Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lokale Sicherheits- und Versorgungslage der Stadt Masar-e Scharif und Umgebung: Sicherheitslage in den einzelnen Vierteln bzw. der Peripherie; Wohnregionen mit den meisten Binnenvertriebenen, RückkehrerInnen; Unterscheidungen hinsichtlich der Volksgruppenzugehörigkeit; sichere Erreichbarkeit der Innenstadt auf dem Landweg (insbesondere vom Flughafen bzw. den informellen Siedlungen außerhalb der Stadt aus); Besonderheiten aufgrund der Corona-Pandemie [a-11210-2 (11211)]

30. April 2020

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Ältere Informationen zur wirtschaftlichen Situation, Versorgungs- und Sicherheitslage in der Stadt Herat und Umgebung finden sich im ACCORD-Bericht vom Dezember 2018, der unter diesem Link abgerufen werden kann:

·      ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Afghanistan: Entwicklung der wirtschaftlichen Situation, der Versorgungs- und Sicherheitslage in Herat, Mazar-e Sharif (Provinz Balkh) und Kabul 2010-2018, 7. Dezember 2018
https://www.ecoi.net/en/file/local/2001546/Afghanistan_Versorgungslage+und+Sicherheitslage_2010+bis+2018.pdf

Allgemeine Sicherheitslage in Masar-e Scharif und Umgebung

Das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (European Asylum Support Office, EASO), eine Agentur der Europäischen Union zur Förderung der praktischen Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten im Asylbereich, schreibt in einem Bericht vom Juni 2019 unter Verweis auf verschiedene Quellen Folgendes zur Sicherheitslage in der Provinz Balch und deren Hauptstadt Masar-e Scharif: Balch sei früher eine der vergleichsweise ruhigeren Provinzen im Norden Afghanistans gewesen, was vor allem auf das Machtmonopol des ehemaligen Warlords Atta Mohammed Noor zurückzuführen sei, der später Gouverneur von Balch gewesen sei. Im Dezember 2017 sei Noor nach einer machtpolitischen Konfrontation zwischen ihm und Präsident Aschraf Ghani zurückgetreten, was Befürchtungen geweckt habe, dass dies die Sicherheitslage in der Provinz beeinträchtigen könnte. Den Spannungen zwischen dem Präsidenten und Noor sei eine verstärkte Präsenz bewaffneter Männer in Masar-e Scharif gefolgt, die angeblich Verbindungen zu politischen Parteien und Parlamentsmitgliedern pflegen würden. In weiterer Folge hätten kriminelle Aktivitäten wie bewaffnete Raubüberfälle, Morde, Kampfhandlungen und Entführungen in der Hauptstadt Balchs zugenommen. Unter Verweis auf einen Artikel von Radio Farda, dem über den Iran berichtenden Zweig von Radio Free Europe/Radio Liberty, vom März 2018 schreibt EASO, dass Balch "eine der stabilsten Provinzen Afghanistans" sei. Allerdings, so hält EASO weiters fest, seien in der Provinz regierungsfeindliche Elemente aktiv, und 2018 und Anfang 2019 seien mehrere Sicherheitsvorfälle gemeldet worden. Taliban-Kämpfer hätten im Laufe des Jahres 2018 und Anfang 2019 Mitarbeiter der afghanischen Lokalpolizei (Afghan Local Police, ALP), Mitglieder regierungsfreundlicher Milizen und Sicherheitsposten in den Distrikten Scholgareh, Charbolak, Chemtal und Dawlatabad angegriffen. Die afghanischen nationalen Sicherheitskräfte (Afghan National Security Forces, ANSF) hätten mehrere Räumungsoperationen in Balch durchgeführt. Darüber hinaus habe die US-Luftwaffe im April 2018 einen Luftangriff im Distrikt Charbolak durchgeführt:

„According to RFE/RL [Radio Free Europe/Radio Liberty], Balkh used to be one of the relatively calm provinces of northern Afghanistan, largely due to a monopoly on power by the former warlord Atta Mohammed Noor, who later became governor of Balkh. In December 2017, Noor resigned after a stand-off with President Ashraf Ghani, sparking fears that this would impair the security situation in the province. According to Afghan news-portals Tolonews and Pajhwok Afghan News, the tensions between the president and Noor were followed by an increased presence of armed men in Mazar-e Sharif, which allegedly had links to political parties and members of parliament. Subsequently, criminal activities such as armed robberies, murder, clashes, and kidnapping increased in Balkh´s capital. While Balkh is reportedly [according to Radio Farda, March 2018] ‘one of Afghanistan´s most stable provinces‘, anti-government elements are active in the province and several security incidents have been reported in 2018 and early 2019. Taliban fighters attacked Afghan Local Police (ALP) personnel, members of pro-government militias, and security posts in the districts of Sholgareh, Chahrbulak, Chemtal, and Dawlatabad throughout 2018 and early 2019. The Afghan National Security Forces (ANSF) conducted several clearing operations in Balkh. Furthermore, the US air-force carried out an airstrike in Charbulak district in April 2018.” (EASO, Juni 2019, S. 97-98)

Im Folgenden findet sich zu Übersichtszwecken eine Karte, in der die Distrikte der Provinz Balch eingezeichnet sind. Etwa in der Mitte findet sich der Distrikt Masare-e Scharif (Nr. 8), der an die Distrikte Nahr-e Schahi (Nr. 4) und Dihdadi (Nr. 9) grenzt:

[Bild entfernt] (GADM, ohne Datum)

Das kanadische Sicherheitsunternehmen Garda World hält in einem Bericht vom Jänner 2020 fest, dass es in den Wochen vor der Veröffentlichung des Berichts in der Provinz Balch und dem Nordwesten des Landes zu einem Anstieg aufständischer Aktivitäten gekommen sei. Alleine im Zeitraum 4. bis 11. Jänner 2020 hätten dort 46 Vorfälle stattgefunden:

„Increased militant activity has been reported across Balkh province and the northwestern regions over the past weeks, with over 46 incidents recorded between January 4 and January 11, 2020. Taliban and Islamic State (IS) militants launch attacks on government personnel, security forces, and civilians in Afghanistan on a near-daily basis.” (Garda World, 14. Jänner 2020)

In einer telefonischen Auskunft vom März 2020 gibt eine Ansprechperson der Zweigstelle des Flüchtlingshochkommissariats der Vereinten Nationen (UN High Commissioner for Refugees, UNHCR) in Masar-e Scharif an, dass die afghanischen Sicherheitskräfte in der Provinz Balch häufig Räumungsoperationen durchführen würden. Solche Räumungsoperationen würden monatlich oder alle zwei Monate stattfinden, zwischen 2010 und 2018 habe es hunderte von militärischen Operationen gegeben. Derzeit, also mit Stand März 2020, ziele die laufende Räumungsoperation der afghanischen Sicherheitskräfte auf die Präsenz der regierungsfeindlichen Elemente in den Dörfern in der Nähe der Hauptstraße von Masar-e Scharif ab, die die einzige Verbindung zwischen der Stadt und den anderen Provinzen sei. Bezüglich der Vorgehensweise der regierungsfeindlichen Kräfte gebe es einen neuen Trend. In den Jahren 2016 und 2017 hätten sie die erwähnten Gebiete zwar im Frühjahr und Sommer kontrolliert, hätten ihre Präsenz im Bezirk Chimtal der Provinz Balch jedoch in der Regel während der Winterperiode aufgegeben. Nun aber würden sie ihr Bestes tun, um das zuvor gewonnene Kontrollgebiet in der Nähe von Masar-e Scharif aufrechtzuerhalten. Es werde erwartet, dass es eine Zunahme der militärischen Operationen der afghanischen Sicherheitskräfte und der Mission „Resolute Support“ (NATO-Mission zur Ausbildung und Beratung sowie Unterstützung der afghanischen Sicherheitskräfte, Anm. ACCORD) in der nördlichen Region Afghanistans geben werde. (UNHCR Masar-e Scharif, 5. März 2020)

Auf einer interaktiven Karte des Long War Journals, einer US-amerikanischen Nachrichtenwebsite, die nach eigenen Angaben über den „globalen Krieg gegen den Terrorismus“ berichtet, finden sich Informationen zu den Kontrollgebieten in Afghanistan. Aus der Karte (Zugriff im April 2020) geht hervor, dass drei Distrikte der Provinz Balch vom Long War Journal als umkämpft klassifiziert werden, nämlich Chahar Bolak, Sari und Chimtal (Chimtal liegt etwa 15 bis 20 km vom Distrikt Masar-e Scharif entfernt[1], Anm. ACCORD) und ein weiterer, Dawlatabad (etwa 20 km vom Distrikt Masar-e Scharif entfernt[2], Anm. ACCORD) gelte als „von den Taliban kontrolliert“. Die übrigen Distrikte Balchs werden vom Long War Journal als „unter Regierungskontrolle befindlich, oder nicht zuordenbar“ klassifiziert. Daraus ergibt sich, dass der Distrikt Masar-e Scharif und die an diesen unmittelbar angrenzenden Distrikte Nahri Schahi und Dihdadi[3] aus Sicht des Long War Journals nicht umkämpft oder von den Taliban kontrolliert seien (Long War Journal, ohne Datum).

Der offizielle staatliche Auslandssender der USA, Voice of America (VOA) berichtet im März 2019 über bewaffnete Zusammenstöße in Masar-e Scharif. Der Vorfall habe sich ereignet, nachdem der Provinz-Polizeichef von Balch gekündigt worden sei. Der afghanische Präsident Aschraf Ghani hatte unter dem Hinweis auf die sich verschlechternde Sicherheitslage in der Provinz einen neuen Polizeichef ernannt. EinwohnerInnen von Masar-e-Scharif hätten angegeben, dass bei den „sporadischen Zusammenstößen“ zwischen den Befürwortern und den Gegnern des alten Polizeichefs beide Seiten leichte und schwere Waffen eingesetzt hätten. Ein Angestellter des städtischen Krankenhauses habe gegenüber VOA bestätigt, dass sie mindestens sieben bei den Zusammenstößen verletzte Personen, darunter fünf ZivilistInnen, behandelt hätten:

„The dismissal of a provincial police chief in northern Afghanistan triggered armed clashes Thursday between his loyalists and national security forces, in another challenge facing the beleaguered Afghan government. The crisis erupted Wednesday evening when President Ashraf Ghani appointed Abdul Raqib Mubariz as the new chief of the Balkh province, citing a ‘worsening security situation’ there. But the ousted police chief, Akram Sami, refused to step down in defiance of the presidential decree and his loyalists took up positions in parts of the provincial capital of Mazar-e-Sharif to resist the move. The new provincial police head, accompanied by special security forces, arrived in the city Thursday morning to assume control of the city before gunfire erupted. Residents in Mazar-e-Sharif said both sides used light and heavy weapons in ‘sporadic clashes.’ A city hospital official confirmed to VOA they are treating at least seven people injured in the clashes, including five civilians.” (VOA, 14. März 2019)

Das Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED) ist ein Projekt der gleichnamigen US-amerikanischen Nichtregierungsorganisation zur Sammlung, Analyse und Kartierung von sicherheitsrelevanten Vorfällen. ACLED dokumentiert mit Stand 17. Februar 2020 für das Jahr 2019 in der Provinz Balch 616 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 1.826 dabei Getöteten (zivile und nicht zivile Opfer). Im Vergleich dazu wurden für das Jahr davor 321 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 742 Getöteten dokumentiert. Für die Stadt Masar-e Scharif dokumentiert ACLED im Jahr 2019 17 Vorfälle mit 23 Getöteten, für das Vorjahr 2018 dokumentiert ACLED 8 Vorfälle mit 17 Getöteten. (ACLED, 17. Februar 2020)

