csa.gov.et/census-report/complete-report/census-2007?download=189:national-statistical&start=5

·      DFAT – Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade: DFAT Country Information Report Ethiopia, 28. September 2017
https://www.ecoi.net/en/file/local/1419297/4792_1512556608_country-information-report-ethiopia.pdf

·      DIS – Danish Immigration Service: Ethiopia: Opposition groups - Recent developments, 13. März 2020
https://www.ecoi.net/en/file/local/2026751/COI_report_Ethiopia_Opposition_Groups_Recent+Develop_Jan_2020.pdf

·      Emmenegger, Rony: Videointerview am 10. Dezember 2020

·      Experte für die Region Horn von Afrika: Telefoninterview am 10. Dezember 2020

·      IRB – Immigration and Refugee Board of Canada: Somalia: Information on the Gadsan clan, including history, cultural practices, locations, occupations and position in the clan hierarchy; relationship with other clans, authorities and Al Shabaab (2015-December 2017) [SOM106029.E], 14. Dezember 2017
https://www.ecoi.net/en/document/1428635.html

·      RVI – Rift Valley Institute: Expectations and belonging in Dire Dawa Drivers, dynamics and challenges of rural to urban mobility, Februar 2018
https://www.ecoi.net/en/file/local/1433517/1226_1527500554_expectations-and-belonging-in-dire-dawa-by-dereje-feyissa-rvi-2018.pdf

·      Somali Microfinance Institution: About us, ohne Datum
http://www.somalimfi.com/

·      Ten Holder, Marre: The pursuit of self-reliance in the absence of aid. A case study on the survival strategies of Somalis in Bole Mikael, Addis Ababa, Ethiopia, 6. Jänner 2019
https://edepot.wur.nl/468674

 

Anhang: Quellenbeschreibungen, Ausschnitte mit Informationen aus ausgewählten Quellen

DFAT - Department of Foreign Affairs and Trade ist die Abteilung für auswärtige Angelegenheiten und Handel der australischen Regierung.

·      DFAT – Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade: DFAT Country Information Report Ethiopia, 28. September 2017
https://www.ecoi.net/en/file/local/1419297/4792_1512556608_country-information-report-ethiopia.pdf

„Ethnicity and language differences can act as barriers to internal movement and relocation. Amharas and Tigrayans have more freedom to move around the country given the presence of these groups in many different regions and the fact that Amharic is the official national language.” (DFAT, 28. September 2017, S. 29)

Das Danish Immigration Service (DIS) ist die in Dänemark für Einwanderung, Einreise und Aufenthalt von AusländerInnen zuständige Behörde.

·      DIS – Danish Immigration Service: Ethiopia: Opposition groups - Recent developments, 13. März 2020
https://www.ecoi.net/en/file/local/2026751/COI_report_Ethiopia_Opposition_Groups_Recent+Develop_Jan_2020.pdf

„Email interview with a representative of an international human rights organisation

10 January 2020

The source is a representative of an international human rights organisation with several years of experience in working in the Horn of Africa.

[…] How do the Ethiopian authorities treat persons suspected of current membership or association with the ONLF?

15. I have not heard any concerns of ill-treatment. Ethnic Somalis often face challenges of discrimination in Addis and elsewhere but I have not heard any cases of ONLF members having any problems whatsoever in Addis. Senior leadership move around Addis with no problems.” (DIS, 13. März 2020, S. 22-23)

Das Rift Valley Institute (RVI) ist eine in Nairobi (Kenia) ansässige nicht gewinnorientierte Organisation, die sich für ein besseres Verständnis lokaler Verhältnisse in Ost- und Zentralafrika einsetzt, um Maßnahmen in der Region zu beeinflussen.

