Anfragebeantwortung zum Irak: Strafmaß im Fall einer Desertion von Militärangehörigen (insbesondere 2015 und 2016); Unterschiede zwischen KämpferInnen und MitarbeiterInnen der Verwaltung/Versorgung; Urteilsausfertigung ohne Nennung des Delikts [a-11140]

 

6. Dezember 2019

Das vorliegende Dokument beruht auf einer zeitlich begrenzten Recherche in öffentlich zugänglichen Dokumenten, die ACCORD derzeit zur Verfügung stehen sowie gegebenenfalls auf Expertenauskünften, und wurde in Übereinstimmung mit den Standards von ACCORD und den Common EU Guidelines for processing Country of Origin Information (COI) erstellt.

Diese Antwort stellt keine Meinung zum Inhalt eines Ansuchens um Asyl oder anderen internationalen Schutz dar. Alle Übersetzungen stellen Arbeitsübersetzungen dar, für die keine Gewähr übernommen werden kann.

Wir empfehlen, die verwendeten Materialien im Original durchzusehen. Originaldokumente, die nicht kostenfrei oder online abrufbar sind, können bei ACCORD eingesehen oder angefordert werden.

 

Gemäß dem irakischen Militärstrafgesetz Nr.19 aus dem Jahr 2007, Artikel 35 Absatz 5 wird derjenige zu fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, (1) der während seines Militärdienstes ins Ausland desertiert, (2) der zusammen mit dem Täter desertiert, ihn anstiftet oder dazu verführt, ein Vergehen gemäß Absatz (1) zu verüben, und jeder, der dem Täter hilft oder ihn mit der Absicht der Erleichterung einer Desertion versteckt, (3) dessen Teilnahme an einer kriminellen Vereinbarung zur Verübung einer der unter (1) oder (2) genannten Straftaten bestätigt wurde, (4) der ein im Ausland befindlicher Soldat ist und die Desertion während seines Aufenthaltes im Ausland verübt hat, (5) der sich nicht in kürzester Zeit, nachdem er ein Kriegsgefangener war und freigelassen wurde, bei der nächsten Militärbasis oder Einheit meldet. (Irakisches Militärstrafgesetz, 9. Mai 2007, Artikel 35)

 

Laut Artikel 36 Absatz 1 gelten „mildernde Umstände“, wenn der Deserteur Reue zeigt und sich stellt. Laut Artikel 36 Absatz 2 werden die Straftaten, die unter Absatz 1 und 2 des Paragraphen 33 geregelt sind, zu Zeiten der Mobilisierung als „erschwerende Umstände“ aufgefasst. (Irakisches Militärstrafgesetz, 9. Mai 2007, Artikel 36)

 

Das Militärstrafgesetz ist laut Artikel 1a auf das im Dienst befindliche Personal der irakischen Militärkräfte anzuwenden. (Irakisches Militärstrafgesetz, 9. Mai 2007, Artikel 1a)

 

Die letzte Novellierung, die im Rahmen der Recherche zu diesem Gesetz gefunden wurde, stammt aus dem Jahr 2012. Die Novellierung enthält jedoch für die oben zitierten Artikel keine relevanten Änderungen. (Novellierung des Militärstrafgesetzes, 2012)

 

Weitere Informationen zur Rechtslage bezüglich Desertion vom Militär finden sich in der Anfragebeantwortung von ACCORD vom Juni 2016, die unter dem folgenden Link abrufbar ist:

·      ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zum Irak: Folgen einer Desertion von der irakischen Armee [a-9672], 3. Juni 2016
https://www.ecoi.net/de/dokument/1013360.html

 

Auch eine von ACCORD im Dezember 2019 befragte Auskunftsperson gab an, dass ein von ihr kontaktierter in Bagdad stationierter Anwalt gemeint habe, dass die vom Gesetz vorgesehene Strafe für Personen, die während ihres Militärdienstes ins Ausland desertieren, eine Haftstrafe von fünf Jahren sei. Allerdings habe die Regierung laut Angaben des Anwalts eine allgemeine Amnestie für kriminelle Personen, einschließlich Mitglieder des Militärs, erlassen. Diese Amnestie sei mit 25. August 2016 wirksam geworden, was bedeute, dass sie nur für all jene gelte, die am und vor dem 25. August 2016 Verbrechen begangen oder den Militärdienst beendet hätten.