ACLED dokumentiert für den von ACCORD beispielhaft gewählten Zeitraum Oktober 2019 bis Februar 2020 unter Verweis auf verschiedene Quellen folgende sicherheitsrelevanten Vorfälle für den Distrikt Masar-e Scharif: Am 14. Jänner 2020 seien im Polizeibezirk 9 Masar-e Scharifs bei der Explosion einer Bombe, die von einer nicht identifizierten bewaffneten Gruppe platziert worden sei, zwei Kinder getötet worden. Sieben weitere ZivilistInnen, sowie der Leibwächter des Gouverneurs seien bei einer weiteren Explosion verletzt worden, als diese am Schauplatz angekommen seien. Am 4. Jänner 2020 sei im zehnten Polizeibezirk der Stadt Masar-e Scharif bei einer Explosion ein Zivilist getötet und zwei bis drei weitere seien verletzt worden. Wer die Bombe gelegt habe sei ungeklärt. Am 17. Dezember 2019 seien bei der Detonation einer in der Stadt Masar-e Scharif platzierten Bombe, die von einer nichtidentifizierten bewaffneten Gruppe platziert worden sei, elf ZivilistInnen, sechs Polizisten sowie ein Soldat verletzt worden. Am 14. Dezember 2019 seien afghanische Polizeikräfte im Zentrum der Stadt mit bewaffneten Anhängern des Milizkommandanten Nizamuddin Qaisari zusammengestoßen, einer Schlüsselfigur der Partei Junbish-i-Milli Islami, als sie versucht hätten, diesen zu verhaften. Zehn Kämpfer seien getötet, 45 weitere verhaftet worden. Qaisari sei entkommen. Am 13. Oktober 2019 hätten nicht identifizierte bewaffnete Männer im Polizeibezirk 4 der Stadt Masar-e Scharif einen religiösen Gelehrten erschossen. (ACLED, 31. März 2019)

Informationen zu älteren Vorfällen finden sich im Themendossier zur Sicherheitslage und sozioökonomischen Lage in Herat und Masar-e Scharif:

·      ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: ecoi.net-Themendossier zu Afghanistan: Sicherheitslage und sozioökonomische Lage in Herat und Masar-e Scharif, 15. Jänner 2020
https://www.ecoi.net/de/dokument/2022798.html

Das norwegische Herkunftsländerinformationszentrum Landinfo ist ein unabhängiges Organ der norwegischen Migrationsbehörden, das verschiedenen AkteurInnen innerhalb der Migrationsbehörden Herkunftsländerinformationen zur Verfügung stellt. In einem Bericht zur Sicherheitslage in der Provinz Balch vom April 2020 finden sich unter Verweis auf verschiedene, zum Teil anonyme Quellen die folgenden Informationen zu Masar-e Scharif: Die Stadt sei nicht so stark von konfliktbedingter Gewalt betroffen wie andere Großstädte in Afghanistan. Afghanische Sicherheitskräfte seien in der Stadt und den umliegenden Gebieten stark präsent, und das Camp Marmal, ein Militärlager der NATO (North Atlantic Treaty Organization), sei etwa zehn Kilometer von der Stadt entfernt. In unmittelbarer Nähe zum Camp Marmal liege der internationale Flughafen von Masar-e Scharif. Für die afghanischen Behörden sei es von großer Bedeutung, sowohl in der Stadt als auch in den Gebieten um den Flughafen ein hohes Maß an Sicherheit zu gewährleisten. Die von Landinfo befragten Quellen seien jedoch der Meinung, dass sich die Sicherheitslage in der Stadt 2019 im Vergleich zu 2018 verschlechtert habe. Die befragten Quellen hätten aber den Eindruck, dass in der Stadt die für die Zivilbevölkerung existierenden Sicherheitsprobleme weniger mit konfliktbedingter Gewalt, sondern hauptsächlich mit Kriminalität zusammenhängen würden.

Laut dem Bericht sei die Anwendung von unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen die am häufigsten vorkommende Form des gewalttätigen Widerstandes in der Stadt:

„Byen er ikke i like stor grad rammet av konfliktrelatert vold som andre store byer i Afghanistan. Afghanske sikkerhetsstyrker har stor tilstedeværelse i byen og i omkringliggende områder, og som tidligere nevnt ligger NATOs [North Atlantic Treaty Organization] militærleir, Camp Marmal, om lag ti kilometer fra byen. Nærmest vegg-i-vegg med Camp Marmal, ligger også den internasjonale flyplassen Mazar-e Sharif International Airport, kjent som Mawlānā Jalāl ad-Dīn Muhammad Balkhī International Airport. Flyplassen har flere internasjonale ruter, blant annet til Tyrkia, Iran, Pakistan og India. Det er svært viktig for afghanske myndigheter å ha høy sikkerhet og beredskap både i byen og områdene rundt flyplassen. Kildene mente likevel at sikkerhetssituasjonen i byen ble forverret i 2019 sammenliknet med 2018. Kildene var imidlertid tydelige på at sikkerhetsproblemene for sivilbefolkningen i byen i liten grad er knyttet til konfliktrelatert vold, men i all hovedsak omhandler kriminalitet. […] Den hyppigste benyttede opprørsmetoden i Mazar-e Sharif er bruk av IEDer («Improvised Explosive Devices»).” (Landinfo, 6. April 2020, S. 13)

Zur Präsenz der Taliban hält Landinfo im Bericht vom April 2020 fest, dass es vermutlich eine gewisse Präsenz der Taliban in der Stadt gebe, dass sie jedoch nicht als solche erkennbar seien. Die Taliban hätten in der Stadt wenig Rückhalt, was vermutlich der Grund dafür sei, dass sie dort nur kleinere Anschläge durchführen würden. Solche kleineren Anschläge seien relativ einfach zu bewerkstelligen, da es dafür nicht größerer Mengen an Sprengstoff oder viel Planung und Koordination bedürfe:

Taliban har ingen synlig tilstedeværelse i Mazar-e Sharif. Dette var alle kildene samstemte om. Hvilken faktisk tilstedeværelse Taliban har i byen, er vanskelig å vite. En kilde (NGO C, møte i Balkh oktober 2019) mente at Taliban sannsynligvis har en viss tilstedeværelse, men den er verken synlig eller åpenbar. «They come and see and then go», uttalte kilden, og pekte på at det er relativt enkelt for en talibaner som ikke er ikledd hodetørkle, men kledd som majoriteten av innbyggerne i byen, å bevege seg rundt uten å vekke oppmerksomhet. Landinfos kilder var også enige om at Taliban generelt ikke har støtte i befolkningen i Mazar- Sharif. Det er heller ingen i byen som skattlegges av Taliban. Manglende støtte er sannsynligvis en av grunnene til at Taliban kun utfører småskala-angrep i byen. Slike angrep er relativt enkle å gjennomføre, siden de verken fordrer store mengder sprengstoff eller mye planlegging og koordinering (NGO A, møte i Balkh oktober 2019).“ (Landinfo, 6. April 2020, S. 15)

Weiters findet sich im Landinfo-Bericht die Information, dass die politische Lage in Masar-e Scharif komplex sei, und dass dort verschiedene bewaffnete Gruppen und Milizen aktiv seien. Die Sicherheit der Stadt sei abhängig von den Handlungen von Mitgliedern der lokalen Regierung, die sich mit bewaffneten Männern umgeben würden. Es sei nicht unüblich, dass es zu Spannungen zwischen verschiedenen lokalen Behörden komme, und manchmal würden diese zu sicherheitsrelevanten Vorfällen führen:

„Det er et komplisert politisk og sikkerhetsmessig miljø i byen, og flere ulike væpnede fraksjoner og militser er aktive. Sikkerheten i byen er, som tidligere nevnt, knyttet til handlinger begått av lokale maktpersoner som omgir seg med væpnede menn.“ (Landinfo, 6. April 2020, S. 15)

Sicherheitslage auf dem Weg vom Flughafen ins Stadtinnere

Laut Angaben von UNHCR Masar-e Scharif vom März 2020 sei die Fahrt vom Flughafen in die Stadt im Allgemeinen möglich und nicht bedenklich. Rückkehrende, die per Flugzeug nach Masar-e Scharif kommen würden, würden vom Flughafen üblicherweise mit dem Taxi in die Stadt fahren. Die Menschen würden allerdings vorsichtshalber nicht nach Einbruch der Dunkelheit draußen unterwegs sein. Nach Einbruch der Dunkelheit würden sich draußen kriminelle Banden herumtreiben, man könne verprügelt werden, und es gebe Fälle von Diebstahl und sogar Entführungen. Dies sei nicht nur etwas, das auf dem Weg zwischen dem Flughafen und der Stadt ständig passiere, sondern ein Phänomen, das überall in der Gegend, auch innerhalb der Stadt, auftrete und ein generelles Problem darstelle. (UNHCR Masar-e Scharif, 5. März 2020)

Das Norwegian Refugee Council (NRC) ist eine unabhängige, humanitäre, gemeinnützige Nichtregierungsorganisation, die Flüchtlingen und IDPs auf der ganzen Welt Unterstützung, Schutz und dauerhafte Lösungen anbietet. In einer Email-Auskunft vom April 2020 schreibt NRC Masar-e Scharif, dass die vom Flughafen Masar-e Scharif in die Stadt führende Straße relativ sicher sei und regelmäßiger Verkehr möglich sei. Allerdings sei die Lage nicht vorhersehbar und „Kollateralschäden“ durch improvisierte Sprengsätze am Straßenrand seien weiterhin möglich:

„The road from the Mazar Airport to the city is relatively safe and permissive for regular commute, though it is of course unpredictable and collateral damage from road side improvised explosive devices remains a possibility.” (NRC Masar-e Scharif, 26. April 2020)

In einer telefonischen Auskunft vom April 2020 hält die deutsche Afghanistan-Expertin Friederike Stahlmann (Universität Bern) fest, dass aus Europa Zurückkehrende für den Weg vom jeweiligen Flughafen in die Stadt hinein häufig Taxis benutzen würden. Von ihnen werde dabei für die Fahrt häufig das bis zu fünffache des normalen Preises verlangt. Rückkehrenden aus Pakistan oder Iran passiere derartiges eher nicht, die Fahrer würden am Äußeren des Fahrgastes (etwa an der Kleidung) erkennen, dass es sich um einen aus Europa Zurückkehrenden handle und würden dadurch vermuten, dass die Person „wohlhabender“ sei. Viele Rückkehrende würden für ihre Fahrt vom Flughafen in die Stadt informelle Taxis benutzen, deren Fahrer nicht selten mit Verbrecherbanden kooperieren würden. Das Reisen auch innerhalb der Städte sei in Afghanistan generell gefährlich. Ausgeraubt und angegriffen zu werden stelle eine große Gefahr dar. (Stahlmann, 3. April 2020)

Es konnten keine weiteren Informationen zur Sicherheitslage auf der Straße zwischen dem Flughafen und dem Stadtinneren gefunden werden.