·      RVI – Rift Valley Institute: Expectations and belonging in Dire Dawa Drivers, dynamics and challenges of rural to urban mobility, Februar 2018
https://www.ecoi.net/en/file/local/1433517/1226_1527500554_expectations-and-belonging-in-dire-dawa-by-dereje-feyissa-rvi-2018.pdf

„Role of social networks

The role of social networks in rural to urban migration plays out in Dire Dawa in various ways. First, it explains the issue of immobility. Most migrants from rural areas have friends, relatives or, at the very least, acquaintances in Dire Dawa who serve as contact persons. For people from Mudi Anano village - 7 km north-east of Dire Dawa - lack of social networks in Dire Dawa is cited as a reason for immobility, despite the desire to migrate because of recurrent drought. As this rural village resident says: ‘Our village has been hit by recurrent drought. We used to be agro-pastoralists, combining sorghum and maize cultivation with cattle and camel. We used to sell milk in Dire Dawa city. But now, crops have failed and we no longer rear cattle. Only goats and camels. We are left with only goats and camels thanks to their capacity to survive even extreme drought. We see people going to Dire Dawa, where they work during drought. But you cannot simply go there without relatives who support you to get a job or until you start working. As a result, we depend on relief distributed by the government. Our children are also not educated. There is only one primary school (grades one to four) in Mudi Anano. We complained that if the children pass to grade five, they have to go to Dire Dawa. And we cannot afford to pay for their cost of living there. Those who have relatives in the city could continue their education. So far, only eight students from Mudi Anano who have relatives in Dire Dawa are pursuing their education above grade five.” (RVI, Februar 2018, S. 35)

Marre ten Holder ist Verfasserin einer Masterarbeit im Fachbereich Sociology of Development & Change an der Universität Wageningen zu Somalis im Stadtteil Bole Mikael in Addis Abeba.

·      Ten Holder, Marre: The pursuit of self-reliance in the absence of aid. A case study on the survival strategies of Somalis in Bole Mikael, Addis Ababa, Ethiopia, 6. Jänner 2019
https://edepot.wur.nl/468674

„This thesis aims to provide a better understanding of the pursuit of self-reliance of the Somali refugees residing in Bole Mikael, a predominantly Somali neighbourhood of the Ethiopian capital Addis Ababa. It is based on data gathered through interviews with Somali entrepreneurs and aid agencies, and observations over a period of eleven weeks in and around Bole Mikael, Addis Ababa. This study shows how Somalis in Bole Mikael make use of the age-old Somali clan system that provides the basis for both individual and collective self-reliance. […] They [the Somali people] have shaped Bole Mikael into the Somali hub of Ethiopia, connected to the wider Somali web of people worldwide. The main function of the neighbourhood is the function of the network. The network that provides its members with both financial, as well as social support. While Somalis draw upon their clan values and traditions in their pursuit of self-reliance in order to survive in the urban context of Addis Ababa, this study also shows that the formal aid organisations have not yet determined their position in the urban context in general, or in the Somali situation specifically.” (Ten Holder, 6. Jänner 2019, S. i)

„Bole Mikael, a Somali neighbourhood close to the city centre of Addis Ababa, is such a challenging urban environment where many Somali refugees and migrants live next to the Ethiopian host community. The Somalis living here receive no assistance from aid agencies or government whatsoever, but seem to pursuit self-reliance drawing from their own strategies and social organisations.” (Ten Holder, 6. Jänner 2019, S. 2)

„Collective self-reliance can be pursued by relying on a community’s own resources and traditions (Galtung, O’Brien and Preiswerk, 1980). For Somalis in Addis Ababa this means drawing from their own cultural values and traditions by making use of the benefits and obligations of being part of a clan system. This clan system functions as a safety-net in times of need, but also expects from all its members to contribute and give back to the community when circumstances are better (interviews). The Somalis I managed to interview about their self-reliance in Addis Ababa would refer to it as continuing life, but in new circumstances. These new circumstances push them to make decisions they would otherwise not have had to make, but it also provides them with (livelihood) opportunities they would otherwise perhaps not have been provided with. ‘It is not life as we knew it’, Khadra explains when I asked her about how she pursues self-reliance and what was different now she lives in Ethiopia. She did not own a small business back home and neither did her parents. Her situation pushed her to make use of the opportunity to open a small fabric shop in Addis, but if she had gotten the same opportunity back home, she would have probably done it as well. The biggest difference, according to her, is that back home, relying on the clan system was something that happened more naturally, whereas in Addis Ababa it is something each person has to actively pursue. The same goes for their individual (informal) economic activities, back home they could often more easily follow in the footsteps of their parents or relatives, whereas now, they have to actively seek possible opportunities to make a living and be able to financially contribute to the family (Khadra, 2018).” (Ten Holder, 6. Jänner 2019, S. 28)