Der Anwalt habe darüber hinaus erwähnt, dass Mitglieder des Verteidigungsministeriums vom Gesetz als Zivilisten angesehen würden, wodurch auf diese das Zivilrecht anzuwenden sei. (Auskunftsperson, 5. Dezember 2019)

 

Bitte beachten Sie, dass die folgenden Übersetzungen aus dem Norwegischen unter Verwendung von technischen Übersetzungshilfen erstellt wurden. Es besteht daher ein erhöhtes Risiko, dass diese Arbeitsübersetzung Ungenauigkeiten enthält.

 

Ein Bericht vom Dezember 2016 von Landinfo enthält unter Verweis auf verschiedene (zum Teil anonyme) Quellen Informationen zum Umgang mit von der irakischen Armee desertierten Personen fest. Unter Verweis auf eine Korrespondenz vom November 2016 mit einer im Irak tätigen internationalen Organisation, die nach Einschätzung von Landinfo sehr gut über die Situation im Land informiert sei, hält Landinfo folgendes fest: Nach Informationen, die die internationale Organisation von den irakischen Behörden erhalten habe, würden Mitglieder der irakischen Armee, die desertiert seien, daraufhin den Irak verlassen hätten und danach länger als sechs Monate nicht mehr zum Dienst erschienen seien, bei der Rückkehr in den Irak verhaftet. In solchen Fällen könnten sie zu einem oder mehreren Jahren Haft verurteilt werden. Falls sie „die richtigen Verbindungen“ („Wasta“) hätten, hätten Sie die Aussicht darauf, stillschweigend und ohne eine Strafe zu erhalten in den Dienst zurückkehren zu können. Landinfo verfüge nicht über Informationen aus weiteren Quellen, die diese Angaben untermauern würden.

Landinfo zitiert weiters Angaben des Direktors des Menschenrechtsbüros der UNO-Unterstützungsmission für den Iraq (United Nations Assistance Mission for Iraq, UNAMI). Gemäß dessen Emailauskunft vom Dezember 2016 hätten der Premierminister und die Regierung eine De-facto-Amnestie gegenüber allen desertierten Soldaten erlassen, nachdem Tausende von Soldaten von ihren Posten geflohen und im Zusammenhang mit der Offensive der Gruppe Islamischer Staat (IS) im Juni 2014 desertiert waren. Der Premierminister habe Verständnis für die besonderen Umstände ausgedrückt, unter denen die Soldaten desertiert seien. Die Armee sei damals kollabiert und dabei seien die Kommandanten die ersten gewesen, die desertiert seien und sie hätten die Soldaten ihrem eigenen Schicksal überlassen. Der Premierminister habe diejenigen, die geflohen seien dazu aufgerufen, sich entweder bei ihren alten Einheiten einzufinden oder aus der Armee auszutreten.

Der Direktor des UNAMI-Menschenrechtsbüros habe in seiner Auskunft vom Dezember 2016 weiters darauf hingewiesen, dass das Militärstrafgesetz Todesstrafen für Desertionen in Kampfsituationen möglich mache, dass der entsprechende Artikel des Gesetzes jedoch nicht angewandt worden sei. Er habe auch darauf hingewiesen, dass UNAMI keine Fälle gefunden habe, in denen Personen wegen Desertion verfolgt und zum Tode verurteilt worden seien. Auch habe UNAMI in den von ihr besuchten Gefängnissen keine Deserteure vorgefunden, dennoch könne Landinfo nicht mit Sicherheit beurteilen, ob im Zuge der Massenflucht nach dem Vormarsch des IS im Jahr 2014 Personen wegen Desertion verhaftet worden seien. Obenstehende Informationen würden allerdings darauf hinweisen, dass zumindest die härtesten vom Gesetz vorgesehene Strafen nicht zur Anwendung gekommen seien:

Landinfo møtte i november 2016 en internasjonal organisasjon som arbeider i Irak, og som vi anser å være svært godt informert om situasjonen i landet. Ifølge opplysninger organisasjonen hadde mottatt fra irakiske myndigheter, vil hær-personell som har desertert og senere forlatt Irak og vært borte fra tjenesten i mer enn seks måneder, bli arrestert ved ankomst til landet. I slike tilfeller vil de kunne bli idømt fengsel i ett år eller mer. Dersom man har de rette forbindelsene (wasta), vil man likevel kunne ha utsikter til å få vende tilbake til tjenesten i all stillhet uten å bli straffet (Internasjonal organisasjon som arbeider i Irak, møte i Oslo november 2016). Landinfo har ikke informasjon fra andre kilder som kan bekrefte disse påstandene. Landinfo har også vært i kontakt med direktøren for UNAMIs [United Nations Assistance Mission for Iraq] menneskerettighetskontor i Bagdad. Vedkommende er også representant for FNs høykommissær for menneskerettigheter i Irak. I en e-post til Landinfo (desember 2016) skriver han at etter at tusenvis av soldater rømte fra sine poster og deserterte i forbindelse med ISILs [Islamic State in Iraq and Levante] offensiv i juni 2014, utstedte statsministeren og regjeringen et de-facto amnesti til alle soldater som hadde desertert. Statsministeren ordla seg forståelsesfullt overfor soldatene på grunn av de spesielle omstendighetene de hadde desertert under; hæren hadde reelt kollapset, og befalet hadde vært de første til å desertere og overlot dermed soldatene til sin egen skjebne. Statsministeren kom med en meget sterk oppfordring til dem som hadde rømt om enten å melde seg for sine gamle enheter, eller å fratre. Direktøren for UNAMIs [United Nations Assistance Mission for Iraq] menneskerettighetskontor (e-post desember 2016) poengterer at den militære straffeloven hjemler dødsstraff for desertering i strid, men at denne hjemmelen ikke er blitt anvendt. Han påpeker at UNAMI ikke har funnet noen tilfeller der enkeltpersoner har blitt straffeforfulgt og dømt til døden for desertering i Irak. […] Direktøren for UNAMIs menneskerettighetskontor viser ellers til en befaring UNAMI hadde foretatt ved et militært fengsel i Bagdad, der delegasjonen hadde observert at det kun satt fanger som sonet inntil seks måneder for lovbrudd som bl.a. tyveri og ordrenekt. Selv om UNAMI ikke har observert desertører i fengslene de har besøkt, kan ikke Landinfo med full sikkerhet utelukke at noen har blitt arrestert som følge av masseflukten i 2014. Men det ovenstående tyder i alle fall på at lovens strengeste straff ikke blir brukt.“ (Landinfo, 13. Dezember 2016, S. 2-3)

Das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (European Asylum Support Office, EASO), die Agentur der Europäischen Union zur Förderung der praktischen Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten im Asylbereich, enthält unter Verweis auf verschiedene Quellen folgende Informationen zum Thema Desertion von der irakischen Armee:

„Im April 2015 berichtete AFP [Agence France-Presse], dass Ministerpräsident al-Abadi den desertierten Mitgliedern der Sicherheitskräfte eine Amnestie anbot, sofern sie innerhalb von 30 Tagen zu ihren Einheiten zurückkehrten. Im Mai 2015 kündigte Ministerpräsident al-Abadi an, ‚alle rechtlichen Schritte gegen jene, die unter ihrem Militärdienst davongelaufen oder nicht anwesend waren, einzustellen.‘ Laut einer Erklärung aus dem Ministerbüro Abadis ‚hat der Ministerpräsident beschlossen, alle rechtlichen Schritte gegen Angehörige der Streitkräfte und die Kräfte der inneren Sicherheit endgültig einzustellen, einschließlich in Bezug auf die folgenden Straftaten: Flucht, Absentismus, Simulieren von Krankheit und Selbstverletzungen, um vom Dienst befreit zu werden, sowie Verbrechen gegen das Militärregime und die Angelegenheiten des Dienstes.‘ Im August 2016 berichteten die Iraqi News, dass das irakische Verteidigungsministerium die Verträge von 106 000 Militärbeamten gekündigt habe, die im Juni 2014 nach dem Einmarsch des ISIL in Mossul Fahnenflucht begangen hatten. […]

In einem Aktualisierungsbericht über Desertion vom Januar 2018 [weist das Zentrum für Länderinformationen der schwedischen Einwanderungsbehörde Lifos darauf hin], dass es kaum konkrete Informationen über Angehörige des Militärs oder der Polizei gibt, die wegen Desertion inhaftiert wurden.“ (EASO, März 2019, S. 77-78)

Weitere Informationen zur Handhabung von Desertion irakischer Militärangehöriger finden sich in dem EASO-Bericht auf den Seiten 75 bis 81; sowie in der Anfragebeantwortung von ACCORD vom Juni 2016, die unter folgendem Link abrufbar ist:

·      ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zum Irak: Folgen einer Desertion von der irakischen Armee [a-9672], 3. Juni 2016
https://www.ecoi.net/de/dokument/1013360.html

 

In den ACCORD derzeit zur Verfügung stehenden Quellen konnten bezüglich der Bestrafung von Desertion keine Informationen zu Unterschieden zwischen KombattantInnen und Militärangehörigen, die in der Administration/Versorgung tätig waren, gefunden werden. Gesucht wurde mittels ecoi.net, Refworld, Factiva, und Google nach einer Kombination aus folgenden Suchbegriffen: army, military, defected, desertion, punishment, combatant, administration, supply.

In den ACCORD derzeit zur Verfügung stehenden Quellen konnten auch keine Informationen zu Desertion betreffenden Urteilen gefunden werden, in denen zwar das Strafmaß jedoch kein Hinweis auf das Vergehen enthalten sei. Gesucht wurde mittels ecoi.net, Refworld, Factiva, und Google nach einer Kombination aus folgenden Suchbegriffen: desertion, defected, judgement, sentence, verdict, criminal offence. Beide Fragen wurden auch an Experten weitergeleitet. Sollte noch eine Antwort bei uns einlangen, werden wir diese unverzüglich an Sie weiterleiten.

 

 

 
 

 


Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 6. Dezember 2019)

·      ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zum Irak: Folgen einer Desertion von der irakischen Armee [a-9672], 3. Juni 2016
https://www.ecoi.net/de/dokument/1013360.html

·      Auskunftsperson: Auskunft per Email, 5. Dezember 2019

·      EASO – European Asylum Support Office: Irak; Gezielte Gewalt gegen Individuen, März 2019
https://www.ecoi.net/en/file/local/2019413/2019_03_EASO_COI_Report_Iraq_Targeting_of_Individuals_DE.pdf

·      Irakisches Militärstrafgesetz [qanun al-cuqubat al-caskari], Nr. 19 (verfügbar über das Global Justice Project), 9. Mai 2007
http://gjpi.org/wp-content/uploads/military-penal-law-19-of-2007.pdf

·      Landinfo – Norwegian Country of Origin Information Centre: Irak: Desertering fra den irakiske hæren, 13. Dezember 2016
https://www.ecoi.net/en/file/local/1017310/1788_1481637762_ira.pdf

·      Novellierung des Irakischen Militärstrafgesetzes, Gesetz Nr. 36, 2012
http://iraqld.hjc.iq:8080/LoadLawBook.aspx?page=1&SC=&BookID=29700