Kriminalität in Masar-e Scharif

Pajhwok Afghan News (PAN) schreibt in einem Artikel vom September 2018, dass die Bewohner von Masar-e Scharif von zunehmenden Fällen von Mord und Diebstahl beunruhigt seien. Dies habe auch die Wirtschaft stark in Mitleidenschaft gezogen. Die BewohnerInnen hätten angegeben, dass sie zunehmend besorgt über die Unsicherheit in der Stadt seien und dass sie unter Spannung seien, wenn Familienmitglieder draußen unterwegs seien:

„Growing incidents of murder and theft have worried the residents of Mazar-i-Sharif, the capital of northern Balkh province, and have badly affected businesses. The residents say their worries regarding insecurity in the city have increased and they remain in tension until family members reach home safely after going outdoors.” (PAN, 4. September 2018)

Die englischsprachige Tageszeitung Arab News mit Sitz in Saudi Arabien hält in einem Artikel vom Jänner 2020 fest, dass im Jahr 2019 tausende Fälle von Straßen- und Hausüberfällen in den Städten Kabul, Herat und Masar-e Scharif gemeldet worden seien. Afzal Hadid, der Vorsitzende des Provinzrats in Balch, habe gegenüber Journalisten angegeben, dass in Masar-e Scharif allein in den vergangenen sechs Monaten 93 Fälle von Morden im Zusammenhang mit Raubüberfällen aufgetreten seien:

„Thousands of roadside and home robbery cases were reported in Kabul and two of the country’s more secure big cities — Herat and Mazar-i-Sharif — last year. […] Afzal Hadid, head of the provincial council in Balkh, of which Mazar-i-Sharif is the capital, told reporters that ‘93 cases of murders related to robberies have occurred in Mazar in the past six months alone.’” (Arab News, 11. Jänner 2020)

Laut telefonischer Auskunft von UNHCR Masar-e Scharif vom März 2020 würden sich in Masar-e Scharif die verschiedenen organisierten kriminellen Gruppen hauptsächlich auf Grundlage ihrer ethnischen Identität bilden oder seien einem bestimmten Gebiet zugehörig, das sie als ihr Aktionsgebiet betrachten würden. Es sei sowohl schwierig, einzuschätzen, wie groß und einflussreich diese Gruppen seien, als auch einzuschätzen, welche Absichten sie hätten, da sie sich jeweils aus verschiedenen Untergruppen zusammensetzen würden, sie keine einheitliche Kommandostruktur hätten, äußerst flexibel bezüglich ihrer Loyalitäten seien und ein sprunghaftes Verhalten an den Tag legen würden. Sie seien in der Regel mit Kleinwaffen ausgestattet und in der Lage, bewaffnete Raubüberfälle, Autodiebstähle und Entführungen durchzuführen, indem sie etwa illegale Checkpoints auf der Straße errichten würden. Allerdings seien sie in ihrer Kapazität auf einzelne bzw. kleinere Operationen beschränkt. Auch seien diese Gruppen bislang in keine hochkarätigen Angriffe oder Anschläge verwickelt gewesen. Kriminelle Vorfälle hätten in Masar-e Scharif seit dem letzten Jahr zugenommen. Sie würden ein breites Spektrum von Straftaten umfassen, darunter Hauseinbrüche, Einbrüche in unbeaufsichtigte Fahrzeuge, Raubüberfälle, bewaffnete Raubüberfälle sowie Tötungsversuche aus persönlichen oder ethnisch bedingten Gründen. Auch von Drogenabhängigen begangene Bagatelldelikte seien in Masar-e Scharif übliche Vorkommnisse. UNHCR Masar-e Scharif hält weiters fest, im Vergleich zum letzten Jahr zu einem Anstieg der Kriminalitätsrate gekommen sei. Laut UNHCR Masar-e Scharif würden keine spezifischen Informationen zur Kriminalitätsrate in IDP-Siedlungen vorliegen. (UNHCR Masar-e Scharif, 5. März 2020)

Laut dem bereits erwähnten Bericht von Landinfo vom April 2020 gebe es keine offiziellen Kriminalitätsstatistiken für Masar-e Scharif, und es sei generell schwierig Informationen zum Ausmaß der Kriminalität zu finden. Alle Auskunftspersonen, mit denen Landinfo Gespräche geführt habe, seien sich einig darin gewesen, dass die Kriminalität eine Herausforderung für die Menschen in Masar-e Scharif darstelle. Die Mehrheit der Auskunftspersonen sei der Ansicht, dass die Kriminalität in den letzten Jahren zugenommen habe:

Det foreligger ikke offisiell kriminalstatistikk for Mazar-e Sharif, og det er generelt vanskelig å finne kildeforanket informasjon om omfanget av kriminalitet. Alle kildene Landinfo hadde møter med var tydelige på at kriminalitet er en utfordring for befolkningen i Mazar-e Sharif, og majoriteten av kildene hadde en oppfatning om at kriminaliteten hadde steget de siste årene.“ (Landinfo, 6. April 2020, S. 16)

Allgemeine Situation für Binnenvertriebene und RückkehrerInnen in unterschiedlichen Gebieten in und um Masar-e Scharif

Laut Angaben von UNHCR Masar-e Scharif vom März 2020 habe es in und um Masar-e Scharif in den letzten Monaten und Jahren in Hinblick auf RückkehrerInnen und Binnenvertriebene (internally displaced persons, IDPs) zwei große Entwicklungen gegeben: Der Umfang der von verschiedenen Organisationen geleisteten Unterstützung habe zugenommen. Gleichzeitig sei jedoch die Zahl der RückkehrerInnen und IDPs weiter gestiegen, was den positiven Auswirkungen der zusätzlichen Unterstützung entgegenwirke. Die in der Stadt Masar-e Scharif und Umgebung befindlichen Orte, an denen die Mehrheit der IDPs und RückkehrerInnen letztlich lande, könne man laut UNHCR grob in drei Kategorien[4] einteilen: Die erste Kategorie sei das Stadtzentrum, wo die Lebenshaltungskosten vergleichsweise hoch seien. In der zweiten Kategorie befänden sich längerfristige und dauerhafte Siedlungen bzw. Stätten („sites“) darstellen, also solche, die schon länger bestehen und sich in den Vororten oder am Stadtrand befinden würden. Dort könne man ein gewisses Maß an Infrastruktur vorfinden, und humanitäre Organisationen würden dort ein gewisses Ausmaß an Unterstützung anbieten. Auch gebe es einen gewissen Zugang zu soliden Unterkünften, Bildung und medizinischer Versorgung. Die beiden größten längerfristigen Siedlungen bzw. Stätten seien das Sakhi-Camp (20 km nordöstlich der Stadt), Qalen Bafan (im westlichen Teil von Mazar-e Scharif[5], Anm. ACCORD), sowie Zabihullah (etwa 20 km südöstlich der Stadt). Die dritte Kategorie von Gebieten würden jene Siedlungen oder Stätten darstellen, die erst vor kürzerer Zeit und aufgrund der anhaltenden und zunehmenden Vertreibung entstanden seien. Diese Siedlungen, die in der Regel von der Regierung nicht anerkannt seien, würden sich häufig auf Landstrichen mit unklaren Eigentumsverhältnissen befinden. In diesen neueren Siedlungen würden viele Menschen in Zelten leben, oft unter prekären Bedingungen und mit stark eingeschränktem Zugang zu humanitärer Hilfe. Es mangle dort an Wasser, Strom und sozialen Einrichtungen. Im Prinzip sei die Situation hinsichtlich des Zugangs zu Bildung, Gesundheitsversorgung, Wasser und anderen Dienstleistungen umso schlimmer, je weiter außerhalb der Stadt jemand lebe, wobei die Situation in den informellen Siedlungen bzw. Stätten am schlimmsten sei. Ob allerdings die Situation in der Innenstadt besser sei, hänge von den individuellen - insbesondere finanziellen - Umständen eines Binnenvertriebenen oder Rückkehrers ab.

UNHCR Masar-e Scharif hält weiters fest, dass nach Masar-e Scharif kommende RückkehrerInnen und IDPs in der Regel nicht die Möglichkeit hätten, zu entscheiden, in welcher der drei oben genannten Kategorien von Orten sie sich niederlassen möchten, sondern sie würden sich an jenen Orten niederlassen, die für die jeweilige Gruppe „üblich seien“ oder zu denen sie Zugang hätten. Wenn sie keine sozialen Netzwerke in der Stadt hätten, würden sie von einem Ort zum nächsten ziehen und letztlich dort bleiben, wo auch immer es ihnen möglich sei zu bleiben. RückkehrerInnen aus dem Iran oder Pakistan beispielsweise würden häufig in Gruppen kommen und würden kaum eine andere Wahl haben als sich an Orten niederzulassen, wo bereits andere iranische oder pakistanische RückkehrerInnen oder Menschen aus demselben Herkunftsort, möglicherweise Verwandte, leben würden. Bei vielen IDPs und RückkehrerInnen sei es auch so, dass sie eigentlich nur einen vorübergehenden Aufenthalt in Masar-e Scharif planen würden und längerfristig versuchen würden, nach Kabul zu gelangen, in der Hoffnung, dort bessere Jobchancen vorzufinden. Die RückkehrerInnen aus Europa würden üblicherweise nicht in Gruppen kommen, sondern eher einzeln und seien häufig vom Rest der Gesellschaft isoliert. Insbesondere jene RückkehrerInnen, die kein soziales Netzwerk in der Stadt hätten, und auch diejenigen, die nicht als Teil einer Gruppe ankommen würden, würden höchstwahrscheinlich zuerst in die Innenstadt gehen und dort eine Wohnung mieten, einfach deshalb, weil sie keine Verbindungen zu den Menschen in den verschiedenen IDP- und RückkehrerInnen-Siedlungen hätten. Wie solche RückkehrerInnen dann in der Stadt zurechtkommen, hänge stark von den individuellen Umständen ab, von Geschlecht, Alter, beruflicher Qualifikation, finanzieller Situation, Glück und vielen anderen Faktoren. Die Arbeitssuche in der Stadt sei sehr schwierig, da eine große Anzahl an Menschen aus verschiedensten Regionen nach Masar-e Scharif kommen würden, die alle ebenfalls auf Arbeitssuche seien. Es komme oft vor, dass solchen Personen dann das Geld ausgehe, nachdem sie einige Monate in einer Wohnung in der Stadt gelebt hätten. So würden viele RückkehrerInnen dann in weiterer Folge in einem Zelt in einer der oben genannten Siedlungen oder Stätten landen. (UNHCR Masar-e Scharif, 5. März 2020)

In der telefonischen Auskunft vom April 2020 hält Friederike Stahlmann fest, dass aus Europa in eine der Städte Afghanistans, darunter Kabul, Herat oder Masar-e Scharif, zurückkehrende Personen, die in diesen Städten keine Familie hätten, die sie aufnehmen würden, meist von Teehaus zu Teehaus irren würden. Einige hätten vielleicht genügend finanzielle Mittel, um in der Stadt eine Wohnung mieten zu können, doch das würde schon soziale Referenzen voraussetzen. Andere würden unter einer Brücke schlafen. Aus Europa Zurückkehrenden sei es so gut wie nicht möglich in einer der informellen Siedlungen Unterschlupf zu finden oder sich dort ein Zelt aufzustellen, wenn sie dort keine Familien hätten, die bereit seien, sie aufzunehmen. Dass dies Familien, die in informellen Siedlungen leben würden, möglich sei, sei jedoch schon aufgrund der beengten Verhältnisse sehr unwahrscheinlich. Die informellen Siedlungen hätten nichts mit Flüchtlingslagern gemein, in denen für die EinwohnerInnen gesorgt würde. Es handle sich um Siedlungen, in denen es vonseiten Hilfsorganisationen auf geringem Niveau Versuche gebe, die größten Missstände etwas zu lindern. Die Rückkehrenden aus Europa seien jedoch im Gegensatz zu anderen Rückkehrenden schon deshalb isoliert, weil ihr Aufenthalt in Europa aus Sicherheitsgründen nicht bekannt werden dürfe. (Stahlmann, 3. April 2020)