„Like Cabdi and Ayuub (chapter 5, p. 39), many Somalis living in Addis Ababa came to the city because of the business opportunities it offers compared to others cities in Ethiopia and because they had a relative that already lived and worked there. Even if they did not have a direct relative they could turn to upon arrival, they could be put in touch with another Somali that could help them settle down. This is all based on the age-old clan system, discussed earlier. Uncles, brothers, cousins and friends help each other out and enable each other in their migrations and trading or other types of business.” (Ten Holder, 6. Jänner 2019, S. 48)

„The successfulness of the businesses that are set up in Bole Mikael is clearly linked to the fact that Somalis benefit from being embedded in their social networks consisting of either specifically clan affiliation or more generally speaking of co-ethnics or co-religionists, in a country and a city in which they are the minority. As shown before, these networks are the ones that enable them to start a business in the first place, but also generate customers, employees and capital (Kloosterman, Van der Leun and Rath, 2010).” (Ten Holder, 6. Jänner 2019, S. 51)



[1] Die aktuellsten Zahlen zur Verteilung verschiedener ethnischer Gruppen in Äthiopien stammen vom National Population and Housing Census aus dem Jahr 2007, der von der Central Statistical Agency (CSA) durchgeführt wurde. Laut den von der CSA erhobenen Daten lebten im Jahr 2007 von insgesamt 4,6 Millionen Somalis in Äthiopien 4,3 Millionen in der Somali Region (CSA, 2007, S. 80). Eine größere Gruppe ethnischer Somalis außerhalb der Somali Region findet sich laut Volkszählung 2007 in Dire Dawa, wo ca. 25 Prozent der Bevölkerung als ethnische Somalis gezählt wurden (CSA, 2007, S. 88), in der Region Harar lebten mit 3,9% 7.125 äthiopische und somalische Somalis (CSA, 2007, S. 85-86). In Addis Abeba wurden 2007 nur 15.299 ethnische Somali gezählt, davon waren 5.695 äthiopische und 9.604 somalische Somalis (CSA, 2007, S. 87).

[2] Die Somali Microfinance Institution vergibt zinsenfreie Kredite an Kleinunternehmen oder zum Zweck der Unternehmensgründung (Somali Microfinance Institution, ohne Datum).

[3] Im Laufe des Gesprächs mit ACCORD am 10. Dezember 2020 erklärte der Experte für die Region Horn von Afrika zur somalischen Gesellschaft unter anderem, dass die Somalis entgegen ihrer Wahrnehmung kein einheitliches Volk seien. Einerseits gebe es die Samale, das klassische Hirtenvolk, das das Clansystem ausgebildet habe. Sie würden im Zentrum und Norden Somalias, im äthiopischen Teil von Somalia und in Kenia leben. Die Großklanfamilien Dir, Isaq, Darod und Hawiye würden die Samale bilden. Viele ihrer Angehörigen seien heute keine Pastoralisten mehr. Teilweise seien sie sesshafte Ackerbauern, einige seit Jahrhunderten, andere erst seit den letzten Dekaden. Viele würden heute auch in Städten leben. Den Samale gegenüberstehen würden die Sab Somali, Ackerbauern, die auch Abstammungsgemeinschaften hätten, aber kein Clansystem in der Arte der Samale. Die Sab würden traditioneller Weise zwischen den Flüssen Shebelle und Juba in Somalia, zu einem kleinen Teil auch in Äthiopien leben. (Experte, 10. Dezember 2020)