Im Folgenden findet sich ein Ausschnitt aus einer von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) im Juni 2019 veröffentlichten Karte der Provinz Balch, die in Grünschattierungen die Anzahl der in den jeweiligen Distrikten der Provinz befindlichen RückkehrerInnen und IDPs veranschaulicht. Die blauen und roten Punkte zeigen die Orte der RückkehrerInnen- und IDP-Siedlungen an sowie deren Größe (siehe Legende). Der Distrikt Masar-e Scharif ist dunkelgrün eingezeichnet und weist demnach mehr als 50.000 RückkehrerInnen oder IDPs auf, ebenso wie der Nachbardistrikt Nahr-e Schahi. Die RückkehrerInnen- und IDP-Siedlungen im Distrikt Masar-e Scharif befinden sich auf der Karte im Nordosten, Norden sowie im Süden und Südwesten des Distrikts, wobei zahlreiche Siedlungen laut Karte mehr als 5.000 EinwohnerInnen hätten, zwei Siedlungen sogar mehr als 10.000 (IOM, Juni 2019, S. 1):

[Bild entfernt] (IOM, Juni 2019, S. 1)

Eine weitere Karte von IOM aus dem Bericht vom Juni 2019 veranschaulicht die Anzahlen der aus dem Ausland zurückgekehrten Personen (siehe Legende). Im Distrikt Masar-e Scharif würden sich demnach zwischen 10 und 25 Tausend aus dem Ausland Zurückgekehrte befinden, ebenso wie im Nachbardistrikt Nahr-e Schahi. Die diesbezüglich größte Siedlung innerhalb des Distrikts Masar-e Scharif befinde sich laut Karte mit 2,5 bis 5 Tausend aus dem Ausland Zurückgekehrten im Nordosten Masar-e Scharifs (IOM, Juni 2019, S. 1):

[Bild entfernt] (IOM, Juni 2019, S. 2)

Ein Bericht der Internationalen Organisation für Migration (IOM) vom Juli 2019 enthält eine Liste mit jenen 25 Distrikten Afghanistans, die die größte Anzahl an IDPs und RückkehrerInnen beherberge. Auf Platz 15 der Liste liegt der Distrikt Masar-e Scharif mit 61.026 IDPs und 15.644 RückkehrerInnen. Laut dem Bericht seien die auf dieser Liste befindlichen Distrikte aufgrund des starken Zustroms von Rückkehrenden und IDPs potenziell anfällig für soziale Instabilität, die durch den großen Zustrom von Rückkehrern und Vertriebenen verursacht werde. Diese hätten dort nur begrenzten Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen und Lebensgrundlagen, was die Reintegrationsaussichten gefährde und sekundäre Vertreibung provoziere. Auch der benachbarte Distrikt Nahr-e Schahi scheint in der Liste auf (auf Platz 25), dieser beherberge (mit Stand 1. Juli 2019) 45.756 IDPs und 13.769 RückkehrerInnen (IOM, 1. Juli 2019, S. 6)

In einem Bericht der IOM vom 1. August 2019 zu IDPs und Rückkehrenden in der Provinz Balch (Beobachtungszeitraum Oktober-Dezember 2018) werden jene 20 Siedlungen der Provinz Balch aufgelistet, die am stärksten vom Zustrom von IDPs und Rückkehrenden betroffen seien. Diese 20 Siedlungen (drei Prozent der 600 von IOM begutachteten Siedlungen der Provinz Balch) würden 20 Prozent der in der Provinz Balch aufhältigen RückkehrerInnen und IDPs beherbergen. Durch den starken Zustrom und den darauffolgenden Wettbewerb um begrenzte und bereits überstrapazierte Ressourcen und Arbeitsmöglichkeiten seien diese IDP- und RückkehrerInnen-Siedlungen besonders fragil und empfindlich in Bezug auf soziale Instabilität.

The table below shows the 20 settlements in Balkh that are most affected by this influx. These 20 settlements (3% of the 600 settlements assessed in Balkh) host 20% of the province’s returnees and IDPs. These communities are especially fragile and susceptible to social instability induced by this large influx and the subsequent competition for limited, already overstretched resources and job opportunities.” (IOM, 1. August, S. 6)

Folgende 14 der aufgelisteten 20 Siedlungen würden sich in den Distrikten Masar-e Scharif und dessen Nachbardistrikt Nahr-e Schahi befinden. (In Klammer wird jeweils die Zahl der EinwohnerInnen dieser Siedlungen angegeben, Anm. ACCORD):

District Mazar-e Sharif: Ansari (1.188), Qubatul Islam (1.095), Shahrak Holya 2 (979), Shahrak Holya 1 (955)

District Nahr-e Shahi: Sajadia (9.928), Kamp Sakhi (3.087), Prozhe Shahzada (2.364), Chehl Dukhtaran Sufla (1.820), Noor Khoda (1.385), Noor Khoda Block 2 (1.195), Faqir Abad (1.194), Karte Wahdad (1.076), Karte Khurasan (1.075), Ali Abad (985) (IOM, 1. August 2019, S. 6)

In einem im Juni 2016 veröffentlichten Artikel von People in Need, einer tschechischen Nichtregierungsorganisation, die sich unter anderem in Afghanistan mit Hilfsprojekten engagiert, finden sich einige wenige Informationen zur oben erwähnten Siedlung Sajadia, die sich laut dem Artikel am Stadtrand von Masar-e Scharif befinde. Die dortigen Straßen seien aus Lehm oder Schotter, es gebe nur wenige Trinkwasserquellen und es herrsche ein Mangel an Arbeitsplätzen. Der Artikel handelt von einem Einwohner von Sajadia, der mit seiner Familie aus der Provinz Ghasni hierher vertrieben worden sei. Ihr Leben in Sajadia sei alles andere als leicht, allerdings sei er für ein von der Europäischen Union finanziertes und von People in Need durchgeführtes Hilfsprojekt ausgewählt worden, das sein Leben verbessert habe:

„Assadullah lives in Sajadia in the suburb of Mazar-i-Sharif in Northern Afghanistan. He works as a wage worker. Life for his family, which include his wife, seven children and his widowed mother, who were all displaced from Ghazni province, is far from easy. In Sajadia there are dirt roads and few sources of drinking water, as well as a lack of job opportunities. Assadullah has been selected as beneficiary of a project tackling urban poverty in Mazar-i-Sharif in Northern Afghanistan, undertaken by People in Need and funded by the European Union. One of the project activities is focused on kitchen gardening. Assadullah’s life changed a great deal since he started cultivating the small garden behind his house.” (People in Need, 16. Juni 2016)

In einem im September 2019 veröffentlichten Bericht von UNHCR zu 15 Gebieten Afghanistans, in denen UNHCR längerfristige Förderprojekte durchführt, finden sich die folgenden Informationen zu den oben erwähnten Siedlungen Sakhi Camp und Qalin Bafan (beide in Masar-e Scharifs Nachbardistrikt Nahr-e Schahi, etwa 20 km nordöstlich von Masar-e Scharif, Anm. ACCORD): Die in diesen beiden Siedlungen lebende Bevölkerung habe von verschiedenen Projekten von UNHCR und anderen Organisationen profitiert, wie etwa von Projekten betreffend Überwinterung, Solarlampen, nicht-lebensmittelbasierte Hilfsmittel, Unterkünfte und Straßen, sowie von Lebensunterhaltsprojekten. In Bezug auf nach wie vor bestehende Probleme hält UNHCR fest, dass mit den derzeitigen Gesundheitseinrichtungen für die Siedlungen Sakhi und Qalin Bafan keine ausreichende Kapazität vorhanden sei, Mitglieder der Gemeinde müssten daher in Krankenhäuser in Masar-e Scharif reisen. Im Lager Sakhi gebe es eine kleine Klinik mit sehr geringer Kapazität. Weiters sei angesichts der wachsenden Bevölkerung im Lager Sakhi und in Qalin Bafan eine Erweiterung der Schuleinrichtungen erforderlich. Um den Zugang zu Märkten und Dienstleistungen in beiden Gemeinden zu verbessern, sei darüber hinaus eine grundlegende Infrastruktur wie die Instandsetzung von Straßen und Wegen erforderlich:

Some 1,484 land plots have been demarcated for returnees in Qalin Bafan, and thus far some 1,300 families have applied for land plots of whom 800 have acquired the necessary documentation. Populations residing in these two communities have benefited from different projects implemented by UNHCR and other agencies, such as winterization, solar lamps, NFIs [Non-Food Items], shelter, and road and livelihood projects. (UNHCR, September 2019, S. 33)

There is insufficient capacity with the current healthcare facilities for Sakhi camp and Qalin Bafan and community members have to travel to hospitals in Mazar. There is a small clinic in Sakhi Camp with very low capacity. Given the increasing population in Sakhi Camp and Qalin Bafan, expansion of the existing school building in both sites and construction of additional classrooms is required. A primary school and pre-school have been suggested by community members in Sakhi Camp. Basic infrastructure, such as road and street rehabilitation, is required to improve access to markets and services in both communities. (UNHCR, September 2019, S. 35)

NRC Masar-e Scharif antwortet in der Email-Auskunft vom April 2020 auf die Frage, welche formellen und informellen IDP- bzw. Rückkehrersiedlungen es in der Stadt Masar-e Scharif und Umgebung gebe, dass es drei formelle Siedlungen im Gebiet um Masar-e Scharif gebe: Qalin Bafan, die sich im westlichen Teil von Masar-e Scharif befinde, sowie Mawlana Jalaluddin und Qarqin, die sich im Norden von Masar-e Scharif befinden würden. Darüber hinaus gebe es viele informelle Siedlungsstätten, darunter Hazrati Belal und Zabiullah Shahid, die sich in der Nähe des Flughafens der Stadt befinden würden, Nasim Mehdi im Nordwesten der Stadt, Ferdawsi im Südosten der Stadt, und Faryabiha, Aman Abad und Nazar Faryabi im Süden der Stadt.

Auf die Frage, wie sich die Sicherheits- und Versorgungslage in den jeweiligen Siedlungen und Siedlungsstätten darstelle, antwortet die Auskunftsperson, dass die Sicherheitslage in den meisten Siedlungen und Stätten der allgemeinen Sicherheitslage in Masar-e Scharif und Umgebung ähnlich sei. Zwei formelle Siedlungen (Qarqin und Mawlana Jalaluddin) würden sich in von bewaffneten Oppositionsgruppen kontrollierten Gebieten befinden, wodurch die in diesen Siedlungen lebenden Personen zusätzlichen Risiken im Zusammenhang mit Luftangriffen oder anderen Angriffen auf oppositionelle Gruppen ausgesetzt seien.

In den meisten Siedlungen hätten die Menschen nur begrenzten Zugang zu Dienstleistungen. Beispielsweise müssten Kinder weite Strecken zu Fuß zurücklegen, um zur Schule zu gelangen. Infolgedessen würden einige der jüngeren Kinder nicht zur Schule gehen. Ähnlich schwierig sei der Zugang zur Gesundheitsversorgung in jenen Siedlungen und Stätten, wo die BewohnerInnen weite Wege zurücklegen müssten, um Krankenhäuser zu erreichen. Der Zugang zu Wasser sei begrenzt, und die meisten Menschen müssten Wasser von außerhalb der Siedlungen holen.

Auf die Frage, wie sich die Sicherheits- und Versorgungslage in den Siedlungen und Stätten von jener im Stadtkern unterscheide, antwortet NRC Masar-e Scharif, dass Sicherheitslage und Zugang zu Dienstleistungen im Stadtkern viel besser seien als in den Siedlungen. Tatsächlich würde der Großteil der Siedlungs-BewohnerInnen für die meisten Dienstleistungen, wie Bildung und Gesundheit, in die Stadt kommen:

There are 3 formal settlements around Mazar-e-sharif: Qalin Bafan situated in the western part of Mazar; and Mawlana Jalaluddin and Qarqin settlements situated in the north of Mazar-e-Sharif.

There are many informal sites including Hazrati Belal near the airport, Nasim Mehdi north west of Mazar, Ferdawsi sout east of Mazat, Zabiullah Shahid near the airport, and Faryabiha, Aman Abad and Nazar Faryabi situated to the South of Mazar-e-Sharif. […]

Generally, the security situation in most sites and settlements resembles the security situation in/around Mazar. Two formal settlements (Qarqin and Mawlana Jalaluddin) are situated in armed opposition groups (AOG) controlled areas, exposing individuals living in these settlements to additional risks related to airstrikes or other attacks on the AOGs.

In most of settlements, individuals have limited access to services. For examples, children have to walk long distances to get to school. As a result, some of the younger children do not attending school. Similarly, access to health care is difficult, where residents have to travel a long way to visit hospitals. Access to water is limited, with most people having to get water from outside the settlements. […]

The security situation and access to services in the city is much better than the settlements. Actually, most of settlement residence come to city for most services (Edu, health, etc).” (NRC Masar-e Scharif, 26. April 2020)

Diskriminierung ethnischer oder religiöser Gruppen, Konflikte zwischen solchen Gruppen, Diskriminierung von ortsfremden Personen

Zum Thema Diskriminierung ethnischer oder religiöser Gruppen sowie zu Konflikten zwischen solchen Gruppen hält UNHCR Masar-e Scharif Folgendes fest: Es würden zwar für das Jahr 2019 keine konkreten Berichte über Vorfälle wie Zusammenstöße zwischen solchen Gruppen vorliegen, es gebe jedoch regelmäßig Berichte über Diskriminierung wenn es um die Inanspruchnahme von Dienstleistungen etwa in den Bereichen Gesundheit, Sanitäreinrichtungen und Bildung gehe. Solche Vorfälle würden üblicherweise im Rahmen der Evaluierungen der Hilfseinrichtungen oder in Form von Beschwerden gemeldet. UNHCR Masar-e Scharif merkt dazu an, dass alle diese Einzelfälle jedoch vertraulich seien und dass es nicht möglich sei, diesbezüglich spezifische Informationen bereitzustellen. Eine weitere regelmäßig berichtete Behauptung beziehe sich auf den Zugang zu Beschäftigungsmöglichkeiten, die - aufgrund von in der Gesellschaft vorherrschenden Vorbehalten - durch die ethnische Zugehörigkeit beeinflusst würden.

Weiters erwähnt UNHCR, dass manche Menschen, die nicht aus der Region stammen würden, im Gesundheitssystem mit Diskriminierung konfrontiert seien, weshalb sie etwa länger auf eine Beratung warten müssten als Einheimische.

Zu Personen, die aus Europa zurückkehren, hält UNHCR fest, dass diese hinsichtlich ihrer Wahrnehmung durch die lokale Gesellschaft mit Problemen konfrontiert seien. Einige Menschen hätten Angst vor den Rückkehrenden, andere würden glauben, die Rückkehrenden seien reich, was sie zu einem gängigen Ziel von Verfolgung mache. Die aus Europa Abgeschobenen seinen außerdem mit Verfolgung durch regierungsfeindliche Netzwerke in Masar-e Scharif konfrontiert. Es scheine einen großen Unterschied zwischen der Situation von Rückkehrenden aus Pakistan oder dem Iran, die oft in größeren Gruppen ankommen würden, und der von Rückkehrenden aus Europa, die allein kommen würden, zu geben. (UNHCR Masar-e Scharif, 5. März 2020)

Zu diesem Thema hält Friederike Stahlmann im April 2020 fest, dass in Afghanistan bei den Themen Wohnen und Arbeit die ethnische Segregation ein großes Problem sei und zu Diskriminierung führe. Jemand, der zu einer bestimmten ethnischen Gruppe gehöre, könne im Normalfall nicht von jemandem, der einer anderen Gruppe angehöre, eine Wohnung mieten oder einen Arbeitsplatz erhalten. Man könne hier auch kaum bestimmte Ethnien hervorheben, die besonders häufig Opfer von Diskriminierung seien - es handle sich um gegenseitige Diskriminierung. Entsprechend der lokalen Machtverhältnisse seien jedoch besonders jene Gruppen betroffen, die nicht zur machthabenden Elite gehören würden. (Stahlmann, 3. April 2020)

Es konnten keine weiteren aktuellen Informationen zu Diskriminierung und Konflikten ethnischer oder religiöser Gruppen in Masar-e Scharif und Umgebung gefunden werden.

Rolle der Polizei in Bezug auf IDPs und RückkehrerInnen

UNHCR Masar-e Scharif hält in der telefonischen Auskunft vom März 2020 fest, dass Regierungskräfte und Polizei in Masar-e Scharif im Allgemeinen präsent seien. Die Präsenz der Polizei würde aber nicht unbedingt bedeuten, dass diese die Schwächsten schütze. Darüber hinaus sei laut einigen Berichten Mazar-e Sharif eine Stadt, in der politische Verbindungen eine wichtige Rolle spielen würden. Einige Binnenvertriebene würden unter dem Einfluss von Kriminellen stehen, was bedeuten würde, dass sie Gebühren zu zahlen oder deren Anweisungen zu befolgen hätten. Wenn IDPs ein Problem mit solchen sehr mächtigen Personen hätten, sei es nicht sehr wahrscheinlich, dass die Polizei gegen diese Kriminellen interveniere. Die Siedlungen würden sich oft auch weit entfernt von der nächsten Polizeistation befinden und es mangle an polizeilichen Kapazitäten. Für Frauen, die mit geschlechtsspezifischer Gewalt konfrontiert seien, sei es schwierig von der Polizei Unterstützung zu erhalten. Zwar habe einerseits die Kriminalität zugenommen, andererseits habe die Polizei aber auch darauf reagiert, und in gewisser Weise habe sich nach allgemeiner Auffassung der Bevölkerung in Masar-e Scharif deren Vorgehen verbessert. Dennoch würden sich viele Menschen, wenn sie auf der Suche nach Hilfe seien, an informelle Streitschlichtungsmechanismen wenden. Es gebe auch Berichte über Korruption innerhalb der Polizei und über deren Beteiligung an verschiedenen Arten von Verbrechen. Darüber hinaus sei es wichtig zu beachten, dass Personen Verwandte haben können, die in den Konflikt verwickelt seien. So seien die regierungsfeindlichen Elemente, insbesondere die Taliban, nicht völlig von der übrigen Gesellschaft isoliert. Wenn es also Verbindungen zu solchen Elementen gebe, sei die Polizei nicht bereit, sich in diesen Fällen einzumischen. In Mazar-e Sharif hätten regierungsfeindliche Elemente zwar nicht die Kontrolle, aber Einfluss hätten sie dennoch. (UNHCR Masar-e Scharif, 5. März 2020)

In der Email-Auskunft von NRC Masar-e Scharif vom April 2020 wird zum Thema Kriminalität und Polizeipräsenz in den von IDPs und RückkehrerInnen bewohnten Siedlungen in und um Masar-e Scharif festgehalten, dass es dort derzeit kein formalisiertes System zur Überprüfung oder Gewährleistung der Sicherheit gebe. Nach der Auffassung von NRC gebe es in den Camps und Siedlungen keine nennenswerte Polizeipräsenz. Gelegentlich komme es jedoch zu Razzien oder Verhaftungen innerhalb der Siedlungen:

„Is there an increased risk of crimes in the IDP/returnee settlements in and around Mazare Sharif? Is the police present in IDP/returnee settlements in and around Mazar-e Sharif? So there isn’t a protection monitoring system formalised just yet. As we understand, there is no prominent police presence in the camps or settlements. But occasionally there are police raids or arrests inside the settlements.” (NRC Masar-e Scharif, 26. April 2020)

Situation von IDPs und RückkehrerInnen bezüglich Arbeitssuche und Sicherheitslage auf dem Weg zu etwaigen Arbeitsstätten

Laut Angaben von UNHCR Masar-e Scharif vom März 2020 sei der Zugang zum Arbeitsmarkt in Masar-e Scharif sehr beschränkt. Es gebe nur sehr begrenzt offizielle Arbeitsplätze. Da die Aufnahmegemeinden hier mit den gleichen Problemen konfrontiert seien und für sich beanspruchen würden, vorrangig behandelt zu werden, sei es für IDPs und manche Rückkehrende noch schwieriger, Zugang zu Arbeitsplätzen zu erhalten. Darüber hinaus fehle es IDPs und Rückkehrenden häufig an den notwendigen Fähigkeiten für die Arbeitsplätze, die in den Gebieten, in die sie vertrieben worden seien, verfügbar seien. Ganz generell sei der Arbeitsmarkt in einem sehr unzuverlässigen Zustand. An einem Tag verdiene man etwas und am nächsten habe man wiederum keine Arbeit.

Die Mehrheit der Menschen, die in längerfristigen, dauerhaften oder neuen Siedlungen bzw. Stätten leben würden, hätten keinen Zugang zu regulären Arbeitsplätzen. Die meisten von ihnen würden versuchen, mit inoffiziellen Tagelohn-Jobs über die Runden zu kommen, einige würden auch zu negativen Bewältigungsstrategien greifen und sich an kriminellen Aktivitäten beteiligen. In diesen Siedlungen sehe man viele Kinder arbeiten, weil die Schulen oft zu weit entfernt seien und die Familien in den meisten Fällen auf die Arbeit ihrer Kinder angewiesen seien. Die Entfernungen seien generell ein großes Problem, der Weg zu einer der Fabriken am Stadtrand oder in Umgebung der Stadt beispielsweise, könne lang sein, und je weiter draußen in der Stadt oder sogar außerhalb der Stadt der Arbeitsplatz liege, desto mehr sicherheitsrelevante Probleme könne man haben, wie etwa das Passieren von Checkpoints oder das Überfallenwerden durch kriminelle Banden, insbesondere nach Einbruch der Dunkelheit. In Siedlungen und Orten außerhalb der Stadt seien die sicherheitsrelevanten Probleme durch bewaffnete Konflikte zwischen Regierungskräften und regierungsfeindlichen Elementen, durch Räumungsoperationen der Regierungskräfte sowie durch das Vorhandensein von Checkpoints geprägt. Die Checkpoints würden meist von der Regierung betrieben, teilweise aber auch von regierungsfeindlichen Elementen. Innerhalb der Stadt gebe es normalerweise keine permanenten Checkpoints, aber die Situation könne sich plötzlich ändern, und es gebe Vorfälle, in Folge derer temporäre Checkpoints eingerichtet würden. Im Dezember 2019 etwa habe es einen Vorfall gegeben, bei dem afghanische Polizeikräfte mit bewaffneten Anhängern des Milizkommandanten Nizamuddin Qaisari im Zentrum der Stadt zusammengestoßen seien, wobei mehrere Menschen verletzt worden seien (Der Vorfall wurde bereits im Abschnitt zur allgemeinen Sicherheitslage beschrieben, Anm. ACCORD). In der Stadt sei die Sicherheitslage nicht durch einen offenen Konflikt zwischen Regierungskräften und regierungsfeindlichen Elementen gekennzeichnet, sondern durch regelmäßige Vorfälle wie Explosionen, Selbstmordanschläge und gezielte Tötungen, auch wenn derartige Vorfälle nicht auf täglicher Basis stattfinden würden. Von solchen Vorfällen seien insbesondere Orte und Personen betroffen, die mit der Regierung in Verbindung stehen würden, sowie stark frequentierte Orte wie Krankenhäuser. (UNHCR Masar-e Scharif, 5. März 2020)

Das Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs, UN OCHA) veröffentlicht im April 2019 einen Bericht zur Beurteilung der Situation in Haushalten von durch den bewaffneten Konflikt vertriebenen Personen, die in den Distrikt Masar-e Scharif und in dessen Nachbardistrikte Dehdadi und Nahr-e Schahi geflohen seien. Im Rahmen der Beurteilung seien in den besagten Distrikten 1.902 IDP-Haushalte zwischen 25. März und 25. April 2019 besucht worden. Laut dem Bericht hätten mangelnde Beschäftigungsmöglichkeiten dazu geführt, dass die dortigen Menschen einer prekären wirtschaftlichen Situation ausgesetzt seien. Besonders seien jene betroffen, die aufgrund ihrer Situation als Vertriebene unter Schock stehen würden und mit ihrer neuen Umgebung nicht vertraut seien. In dieser Situation sei es für IDPs schwierig, Einkommen zu erzielen. Die meisten von ihnen hätten berichtet, dass die Einkommensmöglichkeiten an ihrem derzeitigen Wohnort äußerst begrenzt seien. Ein großer Teil der Haushalte sei von Arbeitslosigkeit betroffen, und von denen, die sich im Wettbewerb um einkommensgenerierende Tätigkeiten befinden würden, sei die Mehrheit der Haushalte (89 Prozent) auf unqualifizierte Tagelöhner-Arbeit angewiesen, die keine nachhaltige und zuverlässige Einkommensquelle darstelle. Die Mehrheit der Befragten (56 Prozent) habe angegeben, Schulden von mehr als 8.000 Afghani (etwa 96 Euro, Anm. ACCORD) zu haben, während nur 36 Prozent der Befragten Schulden zwischen 2.000 Afghani (etwa 24 Euro, Anm. ACCORD) und 8.000 Afghani hätten. 8 Prozent hätten angegeben, mit weniger als 2.000 Afghani verschuldet zu sein:

„Lack of employment opportunities have let people with precarious economic situation particularly affecting IDP households who are in shock and unfamiliar with their new environment. In this situation, it is difficult for IDPs to generate income, as most of them reported that income-generating opportunities in their current location were extremely limited. The half of the households 11% reported being jobless and out of those who are competing for an income generating way, the majority of the households 89% rely on the daily unskilled labour, which is not a sustainable and reliable income source. […] The majority of the respondents (56%) indicated having debts higher than 8,000 AFN. While only 36% of respondents, household debt is between 2,000 AFN and 8,000 AFN. 8% reported having debt less than 2000 and 1 person reported with no dept.” (UN OCHA, 29. April 2019, S. 1-2)

Die IOM erwähnt in einem im Juni 2017 veröffentlichten Bericht zu IDPs und RückkehreInnen in Afghanistan zum Thema Arbeit, dass in der Provinz Balch diese beiden Personengruppen vorwiegend als Tagelöhner beschäftigt seien, sofern derartige Jobs überhaupt vorhanden seien. Nur ein kleiner Teil besitze Vieh oder arbeite in der Landwirtschaft.

Die Märkte seien in der Regel zugänglich, außer im Distrikt Chemtal - aufgrund der verschlechterten Sicherheitslage (verursacht durch die Aktivitäten der Taliban). Die Märkte und Kleinunternehmen in Masar-e Scharif würden weitere Möglichkeiten bieten, Arbeit zu erhalten, wenn auch in den meisten Fällen nur vorübergehend:

„In Balkh province IDPs and Returnees are mostly engaged in daily labour (when available). Only a small proportion own livestock or work in agriculture. Markets are usually accessible except in Chemtal district due to the deteriorated safety & security situation (caused by Taliban activities). The markets and small businesses in Mazar-e Sharif provide other opportunities for finding employment although temporary in most cases.” (IOM, Juni 2017)

Unterkunft, Erwerb von Land

Zum Thema Suche nach Wohnraum meint UNHCR Masar-e Scharif, dass IDPs und Rückkehrende meist in die unterentwickelten suburbanen Teile der Stadt gehen würden, dass es aber auch viele Orte gebe, an denen IDPs und Rückkehrende zusammenkommen und Gemeinschaften gründen würden. Für IDPs sei es etwas einfacher als für Rückkehrende, Zugang zu Land zu erhalten. Landbesitzrechte würden allerdings für beide Gruppen ein ernstzunehmendes Problem darstellen. Wenn IDPs in der Gegend von Masar-e Scharif ankommen würden, würden sie versuchen, Land zu finden, das nicht im Besitz der Regierung sei, meistens im südlichen oder westlichen Teil der Stadt. Die meisten dieser Gemeinden seien nicht von der Regierung registriert bzw. verwaltet, sondern von der „Landmafia“. Die Landmafia teile das Land in kleine Gründe und verkaufe diese an Privatpersonen. Im Allgemeinen würden IDPs nach Plätzen suchen, die sie sich finanziell leisten könnten, und die zwischen 500 und 2.000 US-Dollar kosten würden. In jedem Fall sei es sehr wichtig, dass die Neuankommenden Dokumente erhalten würden, so dass sie nicht vom Grundbesitzer vertrieben werden können. Es gebe auch eine Reihe von IDPs, die in der Stadt verstreut seien, von denen einige bei Verwandten wohnen würden. Diejenigen, die aus Europa zurückkehren würden, hätten große Probleme, einen Ort zum Leben zu finden, weil sie nicht genug Geld hätten, um im Zentrum der Stadt zu leben, und oft fehle es ihnen, um Land kaufen zu können, an den dafür erforderlichen Dokumenten. (UNHCR Masar-e Scharif, 5. März 2020)

 

Das Norwegian Refugee Council (NRC) ist eine unabhängige, humanitäre, gemeinnützige Nichtregierungsorganisation (NGO), die Flüchtlingen und intern Vertriebenen auf der ganzen Welt Unterstützung, Schutz und dauerhafte Lösungen anbietet. In einem undatierten Artikel und Spendenaufruf von Norwegian Refugee Council (NRC) finden sich einige Fallbeispiele von IDP-Familien und ihren Problemen mit ihren Unterkünften. Darunter befinden sich auch zwei Beispiele zu Familien, die in die nähere Umgebung von Masar-e Scharif geflohen seien. Der Artikel ist unter folgendem Link abrufbar:

·      NRC – Norwegian Refugee Council: “It’s very cold inside. I thought it might be warmer if I went out and moved around a little.”, ohne Datum
https://www.nrc.no/shorthand/stories/where-destitution-and-cold-kills/index.html

Ernährungssicherheit

UNHCR Masar-e Scharif führt im März 2020 an, dass es für neu ankommende IDPs eine Art Ernährungssicherungssystem gebe. Abhängig von der konkreten Situation dauere es jedoch manchmal Wochen oder sogar Monate bis Soforthilfe geleistet werde. Abgesehen vom UNHCR-Programm für Personen mit besonderen Bedürfnissen („Persons with Specific Needs“, PSN) gebe es von anderen Organisationen kein generelles Programm als Reaktion auf die Bedürfnisse der am meisten vulnerablen RückkehrerInnen. Im Fall von Naturkatastrophen gebe es auch staatliche Hilfe. Sowohl RückkehrerInnen als auch aus Europa Abgeschobene würden häufig Geld als Unterstützung zur Integration erhalten. In der Regel gebe es aber keine weiterführenden Hilfsprogramme („follow-up assistance programmes“). Die gewährte Hilfe sollte für die ersten 2 oder 3 Monate nach der Ankunft in Afghanistan reichen. (UNHCR Masar-e Scharif, 5. März 2020)

Die Auskunftsperson von NRC Masar-e Scharif antwortet im April 2020 per Email auf die Frage, ob Vertriebene, Rückkehrende und generell mittellose Menschen in Masar-e Scharif Zugang zu Lebensmitteln und Trinkwasser hätten, dass es nach dem Wissensstand von NRC in Masar-e Scharif keine Ernährungssicherheitsprogramme für längerfristig Vertriebene gebe. Es gebe in Masar-e Scharif keine Wasserlieferungen mit Lastwagen („water trucking“), allerdings hätten die Menschen meist Zugang zu Wasser aus Bohrlöchern, was keine sichere Quelle für Trinkwasser sei. Die Wege zu den Bohrlöchern könnten zudem recht lang sein. Zugang zu Trink- und Badewasser sei aber generell gegeben:

To my knowledge, there is no food security programmes for people in prolonged states of displacement in Mazar-e Sharif. Whereas access to water is different. There is not really water trucking, but there is often some access to water through borewells not a protected source, the distances can be quite long. But there is generally access to drinking and bathing water.” (NRC Masar-e Scharif, 26. April 2020)

In dem im April 2019 veröffentlichten UN OCHA-Bericht zur Beurteilung der Situation in 1.902 untersuchten Haushalten von durch den bewaffneten Konflikt vertriebenen Personen, die in den Distrikt Masar-e Scharif und dessen Nachbardistrikte Dehdadi und Nahr-e Schahi geflohen seien, wird Folgendes zur Ernährungssicherheit festgehalten: Hundert Prozent der Haushalte hätten angegeben, dass Nahrungsmittel ihr wichtigstes Bedürfnis sei und dass dieses Bedürfnis für den gesamten Haushalt nicht abgedeckt sei. Es sei beobachtet worden, dass das Fehlen oder der geringe Vorrat an Nahrungsmitteln für fast alle untersuchten Familien ernst zu nehmen sei. 44 Prozent der Haushalte hätten angegeben, dass sie keine Nahrungsmittel vorrätig hätten, und 56 Prozent, dass sie nur mehr über begrenzte Mengen an Nahrungsmittel verfügen würden, die weniger als eine Woche lang reichen würden.

Zum Zugang zu Märkten gibt der Bericht an, dass bei dieser Erhebung alle untersuchten Haushalte Zugang zu intakten Märkten gehabt hätten:

„In this caseload, the majority assessed households (100%) ranked food their first priority need; indicating that this need acutely affects the entire household. It has been observed that, having no food stock or low food stock is a serious condition for almost all of the assessed families with 44% of households reported that they have no food stock and 56% stated that they had limited food for less than a week. […] In this caseload, all assessed households have access to functional markets.” (UN OCHA, 29. April 2019, S. 2)

Gesundheitsversorgung

Laut UNHCR Masar-e Scharif hätten die meisten Familien, die in IDP- und RückkehrerInnen-Siedlungen in und um Masar-e Scharif leben würden, keinen Zugang zu Gesundheitseinrichtungen. Die staatlichen Gesundheitseinrichtungen würden nur eine Grundversorgung bieten und seien unterfinanziert. Die Patienten müssten für Medikamente und den Transport zu den Einrichtungen aufkommen. Frauen müssten zudem von einem Mann begleitet werden, wenn sie einen Arzt aufsuchen wollen, sonst würden sie keine medizinische Beratung erhalten. Manche Menschen, die nicht aus der Region stammen würden, seien im Gesundheitssystem mit Diskriminierung konfrontiert, weshalb sie etwa länger auf eine Beratung warten müssten als Einheimische. Auf die Frage, ob diese Beschreibung nur auf die Situation in IDP- und RückkehrerInnen-Siedlungen zutreffe, oder auf die Stadt Masar-e Scharif insgesamt, antwortete die Ansprechperson von UNHCR, dass die Situation für beide Orte mehr oder weniger dieselbe sei. Für IDPs komme allerdings der herrschende Mangel an Informationen über Gesundheitseinrichtungen, deren schwere Erreichbarkeit, sowie die zusätzliche wirtschaftliche Belastung wegen der Anreise, insbesondere von Personen mit eingeschränkter Mobilität, hinzu. (UNHCR Masar-e Scharif, 5. März 2020)

NRC Masar-e Scharif hält in der Email-Auskunft vom April 2020 fest, dass IDPs und RückkehrerInnen in Masar-e Scharif grundsätzlich freien Zugang zu kostenlosen Gesundheitsdienstleistungen hätten, wenn sie die Gesundheitszentren erreichen könnten. Es würde jedoch Geld kosten zu den Einrichtungen zu gelangen, und man müsste auch die Medikamente bezahlen. Manche würden sich hoch verschulden, um Medikamente zu kaufen:

IDPs/ returnees in Mazar-e Sharif in principle have free access to free health advice, if they can reach those centers. However, it costs money to transport them there and they also need to pay for medicine. In order to pay for their medicine, some would go into heavy debt.” (NRC Masar-e Scharif, 26. April 2020)

In dem im April 2019 veröffentlichten UN OCHA-Bericht über die Situation in Haushalten von durch den bewaffneten Konflikt vertriebenen Personen, die in den Distrikt Masar-e Scharif und dessen Nachbardistrikte Dehdadi und Nahr-e Schahi geflohen seien, wird Folgendes zur Ernährungssicherheit festgehalten: Bei den untersuchten 1.902 Haushalten seien keine schwerwiegenden die Gesundheit der EinwohnerInnen betreffenden Probleme dokumentiert worden. Alle untersuchten IDP-Haushalte würden sich in Gebieten befinden, die in der Umgebung der Stadt Masar-e Scharif und in der Nähe des staatlichen Provinzkrankenhauses liegen würden. Alle Haushalte hätten zum Zeitpunkt der Erhebung vollen Zugang zu Kliniken und Gesundheitsversorgungseinrichtungen gehabt, wobei die Leistungen kostenlos seien. (Das Thema Kostenpflichtigkeit von Medikamenten wird in dem Dokument nicht angeschnitten, Anm. ACCORD):

No serious health issues were reported for this caseload. All IDP households have settled in the surrounding areas of Mazar e Sharif city, and which is near to governmental provincial hospital, all of them have fully access to clinics and health facility centres and the health services are free of cost.” (UN OCHA, 29. April 2019)

Weitere Informationen zur Gesundheitsversorgung finden sich in Abschnitt 8, insbesondere Abschnitt 8.5 und 8.6, des folgenden EASO-Berichtes vom April 2019. Informationen zu Medikamentenkosten finden sich C Abschnitt 8.2.3:

·      EASO – European Asylum Support Office: Afghanistan: Sozioökonomische Schlüsselindikatoren; Mit Schwerpunkt auf den Städten Kabul, Masar-e Scharif und Herat, April 2019
https://www.ecoi.net/en/file/local/2019717/2019_04_EASO_COI_Afghanistan_Key_socioeconomic_indicators_DE.pdf 

Informationen zur humanitären und sozioökonomischen Situation von IDPs und RückkehrerInnen in der Provinz Balch finden sich auch auf den Seiten 55 bis 58 des folgenden Berichts des Amts der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs, UN OCHA):

·      OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs: Afghanistan - Province-level Displaced - Populations Factsheet Booklet, September 2019
https://www.impact-repository.org/document/reach/4b0f3ad8/REACH_AFG_Province-Factsheet_WoAA_July-September-2019.pdf

Besonderheiten aufgrund der Corona-Pandemie

The New Humanitarian (TNH), zuvor bekannt unter dem Namen Integrated Regional Information Networks (IRIN), ist eine nicht profitorientierte auf humanitäre Themen fokussierende Nachrichtenagentur mit Hauptsitz in der Schweiz. In einem Artikel vom April 2020 hält The New Humanitarian fest, dass Grenzschließungen und Exportbeschränkungen die Nachschubwege behindern würden, was die Lebensmittelpreise in Afghanistan in die Höhe treibe. Dies wecke die Befürchtung, dass Millionen von Menschen, die bereits mit einer unsicheren Ernährungslage konfrontiert seien, durch die Ausbreitung des Coronavirus noch stärker gefährdet seien. In den letzten beiden Märzwochen, als die Zahl der COVID-19-Fälle in Afghanistan zugenommen habe, seien auch die Preise für Weizenmehl im ganzen Land stark angestiegen. Das World Food Programme sammle derzeit Preisdaten von acht großen Stadtmärkten in ganz Afghanistan. Innerhalb der oben erwähnten Periode habe das World Food Programme nicht nur einen Anstieg der Weizenmehlpreise verzeichnet, die Getreidekosten seien um 15 Prozent gestiegen. Auf den acht untersuchten Märkten sei im vergangenen Monat auch der Durchschnittspreis für Speiseöl um neun Prozent und der Durchschnittspreis für Reis und Hülsenfrüchte um zwei bis vier Prozent angestiegen.

Viele Afghanen würden als Tagelöhner arbeiten. Und angesichts der Tatsache, dass in Städten wie Herat und Kabul Ausgangssperren verhängt worden seien („cities like Herat and Kabul going into lockdown“), und der Möglichkeit, dass andere urbane Zentren folgen könnten, bedeute dies, dass viele Menschen sich entscheiden müssten, entweder hungrig zu Hause zu bleiben oder eine Ansteckung zu wagen und sich nach draußen auf Arbeitssuche zu begeben:

Border closures and export restrictions are squeezing supply lines and pushing food prices upward in Afghanistan, raising fears that millions already facing emergency levels of food insecurity will be even more at risk as the coronavirus spreads. During the last two weeks of March, as COVID-19 cases increased in Afghanistan, the price of wheat flour also surged across the country – including a 20 percent rise in the northeast city of Faizabad. […] The WFP [World Food Programme] is collecting price data from eight main city markets across Afghanistan. In the same late March period that WFP saw a rise in wheat flour prices, it also recorded a 15 percent increase in grain costs. […] Across the eight major markets, the average price of cooking oil also increased last month by 9 percent, while the average price of rice and pulses rose between 2 percent and 4 percent. […]

Many Afghans work as daily labourers, and with cities like Herat and Kabul going into lockdown – and the possibility that other urban centres will follow – this means that many people will be forced to choose between staying home hungry or venturing outside to find work, risking infection.” (TNH, 7. April 2020)

In einem Eintrag auf der Website der US-Botschaft in Afghanistan findet sich unter Verweis auf Angaben des afghanischen Gesundheitsministeriums die Information mit Stand 29. April 2020, dass es in Afghanistan insgesamt 1.829 bestätigte Fälle von Covid-19 gebe, und dass bisher 59 Todesfälle dem Coronavirus zugeschrieben würden. In der Provinz Balch gebe es 128 bestätigte Covid-19-Fälle und acht Todesfälle. Mit Stand 29. April 2020 werden sechs Städte aufgezählt, die sich „im Lockdown befinden“ würden, Masar-e Scharif findet sich nicht in dieser Aufzählung:

Afghanistan has a total of 1,829 confirmed cases of COVID-19 (Coronavirus) and 59 deaths attributed to the disease (Ministry of Public Health).  Kabul (495 confirmed cases and 14 deaths), Herat (441 confirmed cases and 10 deaths), Kandahar (239 confirmed cases and 6 deaths), Balkh (128 confirmed cases and 8 deaths), and Paktya (62 confirmed cases and 1 death) have the most cases. […] Kabul city, Herat, Farah, Jalalabad (Nangarhar), Asadabad (Kunar), and Zaranj (Nimroz) are on lockdown.” (US-Botschaft in Afghanistan, 29. April 2020)

In einem Artikel der afghanischen Online-Zeitung Tolo News vom 12. April wird erwähnt, dass sich Masar-e Scharif „seit fünf Tagen“ im Lockdown befinde (Tolo News, 12. April 2020). In einem Artikel vom 4. April 2020 schreibt Tolo News, dass sich die Stadt Masar-e Scharif laut den örtlichen Behörden der Provinz Balch in einem partiellen Lockdown befinde (Tolo News, 4. April 2020).

Ein weiterer Artikel von Tolo News vom 1. April 2020 behandelt ebenfalls das Thema Ausgangssperren während der Corona-Pandemie in Afghanistan. In dem Artikel findet sich die Information, dass die meisten Menschen, die derzeit in der Stadt Kabul unterwegs seien, Lieferanten seien. Diese würden angeben, dass sie ihre Kosten nicht decken könnten, wenn es ihnen nicht möglich sei zu arbeiten. Der Lieferant Mohammad Akram habe gegenüber Tolo News angegeben, dass die Quarantäne wie ein Gefängnis sei, und dass der arme Teil der Bevölkerung nicht zu Nahrungsmitteln kommen würde. In dem Artikel wird weiters festgehalten, dass aufgrund der Corona-Pandemie neben Kabul und anderen Städten auch in den Städten Herat und Masar-e Scharif Ausgangssperren für „nicht nötige“ Ausgänge verhängt worden seien:

„Most of the people that [are] moving in Kabul city are vendors who said they can’t cover their costs if they don't work. ‘Quarantine is like a jail. Poor people can’t find their food,’ said Mohammad Akram, a vendor. […] Besides Kabul, people have been banned from unnecessary movement in Herat city, Zaranj, Farah city, Mazar-e-Sharif, Lashkar Gah, Ghazni city, Kandahar city as well as other areas to prevent the outbreak of the COVID-19.“ (Tolo News, 1. April 2020)

In der telefonischen Auskunft vom April 2020 hält die deutsche Afghanistan-Expertin Friederike Stahlmann (Universität Bern) fest, dass die Corona-Pandemie in den Städten Afghanistans, darunter auch Kabul, Herat und Masar-e Scharif, bereits zum jetzigen Zeitpunkt (3. April 2020, Anm. ACCORD) humanitäre Konsequenzen habe. In mehreren Städten, darunter auch Kabul, Herat und Masar-e Scharif, würden Ausgangssperren die häufig bereits ohnehin prekäre Situation der Menschen verschärfen. Insbesondere Tagelöhner seien davon betroffen, da sie auf ihre tägliche Arbeit und ihren täglichen Lohn angewiesen seien. Auch Familien, die nicht auf landwirtschaftliche Einkünfte zurückgreifen könnten, seien besonders betroffen. Rückkehrende hätten teilweise das Problem, dass ihre Familien ihre Wiederaufnahme in den Familienbund verweigern würden, weil sie Angst hätten, mit dem Coronavirus infiziert zu werden. Zu den verschiedenen anderen Gründen, aus denen Familien manchmal die Wiederaufnahme eines zurückgekehrten Familienmitglieds verweigern würden, komme nun auch noch Angst vor Ansteckung hinzu. (Stahlmann, 3. April 2020)

Weitere Informationen von Frau Stahlmann zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie in Afghanistan finden sich in der folgenden Analyse vom März 2020:

Stahlmann, Friederike: Risiken der Verbreitung von SARS-CoV-2 und schweren Erkrankung an Covid-19 in Afghanistan, besondere Lage Abgeschobener, 27. März 2020
https://www.ecoi.net/en/file/local/2027210/Stellungnahme+Corona-Risiken+Afghanistan+27.03.2020.pdf

In einem Artikel vom 2. April 2020 schreibt Tolo News, dass das vom jahrzehntelangen Konflikt und Unterfinanzierung gebeutelte Gesundheitssystem nicht für die Corona-Pandemie gewappnet sei. Kinder seien besonders von dieser Krise betroffen, vor allem die Millionen Kinder, die bereits in Armut leben würden, die unterernährt seien oder die aus ihren Häusern vertrieben werden seien und in verwahrlosten Flüchtlingslagern leben würden. Die täglichen Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert seien - genug zu essen zu bekommen, in Schulen zu gelangen oder medizinische Versorgung zu erhalten - würden sich nun nur noch weiter vergrößern, wenn durch die Corona-Pandemie Nachschubwege gestört würden, und die ohnehin schon knappen Ressourcen des afghanischen Staates anderswo hinfließen würden:

Afghanistan’s health system – wracked by decades of conflict and under-resourcing – is not equipped to deal with the virus on its own. Children are particularly vulnerable to the crisis, especially the millions who are already living in poverty, facing malnutrition, or who have been forced from their homes and linger in squalid displacement camps. The daily challenges they face – getting enough food to eat, reaching schools or seeking healthcare – will only be magnified as the virus squeezes supply lines and diverts already meagre government resources.“ (Tolo News, 2. April 2020)


Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 30. April 2020)

·      ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Afghanistan: Entwicklung der wirtschaftlichen Situation, der Versorgungs- und Sicherheitslage in Herat, Mazar-e Sharif (Provinz Balkh) und Kabul 2010-2018, 7. Dezember 2018
https://www.ecoi.net/en/file/local/2001546/Afghanistan_Versorgungslage+und+Sicherheitslage_2010+bis+2018.pdf

·      ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: ecoi.net-Themendossier zu Afghanistan: Sicherheitslage und sozioökonomische Lage in Herat und Masar-e Scharif, 15. Jänner 2020
https://www.ecoi.net/de/dokument/2022798.html

·      ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project: Data Export Tool, Stand: 17. Februar 2020
https://www.acleddata.com/data/

·      ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project: Data Export Tool, Stand: 31. März 2020
https://www.acleddata.com/data/

·      Arab News: Violent crime on the rise in Afghanistan’s main cities, 11. Jänner 2020
https://www.arabnews.com/node/1611176/world

·      EASO – European Asylum Support Office: Afghanistan: Sozioökonomische Schlüsselindikatoren; Mit Schwerpunkt auf den Städten Kabul, Masar-e Scharif und Herat, April 2019
https://www.ecoi.net/en/file/local/2019717/2019_04_EASO_COI_Afghanistan_Key_socioeconomic_indicators_DE.pdf

·      EASO - European Asylum Support Office: Afghanistan – Security situation, Juni 2019
https://www.ecoi.net/en/file/local/2010329/Afghanistan_security_situation_2019.pdf

·      Database of Global Administrative Areas (GADM): World/Afghanistan/Balkh/sub-divisions, ohne Datum,
https://gadm.org/maps/AFG/balkh_2.html

·      GardaWorld: Afghanistan: IED blasts leave two civilians dead in Mazar-e-Sharif (Balkh) January 14, 14. Jänner 2020
https://www.garda.com/crisis24/news-alerts/304416/afghanistan-ied-blasts-leave-two-civilians-dead-in-mazar-e-sharif-balkh-january-14

·      IOM – Internationale Organisation für Migration: Baseline Mobility Assessment, Summary Results, Afghanistan, Juni 2017
https://afghanistan.iom.int/sites/default/files/Reports/iom_dtm_afg_baseline_assessment_round-2_summary_results_0.pdf

·      IOM – Internationale Organisation für Migration: Baseline Mobility Assessment | District Level | Total Inflow (Returnees+IDPs), Juni 2019
https://displacement.iom.int/system/tdf/reports/AFG_DTM_June2019_B2_Province_Overview_A3L_Balkh.pdf?file=1&type=node&id=6798

·      IOM – Internationale Organisation für Migration: Afghanistan — Baseline Mobility Assessment Summary Results (March—June 2019), 1. Juli 2019
https://migration.iom.int/system/tdf/reports/IOM-Afghanistan-Baseline-Mobility-Assessment-Summary-Results-June-2019-English_0.pdf?file=1&type=node&id=6651

·      IOM – Internationale Organisation für Migration: Afghanistan — Balkh Baseline Mobility Assessment Results (October–December 2018), 1. August 2019
https://displacement.iom.int/system/tdf/reports/IOM-AFG-DTM-Baseline-Mobility-Assessment-Summary-Results-December-2018-Balkh-EN.pdf?file=1&type=node&id=7017

·      Landinfo – Norwegian Country of Origin Information Centre: Afghanistan; Sikkerhetssituasjonen i Balkh-provinsen i 2019, 6. April 2020
https://www.ecoi.net/en/file/local/2027655/Temanotat_Afganistan_Sikkerhetssituasjonen_i_Balkh_06042020.pdf

·      Long war Journal: Mapping Taliban Control in Afghanistan, ohne Datum
https://www.longwarjournal.org/mapping-taliban-control-in-afghanistan

·      NRC – Norwegian Refugee Council: “It’s very cold inside. I thought it might be warmer if I went out and moved around a little.”, ohne Datum
https://www.nrc.no/shorthand/stories/where-destitution-and-cold-kills/index.html

·      NRC - Norwegian Refugee Council - Masar-e Scharif: Auskunft per Email, 26. April 2020

·      PAN – Pajhwok Afghan News: Violent crime on the rise in Afghanistan’s main cities, 4. September 2018
https://www.pajhwok.com/en/2018/09/04/businesses-down-crimes-grow-mazar-i-sharif

·      People in Need: I Can Grow Vegetables To Feed My Family And From The Surplus I Can Even Make A Small Profit, Assadullah From Afghanistan Praises Kitchen Gardening, 16. Juni 2016
https://www.clovekvtisni.cz/en/i-can-grow-vegetables-to-feed-my-family-and-from-the-surplus-i-can-even-make-a-small-profit-assadullah-from-afghanistan-praises-kitchen-gardening-3168gp

Stahlmann, Friederike: Risiken der Verbreitung von SARS-CoV-2 und schweren Erkrankung an Covid-19 in Afghanistan, besondere Lage Abgeschobener, 27. März 2020
https://www.ecoi.net/en/file/local/2027210/Stellungnahme+Corona-Risiken+Afghanistan+27.03.2020.pdf

·      Stahlmann, Friederike: Auskunft per Telefon, 3. April 2020

·      The Diplomat: How Afghanistan Failed to Contain COVID-19, 27. März 2020 
https://thediplomat.com/2020/03/how-afghanistan-failed-to-contain-covid-19/

·      TNH – The New Humanitarian: Food prices soar under coronavirus threat in Afghanistan, 7. April 2020
http://www.thenewhumanitarian.org/news/2020/04/07/afghanistan-food-insecurity-coronavirus

·      Tolo News: Kabul Governor Warns of “Tough Measures” Amid COVID-19, 1. April 2020
https://tolonews.com/health/kabul-governor-warns-%E2%80%9Ctough-measures%E2%80%9D-amid-covid-19

·      Tolo News: Afghanistan Needs The World’s Help To Fight COVID-19, 2. April 2020
https://tolonews.com/opinion/op-ed/afghanistan-needs-world%E2%80%99s-help-fight-covid-19

·      Tolo News: COVID-19 Testing Center Opened in Balkh, 4. April 2020
https://tolonews.com/health/covid-19-testing-center-opened-balkh

·      Tolo News: 200-Bed COVID-19 Hospital Opens in Balkh, 12. April
https://tolonews.com/health/200-bed-covid-19-hospital-opens-balkh

·      UNHCR – UN High Commissioner for Refugees: UNHCR Afghanistan: Overview of 15 Priority Areas of Return and Reintegration - As of September 2019 [EN/Dari] - Afghanistan | ReliefWeb, September 2019
https://www.ecoi.net/en/file/local/2018651/document-3.pdf

·      UNHCR Masar-e Scharif – United Nations High Commissioner for Refugees – Büro in Masar-e Scharif: Telefonische Auskunft, 5. März 2020

·      UN OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs: ERM Household Assessment Report, 29. April 2019
https://www.humanitarianresponse.info/sites/www.humanitarianresponse.info/files/2019/05/Conflict-IDPs-in-Mazar%2C-Dehdadi%2C-Nahri-Shahi-districts-of-Balkh-by-DACAAR-%2829-April-2019%29.pdf

·      UN OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs: Afghanistan - Province-level Displaced - Populations Factsheet Booklet, September 2019
https://www.impact-repository.org/document/reach/4b0f3ad8/REACH_AFG_Province-Factsheet_WoAA_July-September-2019.pdf

US-Botschaft in Afghanistan: COVID-19 Information, 29. April 2020
https://af.usembassy.gov/covid-19-information/

·      VOA – Voice of America: Clashes Erupt in Key Afghan City Over Police Chief Appointment, 14. März 2019
https://www.voanews.com/south-central-asia/clashes-erupt-key-afghan-city-over-police-chief-appointment


[1] Gemessen wurde von Distriktgrenze zu Distriktgrenze auf der folgenden Karte: Database of Global Administrative Areas (GADM): World/Afghanistan/Balkh/sub-divisions, ohne Datum,

https://gadm.org/maps/AFG/balkh_2.html

[2] ebd.

[3] Database of Global Administrative Areas (GADM) wurde als Grundlage für die Beurteilung der Distriktgrenzen herangezogen, ebd.

[4] UNHCR Masar-e Scharif betont, dass es sich dabei in keiner Weise um formelle oder offizielle Kategorien handle. (UNHCR Masar-e Scharif, 5. März 2020)

[5] Siehe NRC Mazar-e Scharif, 26. April 2020